Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorläufige Veranlagung im Hinblick auf eine mögliche künftige gesetzliche Regelung - Wirksamkeit des Änderungsbescheids bei Bezugnahme auf nicht geänderte Angaben im Ursprungsbescheid - Unzulässigkeit der Klage bei Änderung des Steuerbescheids während des Revisionsverfahrens und fehlendem Antrag nach § 123 i.V.m. § 68 FGO
Leitsatz (amtlich)
1. Auch in einer (möglichen) künftigen gesetzlichen Regelung kann eine tatsächliche Ungewißheit über die Voraussetzungen für die Entstehung einer Steuer i.S. des § 165 Abs.1 Satz 1 AO 1977 liegen (Bestätigung des Beschlusses III R 48/90 in BFHE 165, 162, BStBl II 1991, 868).
2. Wird ein Einkommensteuerbescheid durch Beifügung eines Vorläufigkeitsvermerks geändert, so kann eine Wiederholung der unverändert übernommenen Angaben aus dem Ursprungsbescheid durch eine entsprechende Bezugnahme ersetzt werden.
3. Hält der Kläger nach Änderung des angefochtenen Steuerbescheids in der Revisionsinstanz an seinem Klageantrag unverändert fest, so ist der Revision des Finanzamts stattzugeben und die Klage abzuweisen.
Normenkette
AO 1977 § 157 Abs. 1, § 165 Abs. 1 S. 1; FGO §§ 68, 123
Tatbestand
Mit der Klage machte der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) Aufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung geltend. Die Klage hatte Erfolg.
Nachdem der Senat die Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts (FG) zugelassen hatte, rügte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts durch das FG und machte einen Verfahrensmangel geltend.
Während des Revisionsverfahrens erklärte das FA mit Schreiben vom 14.März 1991 den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1983 hinsichtlich des Grundfreibetrages und der Kinderfreibeträge für vorläufig. Es handelt sich um ein eigenständiges Schreiben, ohne Wiederholung des Zahlenwerks aus dem Steuerbescheid, jedoch unter datenmäßiger Bezeichnung des zu ändernden Bescheides. Abschließend heißt es in dem Schreiben des FA, daß dieser Bescheid den mit der Revision angefochtenen Bescheid ändere und der Kläger unter Berufung auf § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beantragen könne, den Bescheid zum Gegenstand des Revisionsverfahrens zu machen.
Eine Abschrift dieses Schreibens sandte die Geschäftsstelle des Senats mit Schreiben vom 21.März 1991 an den Prozeßbevollmächtigten des Klägers mit der Bitte um Kenntnisnahme und Mitteilung bis zum 22.April 1991, ob der geänderte Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden solle. Da keine Antwort des Klägers eingegangen war, mahnte die Geschäftsstelle mit Schreiben vom 7.Mai 1991 die Erledigung, nunmehr bis zum 28.Mai 1991, an. Auch dieses Schreiben blieb unbeantwortet. Nach Auskunft des FA ist gegen den Änderungsbescheid auch kein Einspruch erhoben worden.
Entscheidungsgründe
Die vom Senat zugelassene Revision ist zulässig; denn sie ist fristgemäß eingelegt und fristgerecht und ordnungsgemäß begründet worden. Sie ist nicht dadurch unzulässig geworden, daß das FA einen Änderungsbescheid erlassen und der Kläger nicht beantragt hat, diesen Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Denn da der Kläger seinen Klageantrag der veränderten verfahrensrechtlichen Lage nicht angepaßt hat, ist davon auszugehen, daß er sein ursprüngliches Klagebegehren aufrechterhält (Beschluß des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5.März 1979 GrS 4/78, BFHE 127, 147, BStBl II 1979, 375). Das FA hat deshalb ein berechtigtes Interesse an der Fortführung des Revisionsverfahrens, zumal es dem Kläger unbenommen ist, bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Revision den bisher unterlassenen Antrag nach § 68 FGO zu stellen (vgl. BFH-Beschluß vom 29.Mai 1990 VII R 67/87, BFH/NV 1991, 175; BFH-Urteile vom 14.November 1989 VIII R 102/87, BFHE 160, 100, BStBl II 1990, 545; vom 17.Oktober 1990 I R 36/88, vorerst nur in Deutsche Steuer- Zeitung --DStZ-- 1991, 283).
Die Revision ist auch begründet. Denn die Klage ist unzulässig geworden. Dem Kläger, der trotz Aufforderung keinen Antrag nach § 123 i.V.m. § 68 FGO gestellt hat, fehlt das Rechtsschutzinteresse. Der Einkommensteuerbescheid vom 20.Februar 1984, gegen den sich die Klage richtet, ist durch eine neue --inzwischen bestandskräftig gewordene-- Regelung im Einkommensteueränderungsbescheid vom 14.März 1991 ersetzt worden. Die Klage ist deshalb als unzulässig abzuweisen.
