Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerliche Betriebsprüfung Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Der Steuerprozeß kennt grundsätzlich keine Beweislast und keine Beweisregeln. Die Steuerbehörden und, soweit sie Tatsacheninstanzen sind, auch die Rechtsmittelbehörden (Finanzgerichte) haben nach den Vorschriften der §§ 204, 243 AO die Besteuerungsgrundlagen von Amts wegen zu ermitteln. Sie haben dabei ihre Ermittlungen auch zugunsten der Steuerpflichtigen bis zur Grenze des Zumutbaren durchzuführen. Die Steuerpflichtigen haben bei diesen Ermittlungen, soweit sie gesetzlich dazu verpflichtet sind, mitzuwirken, und zwar ebenfalls bis zur Grenze des Zumutbaren.
Normenkette
AO §§ 171, 204, 243; FGO § 76/1; AO § 246
Tatbestand
Der Bf. war im streitigen Veranlagungszeitraum 1951 Alleininhaber einer Firma, die bis zum 31. Dezember 1950 in Form einer KG betrieben wurde, an der der Bf. als Komplementär und der Vater des Bf. als Kommanditist beteiligt waren. Im Jahre 1946 mußte der Bf. auf Betreiben der Besatzungsmacht vorübergehend aus dem Betrieb ausscheiden. Im Juli 1946 wurde die seit 1937 im Betrieb tätige Prokuristin entlassen, und zwar nach den Angaben des Bf. auf Grund der Entnazifizierungsvorschriften. Am 21. Mai 1949 heiratete sie den Bf. Die Eheleute trennten sich jedoch bereits im November 1949. Ihre Ehe wurde auf die Klage des Bf. hin im Jahre 1950 rechtskräftig gemäß § 32 des Ehegesetzes (EheG) aufgehoben. Im Juli 1950 schlossen die Eheleute einen Vertrag unter der Bezeichnung "Stiller Gesellschaftsvertrag", dessen für die Entscheidung wesentliche Bestimmungen die folgenden sind:
"... § 1
Frau ... ist per 1. Juli 1950 beginnend stille Gesellschafterin des Kaufmannes ...
§ 2 - Der Gewinnanteil der stillen Gesellschafterin beträgt 10 % jährlich.
Am Verlust ist die stille Gesellschafterin nicht beteiligt.
§ 3 - Der stillen Gesellschafterin steht eine Einlage von DM 1.000,- (in Worten: eintausend Deutsche Mark) zu.
§ 4 - Die stille Gesellschafterin ist berechtigt, a conto ihres Gewinnanteils monatlich DM 350,-, zahlbar am 1. eines jeden Monats, aus der Firma zu entnehmen. Das Entnahmerecht wird von dem persönlich haftenden Gesellschafter garantiert.
Die stille Gesellschafterin ist ferner berechtigt, diejenigen Ertragsteuern zu entnehmen, die auf den Entnahmebetrag entfallen, gerechnet auf der Grundlage, daß der Entnahmebetrag das alleinige Einkommen darstellt. Die Garantie des persönlich haftenden Gesellschafters bezieht sich auch hierauf.
§ 5 - Die stille Gesellschafterin hat jährlich Anspruch auf Vorlage der Bestätigung eines öffentlich bestellten Wirtschaftsprüfers über die Höhe des der Gewinnbeteiligung unterliegenden Gewinns ... aus der Firma. Der Wirtschaftsprüfer muß dem persönlich haftenden Gesellschafter und der stillen Gesellschafterin genehm sein; anderenfalls erfolgt Bestellung auf Antrag eines der Beteiligten bei der Handelskammer. Die Kosten gehen zu Lasten der Firma. Ein Anspruch auf Vorlage der Bilanz und / oder Geschäftsunterlagen besteht nicht.
§ 6 - Der sich aus der Bestätigung ergebende Gewinn abzüglich der Entnahmebeträge wird der stillen Gesellschafterin nach Fertigstellung der Bilanz spätestens am 31. 5. des Folgejahres vergütet.
§ 7 - Der Gewinnanteil des persönlich haftenden Gesellschafters beträgt zur Zeit 75 % des Firmengewinns. änderungen des Schlüssels nach oben oder unten berühren die stille Gesellschafterin nicht, es sei denn, daß die Parteien im Einzelfall anderes vereinbaren.
§ 8 - Die stille Gesellschaft wird für neun Jahre geschlossen. Sie endet am 30. Juni 1959.
