Leitsatz (amtlich)
Die Gewährung eines Abschlags wegen der Verpflichtung, ein Gebäude auf fremdem Grund und Boden nach Ablauf der Miet- und Pachtzeit abzubrechen, setzt voraus, daß eine vertragliche Abbruchverpflichtung eindeutig und unbedingt besteht. Hierfür ist nicht erforderlich, daß die Abbruchverpflichtung in dem Vertrag ausdrücklich vereinbart ist. Lassen jedoch die vertraglichen Vereinbarungen Zweifel an dem Bestehen einer solchen Verpflichtung aufkommen, scheidet die Gewährung des Abschlags aus.
Normenkette
BewG 1965 § 94 Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), ein Mineralölunternehmen, hat auf einem gepachteten Grundstück Tankstellengebäude errichtet. Der am 19. Juli 1961 geschlossene Pachtvertrag läuft bis zum 30. Juni 1991. Das Pachtverhältnis verlängert sich jeweils um weitere fünf Jahre, wenn es nicht von einem der Vertragspartner sechs Monate vor Ablauf gekündigt wird. Der Vertrag enthält keine ausdrückliche Vereinbarung darüber, daß die Gebäude nach Ablauf der Pachtzeit abzubrechen sind.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) bewertete die Tankstellengebäude anläßlich der Nachfeststellung zum 1. Januar 1974, dem hier streitigen Stichtag, nach dem Sachwertverfahren als Gebäude auf fremdem Grund und Boden (§ 94 des Bewertungsgesetzes - BewG -). Ein Abschlag wegen Abbruchverpflichtung (§ 94 Abs. 3 Satz 3 BewG) wurde nicht gewährt. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren machte die Klägerin beim Finanzgericht (FG) geltend: Es sei nicht Voraussetzung für die Gewährung des begehrten Abschlags, daß die Abbruchverpflichtung in dem Vertrag ausdrücklich vereinbart sei. Ausschlaggebend sei allein, daß eine vertragliche Abbruchverpflichtung bestehe. Sei eine solche Verpflichtung gemäß § 556 BGB zu bejahen, müsse der Abschlag selbst dann gewährt werden, wenn der Vertrag keine ausdrückliche Vereinbarung enthalte.
Das FG wies die Klage ab. Zur Begründung seiner Entscheidung führte es aus: Die Gewährung eines Abschlags gemäß § 94 Abs. 3 Satz 3 BewG setze voraus, daß eine Verpflichtung zum Abbruch vereinbart sei. Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin sei in dem hier vorliegenden Pachtvertrag eine Abbruchverpflichtung nicht ausdrücklich verabredet. Der Vertrag enthalte auch keine Vereinbarung, die sich als Grundlage für eine vertragliche Abbruchverpflichtung umdeuten ließe. Bei dem klaren Gesetzeswortlaut des § 94 Abs. 3 Satz 3 BewG, der es allein auf die Vereinbarung einer Abbruchverpflichtung abstelle, sei für eine Auslegung oder Umdeutung des gesetzlichen Regelungsinhalts kein Raum. Mit einer etwa bestehenden gesetzlichen Abbruchverpflichtung lasse sich ein Abschlag nicht begründen.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin einen Verstoß der Vorentscheidung gegen § 94 Abs. 3 Satz 3 BewG.
Diese Vorschrift verlange nicht, daß der Anspruch auf Beseitigung der Tankstellengebäude im schriftlichen Vertragstext ausdrücklich enthalten sein müsse. Das Gesetz fordere überhaupt keine Schriftform. Die Worte
"ist vereinbart" könnten vernünftigerweise nur dahin verstanden werden, daß eine Verpflichtung zum Abbruch "aufgrund Vertragsrecht" - im Gegensatz zum öffentlichen Recht - bestehen müsse.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Einheitswertbescheid vom 9. November 1974 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. November 1974 dahin gehend abzuändern, daß der Einheitswert von 9 400 DM auf 5 900 DM ermäßigt wird.
