Entscheidungsstichwort (Thema)
Wegfall des negativen Kapitalkontos eines Kommanditisten: Zeitpunkt, Schätzung, Bilanzenzusammenhang
Leitsatz (amtlich)
Ist bereits am Bilanzstichtag erkennbar, daß nur noch ein Aufgabegewinn entstehen wird, ist bei einer erforderlich werdenden Schätzung der formelle Zusammenhang mit der Eröffnungsbilanz des Folgejahres gewahrt, wenn die Schätzung die Bilanzpositionen --hier die negativen Kapitalkonten der Kommanditisten-- unberührt läßt, die der Ermittlung des Aufgabegewinns zugrundezulegen sind (Abgrenzung zum BFH-Urteil vom 28.Januar 1992 VIII R 28/90, BFHE 168, 30, BStBl II 1992, 881).
Orientierungssatz
Das negative Kapitalkonto des Kommanditisten einer in Konkurs gefallenen KG muß nicht erst bei Einstellung des Konkursverfahrens mangels Masse wegfallen. Die Voraussetzungen für den Wegfall können bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorliegen, ggf. schon vor Konkurseröffnung.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 1 S. 1, § 5
Tatbestand
Die Klägerinnen und Revisionsklägerinnen (Klägerinnen) waren --neben einer weiteren Kommanditistin-- Kommanditistinnen einer GmbH & Co. KG. Die GmbH bezog lediglich eine Vergütung für die Haftungsübernahme.
Über das Vermögen der KG ist am 8.Juli 1977 das Konkursverfahren eröffnet worden. Das Konkursverfahren wurde am 28.November 1978 mangels Masse eingestellt und am 18.September 1980 aufgehoben. Die KG wurde am 20.Februar 1981 im Handelsregister gelöscht. Im gleichen Jahr wurde auch die GmbH liquidiert.
Die KG erwirtschaftete in den Jahren 1974 bis 1976 Verluste. Die Bilanz zum 31.Dezember 1976 wies für alle Kommanditisten negative Kapitalkonten aus.
Für das Kalenderjahr 1977 gab die KG keine Erklärungen zur Feststellung des Gewinns ab. Am 19.Dezember 1978 teilte der Konkursverwalter dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) die Einstellung des Konkurses mangels Masse mit; für die Erstellung der Erklärung sei deshalb kein Geld vorhanden. Das FA schätzte daraufhin den Gewinn der KG bis zur Konkurseröffnung griffweise mit 600 DM und wies diesen in voller Höhe als Haftungsvergütung der GmbH zu. Die Gewinnanteile der Kommanditisten betrugen danach 0 DM. Der Feststellungsbescheid wurde bestandskräftig.
Die KG gab auch für das Streitjahr 1978 keine Erklärungen zur Feststellung des Gewinns ab. Das FA schätzte nunmehr den laufenden Gewinn der KG mit 0 DM, löste aber gleichzeitig die negativen Kapitalkonten der Kommanditisten gewinnerhöhend auf. In gleicher Höhe rechnete es der GmbH einen Verlust zu. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage insoweit statt, als es den streitigen Gewinn als begünstigten Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinn i.S. von §§ 16, 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) behandelte. Es ging dabei davon aus, daß ein Ausgleich der negativen Kapitalkonten erst ab Einstellung des Konkursverfahrens nicht mehr zu erwarten gewesen sei.
Mit der --vom Senat zugelassenen-- Revision rügen die Klägerinnen Verletzung materiellen Rechts.
Sie führen dazu im wesentlichen aus, es habe bereits mit Konkurseröffnung im Jahre 1977 festgestanden, daß ein Ausgleich der negativen Kapitalkonten durch zukünftige Gewinne nicht mehr in Betracht komme; die Konten hätten daher auch bereits im Gewinnfeststellungsbescheid für dieses Jahr gewinnwirksam aufgelöst werden müssen.
Die Klägerinnen beantragen, das Urteil des FG und den Feststellungsbescheid 1978 vom 1.Dezember 1983 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.November 1984 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Beteiligte hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Die negativen Kapitalkonten der Klägerinnen waren in der Steuerbilanz der KG zum 31.Dezember 1978 gewinnerhöhend aufzulösen.
a) Beim Wegfall des negativen Kapitalkontos eines Kommanditisten, das durch einkommensteuerrechtliche Verlustzurechnungen entstanden ist, ergibt sich für den Kommanditisten in Höhe des negativen Kapitalkontos ein Gewinn; in gleicher Höhe ist dem persönlich haftenden Gesellschafter ein Verlustanteil zuzurechnen (Beschluß des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10.November 1980 GrS 1/79, BFHE 132, 244, BStBl II 1981, 164; ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt BFH-Urteile vom 10.Dezember 1991 VIII R 17/87, BFHE 167, 331, BStBl II 1992, 650, und vom 28.Januar 1992 VIII R 28/90, BFHE 168, 30, BStBl II 1992, 881).
