Leitsatz (amtlich)
Zur Beurteilung von Zinsen aus Verbindlichkeiten infolge Verletzung von Patentrechten als Dauerschuldzinsen.
Orientierungssatz
Die Verbindlichkeiten aus den Patentverletzungen werden erst zu Dauerschulden, wenn sie nicht innerhalb von 12 Monaten nach Beseitigung der Ungewißheit (Abwicklung der Ansprüche durch Vereinbarung oder Urteil über deren Berechtigung) getilgt werden. Der Dauerschuldcharakter der Verbindlichkeit hängt nicht davon ab, ob sich die Bildung der Verbindlichkeit eigenkapitalmindernd auswirkt (Ausführungen und BFH-Rechtsprechung zur Unterscheidung Dauerschulden - laufende Verbindlichkeiten und zur gewerbesteuerrechtlichen Einordnung von Verbindlichkeiten aus Schadensersatz).
Normenkette
GewStG § 8 Nr. 1, § 12 Abs. 2 Nr. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), die in der Rechtsform einer GmbH eine chemische Fabrik betreibt, hatte gegen die Firma B einen Patentrechtsstreit geführt. Im Anschluß an eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 29.Januar 1970, in der eine Patentrechtsverletzung durch die Klägerin festgestellt worden war, einigten sich die streitenden Parteien im Jahre 1971 auf eine Entschädigung von 3 Mio DM, und zwar in Höhe von 500 000 DM über Prozeßkosten ohne Rücksicht auf etwaige Kostenfestsetzungsbeschlüsse und in Höhe von 2,5 Mio DM (höchstens aber 5,5 Mio DM) über Schadensersatzforderungen für die Zeit vor dem 1.Juli 1971. Vereinbart wurde ferner, daß der Betrag von 3 Mio DM ab 1.Juli 1971 mit 6 v.H. zu verzinsen sei und die endgültige Schadensersatzforderung durch einen Schiedsgutachter ermittelt werden solle, was 1972 durch das Gutachten eines Herrn R. auch geschah.
Den Betrag von 3 Mio DM hat die Klägerin im Jahre 1971 vom Konto "Patentverletzungsrückstellung" auf das Konto "Verbindlichkeiten aus Schadensersatz" übertragen. Diese Verbindlichkeiten hat die Klägerin in der Zeit vom 1.März 1972 bis 31.Dezember 1973 in Höhe eines Betrags von 2,9 Mio DM getilgt. Die für 1971 zu zahlenden Zinsen in Höhe von 90 000 DM passivierte die Klägerin gewinnmindernd auf den 31.Dezember 1971.
Im Anschluß an eine Betriebsprüfung wurde der ursprüngliche Gewerbesteuermeßbescheid geändert. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) vertrat die Ansicht, daß die Schadensersatzverbindlichkeit bereits im Kalenderjahr 1971 eine Dauerschuld i.S. des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) gewesen sei, so daß die als Aufwand gebuchten passivierten Zinsen in Höhe von 90 000 DM als Dauerschuldzinsen dem Gewinn zuzurechnen seien.
Der Einspruch der Klägerin hatte in dem strittigen Punkt keinen Erfolg. Das FA setzte den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag auf 23 379 DM fest.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin, das FG habe § 8 Nr.1 GewStG verletzt.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und den Gewerbesteuermeßbetrag 1971 dahingehend zu ändern, daß er von 23 879 DM auf 19 379 DM herabgesetzt werde.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Der bei der Ermittlung des Gewerbeertrags der Klägerin hinzugerechnete Betrag von 90 000 DM erfüllt nicht die Merkmale von Dauerschuldzinsen (§ 8 Nr.1 GewStG).
Im Streitfall ist auszuschließen, daß die auf Patentverletzungen durch die Klägerin zurückgehende Verbindlichkeit wirtschaftlich mit der Gründung und dem Erwerb des Betriebs der Klägerin oder der Erweiterung oder Verbesserung des Betriebs zusammenhängt. Auf diese gesetzlichen Tatbestandsmerkmale bezieht sich das vom FG zitierte Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 30.Juni 1971 I R 55/68 (BFHE 103, 80, BStBl II 1971, 750). Streitig ist vielmehr nur, ob die auf das Jahr 1971 entfallenden Zinsen Schulden betreffen, die der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen (§ 8 Nr.1 GewStG).