§ 9 - Das Entnahmerecht und der Gewinnanteil der stillen Gesellschafterin stellt sich für das 6. und 7. Geschäftsjahr auf 2/3, für das 8. und 9. Geschäftsjahr (Kalenderjahr 1957 und 1958) auf 1/3 der in § 4 genannten Summe bzw. Prozentsätze. Der Einfachheit halber werden die Jahresabrechnungen der Firma jeweils zugrunde gelegt pro rata temporis gerechnet, d. h. für das zweite Halbjahr 1950 die Jahresabrechnung 1950, für das erste Halbjahr 1959 die Jahresabrechnung 1959.
§ 12 - Die stille Gesellschaft endet nicht mit dem Tod des persönlich haftenden Gesellschafters. Für den Fall des Todes des persönlich haftenden Gesellschafters gehen Verpflichtungen und Rechte aus diesem Vertrage auf seine Erben über.
§ 14 - Unbeschadet der Bestimmung des § 13 übernimmt der persönlich haftende Gesellschafter die Verpflichtung, diesen Vertrag unverändert fortzusetzen, falls er aus der Firma ... ausscheiden oder die Firma ... in eine andere Rechtsform umgestalten sollte".
Auf Grund dieses Vertrags zahlte der Bf. seiner früheren Ehefrau seit Juli 1950 monatlich 350 DM zuzüglich 50 DM für Steuern. Diese Beträge wurden bis Dezember 1951 einem persönlichen Konto der Empfängerin bei der Firma belastet. Am 31. Dezember 1951 wurde der an diesem Tag vorhandene Saldo von 7.370 DM zu Lasten der Verlust- und Gewinnrechnung gewinnmindernd ausgebucht.
Das Finanzamt behandelte, auch in der Einspruchsentscheidung, die durch den Gesellschaftsvertrag bedingten Leistungen als Entnahmen des Bf. Es handle sich um Zahlungen an unterhaltsberechtigte Personen, die gemäß § 12 Ziff. 2 EStG grundsätzlich auch dann nicht absetzbar seien, wenn sie auf einer besonderen Vereinbarung beruhten.
Auch der Berufung blieb der Erfolg zu diesem Punkt versagt. Bei seiner Begründung ließ sich das Finanzgericht im wesentlichen von folgenden Erwägungen leiten:
Der Bf. sei seiner früheren Ehefrau gegenüber gemäß § 61 Abs. 2 EheG in Verbindung mit § 37 EheG mit Rücksicht darauf unterhaltspflichtig, daß das Scheidungsurteil keinen Verschuldensausspruch für die Aufhebung der Ehe enthalte und die Klage auf Aufhebung der Ehe vom Bf. erhoben worden sei. Damit aber sei der Tatbestand des § 12 Ziff. 2 EStG erfüllt, nach dem Zuwendungen an eine gegenüber dem Steuerpflichtigen gesetzlich unterhaltsberechtigte Person weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden dürften, auch wenn diese Zuwendungen auf einer besonderen Vereinbarung beruhten. Daß die fraglichen Vereinbarungen nicht auf familienrechtlichen, sondern auf geschäftlichen Verpflichtungsgründen beruhten, sei im Einzelfall, wie jede Abweichung von der Regel, vom Bf. zu beweisen, zum mindesten glaubhaft zu machen. Es sei deshalb nicht entscheidend, ob die von dem Finanzamt für die familienrechtliche Grundlage der Bezüge der früheren Ehefrau aus dem Vertrag von 1950 angeführten Gründe unbedingt für ihren tatsächlichen Unterhaltscharakter sprächen; denn dafür sei das Finanzamt nicht beweispflichtig. Bedeutsam sei lediglich, daß sie nicht zweifelsfrei für eine geschäftliche Grundlage der der früheren Ehefrau vertraglich eingeräumten Rechte sprächen. Dagegen seien die von dem Bf. an die Ehefrau zu erbringenden Leistungen unter dem Gesichtspunkt vereinbarten Unterhalts als außergewöhnliche Belastung im Sinne von § 33 EStG anzusehen. Ein Unterhaltsbetrag von monatlich 200 DM (= jährlich 2.400 DM) sei dabei notwendig und angemessen. Dieser Betrag wirke sich jedoch mit Rücksicht auf die Mindestbelastungsgrenze des § 51 Abs. 3 EStDV 1951 nur zum Teil aus.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Gemäß § 12 Ziff. 2 EStG sind Zuwendungen an gesetzlich unterhaltsberechtigte Personen weder als Betriebsausgabe oder Werbungskosten noch als Sonderausgabe abzugsfähig. Dies gilt auch dann, wenn diese Zuwendungen auf einer besonderen Vereinbarung beruhen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs VI 154/57 U vom 17. Juli 1959, BStBl 1959 III S. 345, Slg. Bd. 69 S. 218). Nichtabzugsfähige Aufwendungen im Sinne dieser Vorschrift sind hiernach stets dann gegeben, wenn es sich um Zuwendungen innerhalb des Personenkreises handelt, in dem nach bürgerlichem Recht objektiv eine gesetzliche Unterhaltspflicht des Steuerpflichtigen begründet ist. Zuwendungen an gesetzlich unterhaltsberechtigte Personen können nur dann abzugsfähig sein, wenn sie nicht auf verwandtschaftlichen oder familienrechtlichen Beziehungen, sondern auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhen, die außerhalb dieser Beziehungen vorwiegend auf geschäftlichem Gebiet liegen, d. h. Betriebsausgaben oder Werbungskosten sind (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 42/51 U vom 10. Juni 1952, BStBl 1952 III S. 253, Slg. Bd. 56 S. 657).
