Entscheidungsstichwort (Thema)
Körperschaftsteuer Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Ob eine Körperschaft des öffentlichen Rechts im Sinne des Körperschaftsteuergesetzes gegeben ist, richtet sich nach dem öffentlichen Recht des Reichs (Bundes) oder eines Landes (Landesrecht oder Landesverwaltungsübung).
Die Finanzbehörden haben das Recht und die Pflicht, die Eigenschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts nachzuprüfen. Wird von der zuständigen Behörde die Eigenschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts bescheinigt, so wird dies im allgemeinen auch steuerlich anerkannt werden können.
Normenkette
KStG § 1 Abs. 1 Ziff. 4, § 1/1/6, § 4 Abs. 1 Ziff. 6; StAnpG § 1
Tatbestand
I. Das Freiweltliche Frauenstift ... beansprucht für 1946 Körperschaftsteuerfreiheit aus zwei Gründen, einmal weil es eine Körperschaft des öffentlichen Rechts sei und außerdem auch deshalb, weil es, wenn nicht gemeinnützigen, so doch mildtätigen Zwecke diene.
Das Stift ... geht auf ein Nonnenkloster gleichen Namens zurück, das um 1250 gegründet und mit Land ausgestattet wurde. Im Friedensvertrag von Osnabrück wurde das Kloster endgültig in ein hochadeliges und freiweltliches Damenstift umgewandelt, das hochadeligen unverehelichten Frauen als Altersversorgung diente.
Aus den Erträgen einer Land- und Forstwirtschaft und den Nutzungen eines Grundvermögens wurde im Jahre 1946 zehn adeligen Damen (der äbtissin und neun Kapitularinnen) eine Präbende in der Hauptsache in Geld gewährt. Sobald eine Kapitularin ausscheidet (sei es u. a. durch Heirat, Tod oder Ausstoßung infolge schwerer Vergehen), rückt eine Anwärterin aus der Liste der Exspectantinnen in die freiwerdende Stiftstelle ein. Für die Verleihung der Anwartschaft ist von alters her eine Einschreibegebühr zu zahlen. Die Mehrzahl der Kapitularinnen ist unbemittelt, nur zwei von ihnen hatten im Jahre 1946 größere andere Einkünfte, davon eine ein Gehalt von 6 000 RM jährlich. Diese beiden haben aber im Jahre 1947 auf ihre Präbende zugunsten unbemittelter Exspectantinnen verzichtet, ihre Präbende ruht nach Angabe des Steuerpflichtigen (Stpfl.) bis zu dem Zeitpunkt, wo sie selbst bedürftig werden.
Während früher nur Frauen des Adels des Landes X anwartschaftsberechtigt waren, können nach dem Kapitelbeschluß vom 13. Oktober 1943, der im wesentlichen in die Satzungsänderung vom 6. November 1946 übernommen ist, nunmehr auch bürgerliche Frauen in die Liste der Anwärterinnen aufgenommen werden. Nach der Satzungsänderung 1946 ist jetzt die besondere Aufgabe des Stiftes die Versorgung hilfsbedürftiger unverheirateter ehelicher Töchter von um das Gemeinwohl verdienten Männern mit der Einschränkung, daß unter diesen Töchtern die aus dem Lande X vorzugsweise berücksichtigt werden sollen. Die Liste der Exspectantinnen umfaßt neben älteren Anwärterinnen auch Kinder. Kindern wird nach der Angabe des Stpfl. deshalb eine Anwartschaft zugeteilt, weil manchmal 30 bis 40 Jahre vergehen, ehe eine Stiftstelle frei wird.
Nach der Satzungsänderung vom 6. November 1946 fällt bei Auflösung das Stiftsvermögen an ein Sondervermögen des Staates zur Verwendung für mildtätige und kirchliche Zwecke.
Das Stift ... selbst leitet die Eigenschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts aus der geschichtlichen Entwicklung und aus der Anerkennung durch die Landesbehörden her. Im einzelnen kann hierzu auf die Eingabe vom 25. Januar 1951 verwiesen werden.
