Entscheidungsstichwort (Thema)
Fehlende eigenverantwortliche Tätigkeit eines Krankengymnasten (Physiotherapeuten)
Leitsatz (NV)
1. Die für die leitende und eigenverantwortliche Tätigkeit aufgestellten Grundsätze im Hinblick auf den Beruf der ambulanten Krankenpflege sind auch auf den Katalogberuf des Krankengymnasten übertragbar.
2. Überlässt ein Krankengymnast seinen fachlich vorgebildeten Mitarbeitern selbständig sowohl die Anamnese als auch den Großteil der anfallenden Patientenbehandlungen, so ist er nicht eigenverantwortlich tätig.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 1 S. 1, § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2, § 116 Abs. 3 S. 3; EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1 Sätze 2-3
Verfahrensgang
FG Münster (Urteil vom 27.08.2003; Aktenzeichen 7 K 2393/01 G) |
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen.
1. Die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) aufgeworfene Rechtsfrage hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
a) Eine Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung, wenn ihre Beantwortung durch den Bundesfinanzhof (BFH) aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 27. Juni 1985 I B 27/85, BFHE 144, 137, BStBl II 1985, 625). Es muss sich um eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage handeln (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 23, 27 ff. und 30 ff., m.w.N.). Eine Rechtsfrage ist u.a. dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie sich ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 5. April 1995 I B 126/94, BFHE 177, 231, BStBl II 1995, 496) oder offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das Finanzgericht (FG) getan hat (z.B. BFH-Beschluss vom 15. Dezember 1989 VI B 78/88, BFHE 159, 196, BStBl II 1990, 344). Die Rechtsfrage ist auch nicht klärungsbedürftig, wenn auf den maßgebenden Sachverhalt durch die Rechtsprechung geklärte Rechtsgrundsätze anzuwenden sind (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 29. Januar 1987 V B 33/85, BFHE 148, 560, BStBl II 1987, 316) und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute höchstrichterliche Prüfung und Entscheidung dieser Frage geboten erscheinen lassen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 9. März 1998 III B 209/96, BFH/NV 1998, 1261).
b) Die Frage, welche Anforderungen an eine leitende und eigenverantwortliche Tätigkeit eines Krankengymnasten nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu stellen sind, ist nicht mehr klärungsbedürftig.
aa) Der Senat hat im Urteil vom 22. Januar 2004 IV R 51/01 (BFHE 205, 151, BStBl II 2004, 509, unter 3.d bb der Gründe) umfassend zu den Anforderungen an eine leitende und eigenverantwortliche Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG in Bezug auf die ambulante Krankenpflege Stellung genommen. Diese Rechtsprechung ist auch im Hinblick auf den Katalogberuf des Krankengymnasten --aufgrund der Neuregelung des § 19 des Gesetzes über die Berufe in der Physiotherapie (MPhG) vom 26. Mai 1994 (BGBl I 1994, 1084) nunmehr Physiotherapeut-- i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG anwendbar. Denn der ambulante Krankenpfleger übt regelmäßig einen dem Krankengymnasten ähnlichen Beruf aus, soweit es die Erbringung von ambulanter Krankenpflege i.S. des § 37 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) betrifft (vgl. BFH-Urteil in BFHE 205, 151, BStBl II 2004, 509). Ein ähnlicher Beruf liegt nach der Rechtsprechung des BFH vor, wenn er in wesentlichen Punkten mit einem der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG genannten Katalogberufe verglichen werden kann. Dazu gehört die Vergleichbarkeit sowohl der Ausbildung als auch der ausgeübten beruflichen Tätigkeit (Senatsurteil in BFHE 205, 151, BStBl II 2004, 509). Daraus folgt, dass die für die leitende und eigenverantwortliche Tätigkeit aufgestellten Grundsätze im Hinblick auf den Beruf der ambulanten Krankenpflege auch auf den Katalogberuf des Krankengymnasten i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG übertragbar sind.
bb) Nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG ist ein Angehöriger eines freien Berufes auch dann freiberuflich tätig, wenn er sich der Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bedient. Voraussetzung ist allerdings, dass er aufgrund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig wird.
(1) Unter Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte ist eine Tätigkeit zu verstehen, welche die Arbeit des Berufsträgers jedenfalls in Teilbereichen ersetzt und nicht nur von untergeordneter Bedeutung ist (vgl. BFH-Urteile vom 21. März 1995 XI R 85/93, BFHE 177, 377, BStBl II 1995, 732, und in BFHE 205, 151, BStBl II 2004, 509).