Das FA beantragt, die Revision abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Ist vereinbart, daß ein Gebäude auf fremdem Grund und Boden nach Ablauf der Miet- und Pachtzeit abzubrechen ist, so ist dieser Umstand durch einen entsprechenden Abschlag zu berücksichtigen (§ 94 Abs. 3 Satz 3 BewG). Voraussetzung für die Gewährung des Abschlags ist jedoch, daß am Stichtag eine vertragliche Abbruchverpflichtung eindeutig und unbedingt besteht. Dies ist nur der Fall, wenn die vertraglichen Vereinbarungen nach ihrem eindeutigen Wortlaut dem Mieter oder Pächter bei Beendigung des Miet- oder Pachtverhätlnisses keine andere Wahl lassen, als das Gebäude abzureißen. Vertragliche Gestaltungen, die Zweifel an dem Bestehen einer solchen Verpflichtung aufkommen lassen, die die Verpflichtung einschränken oder die es dem Mieter oder Pächter bei Beendigung des Vertrages im Ergebnis freistellen, das nur zu einem vorübergehenden Zweck errichtete Gebäude entweder abzubrechen oder durch Stehenlassen und Zeitablauf in das Eigentum des Vermieters oder Verpächters übergehen zu lassen, beinhalten keine Abbruchverpflichtung i. S. des § 94 Abs. 3 Satz 3 BewG. Das Erfordernis einer klar und eindeutig vereinbarten Abbruchverpflichtung als Voraussetzung für die Gewährung des Abschlags ist deshalb geboten, weil Gebäude, die aufgrund eines Miet- oder Pachtvertrages auf fremdem Grund und Boden errichtet sind, nach Auslaufen des Miet- oder Pachtverhältnisses in aller Regel noch einen wirtschaftlichen Wert darstellen. Im Hinblick hierauf lassen es die Vertragspartner häufig offen, ob die Gebäude nach Ablauf des Miet- oder Pachtverhältnisses abgebrochen werden oder ob sie vom Grundstückseigentümer ohne oder gegen Entgelt übernommen werden sollen.
a) Ob die Voraussetzungen für einen Abschlag wegen Abbruchverpflichtung vorliegen, ist im Einzelfall durch Auslegen des Miet- oder Pachtvertrages zu ermitteln. Sind Gebäude, die auf fremdem Grund und Boden nur für die Dauer des Miet- oder Pachtverhältnisses errichtet sind, aufgrund ausdrücklicher Vereinbarung nach Ablauf der Miet- oder Pachtzeit zu entfernen, steht das Vorliegen einer vertraglichen Abbruchverpflichtung außer Zweifel. Auch die bloße Bezugnahme der Vertragspartner auf § 556 Abs. 1 BGB hat zur Folge, daß eine vertragliche Abbruchverpflichtung gegeben ist. Bürgerlich-rechtlich setzt indes die Annahme einer solchen Verpflichtung des Mieters oder Pächters nicht stets voraus, daß der Miet- oder Pachtvertrag ausdrückliche Vereinbarungen über eine solche Verpflichtung enthält. Eine Abbruchverpflichtung kann sich ohne deren ausdrückliche Vereinbarung auch konkludent aus dem übrigen Inhalt eines Miet- oder Pachtvertrages ergeben. Nichts anderes wird regelmäßig dann gelten, wenn dem Mieter oder Pächter das Recht eingeräumt ist, Gebäude oder andere Einrichtungen zu errichten und die Verpflichtung, diese nach Beendigung des Miet- oder Pachtvertrages zu beseitigen, vertraglich nicht abbedungen ist. Denn § 556 Abs. 1 BGB wird von der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum dahin ausgelegt, daß die auf einer gemieteten oder gepachteten Grundstücksfläche errichteten Gebäude vor Rückgabe vom Mieter grundsätzlich beseitigt werden müssen, wenn vertraglich nichts anderes bestimmt ist (vgl. z. B. die Urteile des Bundesgerichtshofes - BGH - vom 27. April 1966 VIII ZR 148/64, Wertpapiermitteilungen 1966 S. 765 - WM 1966, 765 - und vom 8. Dezember 1971 VIII ZR 150/70, WM 1972, 389, 390: Palandt/Putzo, Bürgerliches Gesetzbuch, 40. Aufl., § 556 Anm. 1 a; Erman, Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 6. Aufl., § 556 Anm. 1: Roquette. Das Mietrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1966 S. 364).
b) Besteht bei einem Gebäude auf fremdem Grund und Boden bürgerlich-rechtlich eine vertragliche Abbruchverpflichtung, so ist diese bei der Einheitsbewertung des Gebäudes regelmäßig durch einen Abschlag gemäß § 94 Abs. 3 Satz 3 BewG zu berücksichtigen. Der Wortlaut des § 94 Abs. 3 Satz 3 1. Halbsatz BewG setzt für die Gewährung des Abschlags nicht voraus, daß das Gebäude aufgrund ausdrücklicher vertraglicher Vereinbarung am Ende der Miet- oder Pachtzeit abgebrochen werden muß. In dem Leitsatz zu dem Senats-Urteil vom 3. März 1972 III R 136/71, (BFHE 106, 570, BStBl II 1972, 896) ist zwar ausgeführt, daß ein Abschlag wegen Abbruchverpflichtung stets dann zu gewähren ist, wenn das Gebäude "aufgrund ausdrücklicher vertraglicher Verpflichtung" am Ende der Miet- oder Pachtzeit abgebrochen werden muß. Bei dem jener Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt war jedoch ausdrücklich vereinbart, daß die Mieterin das Grundstück im ursprünglichen Zustand zurückzugeben und errichtete Bauten ohne Entschädigung auf ihre Kosten zu entfernen hatte. Im Hinblick hierauf hatte der Senat keinen Anlaß, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob der Abschlag gemäß § 94 Abs. 3 Satz 3 BewG stets eine "ausdrückliche" vertragliche Vereinbarung voraussetzt oder ob nicht auch eine stillschweigend vereinbarte Abbruchverpflichtung genügt. In den Gründen jener Entscheidung wird denn auch unter Abschn. II Nr. 1 (BFHE 106, 570, 573, BStBl II 1972, 896) nur von "vereinbaren" einer Abbruchverpflichtung und in Abschn. II Nr. 2 (BFHE 106, 570, 574, BStBl II 1972, 896) von der "vertraglichen Verpflichtung" zum Abbruch des Gebäudes, an keiner Stelle der Gründe jedoch von einer "ausdrücklich vereinbarten" Abbruchverpflichtung gesprochen.