Das Finanzgericht ist der Ansicht, daß eine sachliche Rechtfertigung für die Steuerfreiheit nicht gegeben sei, da das Stift nur einem eng begrenzten Kreise, nämlich dem Adel des Landes X diene und auch die Satzungsänderung keine Gewähr dafür biete, daß der Kreis der Berechtigten wirklich erweitert werde. Das Stiftskapitel habe es ganz in seiner Hand (Satzungsänderungsrecht des Stiftskapitels), bürgerliche Frauen auch in Zukunft von der Eintragung in die Liste der Exspectantinnen auszuschließen. Diesen Bedenken glaubt das Finanzgericht aber nicht Rechnung tragen zu dürfen, da der Kultusminister des Landes X in einer Bescheinigung vom 13. November 1948 den Charakter des Stifts als einer öffentlichen Körperschaft anerkannt habe. Es hat aus diesem Grunde das Stift von der Körperschaftsteuer freigestellt.
Das Finanzamt vertritt in seiner Rechtsbeschwerde (Rb.) die Ansicht, daß steuerrechtlich für die Würdigung, ob eine Körperschaft des öffentlichen Rechts vorliege, nicht die Vergangenheit, sondern die heutigen Verhältnisse und Anschauungen maßgebend seien. Die steuerliche Vergünstigung bei Anerkennung als öffentliche Körperschaft belaufe sich bei der Körperschaftsteuer, Vermögensteuer und Grundsteuer auf zusammen jährlich 15 000 bis 16 000 DM, das sei ein Mehrfaches dessen, was der Staat sonst im Falle der Hilfsbedürftigkeit Einzelpersonen zu gewähren in der Lage sei. Diese Vergünstigung komme einem ganz kleinen Kreise zugute. Für eine derartige bevorzugte steuerliche Behandlung sei nach § 1 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) kein Raum mehr.
Demgegenüber ist das Stift der Ansicht, daß die vom Kultusminister getroffene Feststellung das Finanzgericht binde. Tatsächlich sei das Stift nach der historischen Entwicklung eine Körperschaft des öffentlichen Rechts; daß es nachträglich diese Eigenschaft verloren habe, sei nicht nachgewiesen. Die Rechtslage sei für das Land X anders als für Schleswig-Holstein zu beurteilen. Daher sei die Entscheidung des Reichsfinanzhofs, Amtliche Slg. Bd. 23 S. 301 ff., nicht anwendbar.
Entscheidungsgründe
II. Die Prüfung der Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Der Reichsfinanzhof hat unter Aufgabe früherer Entscheidungen zuletzt die Rechtsansicht vertreten, daß für die Frage, ob eine Körperschaft des öffentlichen Rechts vorliege, allein das Reichsrecht entscheidend sei (Entscheidungen des Reichsfinanzhofs VI a 22/41 vom 22. März 1941, Slg. Bd. 50 S. 182, Reichssteuerblatt - RStBl. - 1941 S. 371; VI a 16/41 vom 13. Dezember 1941, RStBl. 1942 S. 17; VI a 37/42 vom 3. März 1943, RStBl. 1943 S. 267; VI a 3/43, RStBl. 1943 S. 269, Slg. Bd. 53 S. 42). Der Oberste Finanzgerichtshof hat sich demgegenüber auf den Standpunkt gestellt, daß als öffentlich-rechtliche Körperschaften im Sinne des Körperschaftsteuergesetzes (KörpStG) auch solche Körperschaften anzusehen seien, die ihre Eigenschaft als öffentlich-rechtliche Körperschaften aus dem öffentlichen Recht eines Landes herleiten (Entscheidung des Obersten Finanzgerichtshofs I 1/46 S vom 12. Februar 1946, Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen - Bay. FMBl. - 1946 S. 60, Steuer und Wirtschaft - StW - 1947 Nr. 7). Der Senat schließt sich der Ansicht des Obersten Finanzgerichtshofs an. Da die Stpfl. keine Körperschaft des öffentlichen Rechts auf Grund des Reichsrechts ist, muß untersucht werden, ob sie eine solche nach Landesrecht ist, was auf Verleihung, aber auch auf Landesverwaltungsübung beruhen kann. Nur dort, wo das Landesrecht keine Antwort auf die Frage gibt, ob eine bestimmte Körperschaft öffentlich-rechtlichen oder privat-rechtlichen Charakter besitzt, ist nötigenfalls nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen zu entscheiden (Entscheidungen des Reichsfinanzhofs I A 128/28 vom 6. Juni 1928, Slg. Bd. 23 S. 301, 306; I A a 822/28 vom 8. Oktober 1929, RStBl. 1929 S. 594; I A 92/31 vom 7. Mai 1931, RStBl. 1931 S. 392).
