Normenkette
BHG 1968 § 21 Abs. 3; LStDV § 1 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Rechtsstreit befindet sich im zweiten Rechtsgang. Streitig ist, ob die Tarifermäßigung nach § 21 Abs. 3 des Berlinhilfegesetzes i. d. F. vom 10. Oktober 1968 - BHG 1968 - (BGBl I, 1050, BStBl I, 1128) zu gewähren ist.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), der seinen Wohnsitz in X hat, unterhielt im Streitjahr 1969 in Berlin (West) einen Gewerbebetrieb, in dem Textilwaren hergestellt wurden. Bei der gesonderten Feststellung des im Streitjahr erzielten Gewinns gemäß § 6 der Verordnung über die Zuständigkeit im Besteuerungsverfahren vom 3. Januar 1944 - im folgenden: Zuständigkeitsverordnung - (RGBl I, 11, RStBl 1944, 17) nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) in seinen Bescheid vom 5. April 1974 folgenden Satz auf:
"In der Berliner Betriebstätte des oben bezeichneten Gewerbebetriebs sind während des Kalenderjahres 1969 im Durchschnitt regelmäßig 24 Arbeitnehmer beschäftigt worden."
Mit der Sprungklage (§ 45 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) machte der Kläger geltend, daß für Feststellungen dieser Art das beklagte FA nicht zuständig sei. Das Finanzgericht (FG) folgte dieser Auffassung. Es entschied im ersten Rechtsgang, daß der Hinweis des FA auf die Zahl der durchschnittlich beschäftigten Arbeitnehmer (§ 21 Abs. 3 BHG 1968) keine das Wohnsitz-FA des Klägers bindende Feststellung sei.
Der Bundesfinanzhof (BFH) hob das Urteil des FG auf und verwies die Sache an das FG zurück (Urteil vom 9. November 1978 IV R 185/74, BFHE 127, 96, BStBl II 1979, 330); er entschied, daß die nach § 21 Abs. 3 BHG 1968 zu treffende Feststellung in den Bescheid, in dem der Gewinn aus Gewerbebetrieb gemäß § 6 Abs. 1 der Zuständigkeitsverordnung gesondert festgestellt wird, aufzunehmen und für das Veranlagungsverfahren verbindlich ist.
Im zweiten Rechtsgang wies das FG die Klage ab (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1980, 425). Es sah die Voraussetzungen für die Tarifermäßigung nach § 21 Abs. 3 Satz 1 BHG 1968 nicht als gegeben an, da der Kläger nicht im Durchschnitt regelmäßig mindestens 25 Arbeitnehmer beschäftigt habe.
In seiner Entschließung ging das FG von einer Aufstellung des Klägers aus, nach der dieser im Streitjahr 20 Arbeitnehmer das ganze Jahr über beschäftigt hatte. Unter diesen 20 Arbeitnehmern waren Frau A, die nach den Feststellungen des FG kein eigenes Gehalt bekommen hatte, und zwei als Hausgewerbetreibende bezeichnete Schneidermeister, J und K. Außerdem waren nach der Aufstellung des Klägers 17 Arbeitnehmer jeweils weniger als ein Jahr beschäftigt. Deren Beschäftigungszeit von insgesamt 83,5 Monaten rechnete der Kläger auf eine Jahresbeschäftigungszeit von durchschnittlich 6,96 Arbeitnehmern (83,5 Monate : 12=6,96) um. Auf diese Weise ergaben sich insgesamt (20+6,96=) 26,96 ganzjährig Beschäftigte. Dem fügte der Kläger noch eine fiktive Arbeitnehmerzahl hinzu, die sich durch Umrechnung der von den Arbeitnehmern geleisteten Überstunden ergeben hatte.
Das FG folgte dieser Berechnung nicht. Entgegen der Auffassung des Klägers seien nicht 20, sondern nur 17 ganzjährig tätige Arbeitnehmer bei ihm angestellt gewesen.
Der Begriff des Arbeitnehmers in § 21 Abs. 3 BHG 1968 sei nach Einkommensteuerrecht (§ 1 Abs. 1 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung - LStDV -) und nicht nach Arbeitsrecht zu beurteilen.
