Leitsatz (amtlich)
§ 36 Nr. 4 BVFG in der Fassung des Gesetzes vom 14. August 1957 kann nicht auf Fälle angewandt werden, in denen die Verpachtung vor dem Inkrafttreten dieser Vorschrift, d. h. vor dem 21. August 1957, vorgenommen worden ist.
Normenkette
BVFG i.d.F. vom 14. August 1957 § 36 Nr. 4; BVFG i.d.F. vom 14. August 1957 § 53 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin den Erlaß von Vermögensabgabe nach § 53 Abs. 1 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) beanspruchen kann.
Die Klägerin ist die Erbin ihres 1952 verstorbenen Vaters. Dieser wurde durch den unanfechtbar gewordenen Bescheid vom 2. Januar 1956 zur Vermögensabgabe veranlagt. Das abgabepflichtige Vermögen wurde auf 117 800 DM festgesetzt. Darin war ein landwirtschaftlicher Betrieb mit einem Einheitswert von 113 300 DM enthalten. Es ergab sich eine verbleibende Abgabeschuld von 48 440 DM und ein ursprünglicher Vierteljahrsbetrag von 532,80 DM.
Die Klägerin verpachtete durch Vertrag vom 1. April 1956 mit Wirkung vom 1. Juli 1956 37,13 ha dieses insgesamt 50,13 ha großen landwirtschaftlichen Betriebs an ihren Ehemann. Die Siedlungsbehörde bescheinigte am 12. November 1956, daß der Pächter Sowjetzonenflüchtling im Sinne der §§ 1 bis 4 BVFG sei, daß die Voraussetzungen der §§ 35 bis 37 und 47 Abs. 4 BVFG erfüllt seien und daß es sich um einen Pachtvertrag nach § 42 BVFG handele.
Die Klägerin beantragte durch Schreiben vom 7. Mai 1957, die von ihr für den landwirtschaftlichen Betrieb geschuldete Vermögensabgabe zu erlassen. Der Antrag wurde vom FA durch Verfügung vom 12. Juni 1957 abgelehnt. Die Verfügung enthält die Rechtsmittelbelehrung, daß als Rechtsmittel die Beschwerde gegeben sei. Die Klägerin legte durch Schreiben vom 26. Juli 1957 Beschwerde ein und beantragte Nachsicht wegen der Versäumung der Rechtsmittelfrist. Das FA regte durch Schreiben vom 24. November 1958 an die Siedlungsbehörde eine Nachprüfung und gegebenenfalls Aufhebung der nach § 37 BVFG erteilten Bescheinigung an. Es vertrat die Auffassung, daß die Bescheinigung unrichtig sei, weil bei einer Verpachtung an den Ehegatten die Vermögensabgabe nicht erlassen werden dürfe. Das ergebe sich aus § 36 Nr. 4 BVFG in der Fassung vom 14. August 1957 (BGBl I 1957, 1215, BStBl I 1957, 432), habe aber nach dem Erlaß des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 5. Januar 1955 (LA-Kartei, Karte 6 zu § 47 BVFG) schon vor dem Inkrafttreten dieser Neufassung gegolten. Die Siedlungsbehörde teilte durch Schreiben vom 2. Dezember 1958 an das FA mit, daß sie im Hinblick auf Nr. 3 Abs. 1 letzter Satz dieses Runderlasses davon Abstand nehme, die Bescheinigung aufzuheben.
Durch Schreiben vom 29. Dezember 1958 teilte das FA der Klägerin mit, daß ihre Beschwerde als Einspruch behandelt werde. Die Klägerin legte daraufhin durch Schreiben vom 23. Januar 1959 vorsorglich Einspruch ein und bemerkte, daß die Rechtsmittelfrist nicht in Lauf gesetzt worden sei, weil die Rechtsmittelbelehrung falsch gewesen sei.
Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Das FA schloß sich zwar der Auffassung der Klägerin an, daß der Einspruch wegen der falschen Rechtsmittelbelehrung rechtzeitig eingelegt und damit zulässig sei. Er sei aber sachlich unbegründet. Auch die Berufung blieb erfolglos. Das FG führt im wesentlichen aus: Das FA sei in seiner Einspruchsentscheidung verfahrensrechtlich davon ausgegangen, daß der Einspruch rechtzeitig eingelegt sei. Die Kammer sehe unter Bezugnahme auf das Urteil des BFH VI 25/63 vom 22. November 1963 (Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Reichsabgabenordnung, § 86, Rechtsspruch 115), davon ab, zu entscheiden, ob diese Rechtsansicht einer rechtlichen Nachprüfung in jeder Hinsicht standhalte. Diese Prüfung erübrige sich auch, weil nach dem BFH-Urteil IV 572/56 U vom 30. Januar 1958 (BFH 67, 207, BStBl III 1958, 352) die Prüfung der Zulässigkeit eines Rechtsmittels dahingestellt bleiben könne, wenn es in der Sache offensichtlich unbegründet sei. Das sei aber hier der Fall. Ein Erlaß der Vermögensabgabe nach § 202 LAG in Verbindung mit § 53 Abs. 1 BVFG sei nur bei einer Verpachtung an einen Vertriebenen oder Sowjetzonenflüchtling zulässig, der zu dem in § 35 BVFG genannten Personenkreis gehört. Die Voraussetzungen, die die Angehörigen dieses Personenkreises erfüllen müßten, ergäben sich aus § 36 BVFG. In § 36 Nr. 4 BVFG in der Fassung vom 14. August 1957 sei bestimmt, daß der Pächter nicht Ehegatte des Verpächters sein dürfe. Diese Vorschrift habe sinngemäß auch schon vor dem Inkrafttreten der Fassung vom 14. August 1957 gegolten. Denn sie habe nach der Überzeugung der Kammer keine konstitutive, sondern eine deklaratorische Bedeutung. Die Bescheinigung der Siedlungsbehörde binde nach § 37 Abs. 4 BVFG, wie der BFH in dem Urteil III 64/60 vom 16. November 1962 (HFR 1963, 357) entschieden habe, die Finanzbehörden nur in tatsächlicher, nicht auch in rechtlicher Hinsicht. § 36 Nr. 4 BVFG verstoße auch nicht gegen Art. 6 Abs. 1 GG.
Mit der Rb., die nach dem Inkrafttreten der FGO als Revision zu behandeln ist, rügt die Klägerin unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts. Sie ist der Auffassung, daß § 36 Nr. 4 BVFG verfassungswidrig sei. Außerdem ist sie weiterhin der Meinung, daß die Bescheinigung der Siedlungsbehörde nach § 37 Abs. 4 BVFG die Finanzbehörden in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung binde.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist begründet.
I.
Hinsichtlich der Zulässigkeit des Einspruchs bestehen gegen die Begründung des FG Bedenken. Das FG beruft sich zu Unrecht auf das BFH-Urteil VI 25/63 vom 22. November 1963 (a. a. O.); denn in diesem Urteil ging es darum, ob die FG eine vom FA gewährte Nachsicht überprüfen können. Auch die Voraussetzungen des BFH-Urteils IV 572/56 U vom 30. Januar 1958 (a. a. O.) sind im Streitfall nicht gegeben, weil das Rechtsmittel der Klägerin entgegen der Auffassung des FG, wie noch dargelegt werden wird, sachlich begründet ist. Gleichwohl ist aber die Entscheidung des FG insoweit zu billigen, als es den Einspruch als rechtzeitig eingelegt angesehen hat. Die Rechtsmittelbelehrung in der Verfügung des FA vom 12. Juni 1957, daß gegen seinen ablehnenden Bescheid die Beschwerde gegeben sei, war unrichtig. Eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung setzt die Rechtsmittelfrist nicht in Lauf. Dabei ist es nach Auffassung des Senats unerheblich, daß die Rechtsmittelfrist für das unrichtig angegebene Rechtsmittel der Beschwerde genausolange läuft wie die für den Einspruch. Das FA hat deshalb den Einspruch zutreffend als zulässig behandelt.
II.
In sachlicher Hinsicht stützt sich der Antrag der Klägerin auf Erlaß der Vermögensabgabe auf § 53 Abs. 1 BVFG. Nach dieser Vorschrift werden, wenn ein landwirtschaftlicher Betriebsteil nach Maßgabe des § 42 BVFG verpachtet wird, die nach der Übergabe an den Pächter während der Bewirtschaftung durch diesen fälligen, auf den verpachteten Betriebsteil entfallenden Vermögensabgabevierteljahrsbeträge erlassen. Eine Verpachtung im Sinne des § 42 BVFG liegt vor, wenn neben anderen Voraussetzungen der landwirtschaftliche Betriebsteil an einen Vertriebenen oder Sowjetzonenflüchtling verpachtet wird, der zu dem in § 35 BVFG genannten Personenkreis gehört. Nach § 35 BVFG handelt es sich um Vertriebene oder Sowjetzonenflüchtlinge, die in die Landwirtschaft eingegliedert werden sollen. Für diese Eingliederung müssen die in § 36 BVFG genannten Voraussetzungen vorliegen. Es ist richtig, daß nach § 36 Nr. 4 BVFG in der Fassung vom 14. August 1957 der Pächter nicht der Ehegatte des Verpächters sein darf. Diese Vorschrift ist jedoch, wie auch das FG erkannt hat, erst durch das Zweite Gesetz zur Änderung und Ergänzung des BVFG vom 27. Juli 1957 (BGBl I 1957, 1207, BStBl I 1957, 423) eingefügt und nach Art. V dieses Gesetzes am Tage nach dessen Verkündung, also am 21. August 1957, in Kraft getreten. Im BVFG vom 19. Mai 1953 (BGBl I 1953, 201, BStBl I 1953, 157) fehlte eine entsprechende Vorschrift.