III. Zweifel an der Rechtsnatur bestehen insbesondere, wenn die Rechte als Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht durch Staatsakt verliehen sind, sondern, wie im Streitfall, aus der geschichtlichen Entwicklung hergeleitet werden. In diesen Fällen ist die Abgrenzung zwischen Körperschaften des öffentlichen und des privaten Rechts besonders schwierig, da allgemein anerkannte Unterscheidungsmerkmale nicht gegeben sind. Wesentlich ist nicht, ob das Stift früher einmal die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gehabt hat, sondern entscheidend ist, wie sich bis zum hier streitigen Jahr 1946 das Rechtsverhältnis zwischen Staat und Stift entwickelt hat.
Es ist vorab zu prüfen, inwieweit die Bescheinigung des Kultusministers vom 13. November 1948 über den öffentlich- rechtlichen Charakter des Stifts den Bundesfinanzhof bindet. Das Finanzgericht hat dieser Bescheinigung entscheidende Bedeutung beigemessen. Der Reichsfinanzhof und der Oberste Finanzgerichtshof (Entscheidung des Reichsfinanzhofs I A 822/28, RStBl. 1929 S. 594; Entscheidung des Obersten Finanzgerichtshofs I 1/46 S vom 12. Februar 1946, Bay. FMBl. 1946 S. 60, StW 1947 Nr. 7) vertreten zwar die Ansicht, daß dann, wenn die zuständige Reichs- oder Landesbehörde einer Körperschaft die Eigenschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts zuerkannt hat, sie als solche für das Körperschaftsteuerrecht zu gelten hat. Andererseits hat der Reichsfinanzhof stets das richterliche Nachprüfungsrecht für sich in Anspruch genommen und es für die Pflicht der Steuerbehörden erklärt, die Rechtsnatur von Rechtsgebilden zu prüfen (Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI a 54/38 vom 29. November 1938, RStBl. 1938 S. 208). Der Reichsfinanzhof hat eine Bindung an die Entscheidungen anderer Dienststellen als gesetzlich nicht vorgesehen abgelehnt mit dem Hinweis, daß das Gebot einer gleichmäßigen steuerlichen Behandlung bei der Anerkennung einer solchen Bindung gefährdet sei (Entscheidung des Reichsfinanzhof VI a 5/38 vom 26. Februar 1938, Slg. Bd. 43 S. 221, RStBl. 1939 S. 322).
Die Bescheinigung des Kultusministers des Landes X geht dahin, daß das Stift eine Körperschaft des öffentlichen Rechts sei und öffentliche Aufgaben erfülle, daß es der Aufsicht des Kultusministers unterstehe, daß der Staat ein besonderes Interesse an ihm habe und daß ein obrigkeitliches Verhältnis zu den Mitgliedern bestehe. Der Minister bescheinigt damit die Mindestvoraussetzungen, die nach der grundlegenden Entscheidung des Reichsfinanzhofs Slg. Bd. 23 S. 301 ff. den Charakter einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft bestimmen. Die Bescheinigung stellt nach Inhalt und Form keine Verleihungsurkunde dar, die der Bundesfinanzhof, wenn sie unter Beachtung der Landesgesetze ergangen wäre, anzuerkennen hätte. Die Bescheinigung gibt in Wirklichkeit nur eine Schlußfolgerung aus Tatsachen wieder.
Die Steuerbehörden haben, wie oben ausgeführt, das Recht und die Pflicht, zu prüfen, ob die Verfassung (Satzung) und die tatsächliche Handhabung der Geschäfte des Stifts, insbesondere die Verwendung der Mittel (Verleihung der Präbenden) die Feststellung rechtfertigen, daß die Körperschaft in den staatlichen Organismus eingegliedert ist und von der Erfüllung öffentlicher Aufgaben gesprochen werden kann. Nur wenn dies der Fall ist, kann von einer Verwaltungsübung im Sinne der Entscheidung I 1/46 vom 12. Februar 1946 gesprochen werden. Die Versorgung hilfsbedürftiger Nachkommen von Männern, die sich um das Gemeinwohl verdient gemacht haben, kann grundsätzlich zu den öffentlichen Aufgaben gerechnet werden. Es steht aber im Streitfall nicht fest, ob dem Staat satzungsmäßig oder tatsächlich ein Aufsichtsrecht (Einspruchs-, Eingriffsrecht) zusteht, so daß er die satzungswidrige Verleihung von Präbenden an nichtbedürftige Personen, wie sie vorgekommen ist, zu verhindern oder wieder aufzuheben in der Lage ist. Dieser Umstand ist besonders wichtig, weil die Einkünfte von den Stiftsangehörigen verteilt (verliehen) werden, die selbst Präbenden beziehen. Es ist auch nicht geklärt, wieweit die Befugnisse des Staates bei der Wahl der äbtissin reichen.