Frau A sei in diesem Sinne keine Arbeitnehmerin gewesen. Sie habe für ihre Tätigkeit kein eigenes Gehalt bekommen; dafür seien die Tantiemen ihres Ehemannes, der beim Kläger in leitender Stellung tätig gewesen sei, erhöht worden.
Auch die Rechtsverhältnisse zwischen dem Kläger und den Schneidermeistern K und J seien keine Arbeitsverhältnisse im steuerrechtlichen Sinne gewesen; es habe sich hierbei vielmehr um Hausgewerbetreibende (vgl. § 2 Abs. 2 des Heimarbeitsgesetzes - HAG - vom 14. März 1951, BGBl I, 191) gehandelt.
Der Berechnung, die der Kläger zur Zahl seiner Arbeitnehmer aufgestellt habe, könne schließlich auch insoweit nicht gefolgt werden, als sie die von den regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmern erzielten Überstunden betreffe. Die Überstunden könnten nicht in zusätzliche Beschäftigtenzahlen umgerechnet werden.
Bei dieser Sachlage bleibe die Zahl der durchschnittlich beschäftigten Arbeitnehmer des Klägers unter der vom Gesetz "mindestens" geforderten Zahl von 25. Eine Aufrundung sei nach dem Gesetzeswortlaut ("mindestens 25 Arbeitnehmer") verboten.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Das FG habe verkannt, daß die Tätigkeit von Frau A alle Voraussetzungen für eine Arbeitnehmertätigkeit erfüllt habe. Sie habe ihre Arbeitskraft geschuldet, sei in der Betätigung ihres geschäftlichen Willens unter der Leitung des Klägers gestanden und sei verpflichtet gewesen, dessen Weisungen zu folgen. Zwar habe Frau A als Arbeitslohn keine monatliche Vergütung erhalten; dafür sei aber ihre Arbeitsvergütung dem Gehalt ihres Ehemannes zugeschlagen worden.
Unrichtig sei auch, daß die Schneidermeister K und J nicht als Arbeitnehmer des Klägers beurteilt worden seien.
Der Kläger beantragt, das Urteil des FG und den angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheid ersatzlos aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht entschieden, daß die Voraussetzungen für die Steuertarifermäßigung nach § 21 Abs. 3 BHG 1968 nicht vorgelegen haben.
1. Die Vorschrift des § 21 BHG 1968 sieht für Personen, deren wirtschaftliche Belange und Lebensinteressen räumlich mit Berlin (West) verbunden sind, unter gewissen Voraussetzungen eine Ermäßigung des Einkommensteuer- (bzw. Körperschaftsteuer-) Tarifs vor. Während die Tarifvergünstigung nach § 21 Abs. 1 und 2 BHG 1968 für Steuerpflichtige gilt, die ihren Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder (bei Körperschaften) ihren Sitz in Berlin (West) haben, wird die Steuerermäßigung nach § 21 Abs. 3 BHG 1968 für Steuerpflichtige gewährt, die, ohne in Berlin (West) einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt zu haben, eine oder mehrere Betriebsstätten eines Gewerbebetriebs in Berlin (West) unterhalten; Voraussetzung für die Tarifermäßigung in diesen Fällen ist, daß in den Berliner Betriebsstätten "während des Veranlagungszeitraums im Durchschnitt regelmäßig insgesamt mindestens 25 Arbeitnehmer beschäftigt worden sind".
Die in § 21 Abs. 3 BHG 1968 vorgeschriebene Tarifermäßigung wird mit Rücksicht darauf gewährt, daß die in Berlin unterhaltenen Betriebsstätten Teile der Berliner Wirtschaft sind (Sönksen/Söffing, Berlinförderungsgesetz, K 21 Rdnrn. 2, 8 und 27). Die Beschränkung der Vergünstigung auf solche Fälle, in denen in den Betriebsstätten im Durchschnitt regelmäßig mindestens 25 Arbeitnehmer beschäftigt werden, dient in erster Linie arbeitsmarktpolitischen Zwecken (vgl. Sönksen/Söffing, a. a. O., K 21 Rdnr. 35).