b) Das negative Kapitalkonto eines Kommanditisten fällt weg, soweit bei Aufstellung der Bilanz nach den Verhältnissen am Bilanzstichtag feststeht, daß ein Ausgleich des negativen Kapitalkontos mit künftigen Gewinnanteilen nicht mehr in Betracht kommt (Beschluß in BFHE 132, 244, BStBl II 1981, 164, 169, und Urteil in BFHE 167, 331, BStBl II 1992, 650). Das FG ging davon aus, daß diese Voraussetzung mit der Einstellung des Konkursverfahrens mangels Masse eingetreten ist. Es läßt sich aber nicht ausschließen, daß es bei dieser Beurteilung von einer unzutreffenden Rechtsauffassung ausgegangen ist. Ob eine spätere Gewinnverrechnung noch zu erwarten ist, bestimmt sich nach den Verhältnissen des jeweiligen Bilanzstichtages und unabhängig davon, ob und wann der Steuerpflichtige eine Bilanz aufgestellt hat (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 10.Dezember 1985 VIII R 41/85, BFH/NV 1986, 404). Die Einstellung des Konkursverfahrens mangels Masse ist nicht erforderlich (BFH-Urteil vom 26.Februar 1987 IV R 61/84, BFH/NV 1988, 24). Die fehlende Verrechnungsmöglichkeit kann sich auch zu einem früheren Zeitpunkt und ggf. schon vor Konkurseröffnung abzeichnen (BFH-Urteile vom 22.Januar 1985 VIII R 43/84, BFHE 144, 533, BStBl II 1986, 136, m.w.N., und in BFH/NV 1986, 404).
Es läßt sich anhand des vom FG festgestellten Sachverhalts nicht abschließend beurteilen, ob nach den Verhältnissen eines früheren Bilanzstichtags die Möglichkeit einer späteren Gewinnverrechnung auszuschließen war.
c) Eine weitere Aufklärung des Sachverhalts ist jedoch nicht geboten. Das Urteil erweist sich aus anderen Gründen als zutreffend (§ 126 Abs.4 FGO).
aa) Die negativen Kapitalkonten müssen nicht notwendigerweise in der Schlußbilanz desjenigen Jahres aufgelöst werden, in dem erstmals erkennbar wurde, daß mit Gewinnen nicht mehr zu rechnen ist. Ist der Gewinnfeststellungsbescheid für dieses Jahr bereits bestandskräftig, so ist es auch zulässig, die negativen Kapitalkonten in der ersten noch offenen Bilanz eines Folgejahres aufzulösen. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH (BFH in BFHE 168, 30, BStBl II 1992, 881, m.w.N.). Sie beruht auf dem Grundsatz des formellen Bilanzenzusammenhangs (§ 4 Abs.1 EStG, vgl. dazu näher BFH in BFHE 167, 331, BStBl II 1992, 650).
bb) Dieser Grundsatz führt auch im Streitfall zu einer Bindung der Eröffnungsbilanz zum 1.Januar 1978 an die Bilanzansätze in der Schlußbilanz zum 31.Dezember 1977.
aaa) Eine Bilanz ist zu diesem Zeitpunkt zwar tatsächlich nicht erstellt worden. Das FA hat lediglich den Gewinn für das Jahr 1977 geschätzt. Es ist jedoch davon auszugehen, daß dieser Schätzung eine --gedachte-- Bilanz zugrunde liegt. Der Gewinn der KG ist auch noch nach Eröffnung des Konkursverfahrens im Wege des Betriebsvermögensvergleichs nach §§ 4 Abs.1 Satz 1, 5 Abs.1 EStG zu ermitteln und auf die Gesellschafter zu verteilen (BFH in BFHE 168, 30, BStBl II 1992, 881, m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn das FA den Gewinn mit 0 DM schätzt (BFH-Urteil vom 11.Februar 1988 IV R 19/87, BFHE 153, 26, BStBl II 1988, 825) oder --wie im Streitfall-- lediglich in Höhe der Haftungsvergütung für die GmbH. Die Schätzung ist bei einer gewerblich tätigen KG nach den Grundsätzen des Betriebsvermögensvergleichs durchzuführen (vgl. v.Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9.Aufl., § 162 AO 1977 Rz.52, und Plückebaum in Kirchhof/Söhn, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 4 Rdnr.A 132 f., m.w.N.).
bbb) Der Betriebsvermögensvergleich ist für den Feststellungszeitraum durchzuführen. Das ist grundsätzlich das volle Kalenderjahr (vgl. BFH-Urteile vom 24.November 1988 IV R 252/84, BFHE 155, 255, BStBl II 1989, 312; vom 14.Oktober 1987 I R 381/83, BFH/NV 1989, 141; vom 28.November 1989 VIII R 40/84, BFHE 159, 410, BStBl II 1990, 561). Das ist im Streitfall nicht anders; die KG war nicht schon mit Eröffnung des Konkursverfahrens vollbeendet.