Den Gegensatz zu Schulden, die der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen (vgl. auch § 12 Abs.2 Nr.1 GewStG), bilden nach ständiger Rechtsprechung des BFH "laufende Verbindlichkeiten, die im gewöhnlichen Geschäftsgang eines Unternehmens entstehen", sofern sie "in der nach Art des Geschäftsvorfalls üblichen Frist getilgt werden" (vgl. Urteil vom 9.April 1981 IV R 24/78, BFHE 133, 67, BStBl II 1981, 481 mit weiteren Hinweisen auch auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats). Im Urteil in BFHE 133, 67, BStBl II 1981, 481 sind auch die näheren Kriterien für die Unterscheidung zwischen Dauerschulden i.S. von § 8 Nr.1 und § 12 Abs.2 Nr.1 GewStG einerseits und laufenden Verbindlichkeiten andererseits im einzelnen bezeichnet. Maßgeblich ist in erster Linie der Charakter der Schuld. Nach Maßgabe des Charakters der Schuld ist regelmäßig eine laufende Verbindlichkeit gegeben, wenn die Schuld mit nach der Art des Betriebs immer wiederkehrenden bestimmbaren Geschäftsvorfällen, z.B. mit dem Erwerb und der Veräußerung von Umlaufvermögen, im wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Hingegen sind Schulden, die etwa der Beschaffung des für das Unternehmen erforderlichen Anlagevermögens dienen, ihrem Charakter nach regelmäßig keine laufenden Verbindlichkeiten, sondern Dauerschulden, und zwar jedenfalls dann, wenn ihre Laufzeit 12 Monate übersteigt.
1. Das FG hat den Dauerschuldcharakter der auf 31.Dezember 1971 passivierten Verbindlichkeit für Patentverletzungen aus der Überlegung hergeleitet, bei der Ausnutzung vermeintlich eigener, in Wirklichkeit aber fremder Rechte hätten die Nutzungen zunächst den Charakter von Eigenkapital. Erkenne der Unternehmer, daß es sich nicht um Eigenkapital, sondern um Fremdkapital handle, ändere sich durch die entsprechenden Buchungen (Bildung von Rückstellungen, Einbuchung von Verbindlichkeiten) der Finanzierungsmodus; dagegen ergebe sich daraus keine gewerbesteuerrechtliche Veränderung. Die offene, am Stichtag nicht ausgeglichene Schadensersatzverbindlichkeit habe die gleiche Funktion wie das zuvor ausgewiesene Eigenkapital.
Diese Gedankenführung hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Sie verfehlt den Kern, auf den es bei der Unterscheidung der Dauerschulden von denjenigen Schulden, die der nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen, insbesondere der Schulden aus dem laufenden Geschäftsverkehr, entscheidend ankommt. Die Argumentation des FG bedeutet, daß der Dauerschuldcharakter einer Verbindlichkeit davon abhängt, ob sich die Bildung einer Verbindlichkeit eigenkapitalmindernd auswirkt. Danach wären Schadensersatzverbindlichkeiten, die in engem Zusammenhang mit dem laufenden Geschäftsbetrieb stehen, ohne Rücksicht auf den Charakter der Schuld, Dauerschulden. Das entspricht nicht den von der Rechtsprechung des BFH entwickelten Abgrenzungsmerkmalen.
2. Im Streitfall hat die Klägerin zu den Bilanzstichtagen der früheren Jahre (vor 31.Dezember 1971) Rückstellungen für Patentrechtsverletzungen gebildet, da die Verbindlichkeit sowohl dem Grunde wie der Höhe nach unsicher war. Diese Unsicherheit ist --was den Grund angeht-- durch das Urteil des BGH vom 29.Januar 1970 und --was die Höhe anbelangt-- frühestens durch die Vereinbarung der streitenden Parteien im Jahre 1971, möglicherweise auch erst im Jahre 1972 durch die Schätzung des Gutachters, beseitigt worden.