Die Vorinstanz hat in Anwendung dieser Grundsätze ohne Rechtsirrtum nach bürgerlichem Recht das Bestehen einer objektiven Unterhaltspflicht des Bf. seiner früheren Ehefrau gegenüber bejaht. Die Ehe des Bf. ist nach § 32 EheG auf sein Verlangen ohne Schuldspruch aufgehoben worden. § 61 Abs. 2 EheG, der gemäß § 37 Abs. 1 EheG im Falle der Aufhebung der Ehe anwendbar ist, legt in diesem Fall dem, der die Scheidung verlangt hat, eine Unterhaltspflicht auf, wenn und soweit dies mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des früheren Ehegatten und der nach § 63 EheG unterhaltspflichtigen Verwandten des Berechtigten der Billigkeit entspricht. Wohl ist es richtig, daß nach § 61 Abs. 2 EheG eine Unterhaltspflicht des Bf. nur in bedingtem Umfang in Betracht kommt. Das war aber, wenn auch unter anderen Voraussetzungen, ebenso nach den früher hierfür geltenden Vorschriften des BGB der Fall. Auch hiernach war Bedürftigkeit des unschuldigen Ehegatten Voraussetzung des Unterhaltsanspruchs. Demzufolge ist auch die nach § 61 Abs. 2 EheG zu gewährende Unterhaltsverpflichtung grundsätzlich vom Gesetz auferlegt. Sie beruht auf den durch die frühere Ehe herbeigeführten familienrechtlichen Beziehungen, die durch die Aufhebung zwar aufgelöst sind, in bezug auf die Unterhaltspflicht aber noch Auswirkungen haben. Steuerlich gelten zudem nach § 10 Ziff. 2 des Steueranpassungsgesetzes die Ehegatten als Angehörige, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht. Dem Grundsatz nach besteht somit auch nach § 61 Abs. 2 EheG eine gesetzlich Unterhaltspflicht des Ehegatten, der die Scheidung begehrt hat (vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs IV 42/51 U, a. a. O.).
Die vom Bf. geltend gemachten Zuwendungen an seine frühere Ehefrau können demzufolge nur dann als Betriebsausgabe im Sinne von § 4 Abs. 4 EStG abzugsfähig sein, wenn sie nicht auf der sich aus der früheren Ehe ergebenden familienrechtlichen Grundlage, sondern auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhen, die außerhalb dieser Beziehungen vorwiegend auf geschäftlichem Gebiet liegen. Der Bf. hat unter Vorlage des sogenannten "Stillen Gesellschaftsvertrags" zwischen ihm und seiner früheren Ehefrau im einzelnen dargelegt, daß die Vereinbarungen dieses Vertrags nicht auf den ehelichen Beziehungen beruhten, die im übrigen nur einige Monate gedauert hätten, sondern ausschließlich auf die 17 Jahre dauernde Tätigkeit seiner früheren Ehefrau als Prokuristin im Dienste der Firma zurückzuführen seien. Wenn das Finanzgericht demgegenüber den Hinweis des Bf. auf das Bestehen eines stillen Gesellschaftsverhältnisses zwischen ihm und seiner früheren Ehefrau allein mit Rücksicht auf die von ihm angenommene Verteilung der Beweislast als unbeachtlich beiseite schiebt, infolgedessen auch auf jede weitere Aufklärung des Sachverhalts verzichtet, so vermag der Senat der Vorinstanz hierin nicht zu folgen. Im Verfahren mit Verhandlungsmaxime, insbesondere im Zivilprozeß, haben die Parteien die einzelnen Sachverhaltsmerkmale zu behaupten und zu beweisen. Geschieht das nicht, so geht das Unbewiesensein zu Lasten der Partei, die die subjektive Beweislast hat. Demgegenüber kennt der Steuerprozeß mit Amtsmaxime grundsätzlich keine Beweislast und Beweisregeln. Die Steuerbehörden und, soweit sie Tatsacheninstanzen sind, auch die Rechtsmittelbehörden (Finanzgerichte) haben nach den Vorschriften der §§ 204, 243 AO die