2. Dem FG ist darin beizupflichten, daß der in § 21 Abs. 3 BHG 1968 enthaltene Begriff "Arbeitnehmer" nach steuerrechtlichen Beurteilungsmerkmalen auszulegen ist. Arbeitnehmer sind hiernach "Personen, die in öffentlichem oder privatem Dienst angestellt oder beschäftigt sind oder waren und die aus diesem Dienstverhältnis oder einem früheren Dienstverhältnis Arbeitslohn beziehen" (§ 1 Abs. 1 LStDV). Ein Dienstverhältnis in diesem Sinne liegt vor, wenn der Beschäftigte dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft schuldet. Dies ist der Fall, wenn die tätige Person in der Betätigung ihres geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist (§ 1 Abs. 2 LStDV).
Ob im Einzelfall die Voraussetzungen für die Annahme eines Arbeitsverhältnisses vorliegen, ist nach dem Gesamtbild unter Abwägung aller Umstände zu entscheiden (BFH-Urteil vom 4. Dezember 1974 IV R 180/72, BFHE 117, 550, BStBl II 1976, 292). Die Ermittlung des Gesamtbilds bedeutet, daß die gesamte rechtliche, wirtschaftliche und soziale Stellung des Beschäftigten gegenüber seinem Autraggeber in ihren einzelnen Komponenten gewürdigt und daß die für und gegen ein Arbeitsverhältnis sprechenden Merkmale gegeneinander abgewogen werden (Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 19 EStG Anm. 29). Für die Beurteilung ist vor allem das Rechtsverhältnis von Bedeutung, aufgrund dessen die Tätigkeit geleistet wird (BFH-Urteil vom 7. Februar 1980 IV R 37/76, BFHE 130, 39, BStBl II 1980, 321).
a) Frau A war hiernach nicht Arbeitnehmerin des Klägers.
Die von ihr wahrgenommenen Aufgaben ... hätten zwar ihrer Art nach nicht nur Gegenstand einer selbständigen (gewerblichen) Tätigkeit, sondern auch Inhalt eines Arbeitsverhältnisses sein können. Das Gesamtbild der rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Stellung von Frau A gegenüber dem Kläger spricht aber für die Annahme, daß sie im Streitjahr nicht dessen Arbeitnehmerin war. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG wollten der Kläger und Frau A "nach außen hin" kein Arbeitsverhältnis begründen. Es wurden deshalb keine Lohnunterlagen für Frau A geführt. Sie hatte auch keine feste Arbeitszeit; sie bestimmte den Umfang ihrer Tätigkeit vielmehr selbst. Darüber hinaus gab es auch keine Urlaubsregelung. Ebensowenig erhielt Frau A die bei einem Arbeitsverhältnis üblichen Leistungen (wie z. B. Arbeitgeberzuschüsse zur Renten- und Krankenversicherung). Vor allem aber bezog Frau A keinen Arbeitslohn; sie hatte gegen den Kläger keinen Anspruch auf Zahlung einer Vergütung. Die Leistungen der Frau A sollten vielmehr dadurch abgegolten werden, daß die Tantiemebezüge ihres beim Kläger als Arbeitnehmer angestellten Ehemannes erhöht werden sollten. Selbst wenn man hierin einen Vergütungsersatz sehen würde, so hätte es insoweit doch jedenfalls an der Zahlung einer bestimmten Vergütung gefehlt; denn die Vertragsbeteiligten konnten nicht angeben, welcher Anteil an den Tantiemen auf Frau A entfallen sollte.
b) Auch die Schneidermeister K und J waren keine Arbeitnehmer des Klägers.
Nach den Feststellungen des FG haben K und J in eigener Arbeitsstätte Erzeugnisse für den Kläger verarbeitet. Sie erhielten hierfür eine leistungsbezogene Bezahlung, über die wöchentlich nach abgelieferten Stückzahlen abgerechnet wurde. Von K und J wurden keine Lohnsteuerkarten vorgelegt; es wurde auch keine Lohnsteuer einbehalten. Die Einnahmen aus den Aufträgen des Klägers wurden als Einnahmen aus Gewerbebetrieb versteuert. Der Kläger hat K und J als "Hausgewerbetreibende" bezeichnet.