(2) Die Mithilfe qualifizierten Personals ist für die Freiberuflichkeit des Berufsträgers nur dann unschädlich, wenn der Berufsträger bei der Erledigung der einzelnen Aufträge aufgrund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig wird. Selbst eine besonders intensive leitende Tätigkeit kann die eigene praktische Tätigkeit nicht ersetzen. Deren Vorliegen kann nur angenommen werden, wenn die persönliche Teilnahme des Berufsträgers an der praktischen Arbeit in ausreichendem Umfang gewährleistet ist. Die Eigenverantwortlichkeit erschöpft sich nicht darin, dass der Berufsträger nach außen die Verantwortung für die Durchführung des einzelnen Auftrages trägt. Die Ausführung jedes einzelnen Auftrages muss vielmehr ihm selbst und nicht den qualifizierten Mitarbeitern, den Hilfskräften, den technischen Hilfsmitteln oder dem Unternehmen als ganzem zuzurechnen sein (vgl. BFH-Urteile in BFHE 177, 377, BStBl II 1995, 732, unter II.2. der Gründe, und vom 5. Juni 1997 IV R 43/96, BFHE 183, 424, BStBl II 1997, 681). Die Arbeitsleistung muss den "Stempel der Persönlichkeit" des betreffenden Berufsträgers tragen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 183, 424, BStBl II 1997, 681). Dies ist --wie das FG zutreffend ausgeführt hat-- nicht der Fall, wenn der Krankengymnast sowohl die Anamnese als auch den Großteil der anfallenden Patientenbehandlungen den fachlich vorgebildeten Mitarbeitern selbständig überlässt.
Nach alledem ist die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage nicht mehr klärungsbedürftig.
2. Die Rüge, das angefochtene Urteil weiche von der Rechtsprechung des BFH ab (§ 115 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative FGO), ist nicht ordnungsgemäß erhoben.
Die schlüssige Darlegung der Divergenz erfordert, dass der Kläger einen abstrakten Rechtssatz herausarbeitet, der das FG-Urteil trägt. Dem ist ein abweichender tragender Rechtssatz aus einer genau bezeichneten Entscheidung des BFH gegenüberzustellen (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. z.B. Beschlüsse vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479, und vom 7. Oktober 2003 X B 52/03, BFH/NV 2004, 80). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht. Weder bezeichnet der Kläger einen Rechtssatz, den der BFH in dem angeblichen Divergenz-Urteil vom 1. April 1982 IV R 130/79 (BFHE 136, 86, BStBl II 1982, 589) aufgestellt hat, noch stellt er diesem Rechtssatz einen davon abweichenden Rechtssatz des angefochtenen Urteils gegenüber. Im Übrigen kann eine Divergenz nur dann vorliegen, wenn dieselbe Rechtsfrage im Urteil des FG und in der Divergenzentscheidung unterschiedlich beantwortet wurde (Gräber/ Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 58). Der Begriff der eigenverantwortlichen Tätigkeit kann jedoch für verschiedene Berufsgruppen unterschiedliche Inhalte haben (vgl. Senatsurteil vom 29. Juli 1965 IV 61/65 U, BFHE 83, 154, BStBl III 1965, 557). Dabei sind insbesondere die Anforderungen an eine eigenverantwortliche Tätigkeit bei den Heilberufen unterschiedlich, je nach der Art der Betätigung, zu bestimmen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 183, 424, BStBl II 1997, 681). Schon aus diesem Grunde ist eine Divergenz zu dem BFH-Urteil in BFHE 136, 86, BStBl II 1982, 589 ausgeschlossen, da dieses die leitende und eigenverantwortliche Tätigkeit eines Schulleiters für Budo-Sportarten zum Gegenstand hatte, die der leitenden und eigenverantwortlichen Tätigkeit eines Krankengymnasten nicht vergleichbar ist.
3. Soweit der Kläger als Verfahrensfehler einen Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO rügt, weil das FG angeblich gegen den klaren Inhalt der Akten verstoßen habe, ist dieser Verfahrensfehler nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlichen Weise dargelegt (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 5. April 1994 V B 164/93, BFH/NV 1995, 883; auch Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 80). Zwar rügt der Kläger, dass das FG den Widerspruchsbescheid der Landesversicherungsanstalt in seiner Urteilsbegründung nicht gewürdigt hat, jedoch legt er nicht dar, inwieweit die Berücksichtigung des angeblich nicht zur Kenntnis genommenen Akteninhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunktes des Gerichts zu einer anderen Entscheidung hätte führen können.
4. Im Übrigen hat der Senat keine Veranlassung gesehen, das Verfahren im Hinblick auf die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Gewerbesteuer und das hierzu unter dem Aktenzeichen 1 BvL 2/04 beim Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren auszusetzen. Zur Begründung wird insoweit auf das Senatsurteil vom 25. Februar 2005 IV R 23/03 (BFHE 209, 269, BStBl II 2005, 578) verwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 1454009 |
BFH/NV 2006, 48 |