Leitsatz (amtlich)
Werden kurzfristig (innerhalb von 12 Tagen) sämtliche Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts ausgewechselt, deren einziger Zweck es ist, das Eigentum an einem Mietwohngrundstück zu halten und dieses zu verwalten, so kann darin ein Mißbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts im Sinne des § 6 Abs. 1 StAnpG (nunmehr § 42 AO 1977) liegen. Gegebenenfalls unterliegt der Vertrag über den Eintritt der neuen und den Austritt der alten Gesellschafter gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG der Grunderwerbsteuer (Anschluß an das Urteil vom 5. Mai 1970 II R 98/69, BFHE 99, 550, BStBl II 1970, 757).
Normenkette
StAnpG § 6 Abs. 1-2; GrEStG § 1 Abs. 1 Nr. 1; AO 1977 § 42
Tatbestand
I.
Am 11. Dezember 1969 schlossen die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) und der Kläger und Revisionskläger (Kläger) einerseits mit den Eheleuten R andererseits, die damals in Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) Eigentümer eines Mehrfamilienhausgrundstückes waren, einen notariell beurkundeten Vertrag. Danach traten die Klägerin und der Kläger mit Wirkung vom 20. Dezember 1969 in die Gesellschaft ein und die Eheleute R zum 31. Dezember 1969 aus.
Gemäß § 2 des Vertrages betrug die Gegenleistung X DM. Sie war zu begleichen durch Übernahme von Belastungen, Mieterdarlehen und Barzahlungen. Das Grundstück war "frei von Lasten in Abteilung III des Grundbuches zu liefern, mit Ausnahme der übernommenen Belastungen".
Nach § 5 des Vertrages übernahmen "die bisherigen Gesellschafter ... wegen der Größe und etwaiger Mängel des Grundstücks sowie wegen der Beschaffenheit des Baugrundes keine Gewähr und versichern, daß ihnen nichts darüber bekannt ist, daß das Gebäude durch Hausschwamm ... oder Hausbock ... befallen ist oder war und behördliche Auflagen oder widerrufliche Genehmigungen bestehen".
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) sah in dem Vertrag vom 11. Dezember 1969 einen Verkauf des Grundstückes und setzte gemäß § 1 Abs. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) Grunderwerbsteuer fest.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, der Vertrag vom 11. Dezember 1969 sei gemäß § 6 Abs. 1 und 2 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) und § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG zu besteuern.
Mit der Revision beantragen die Klägerin und der Kläger Aufhebung der Vorentscheidungen und des Steuerbescheides.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet.
1. Der Vertrag vom 11. Dezember 1969 ist gemäß § 6 Abs. 1 und 2 StAnpG (nunmehr § 42 der Abgabenordnung - AO 1977 -) so zu besteuern, als hätten die Klägerin und der Kläger das Grundstück in GbR von den Eheleuten R gekauft (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG).
a) Gemäß § 6 Abs. 1 StAnpG (jetzt § 42 AO 1977) kann durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts die Steuerpflicht nicht umgangen oder gemindert werden. Die vertragliche Regelung, die im vorliegenden Fall gewählt wurde, ist eine solche Umgehung.
Bürgerlich-rechtlich mag es auch bei einer GbR möglich sein, die Identität der Gesellschaft trotz Wechsels sämtlicher Gesellschafter zu wahren (vgl. für Personenhandelsgesellschaften Entscheidung des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 8. November 1965 II ZR 223/64, BGHZ 44, 229). Dies besagt jedoch nicht, daß ein solcher Gesellschafterwechsel nicht als grunderwerbsteuerbarer Rechtsvorgang anzusehen wäre. § 1 Abs. 1 GrEStG beschreibt den Steuertatbestand allerdings nur nach der typischen bürgerlich-rechtlichen Gestaltung der Phasen der Eigentumsverschaffung eines Grundstückes. Der Steuertatbestand wird entweder durch das Rechtsgeschäft verwirklicht, das den Übereignungsanspruch begründet, oder durch die Auflassung oder durch den Übergang des Eigentums (§ 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 GrEStG). Aufgrund der im Schuldrecht herrschenden Vertragsfreiheit ist es möglich und zulässig, bürgerlichrechtliche Gestaltungsformen zu wählen, durch die der als steuerwürdig angesehene Erfolg unter Umgehung des an typische bürgerlich-rechtliche Gestaltungsformen anknüpfenden Steuertatbestandes erreicht wird. Ist die sich als Umgehung erweisende Gestaltungsform zur Erzielung des beabsichtigten Erfolgs unangemessen, so greift § 6 StAnpG (jetzt § 42 AO 1977) in der Weise ein, daß er einen Sachverhalt, der von dem an typische bürgerlich-rechtliche Gestaltungsformen anknüpfenden Wortlaut des Gesetzes nicht erfaßt wird, aufgrund des Gesetzeszwecks der