Angesichts dieser Bedenken erscheint die Möglichkeit gegeben, daß vom Finanzgericht der Begriff der öffentlichen Körperschaft verkannt ist. Wegen der Schwierigkeit, die die Prüfung der Eigenschaft einer Körperschaft des öffentlichen Rechts bei dem einzelnen Gebilde bietet, erscheint es zweckmäßig, daß das Finanzgericht, an das die Sache zur nochmaligen Prüfung zurückverwiesen wird, unter Darlegung der Bedenken eine verbindliche Erklärung der für die Verleihung der Eigenschaft einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zuständigen Landesbehörde herbeiführt, ob dem Stift nach Landesrecht oder nach der dauernden Landesverwaltungsübung die Eigenschaft einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zusteht. Wird von dieser Stelle unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen die Frage bejaht, so wird dies auch steuerlich Anerkennung zu finden haben (vgl. hierzu Entscheidung des Obersten Finanzgerichtshofs I 1/46 S vom 12. Februar 1946, Bay. FMBl. 1946 S. 60).
Einen bejahenden Bescheid der Landesregierung vorausgesetzt, würde der Senat keine Bedenken tragen, die Anerkennung bereits auf 1946 erstrecken zu lassen. Die vorgenommenen Satzungsänderungen und der Verzicht der nichtbedürftigen Präbendenbezieher weisen darauf hin, daß das Stift sich den geänderten Verhältnissen anzupassen bestrebt ist.
Kommt das Finanzgericht zu dem Ergebnis, daß eine Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht vorliegt, so ist noch die Frage zu prüfen, inwieweit die Vergütungen an die äbtissin und Kellnerin abzugsfähige Ausgaben darstellen.
IV. Schließlich kann die Körperschaftsteuerfreiheit nicht auf die Verfolgung gemeinnütziger oder mildtätiger Zwecke gestützt werden (§ 4 Absatz 1 Ziffer 6 KörpStG und Verordnung zur Durchführung der §§ 17 bis 19 StAnpG vom 16. Dezember 1941, RStBl. 1941 S. 937 in der Fassung der Anlage 1 der Verordnung zur änderung der Verordnung zur Durchführung des KörpStG vom 16. Oktober 1948, Gesetz- und Verordnungsblatt der Verwaltung für Finanzen des Vereinigten Wirtschaftsgebiets 1948 S. 130, 181).
Gemeinnützigkeit lag früher nicht vor, weil der Kreis der Begünstigten zu eng gezogen war (Entscheidung des Reichsfinanzhofs I a 317/27 vom 27. September 1927, Slg. Bd. 22 S. 90). Die Satzungsänderung vom 6. November 1946, zurückgehend auf den Kapitelbeschluß vom 13. Oktober 1943, bedeutet nach den Feststellungen des Finanzgerichts zunächst nur eine Erweiterung des Kreises der Anwartschaftsberechtigten für die Zukunft. Tatsächlich sind 1946 die Einkünfte des Stifts nur einem kleinen Kreise des Adels zugute gekommen. Das Finanzgericht stellt weiter fest, daß wegen des Wahlmodus keine Gewähr dafür gegeben ist, daß irgendeine bürgerliche Frau jemals eine Stiftstelle erhalten werde. Eine wirksame Erweiterung des Kreises der Anwartschaftsberechtigten kann bei dem bestehenden Wahlmodus dann angenommen werden, wenn der Staat ein Einspruchsrecht bei der Besetzung der Stiftstellen hat.
Mildtätigkeit liegt für 1946 nicht vor, weil 1946 zwei Kapitularinnen erhebliche sonstige Einnahmen hatten, darunter eine ein Gehalt von 6 000 RM. Diese Tatsache genügt, um die Ausschließlichkeit der Mildtätigkeit abzulehnen (vgl. Slg. Bd. 23 S. 304 und Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI a 5/38 vom 26. Februar 1938, Slg. Bd. 43 S. 221, RStBl. 1938 S. 322).
Fundstellen
Haufe-Index 407205 |
BStBl III 1951, 120 |
BFHE 1952, 311 |
BFHE 55, 311 |
BB 1952, 544 |