Der erkennende Senat hat sich mit der Frage, wie Verbindlichkeiten aus Schadensersatz gewerbesteuerrechtlich einzuordnen sind, insbesondere im Urteil vom 14.November 1968 I 51/65, BFHE 94, 574, BStBl II 1969, 266, im Zusammenhang mit dem Ersatz von Bergschäden eines Bergbauunternehmens befaßt. Er hat die Rückstellungen für derartige Verbindlichkeiten dem laufenden Geschäftsbetrieb des Unternehmens zugeordnet und ausgesprochen, daß Rückstellungen für Verbindlichkeiten, die im laufenden Geschäftsbetrieb entstanden sind, so lange nicht als Dauerschulden anzusehen sind, wie sich die Ansprüche in der Abwicklung befinden und über die Berechtigung der Ansprüche zwischen den Beteiligten noch Verhandlungen im Gange sind. Derartige Verbindlichkeiten werden zu Dauerschulden, wenn sie nicht innerhalb von 12 Monaten nach Beseitigung der Ungewißheit getilgt werden. Die Ungewißheit wird in der Regel beseitigt durch Vereinbarungen oder durch Urteil, bei ungebührlicher Verzögerung der Abwicklung unter Umständen auch schon vorher. Damit hat der erkennende Senat eine Rechtsprechung weitergeführt, die im Urteil vom 13.März 1964 IV 385/62 S (BFHE 79, 311, BStBl III 1964, 344) betreffend Haftung aus Gewährleistungsverbindlichkeiten bei Errichtung technischer Anlagen, und im Urteil des erkennenden Senats vom 12.Juni 1968 I 278/63 (BFHE 93, 154, BStBl II 1968, 715) betreffend Schadensrückstellungen eines Versicherungsunternehmens, in den Grundzügen eingeleitet wurde. Diese Rechtsprechung wurde später durch die BFH-Urteile vom 29.Oktober 1974 I R 103/73 (BFHE 114, 105, BStBl II 1975, 114) betreffend Rückstellungen eines Erdölunternehmens für die Verpflichtung, nach Auslaufen der Gestattungsverträge Rohrleitungen zu entfernen und die Grundstücke wieder herzustellen, sowie durch das Urteil vom 8.September 1976 I R 186/74 (BFHE 120, 254, BStBl II 1977, 9) betreffend Rückstellungen eines Steinbruchunternehmens für die Verpflichtung, ausgebeutete, gepachtete Flächen nach Ablauf der Pachtverträge zu rekultivieren, in den wesentlichen Punkten fortgesetzt.
3. Der erkennende Senat kann offenlassen, ob die auf den 31.Dezember 1971 passivierte Verbindlichkeit für Patentverletzungen in späteren Wirtschaftsjahren zu Dauerschulden wurden. Jedenfalls erfüllt der für das Jahr 1971 zu zahlende, auf 31.Dezember 1971 gleichfalls gewinnmindernd passivierte Betrag von 90 000 DM nicht die Merkmale von Dauerschuldzinsen.
Das FG hat nicht festgestellt, auf welchen Vorgängen die Patentrechtsverletzungen beruhen. Der Senat kann aber aus der Tatsache, daß die Klägerin als chemische Fabrik Patentrechte verletzt hat, davon ausgehen, daß dies im Zusammenhang mit der Herstellung und dem Vertrieb eigener Produkte geschehen ist. Dies wird bestätigt durch die Ausführungen im Schriftsatz des Klägervertreters vom 14.Oktober 1982, die --da im übrigen unwidersprochen-- nur wiedergeben, wovon alle Beteiligten in diesem Verfahren ausgegangen sind. Nach den Grundsätzen des Urteils in BFHE 94, 574, BStBl II 1969, 266 befanden sich die Schadensersatzansprüche der Firma B bis zur Einigung der streitenden Parteien (frühestens) im Jahre 1971 noch in der Abwicklung; über die Berechtigung der Ansprüche der Firma B waren noch Verhandlungen im Gange. Die Verbindlichkeiten aus den Patentverletzungen werden erst zu Dauerschulden, wenn sie nicht innerhalb von 12 Monaten nach Beseitigung der Ungewißheit getilgt werden. Danach lagen für die Zinsen des Jahres 1971 noch nicht die Voraussetzungen von Dauerschuldzinsen vor.
4. Da das FG von einem rechtsirrtümlichen Ausgangspunkt her zu einem rechtlich unzutreffenden Ergebnis gelangt ist, kann sein Urteil keinen Bestand haben; es muß aufgehoben werden. Die Sache ist spruchreif. Es bedarf daher keiner Zurückverweisung an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs.3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der Gewerbesteuermeßbescheid vom 30.Januar 1978 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2.Oktober 1978 wird insoweit aufgehoben, als dem Gewinn aus Gewerbebetrieb ein Betrag von 90 000 DM hinzugerechnet wurde. Der erkennende Senat macht von der Möglichkeit des Art.3 § 4 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31.März 1978, BGBl I, 446 i.d.F. des Gesetzes vom 22.Dezember 1983, BGBl I, 1515 Gebrauch. Es ist Sache des FA, den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag der Klägerin für den Erhebungszeitraum 1971 unter Berücksichtigung einer sich etwa ergebenden Minderung der Gewerbesteuerrückstellung zu berechnen.
Fundstellen
Haufe-Index 60809 |
BStBl II 1985, 431 |
BFHE 143, 468 |
BFHE 1985, 468 |
BB 1985, 1381-1382 (ST) |
DB 1985, 1774-1775 (ST) |
DStR 1985, 546-546 (ST) |
HFR 1985, 419-419 (ST) |