Besteuerungsgrundlagen von Amts wegen zu ermitteln. Sie haben dabei ihre Ermittlungen auch zugunsten der Steuerpflichtigen bis zur Grenze des Zumutbaren durchzuführen. Die Steuerpflichtigen haben bei diesen Ermittlungen, soweit sie gesetzlich dazu verpflichtet sind, mitzuwirken, und zwar ebenfalls bis zur Grenze des Zumutbaren. Sie haben insoweit nach § 171 AO Erklärungs-, Darlegungs- und Nachweispflichten. Die Grenzen des Zumutbaren können bei der amtlichen Ermittlungspflicht wie bei der Mitwirkungspflicht der Steuerpflichtigen nicht eindeutig festgelegt werden. Es ist unter Beachtung aller Umstände des einzelnen Falles nach den Grundsätzen von Treu und Glauben zu entscheiden, wo diese Grenzen im Einzelfall liegen. Erfüllt der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflicht nicht, so kann die Amtspflicht zur Aufklärung dadurch ihre Grenze finden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs V z 183/54 S vom 7. Dezember 1955, BStBl 1956 III S. 75, Slg. Bd. 62 S. 201, und die dort aufgeführte Schrifttums- und Rechtsprechungsübersicht).
Nach diesen rechtlichen Gesichtspunkten hat der Bf. unter Berücksichtigung der Vorlage des Vertrages von 1950 und der eingehenden Berufungsbegründung im Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 5. Oktober 1954 bis an die Grenze des Zumutbaren im Sinne von § 171 AO mitgewirkt. Da die Rechtslage hinsichtlich des Bestehens bzw. Nichtbestehens einer stillen Gesellschaft zwischen dem Bf. und seiner früheren Ehefrau auch nach den Umständen des Falles zumindest zweifelhaft sein konnte, hätte die Vorinstanz sich nicht auf den im übrigen rechtlich fehlerhaften Hinweis auf die Beweisfälligkeit des Bf. und auf Vermutung über die wahrscheinlichen Beweggründe für den Abschluß des Vertrages von 1950 beschränken dürfen. Sie hätte vielmehr entsprechend der ihr gemäß § 204, 243 AO obliegenden Verpflichtung eine weitere Aufklärung des Sachverhalts zumindest versuchen müssen, so z. B. durch persönliche Anhörung des Bf. und seiner früheren Ehefrau. Die Anhörung des Bevollmächtigten des Bf. in der mündlichen Verhandlung des Finanzgerichts vom 3. Dezember 1957 vermag nach Auffassung des Senats die Anhörung der unmittelbar Beteiligten, unter Umständen sogar des für den Vertragsentwurf verantwortlichen Notars, nicht zu ersetzen.
Die Vorentscheidung muß daher aufgehoben werden. Die Sache ist nicht spruchreif. Sie wird an das Finanzgericht zurückverwiesen, das nunmehr unter Beachtung vorstehender Ausführungen nach ausreichender Sachaufklärung zu entscheiden haben wird. Bei - wie hier - schwieriger Beweislage, insbesondere dann, wenn es entscheidend auf die Glaubwürdigkeit der zu hörenden Personen ankommt, wird das Finanzgericht der ihm nach § 243 Abs. 1 AO obliegenden Pflicht zur Sachaufklärung am besten dadurch gerecht, daß es die Beweisaufnahme unmittelbar selbst in mündlicher Verhandlung durchführt (vgl. die Urteile des Bundesfinanzhofs IV 410/52 U vom 29. Oktober 1953, BStBl 1954 III S. 6, Slg. Bd. 58 S. 239, und IV 302/59 U vom 13. Oktober 1960, BStBl 1960 III S. 526, Slg. Bd. 71 S. 745).
Für den Fall, daß die Vorinstanz zu einer Anerkennung der Zuwendungen des Bf. an seine frühere Ehefrau als Betriebsausgabe im Sinne von § 4 Abs. 4 EStG dem Grunde nach kommen sollte, ist zu prüfen, in welcher Höhe der Gewinn des Jahres 1951 zu mindern ist.
Fundstellen
Haufe-Index 410515 |
BStBl III 1962, 522 |
BFHE 1963, 700 |
BFHE 75, 700 |