Das FG hält trotzdem § 36 Nr. 4 BVFG in der Fassung vom 14. August 1957 im Streitfall für anwendbar. Es hat sich dabei der Meinung des BdF in dem Runderlaß vom 19. Februar 1955 und des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in dem Runderlaß vom 5. Januar 1955 (beide abgedruckt in der LA-Kartei, Karte 6 zu § 47 BVFG) angeschlossen. Diese Auffassung wird damit begründet, daß für die noch stärkere Eingliederung der Vertriebenen oder Sowjetzonenflüchtlinge durch Einheirat und durch Übertragung des Miteigentums im Sinne des § 44 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BVFG auf dem Gebiet des Steuer- und Abgabenrechts nach § 47 Abs. 1 BVFG a. F. keine Vergünstigungen gewährt würden. Es sei deshalb sinnwidrig, eine solche Vergünstigung bei der weniger starken Eingliederung durch Verpachtung zu gewähren. Diese Begründung reicht jedoch nach Auffassung des Senats nicht aus, die Vorschrift des § 36 Nr. 4 BVFG in der Fassung vom 14. August 1957 auf Fälle anzuwenden, in denen die Verpachtung bereits vor deren Inkrafttreten vorgenommen wurde. Das wäre nur dann möglich, wenn in dem Fehlen einer entsprechenden Vorschrift im BVFG vom 19. Mai 1953 eindeutig eine Gesetzeslücke zu erblicken wäre, die ausgefüllt werden müßte. Dafür bieten jedoch die Gesetzesmaterialien keinen Anhalt. In dem Regierungsentwurf für das Zweite Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Bundesvertriebenengesetzes (2. ÄndGBVFG) war die Einfügung des neuen § 36 Nr. 4 überhaupt nicht vorgesehen. Diese wurde vielmehr erst durch den Ausschuß für Heimatvertriebene vorgeschlagen. In dem Bericht dieses Ausschusses (Bundestagsdrucksache 3666) hieß es dazu: "Der Abschluß von Pachtverträgen zwischen Ehegatten muß als ungewöhnlich bezeichnet werden und kann in der Landwirtschaft zur Begründung von Scheinexistenzen führen, die lediglich dazu bestimmt sind, die Vergünstigungen für den Betrieb zu erlangen; darum schlägt der Ausschuß die Einführung von Nr. 4 vor." Hieraus geht hervor, daß der Abschluß von Pachtverträgen zwischen Ehegatten nach der alten Fassung des BVFG von diesem Ausschuß für zulässig gehalten wurde und er sie durch die Neufassung des § 36 Nr. 4 in Zukunft verhindern wollte. Es muß ferner beachtet werden, daß auch nach den vor dem Inkrafttreten des BVFG vom 19. Mai 1953 geltenden Vorschriften Pachtverträge zwischen Ehegatten abgabenrechtlich begünstigt waren und diese Vergünstigungen in § 53 Abs. 3 BVFG ausdrücklich aufrechterhalten wurden. Auch aus diesem Grunde ist es nicht auszuschließen, daß der Gesetzgeber für Pachtverträge zwischen Ehegatten auch nach dem BVFG vom 19. Mai 1953 weiterhin eine abgabenrechtliche Vergünstigung gewähren wollte und diese erst auf Grund der im Bericht des Ausschusses für Vertriebene geäußerten Bedenken abgeschafft hat. Schließlich könnte aus der Tatsache, daß die Steuervergünstigungen für die Fälle der Einheirat und der Übertragung des Miteigentums durch Änderung des § 47 Abs. 1 in dem 2. ÄndGBVFG zugelassen wurden, auch der gegenteilige Schluß gezogen werden, daß in dieser Hinsicht das BVFG vom 19. Mai 1953 eine Gesetzeslücke enthält. Der Senat ist nach alledem der Auffassung, daß die Vorschrift des § 36 Nr. 4 BVFG nicht auf Fälle angewandt werden kann, in denen die Verpachtung vor dem Inkrafttreten dieser Vorschrift, das heißt vor dem 21. August 1957, vorgenommen worden ist. Auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift und auf die Frage der Bindungswirkung der Bescheinigung der Siedlungsbehörde nach § 37 Abs. 4 BVFG braucht deshalb im Streitfall nicht eingegangen zu werden.
Da die Vorentscheidung von einer anderen Rechtsauffassung ausgeht, war sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Einspruchsentscheidung und die ablehnende Verfügung des FA vom 12. Juni 1957 waren ebenfalls aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 67981 |
BStBl II 1968, 400 |
BFHE 1968, 479 |