Entscheidungsstichwort (Thema)
Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bei zwei Wohnungen
Leitsatz (NV)
Die gesetzliche Voraussetzung für den Werbungskostenabzug, daß der Arbeitnehmer die den Mittelpunkt der Lebensinteressen bildende, weiter entfernt liegende Wohnung nicht nur gelegentlich aufsucht, wird bei einem nur einmaligen Besuch im Jahr auch dann nicht erfüllt, wenn der Aufenthalt von längerer Dauer ist.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 Nr. 4 S. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), ein jordanischer Staatsangehöriger, ist seit 1961 als Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) tätig. Seit 1965 ist er verheiratet. Seine Ehefrau und Kinder leben in Jordanien. Er reist üblicherweise einmal jährlich zu seiner Familie und verbringt dort seinen gesamten Urlaub.
Für das Streitjahr 1990 machte der Kläger Fahrt- und Flugkosten von insgesamt 2 700 DM für die Reise nach Jordanien und zurück als Werbungskosten (Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte) geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA --) ließ die Aufwendungen nicht zum Abzug zu.
Das Finanzgericht (FG) gab der hiergegen erhobenen Klage statt. Zur Begründung führte es aus: Habe ein Arbeitnehmer mehrere Wohnungen, könne er die Aufwendungen für die Fahrten von jeder Wohnung aus als Werbungskosten i. S. von § 9 Abs. 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) abziehen, wenn die weiter entfernt liegende Wohnung den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen darstelle (vgl. z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 13. Dezember 1985 VI R 7/83, BFHE 145, 386, BStBl II 1986, 221). Dieser befinde sich bei Ver heirateten grundsätzlich dort, wo der Ehepartner und die Kinder ständig wohnen. Der Arbeitnehmer müsse sich allerdings nachhaltig dort aufhalten. Nach der vom FA herangezogenen Verwaltungsregelung in Abschn. 42 Abs. 3 Satz 6 der Lohnsteuer- Richtlinien (LStR) 1990 sei diese Voraussetzung nur gegeben, wenn der Arbeitnehmer die Wohnung mindestens sechsmal jährlich aufsuche. Dem könne der Senat nicht folgen. Der Kläger habe, um seine Familie zu besuchen, eine langwierige Reise auf sich nehmen und dafür fast einen Nettomonatslohn aufwenden müssen. Er habe weder über ausreichend arbeitsfreie Zeit noch über genügend Mittel verfügt, um sechsmal jährlich eine solche Reise durchzuführen. Eine Familienheimfahrt mit einem Aufenthalt von fast einem Monat reiche für die Annahme aus, daß an seinem Familienwohnsitz sich auch der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen befinde.
Mit der Revision rügt das FA sinngemäß eine Verletzung materiellen Rechts. Es trägt vor, nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG seien Fahrtkosten zu der vom Arbeitsort entfernt liegenden Wohnung anzuerkennen, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen des Arbeitnehmers bilde und "nicht nur gelegentlich aufgesucht" werde. Diese Voraussetzung sei als gesetzliches Tatbestandsmerkmal selbständig zu prüfen und nicht lediglich zur Interpretation des Mittelpunkts der Lebensinteressen heranzuziehen.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Das FG hat die Kosten der Familienheimfahrt zu Unrecht als Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte beurteilt.
1. Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sind -- mit gewissen im Gesetz vorgesehenen Einschränkungen -- als Werbungskosten abziehbar (§ 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG). Der Werbungs kostenabzug kommt auch dann in Betracht, wenn ein Arbeitnehmer mehrere Wohnungen hat, von denen aus er sich jeweils zur Arbeitsstätte begibt. In diesem Fall werden grundsätzlich nur die Fahrten von und zu der Wohnung berücksichtigt, die der Arbeitsstätte am nächsten liegt. Fahrten zwischen der weiter entfernt liegenden Wohnung und der Arbeitsstätte führen nur dann zu Werbungskosten, wenn die Wohnung den Mittelpunkt der Lebensinteressen des Arbeitnehmers bildet und von ihm nicht nur gelegentlich aufgesucht wird (§ 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG). Mit dieser Regelung, die durch das Steuerreformgesetz 1990 vom 25. Juli 1988 (BGBl I, 1093, BStBl I 1988, 224) mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 1990 in das Gesetz eingeführt worden ist, wird die bisherige Rechtsprechung eingeschränkt. Denn der BFH hatte -- nach verschiedenen anderen Lösungsansätzen (vgl. v. Bornhaupt in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 9 Rdnr. F 85 ff.) -- bei Aufwendungen für Fahrten von der weiter entfernt liegenden Wohnung zur Arbeitsstätte den Werbungskostenabzug nur noch davon abhängig gemacht, daß die weiter entfernt liegende Wohnung den örtlichen Mittelpunkt der Lebensinteressen des Arbeitnehmers darstellt (BFH-Urteil in BFHE 145, 386, BStBl II 1986, 221). Deshalb sind die Familienheimfahrten von Arbeitnehmern, die wie der Kläger Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung nicht nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG geltend machen können, weil die doppelte Haushaltsführung aus privatem Anlaß (z. B. durch spä tere Heirat) entstanden ist, als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte anerkannt worden ohne Rücksicht darauf, wie oft sie im Jahr stattfinden (vgl. Anm. in Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1986, 234).
2. Im Streitfall hat das FG -- entsprechend der vorbezeichneten Rechtsprechung des BFH -- den Abzug der Reiseaufwendungen als Werbungskosten i. S. von § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG allein mit der Erwägung begründet, daß sich der Lebensmittelpunkt des Klägers bei seiner Familie im Heimatland befinde. Es hat jedoch nicht die weitere gesetzliche Voraussetzung für den Werbungskostenabzug geprüft, daß die den Mittelpunkt der Lebensinteressen bildende, weiter entfernt liegende Wohnung nicht nur gelegentlich aufgesucht worden ist. Nur "gelegentlich" bedeutet nach dem allgemeinen Sprachgebrauch dasselbe wie nur "manchmal, zuweilen, von Zeit zu Zeit" (Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Bd. 3, 1981; Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 2. Aufl., Bd. 3, 1993, jeweils unter dem Stichwort "gelegentlich"). Der Arbeitnehmer muß daher die Wohnung häufiger, in nicht zu großen Zeitabständen aufgesucht haben. Ein nur einmaliger Besuch im Jahr erfüllt diese Voraussetzungen nicht, auch wenn der Aufenthalt von längerer Dauer ist. Im Streitfall kann offenbleiben, ob der Verwaltungsanweisung in Abschn. 42 Abs. 3 Satz 6 LStR 1990 zu folgen ist, welche die Annahme des Mittelpunkts der Lebensinteressen und damit den Werbungskostenabzug gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG davon abhängig macht, daß der Arbeitnehmer sich mindestens sechsmal jährlich zu der weiter entfernt liegenden Wohnung begeben hat.
3. Die Vorentscheidung, die auf einer anderen Rechtsauffassung beruht, ist aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Da das FA in dem angefochtenen Steuerbescheid die Aufwendungen des Klägers für die Familienheimfahrt zu Recht nicht als Kosten von Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte anerkannt hat und ein Werbungskostenabzug unter dem Gesichtspunkt der doppelten Haushaltsführung nicht in Betracht kommt, ist die Klage abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 421902 |
BFH/NV 1997, 341 |