Diese rechtliche Einordnung, der sich auch das FG angeschlossen hat, ist zutreffend. Nach § 2 Abs. 2 HAG ist Hausgewerbetreibender, wer in eigener Arbeitsstätte mit nicht mehr als zwei fremden Hilfskräften im Auftrag von Gewerbetreibenden Waren herstellt, bearbeitet oder verpackt, wobei er selbst wesentlich am Stück mitarbeitet, jedoch die Verwertung der Arbeitsergebnisse dem auftraggebenden Gewerbetreibenden überläßt. Die Tätigkeiten von K und J entsprachen diesen Voraussetzungen.
Steuerrechtlich ist der Hausgewerbetreibende kein Arbeitnehmer, sondern selbständiger Gewerbetreibender (vgl. § 11 Abs. 3 des Gewerbesteuergesetzes - GewStG -).
3. Das FG hat schließlich auch zutreffend entschieden, daß in der Berliner Betriebsstätte des Klägers im Veranlagungszeitraum 1969 nicht "im Durchschnitt regelmäßig insgesamt 25 Arbeitnehmer beschäftigt worden sind".
a) Die Zahl der "durchschnittlich" beschäftigten Arbeitnehmer ist im Zweifel in der Weise zu ermitteln, daß die Summe der Arbeitstage aller im Laufe des Veranlagungszeitraums beschäftigt gewesenen Arbeitnehmer durch die Zahl der Arbeitstage des Kalenderjahres geteilt wird. Diese Auslegung entspricht der übereinstimmenden Auffassung der Finanzverwaltung (vgl. Erlaß des Senators für Finanzen vom 7. Mai 1956, Steuer- und Zollblatt für Berlin 1956, 554) und des Schrifttums (Sönksen/Söffing, a. a. O., K 21 Tz. 37; George, Berliner Steuerpräferenzen, 3. Aufl., § 21 Tz. 40). Der Senat schließt sich dieser Auffassung an. Es bestehen allerdings auch keine Bedenken dagegen, die durchschnittliche Beschäftigtenzahl - wie von den Beteiligten und dem FG im Streitfall - in vereinfachter Form zu ermitteln.
b) Wenn nach dem Wortlaut des Gesetzes weiter gefordert wird, daß durchschnittlich 25 Arbeitnehmer "regelmäßig" im Veranlagungszeitraum beschäftigt gewesen sein müssen, dann setzt dies - wie das FG zutreffend ausgeführt hat - voraus, daß die Zahl von 25 Arbeitnehmern in mehr als der Hälfte aller Arbeitstage im Veranlagungszeitraum erreicht wird. Hierdurch sollen die Fälle von der Vergünstigung ausgeschlossen werden, in denen zwar die durchschnittliche Mindestzahl an Arbeitnehmern erreicht wird, gleichwohl aber während der überwiegenden Zeit des Jahres weniger als 25 Arbeitnehmer beschäftigt sind.
c) Bei der Ermittlung der Beschäftigtenzahl darf aus den geleisteten Überstunden keine zusätzliche Zahl von Arbeitnehmern ermittelt werden. Nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes kann nur auf die tatsächlich vorhandene Zahl von Arbeitnehmern abgestellt werden. - Schließlich kommt auch eine "Aufrundung" der ermittelten Arbeitnehmerzahl nicht in Betracht. Dies geht - wie das FG zutreffend festgestellt hat - schon aus dem Wortlaut des § 21 Abs. 3 BHG 1968 hervor, nach dem die Tarifermäßigung nur gewährt wird, wenn "mindestens" 25 Arbeitnehmer beschäftigt werden.
d) Im Streitfall hat das FG zutreffend festgestellt, daß der Kläger nicht - wie von ihm angegeben - 20 Arbeitnehmer, sondern - da Frau A, J und K nicht dazu gehörten - nur 17 Arbeitnehmer ständig beschäftigte. Außerdem beschäftigte er weitere 17 Arbeitnehmer nur vorübergehend - d. h. zwischen einem und 11 Monaten (insgesamt 83,5 Monate lang) -; bei Umrechnung auf eine Jahresbeschäftigtenzahl ergibt sich hieraus eine zusätzliche Beschäftigtenzahl von (83,5 : 12=) 6,96. Hieraus errechnet sich eine durchschnittliche Beschäftigtenzahl von (17+6,96=) 23,96.
Fundstellen
BStBl II 1984, 654 |
BFHE 1985, 400 |