Das FA hat deshalb den Gewinn der KG auch zutreffend für das gesamte Kalenderjahr 1977 festgestellt. Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, daß der festgestellte positive Schätzungsbetrag offensichtlich nur auf der Tätigkeit der KG bis zur Konkurseröffnung beruht. Es ist davon auszugehen, daß das FA den Anteil des Jahresgewinns, der auf den Rest des Jahres entfällt, mit 0 DM geschätzt hat. Die gedachte Bilanz im Zeitpunkt der Konkurseröffnung ist deshalb auch die Schlußbilanz zum 31.Dezember 1977. Da für dieses Jahr ein bestandskräftiger Feststellungsbescheid vorliegt, ist diese Bilanz keine "offene Bilanz" im Sinne der Rechtsprechung des BFH mehr (vgl. dazu u.a. BFH-Urteil vom 17.Oktober 1991 IV R 97/89, BFHE 166, 149, BStBl II 1992, 392 unter II.4. der Gründe).
ccc) Im Streitfall besteht auch ein hinreichender formeller Zusammenhang zwischen der Schlußbilanz vom 31.Dezember 1977 und der Eröffnungsbilanz zum 1.Januar 1978.
Dieser Zusammenhang ist stets gegeben, wenn die Höhe der einzelnen Bilanzposten geschätzt wurde (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 29.November 1967 I 221/64, BFHE 91, 76, BStBl II 1968, 261). Dasselbe gilt aber auch für die vorliegende griffweise Schätzung. Zwar hat der Reichsfinanzhof (RFH) in ständiger Rechtsprechung diese Form der Schätzung zur Begründung des Bilanzenzusammenhangs nicht ausreichen lassen (RFH-Urteile vom 10.Oktober 1933 I A 259/32, RStBl 1934, 141, und vom 26.Februar 1936 VI A 130/36, RStBl 1936, 695; Heuer, Finanz- Rundschau --FR-- 1954, 205; vgl. auch Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, 20.Aufl., § 4 EStG Anm.77 g; Weber-Grellet in Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 4 Rdnr.C 141). Die Entscheidungen betrafen jedoch Schätzungen im Rahmen fortgeführter Betriebe. Die für diesen Fall aufgestellten Grundsätze sind nicht ohne weiteres auch dann anwendbar, wenn der Betrieb im Rahmen eines Konkursverfahrens abgewickelt wird und bereits am Bilanzstichtag ersichtlich ist, daß ein Gewinn nicht mehr entstehen wird. Hier kann das FA bei einer erforderlich werdenden Schätzung darauf verzichten, die Buchwerte aller Wirtschaftsgüter genau zu ermitteln. Da in diesem Fall nur noch die Feststellung eines Verlustes der KG in Betracht kommt, die möglichen Verlustanteile den Gesellschaftern aber nicht mehr zugewiesen werden dürfen (BFH in BHFE 132, 244, BStBl II 1981, 164, 170), ist der Bilanzenzusammenhang nur für jene Bilanzpositionen zu fordern, die sich in der Folgebilanz noch auswirken können. Das sind hier nur noch die gewinnwirksam aufzulösenden negativen Kapitalkonten. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Die persönlich haftende Gesellschafterin war nach dem Gesellschaftsvertrag am Geschäftsergebnis der KG nicht beteiligt. Ein den Kommanditisten anteilig zugewiesener Verlust würde bei der gebotenen gleichzeitigen Auflösung des negativen Kapitalkontos in derselben Höhe zu einem Gewinn führen. Jeder --beliebig hohe-- Verlustanteil würde deshalb durch einen entsprechend höheren Gewinn korrigiert. Das FA konnte danach bei seiner Schätzung von den unveränderten bisherigen Kapitalkonten der Kommanditistinnen ausgehen. Daß es diese Kapitalkonten nicht bereits in der Bilanz zum 31.Dezember 1977 gewinnwirksam aufgelöst hat, ist --sollte der von den Klägerinnen behauptete Sachverhalt zutreffen-- ein Rechtsfehler, der in der Bilanz zum 31.Dezember 1978 noch korrigiert werden konnte.
Der Sachverhalt unterscheidet sich von demjenigen, den der Senat in seiner Entscheidung in BFHE 168, 30, BStBl II 1992, 881 zu beurteilen hatte. In diesem Fall hatte das FA jahrelang keine Gewinnfeststellungen durchgeführt. Es hat deshalb auch weder Buchwerte für die Kapitalkonten in der Schlußbilanz des letzten Jahres vor ihrer Auflösung ermittelt, noch konnte mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, daß sich die Buchwerte der Kapitalkonten in diesen Jahren nicht verändert hatten.
Fundstellen
Haufe-Index 64734 |
BStBl II 1994, 174 |
BFHE 172, 388 |
BFHE 1994, 388 |
BB 1994, 115 |
BB 1994, 115-116 (LT) |
DB 1994, 355-356 (LT) |
HFR 1994, 190-192 (LT) |
StE 1994, 2 (K) |
WPg 1994, 247 (LT) |
StRK, GewErm. R.41 (LT) |
FR 1994, 117 (KT) |
Information StW 1994, 156 (KT) |
NJW 1994, 1678 |
NJW 1994, 1678-1679 (LT) |
BBK, Fach 17 1521 (3/1994) |
WiB 1994, 398-399 (LT) |