Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Der Vorsitzende des Vorstands einer Landesversicherungsanstalt ist deren Arbeitnehmer.
Normenkette
EStG § 19; LStDV § 1
Tatbestand
Streitig ist, ob der Vorsitzende des Vorstands einer in der Rechtsform einer öffentlich-rechtlichen Anstalt bestehenden Landesversicherungsanstalt (Bfin.) als Arbeitnehmer anzusehen ist. Das Finanzamt hat dies bejaht und die an den Vorsitzenden des Vorstands der Bfin. gezahlten Entschädigungen für Zeitverlust von monatlich 150 DM sowie die für jede Sitzung gezahlten Dienstaufwandsentschädigungen in Höhe von je 15 DM als lohnsteuerpflichtig angesehen, soweit sie einen als steuerfreie Aufwandsentschädigung anerkannten Betrag von 50 DM monatlich übersteigen. Wegen der an den Vorsitzenden des Vorstands, der im Hauptberuf Geschäftsführer einer Industriegewerkschaft ist, geleisteten Zahlungen wurde die Bfin. für 1955 durch Haftungsbescheid zur Zahlung von insgesamt ..... DM Lohnsteuer herangezogen. Einspruch und Berufung hiergegen hatten keinen Erfolg.
Das Finanzgericht räumte ein, daß die Vorstandsmitglieder der Bfin. in ihrer Betätigung für die Bfin. zwar nicht, wie es § 1 Abs. 3 LStDV vorsehe, im Organismus der Bfin. deren Weisungen zu folgen verpflichtet seien; denn die Willensbildung der Bfin. erfolge gerade durch das Zusammenwirken dieser Vorstandsmitglieder. Auch könne die Bfin. darauf hinweisen, daß die Vorstandsmitglieder juristischer Personen arbeitsrechtlich nicht den Arbeitnehmern zugerechnet würden. Diese Erwägungen seien für die steuerliche Beurteilung jedoch nicht entscheidend. Nach dem für das Steuerrecht maßgebenden Arbeitnehmerbegriff komme es auf das Gesamtbild der Verhältnisse an. Der Reichsfinanzhof habe im Urteil VI A 639/27 vom 21. Dezember 1927 (RStBl 1928 S. 174) den ehrenamtlich tätigen Vorsitzenden einer Ortskrankenkasse mit der erhaltenen Entschädigung für Zeitverlust zur Lohnsteuer herangezogen, obwohl in den Gründen des Urteils anerkannt worden sei, daß seine Stellung eine gewisse Unabhängigkeit aufweise. Ausschlaggebend für die Annahme seiner Arbeitnehmerstellung sei jedoch damals gewesen, daß weitgehend durch Gesetz und Satzung geregelt gewesen sei, wann und wie die Willensbildung durch den Vorsitzenden erfolgen müsse. In einem späteren Urteil des Reichsfinanzhofs (VI A 11/33 vom 3. Oktober 1934, RStBl 1934 S. 1455) sei zwar der Vorsitzende einer Berufsgenossenschaft nicht als Arbeitnehmer angesehen worden, weil die selbständige Ausübung einer bestimmten Gewerbeart Voraussetzung für seine Zugehörigkeit zur Berufsgenossenschaft gewesen und die Tätigkeit des Vorsitzenden der eines Sachverständigen nahegekommen sei. Der Bfin. sei beizupflichten, daß eine an sich nichtselbständige Tätigkeit im Einzelfall eine selbständige Beschäftigung darstellen könne, wenn sie nämlich nur eine Nebenbeschäftigung eines im Hauptberuf selbständig tätigen Steuerpflichtigen sei. Umgekehrt könne eine regelmäßig selbständige Beschäftigung zu einer Arbeitnehmertätigkeit werden, wenn sie von einem im Hauptberuf als Arbeitnehmer tätigen Steuerpflichtigen ausgeübt werde. Im Streitfall sei der Vorsitzende des Vorstands der Bfin. im Hauptberuf Arbeitnehmer, so daß man ihn nach diesen Grundsätzen auch hinsichtlich der Nebentätigkeit für die Bfin. als Arbeitnehmer ansehen müsse.
Die Bfin. macht mit ihrer Rb. geltend, daß die Annahme der Arbeitnehmereigenschaft von Organvorsitzenden und deren Stellvertretern bei Selbstverwaltungskörperschaften in Widerspruch stehe mit den gesetzlichen Bestimmungen, auf Grund deren die betreffenden Personen diese Stellung erlangt hätten. Ihre Bindung an Gesetz und Satzung sei kein Argument für eine Arbeitnehmerstellung. In den Organismus der Bfin. seien sie nicht eingegliedert; denn sie könnten den Umfang ihrer Tätigkeit, insbesondere aber die Art und Weise der Erledigung der auf sie zukommenden Arbeiten wesentlich selbst bestimmen. Durch § 1 LStDV sei der Begriff des Arbeitnehmers im steuerlichen Sinn weitgehend der arbeitsrechtlichen Abgrenzung angeglichen worden. Arbeitsrechtlich sei der Vorsitzende des Vorstands kein Arbeitnehmer. Im übrigen widerspreche aber seine Einordnung in den Kreis der Arbeitnehmer auch der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung und den im Schrifttum vertretenen Auffassungen.
Entscheidungsgründe
Die wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Rb. ist nicht begründet.
Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt davon ab, ob der Vorsitzende des Vorstands der Bfin. bei dieser angestellt ist im Sinn des § 1 Abs. 1 LStDV. Nur wenn das zu bejahen ist, konnte für ihn eine Lohnsteuerpflicht entstehen und die Bfin. als Arbeitgeberin nach § 46 LStDV für anfallende Lohnsteuer haften. Das Finanzgericht hat beides unter Hinweis auf Urteile des Reichsfinanzhofs angenommen. Es ist bei der Prüfung dieser Frage mit Recht von § 1 LStDV ausgegangen; denn diese Vorschrift enthält die für das Einkommensteuer- und Lohnsteuerrecht maßgebende Festlegung des Arbeitnehmerbegriffs. In Rechtsprechung und Verwaltungspraxis wurden aus dieser Bestimmung einige Merkmale im Wege der Auslegung ermittelt, die für die Arbeitnehmereigenschaft sprechen. Danach ist jemand insbesondere dann als Arbeitnehmer anzusehen, wenn er in den Organismus eines Unternehmens eingegliedert ist und er infolge dieser Eingliederung den ihm erteilten Weisungen Folge zu leisten hat.
Die Bfin., die eine Trägerin der gesetzlichen Invalidenversicherung der Arbeiter ist und die außerdem die ihr durch Gesetz zugewiesenen Gemeinschaftsaufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung wahrzunehmen hat, besitzt - wie das Finanzgericht festgestellt hat - nach ihrer Satzung zwei Organe, nämlich eine Vertreterversammlung und einen Vorstand, denen Vertreter der Versicherten und der Arbeitgeber angehören. Die Mitglieder der Vertreterversammlung werden von den Versicherten und den Arbeitgebern gewählt, die Mitglieder des Vorstands von der Vertreterversammlung. Beide Organe wählen aus ihrer Mitte ihren Vorsitzenden und dessen Stellvertreter. Der Vorsitzende des Vorstands und sein Stellvertreter vertreten die Bfin. gerichtlich und außergerichtlich, soweit es sich nicht um die Vertretung in laufenden Verwaltungsangelegenheiten oder um die Vertretung der Bfin. gegenüber dem Vorstand selbst handelt, die dann von der Geschäftsführung bzw. dem Vorsitzenden der Vertreterversammlung wahrzunehmen ist (§§ 6 Abs. 1, 8 Abs. 4 des Selbstverwaltungsgesetzes in der Fassung vom 13. August 1952, BGBl 1952 I S. 427; §§ 1338 Ziff. 6, 1343 der Reichsversicherungsordnung). Da der Vorsitzende des Vorstands und sein Stellvertreter demnach einen bestimmten Aufgabenkreis zu erfüllen haben, sind sie in den Organismus der Bfin. eingegliedert. Eine Eingliederung stellt sich je nach der Art der Tätigkeit, die der einzelne zu erfüllen hat, unter Umständen sehr verschieden dar. Wer ausschließlich mechanische Arbeiten zu verrichten hat, wird bei der Durchführung dieser Tätigkeit und auch hinsichtlich seiner Arbeitszeit genauen Weisungen unterliegen. Arbeitnehmer mit organisatorischen oder leitenden Aufgaben haben dagegen im allgemeinen eine freiere Stellung. Besteht ihre Aufgabe aber in der Repräsentation und der rechtsgeschäftlichen Vertretung, so tritt unter Umständen die aus der Eingliederung sich ergebende Weisungsgebundenheit nur noch wenig in Erscheinung. In gewissem Umfang ist sie jedoch immer vorhanden. So sind z. B. die gesetzlichen Vertreter der handelsrechtlichen Kapitalgesellschaften trotz der oft nur geringen äußerlich erkennbaren Bindungen nach allgemeiner Auffassung immer Arbeitnehmer. Die Stellung des Vorsitzenden des Vorstands der Bfin. ist der von gesetzlichen Vertretern dieser Gesellschaften vergleichbar. Wenn er infolgedessen auch weitgehende Freiheit bei seinen Entschlüssen und deren Durchführung hat, so ist doch entscheidend, daß er bei seiner Tätigkeit letzten Endes außer den gesetzlichen Bindungen auch die Beschlüsse der Vertreterversammlung und des Vorstands der Bfin. zu beachten hat. Es ergeben sich also für ihn aus der Einordnung seiner Tätigkeit in die Organisation der Bfin. Bindungen, die seine Entschließungsfreiheit einengen. Selbst wenn sie nach außen nur wenig hervortreten sollten, sind sie vorhanden und reichen aus zur Annahme seiner Arbeitnehmereigenschaft. Dieser Beurteilung entspricht das in der Vorentscheidung angeführte Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 639/27 vom 21. Dezember 1927 (RStBl 1928 S. 174). Ob das andere vom Finanzgericht erwähnte Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 11/33 vom 3. Oktober 1934 (RStBl 1934 S. 1455), dessen Sachverhalt möglicherweise etwas anders liegt, mit diesen Grundsätzen zu vereinbaren ist, mag dahingestellt bleiben.
Ist der Vorsitzende des Vorstands der Bfin. deren Arbeitnehmer, so stellen die Zahlungen der Bfin. an ihn steuerpflichtigen Arbeitslohn dar, soweit sie nicht auf Grund lohnsteuerlicher Vorschriften steuerfrei sind. Das Finanzgericht hat den vom Finanzamt anerkannten Werbungskostenfreibetrag von 600 DM jährlich gebilligt. Der Senat hat gegen diese auf tatsächlichem Gebiet liegende Würdigung, über die zwischen den Beteiligten kein Streit besteht, keine Bedenken. Da die Vorentscheidung demnach zu einem zutreffenden Ergebnis gelangt ist, kann die gegen sie gerichtete Rb. keinen Erfolg haben. Sie ist daher als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 409651 |
BStBl III 1960, 214 |
BFHE 1960, 575 |
BFHE 70, 575 |