Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablösung des an gelieferten Materialien bestehenden Eigentumsvorbehalts durch den Konkursverwalter
Leitsatz (NV)
Erklärt der Konkursverwalter gegenüber den Lieferanten von Materialien, die noch zur Abwicklung von Restaufträgen benötigt werden, den bestehenden Eigentumsvorbehalt an diesen Gegenständen durch Zahlung des Restkaufpreises auszuräumen, so werden diese Gegenstände nicht erneut an den Konkursverwalter geliefert; ein erneuter Vorsteuerabzug ist nicht möglich. Nur die Aussonderung als solche, nicht aber die Anerkennung eines Rechts zur Aussonderung, hätte zur Rückübertragung (Rückgabe, Rücklieferung) führen und anschließend zu einer erneuten Lieferung führen können.
Normenkette
UStG § 3 Abs. 1, § 15 Abs. 1; KO § 17 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Konkursverwalter über das Vermögen der S-GmbH (GmbH), die Regale herstellte. Bei Konkurseröffnung waren von mehreren Lieferanten unter Eigentumsvorbehalt gelieferte Materialien vorhanden, die zum Teil noch unverarbeitet in den Betriebsräumen der GmbH lagerten. Der Kaufpreis aus diesen Liefergeschäften war noch nicht bzw. noch nicht vollständig gezahlt. Die in den entsprechenden Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer hatte die GmbH in ihren Steuererklärungen als Vorsteuer abgezogen.
Der Kläger teilte den Lieferanten unter Bezugnahme auf deren Aussonderungsantrag sowie unter Bezeichnung von Art und Menge der sichergestellten Waren und unter Angabe des Nettowarenwerts und der darauf entfallenden Umsatzsteuer schriftlich mit, daß die Materialien aus ihren Lieferungen von ihm zur Aufarbeitung und Restauftragsabwicklung benötigt würden. Am Schluß dieser Schreiben heißt es: "Ihren Eigentumsvorbehalt an diesen Gegenständen räume ich durch Zahlung des Restkaufpreises aus. Zu diesem Zweck erbitte ich Ihre Rechnung an die Konkursverwaltung ... Der Gemeinschuldnerin wollen Sie bitte eine Gutschrift in gleicher Höhe erteilen." Die Lieferanten verfuhren entsprechend.
Im Umsatzsteuerbescheid versagte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) den aus den (neuen) Rechnungen in Höhe von insgesamt 2 285 DM geltend gemachten Vorsteuerabzug mit der Begründung, daß der Kläger sein Wahlrecht nach § 17 der Konkursordnung (KO) ausgeübt und die Altverträge durch Zahlung des Restkaufpreises erfüllt habe. Eine Rücklieferung und anschließende Neulieferung hätten nicht stattgefunden. Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und führte unter Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 21. April 1982 VIII ZR 142/91 (Neue Juristische Wochenschrift -- NJW -- 1982, 2196) im wesentlichen aus:
Entgegen der Auffassung des FA habe der Kläger die Erfüllung der Altverträge abgelehnt. Bei den Altverträgen handele es sich um ein einheitliches Schuldverhältnis (um einen Kaufvertrag). Würde sich der Konkursverwalter für die Erfüllung des Vertrages entscheiden, würde er gegen die Interessen der Gläubiger an einer möglichst weitgehenden Erhaltung der Konkursmasse verstoßen, zumal wenn die Waren ohne weiteres zu den bisherigen Konditionen am Markt bezogen werden könnten. Bei einer solchen Sachlage werde daher im Regelfall der Konkursverwalter zur Schonung der Masse nicht die Erfüllung des Altvertrags verlangen, sondern einen neuen Vertrag über die sichergestellten Waren eingehen. Die sichergestellten Waren seien aufgrund neuer Kaufverträge an die Konkursmasse geliefert worden, so daß die strittigen Vorsteuerbeträge abziehbar seien. In dem Schreiben des Klägers an die Vorbehaltslieferanten liege objektiv kein Erfüllungsverlangen, sondern die Erfüllungsablehnung verbunden mit dem von den Lieferanten angenommenen Angebot auf Abschluß neuer Lieferverträge, die ausschließlich die sichergestellten Waren zum Gegenstand gehabt hätten. Bei allen fraglichen Lieferungen seien die noch nicht erfüllten Kaufpreisforderungen höher gewesen als der Warenwert der sichergestellten Materialien. Durch Angabe der Menge der sichergestellten Materialien und der Mitteilung, daß diese Waren zur Restauftragsabwicklung benötigt würden, habe der Kläger eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß er nicht die Altverträge habe erfüllen, sondern neue Verträge ausschließlich über die sichergestellten Waren habe abschließen wollen. Eine andere Beurteilung sei nicht allein deswegen angezeigt, weil der Kläger in dem Schreiben mißverständlich formuliert habe, den Eigentumsvorbehalt durch Zahlung des Restkaufpreises ausräumen zu wollen. Damit könne nicht die Zahlung des Restkaufpreises aus den Altverträgen gemeint sein, da die offenen Kaufpreisforderungen aus diesen Verträgen jeweils höher gewesen seien als der Warenwert der sichergestellten Waren. Es handele sich lediglich um eine mißglückte Formulierung, die den tatsächlichen Inhalt der abgegebenen Erklärung nicht verändere. Eine Neulieferung der sichergestellten Waren habe auch deshalb erfolgen können, weil der Kläger durch Anerkennung des Aussonderungsrechts die Verfügungsmacht auf die Vorbehaltslieferanten zurückübertragen habe. Ein Scheingeschäft oder ein Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten schieden schon deshalb aus, weil Alt- und Neuverträge nicht deckungsgleich seien.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts und führt aus:
Das FG übersehe, daß es zu keiner Neulieferung habe kommen können, da die Lieferungen unter Eigentumsvorbehalt nicht rückgängig gemacht worden seien. Eine Rückgängigmachung setze die Aussonderung der Ware voraus. Erfolge die Aussonderung nicht, z. B., wenn der ursprüngliche Rechtsgrund für die Lieferung durch einen neuen Rechtsgrund ersetzt werde -- nämlich durch die Aufhebung des Altvertrags mit gleichzeitigem Abschluß des Neuvertrags --, so fehle es sowohl an der Rückgängigmachung als auch an der Neulieferung (Reiß, Umsatzsteuerkongreß-Bericht 1988/89, 43, 67). Eine Aussonderung sei nicht erfolgt; die bloße Anerkennung des Aussonderungsrechts reiche nicht aus.
Im übrigen handele es sich um ein unbeachtliches Scheingeschäft, wenn der vorgebliche Neuvertrag genau darauf hinauslaufe, den Gläubiger so zu stellen wie bei der Wahl der Erfüllung.
Demgegenüber macht der Kläger geltend:
Es treffe zu, daß nach der Vertragsablehnung die entsprechenden Wirtschaftsgüter nicht mehr bewegt worden seien. Hieraus aber eine Vertragserfüllung zu konstruieren, führe im Ergebnis zu wirtschaftlich unvertretbaren Handlungen; der Konkursverwalter wäre gehalten, vom Lieferanten zunächst den Abtransport der Ware zu verlangen, um anschließend einen neuen Auftrag zu erteilen. Würde der Revision stattgegeben, könnte in vergleichbaren Fällen nach Konkurseröffnung eine Produktionsaufnahme an den dann um 14 % zu hohen Materialkosten scheitern; die abzuwickelnden Aufträge könnten bei solch einem Mehrbela stungsanteil aus der versagten Vorsteuer undurchführbar werden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet; sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage. Entgegen der Auffassung des FG sind über die unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Waren keine neuen Verträge abgeschlossen worden, die zum Abzug der in Rechnung gestellten Vorsteuer berechtigt hätten.
1. Gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 kann der Unternehmer die in Rechnungen i. S. des § 14 UStG 1980 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, abziehen. Lieferungen eines Unternehmers sind gemäß § 3 Abs. 1 UStG 1980 Leistungen, durch die er den Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Auch eine Lieferung unter Eigentumsvorbehalt erfüllt den Tatbestand des § 3 Abs. 1 UStG 1980 (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 1. Oktober 1970 V R 49/70, BFHE 100, 272, BStBl II 1971, 34; Giesberts in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Umsatzsteuergesetz (Mehrwertsteuer), Kommentar, 6. Aufl., April 1992, § 3 Anm. 140; Schöll in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, § 3 Bem. 38; Bunjes/Geist, Umsatzsteuergesetz, 4. Aufl. 1993, § 3 Anm. 5). Zu einer nochmaligen Lieferung der Materialien könnte es deshalb nur gekommen sein, wenn die Verfügungsmacht an den Materialien rückübertragen und sie dem Kläger erneut verschafft wurde. Das ist nicht der Fall.
2. Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß bereits die Anerkennung eines Aussonderungsrechts zu einer Rückübertragung führe. Den Lieferanten ist zu keinem Zeitpunkt erneut Verfügungsmacht an den Materialien verschafft worden, so daß sie in der Lage gewesen wären, mit den Gegenständen nach Belieben zu verfahren, insbesondere sie wie ein Eigentümer nutzen zu können. Nur die Aussonderung als solche, nicht aber die Anerkennung eines Rechts zur Aussonderung, hätte zur Rückübertragung (Rückgabe, Rücklieferung) und anschließend zu einer erneuten Lieferung führen können (vgl. Reiß, a.a.O., S. 67; vgl. ferner Urteil des FG München vom 17. Oktober 1984 III 195/80 U, Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1985, 204). Der Kläger selbst räumt ein, daß die Materialien nicht mehr "bewegt" worden seien. Auch den an die Lieferanten gerichteten Schreiben läßt sich nicht entnehmen, daß die Materialien rückübertragen werden sollten. Der Kläger kam dem Antrag der Lieferanten auf Aussonderung nicht nach. Insbesondere die Formulierung "Ihren Eigentumsvorbehalt an diesen Gegenständen räume ich durch Zahlung des Restkaufpreises aus" zeigt, daß die ursprünglichen Lieferungen Bestand haben sollten und daß lediglich der Eigentumsvorbehalt ausgeräumt werden sollte. Die vom Kläger gewählte Formulierung kann nicht in dem Sinne verstanden werden, daß die Waren zunächst aus der Verfügungsmacht des Klägers entfernt und diesem später wieder neu verschafft werden sollten. Entgegen der Auffassung des FG ist mit dem "Restkaufpreis" die Zahlung des Restkaufpreises aus den Altverträgen bezeichnet worden, auch wenn die offenen Kaufpreisforderungen aus diesen Verträgen jeweils höher als der Warenwert der sichergestellten Waren gewesen waren. Das FA weist zu Recht darauf hin, daß der Kläger nur für die sichergestellten Materialien, die er für die Abwicklung restlicher Aufträge benötigte, den Eigentumsvorbehalt aufgeben und nur den auf diese Materialien entfallenden Kaufpreis, den er als Restkaufpreis bezeichnete, zahlen wollte. Mit dieser Erklärung hat der Kläger die (teilweise) Erfüllung der bestehenden Verträge verlangt; neue Verträge wurden nicht abgeschlossen, entsprechend auch keine "Neulieferungen" vorgenommen. Ob das Verlangen des Konkursverwalters auf teilweise Erfüllung mit § 17 KO in Einklang steht (dazu vgl. Kuhn/Uhlenbruck, Konkursordnung, 10. Aufl. 1986, § 17 Rdnr. 18 t), kann offenbleiben; bei der Beurteilung der Verschaffung der Verfügungsmacht sind der tatsächliche Ablauf und die tatsächlich vollzogenen Vereinbarungen maßgebend.
Dem Kläger kann nicht in der Ansicht gefolgt werden, daß diese Rechtsauffassung zu wirtschaftlich unvertretbaren Ergebnissen führe. Verbleibt die Ware in der Verfügungsmacht des Unternehmers, besteht kein Grund, einen erneuten Vorsteuerabzug zuzulassen. Die Auffassung des Senats beruht auf dem in § 3 Abs. 1 UStG 1980 bestimmten Begriff der Lieferung, der die Verschaffung der Verfügungsmacht erfordert. Eine erneute Lieferung desselben Gegenstandes an den selben Unternehmer kommt demnach nur in Betracht, wenn dieser zuvor die Verfügungsmacht verloren hatte. Ist das nicht der Fall, kann erneut in Rechnung gestellte Umsatzsteuer nicht als Vorsteuer abgezogen werden, weil dieser Rechnung keine Lieferung zugrunde liegt.
3. Das vom FG angeführte BGH-Urteil in NJW 1982, 2196 ist nicht einschlägig. Dieses Urteil betrifft die Frage, ob durch Strom-Weiterbezug stillschweigend die Erfüllung des Stromabnahmevertrags gewählt wurde.
Fundstellen
Haufe-Index 419838 |
BFH/NV 1995, 74 |