Das Erfordernis einer ausdrücklichen Vereinbarung der Abbruchverpflichtung läßt sich auch nicht aus dem Sinn und Zweck des § 94 Abs. 3 Satz 3 BewG herleiten Diese Vorschrift, die erstmals durch das Bewertungsgesetz 1965 kodifiziert wurde, geht zurück auf die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs - RFH - (vgl. Urteil vom 19. Januar 1933 III A 348/32, RStBl 1933, 692 mit dem Hinweis auf die Entscheidung vom 30. April 1926 I A 167/25 S, RFHE 19, 86, RStBl 1926, 221) und des Bundesfinanzhofs - BFH - (vgl. Urteile vom 27. Februar 1959 III 97/58 U, BFHE 68, 494, BStBl III 1959, 190, und vom 31. Januar 1964 III 178/61 U, BFHE 78, 458, BStBl III 1964, 178). Nach dieser Rechtsprechung mindert die Pflicht, ein auf gemietetem oder gepachtetem Grund und Boden errichtetes Gebäude nach Ablauf der Miet- oder Pachtzeit abzubrechen, den gemeinen Wert des Gebäudes und ist deshalb durch einen entsprechenden Abschlag zu berücksichtigen. Diese Erwägung liegt auch der Regelung des § 94 Abs. 3 Satz 3 BewG zugrunde. Die Minderung des gemeinen Werts tritt ohne Rücksicht darauf ein, ob die vertragliche Abbruchverpflichtung auf ausdrücklicher oder konkludenter Vereinbarung beruht. Da sowohl das Ertragswert- als auch das Sachwertverfahren auf die Bewertung bebauter Grundstücke mit einem typisierten gemeinen Wert ausgerichtet sind, erscheint es nicht vertretbar, im Falle einer nur stillschweigend vereinbarten Abbruchverpflichtung den Abschlag gemäß § 94 Abs. 3 Satz 3 BewG generell zu versagen und die Steuerpflichtigen auf die allgemeinen Abschlagsregelungen gemäß § 82 Abs. 1 Nr. 3 und § 88 BewG zu verweisen.
Allerdings wird nicht stets beim Fehlen ausdrücklicher Vereinbarungen über eine Abbruchverpflichtung davon auszugehen sein, daß eine vertragliche Verpflichtung zum Abbruch gemäß § 556 Abs. 1 BGB mit der Folge anzunehmen ist, daß ein Abschlag gemäß § 94 Abs. 3 Satz 3 BewG zu berücksichtigen ist. Liegen ausdrückliche Vereinbarungen über das Bestehen einer Abbruchverpflichtung nicht vor, setzt die Gewährung eines Abschlags gemäß § 94 Abs. 3 Satz 3 BewG den Nachweis voraus, daß die Verpflichtung aus § 556 Abs. 1 BGB nicht - und zwar auch nicht konkludent - abbedungen ist. Ob dies der Fall ist, ist nach dem Gesamtinhalt der vertraglichen Abreden zu entscheiden.
2. Die Vorentscheidung ist aufzuheben, da sie auf einer abweichenden Rechtsauffassung beruht. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Der Rechtsstreit ist daher gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Die Vorinstanz wird nunmehr zu prüfen haben, ob nach dem Gesamtinhalt der vertraglichen Vereinbarungen im Streitfall eine vertragliche Abbruchverpflichtung eindeutig und unbedingt besteht. Führen die tatsächlichen Feststellungen zu dem Ergebnis, daß ein Abschlag gemäß § 94 Abs. 3 Satz 3 BewG dem Grunde nach zu gewähren ist, so ist dessen Höhe entsprechend den Grundsätzen zu bemessen, die der Senat in dem Urteil vom 3. Juli 1981 III R 53/79 (BStBl II 1981, 761) entwickelt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 413678 |
BStBl II 1981, 764 |
BFHE 1981, 48 |