Dagegen kann nicht eingewandt werden, der ursprüngliche Bescheid habe gar nicht für vorläufig erklärt werden können. Zwar kann eine Steuerfestsetzung nach § 165 der Abgabenordnung (AO 1977) nur im Hinblick auf ungewisse Tatsachen, nicht aber hinsichtlich der steuerrechtlichen Beurteilung von Tatsachen für vorläufig erklärt werden (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 25.April 1985 IV R 64/83, BFHE 143, 500, BStBl II 1985, 648 m.w.N.). Eine ungewisse Tatsache in diesem Sinne ist aber auch die Ungewißheit darüber, wie der Gesetzgeber die durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) notwendig werdende Neuregelung gestaltet. Das BVerfG hat deshalb eine vorläufige Steuerfestsetzung auch in dem Fall für erforderlich gehalten, daß eine verfassungswidrige Norm aus Gründen der Rechtssicherheit bis zu einer Neuregelung weiterhin anzuwenden ist (BVerfG-Urteil vom 3.November 1982 1 BvR 620/78 u.a., BVerfGE 61, 319, BStBl II 1982, 717 unter D I.). Gegen die Zulässigkeit einer vorläufigen Steuerfestsetzung im Änderungswege bestehen deshalb auch im Streitfall, in dem das FA den gegen die Höhe des Grundfreibetrages und der Kinderfreibeträge angestrengten Verfassungsbeschwerden Rechnung getragen hat, keine Bedenken.
Bei der im Schreiben des FA vom 14.März 1991 enthaltenen Verfügung handelt es sich auch um einen selbständigen Änderungsbescheid und nicht etwa nur um einen Vorläufigkeitsvermerk für den ursprünglichen Bescheid vom 20.Februar 1984. Auf die Frage, ob ein Einkommensteuerbescheid nachträglich durch eine selbständige Verfügung für vorläufig erklärt werden kann oder ob die Möglichkeit einer selbständigen Verfügung insoweit gemäß § 165 Abs.2 Satz 2 AO 1977 auf die Aufhebung eines Vorläufigkeitsvermerks beschränkt ist, braucht der Senat deshalb nicht einzugehen.
Daß es sich hier um einen selbständigen Änderungsbescheid handelt, ergibt sich nach Auffassung des Senats daraus, daß das FA den ursprünglichen Bescheid in Bezug genommen hat, daß es das Schreiben ausdrücklich als Bescheid bezeichnet hat und daß es in der Verfügung auf § 68 FGO hingewiesen hat. Zwar enthält das Schreiben selbst nicht die zu den Mindesterfordernissen eines Steuerbescheids gemäß § 157 Abs.1 Satz 2 AO 1977 gehörende betragsmäßige Angabe der geschuldeten Steuer. Die zu den Mindesterfordernissen eines wirksamen Steuerbescheids gehörenden Angaben brauchen jedoch nicht in jedem Fall ausdrücklich aus dem Bescheid hervorzugehen. In dem nicht zur amtlichen Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 14.Juni 1991 III R 86/89 hat der Senat es noch offengelassen, ob die betragsmäßige Angabe der geschuldeten Einkommensteuer in Fällen der hier vorliegenden Art Wirksamkeitsvoraussetzung für den Bescheid ist. Der Senat geht nunmehr davon aus, daß --jedenfalls bei einem Änderungsbescheid, der den bisher festgesetzten Steuerbetrag selbst nicht ändert-- die Angabe der Steuerschuld durch eine Bezugnahme auf den Ursprungsbescheid ersetzt werden kann.
Daß auch essentiell notwendige Angaben eines Steuer- bzw. Haftungsbescheids durch eine Bezugnahme auf Anlagen oder Unterlagen, die sich bereits in den Händen des Steuerpflichtigen befinden, ersetzt werden können, entspricht der Rechtsprechung des BFH (Entscheidungen vom 1.August 1985 VI R 28/79, BFHE 144, 244, BStBl II 1985, 664, 668; vom 18.Juli 1985 VI R 208/82, BFHE 185, 29, BStBl II 1986, 152, 153; vom 6.Mai 1988 VI R 37/83, BFH/NV 1989, 343; vom 28.November 1990 VI R 115/87, BFHE 163, 536, BStBl II 1991, 488). Diese Rechtsprechung bezieht sich auf Mindestangaben zur Bestimmtheit von Lohnsteuer-Pauschalierungsbescheiden bzw. Lohnsteuer-Haftungsbescheiden. Ebenso wie es aber zur Wirksamkeit eines derartigen Bescheides nicht notwendig ist, daß zur Bestimmtheit erforderliche --umfangreiche-- Angaben im Bescheid selbst wiederholt werden, wenn sich die spezifizierten Angaben aus einer Anlage oder einer sonstigen Unterlage ergeben, die die Behörde dem Steuerpflichtigen bereits übersandt hat, bedarf es im Falle einer Änderung der Steuerfestsetzung zur Wirksamkeit des Änderungsbescheids nicht einer Wiederholung der nicht geänderten Angaben aus dem Ursprungsbescheid. Diese kann vielmehr durch eine ausdrückliche Bezugnahme auf den Ursprungsbescheid ersetzt werden, wenn --wie hier-- den Umständen zu entnehmen ist, daß das FA einen neuen Verwaltungsakt erlassen will.
Fundstellen
Haufe-Index 63952 |
BFH/NV 1992, 13 |
BStBl II 1992, 219 |
BFHE 166, 1 |
BFHE 1992, 1 |
BB 1992, 418-419 (LT) |
DStR 1992, 180 (KT) |
DStZ 1992, 189 (KT) |
HFR 1992, 165 (LT) |
StE 1992, 88 (K) |