Besteuerung unterwirft. § 6 StAnpG (jetzt § 42 AO 1977) bewirkt damit, daß in den von ihm erfaßten Ausnahmefällen eine steuerbegründende Analogie zulässig ist (vgl. auch Tipke, Steuerrecht, 7. Aufl., S. 101 und Steuerberater-Jahrbuch 1972/73 S. 510, 516 f. - StbJ 1972/73, 510, 516f. -). Während die Analogie darin besteht, daß die für einen bestimmten Sachverhalt gegebene Regelung auf einen anderen, ihm wertungsmäßig gleich zu erachtenden übertragen wird (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 4. Aufl., S. 368 f.), ordnet § 6 StAnpG (jetzt § 42 AO 1977) an, daß die mißbräuchliche, oder anders ausgedrückt, unangemessene Gestaltung gedanklich durch die angemessene ersetzt wird. Mit dieser technischen Lösung des Konflikts zwischen dem Wortlaut einer Rechtsnorm und der ihr zugrunde liegenden Wertung wird aber dasselbe Ergebnis erzielt wie mit der analogen Anwendung des Steuertatbestandes (vgl. Tipke, a. a. O.). Die Begriffe "Mißbrauch" und "Umgehung des Steuergesetzes" sind so gesehen nicht moralische Wertungen eines bestimmten Verhaltens, sondern sie dienen der Einengung der zulässigen steuerbegründenden Analogie. Aus ihrem Sinnzusammenhang ergibt sich, daß ungewöhnliche Wege zur Erzielung eines Erfolgs unter der weiteren Voraussetzung, daß dieser Erfolg den Wertungen eines bestimmten Steuertatbestandes entspricht, so behandelt werden dürfen, als wäre der Steuertatbestand verwirklicht worden (vgl. dazu Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5. Mai 1970 II R 98/69, BFHE 99, 550, 552, BStBl II 1970, 757).
b) Sind die Gesellschafter einer GbR Gesamthandseigentümer nur von Grundbesitz, den sie lediglich verwalten, und übertragen sie ihre Gesellschafterstellung in Ausnutzung der Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts auf andere Personen, so erschöpft sich der wirtschaftliche Erfolg des Gesellschafterwechsels in der Eigentumsübertragung des Grundbesitzes.
Der Vertrag vom 11. Dezember 1969 war als Wechsel aller Gesellschafter der GbR gestaltet. Nach den vom FG getroffenen Feststellungen ist kein anderer Zweck der GbR als derjenige ersichtlich, das Eigentum an dem Mehrfamiliengrundstück zu halten und das Grundstück zu verwalten. Mit dem Eintritt der Klägerin und des Klägers in die GbR und dem zeitlich kurz darauf folgenden Austritt der bisherigen Gesellschafter wurde nur der Eigentumsübergang des Grundstückes erreicht. Derartige Verträge, die auf den Eigentumserwerb an einem Grundstück gerichtet sind, unterliegen nach den Wertungen des Grunderwerbsteuergesetzes gemäß § 1 Abs. 1 Nr, 1 der Steuer.
Gemäß § 6 Abs. 2 StAnpG (jetzt § 42 AO 1977) ist die Steuer so zu erheben, wie sie bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen, Tatsachen und Verhältnissen angemessenen rechtlichen Gestaltung zu erheben wäre. Dementsprechend ist der Vertrag vom 11. Dezember 1969 grunderwerbsteuerrechtlich wie ein Kaufvertrag zu behandeln (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG).
c) Der vorliegende Sachverhalt ist den Fällen, über welche der Senat mit Urteilen vom 7. Juni 1978 II R 112/71 (BFHE 125, 395, BStBl II 1978, 605) und vom 30. Oktober 1979 II R 70/75 (BFHE 129, 88, BStBl II 1980, 28) entschieden hat, nicht vergleichbar. Dort wollten die Gesellschafter - wie in den Gründen der Urteile ausgeführt wird - nicht nur die Grundstücke in die Hand bekommen, sondern das Unternehmen fortführen und zu diesem Zweck auch die bisher eingeführte Firma weiterverwenden.
2. Die Klägerin und der Kläger wenden ein, die Erhebung der Grunderwerbsteuer sei verfassungswidrig. Einen Grund für ihren Einwand geben sie allerdings nicht an. Der BFH hat in seinem Beschluß vom 14. April 1979 II B 48/78 (BFHE 127, 235, BStBl II 1979, 344) bereits ausgeführt, daß durch die zahlreichen Ausnahmen von der Besteuerung der Gesetzgeber den allgemeinen Gleichheitssatz nicht verletze, wenn die daraus folgende unterschiedliche Belastung von Rechtsvorgängen mit Grunderwerbsteuer auf sachgerechten Erwägungen beruhe. Im Bereich des Steuerrechtes habe der Gesetzgeber eine weitgehinde Gestaltungsfreiheit. Sie ende erst dort, wo die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar sei. Sachfremde Gründe für irgendwelche Grunderwerbsteuerbefreiungen, welche das System dieser Steuererhebung insgesamt verfassungswidrig machen könnten, sind auch bei erneuter Überprüfung nicht erkennbar.
Andere Gründe für einen Einwand gegen die Verfassungsmäßigkeit der Grunderwerbsteuer sind nicht ersichtlich.
Fundstellen
Haufe-Index 73499 |
BStBl II 1980, 364 |
BFHE 1980, 188 |
NJW 1980, 2096 |