Leitsatz (amtlich)
1. Ehegatten leben dauernd getrennt im Sinne des § 26 Abs. 1 EStG, wenn die zum Wesen der Ehe gehörende Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft nach dem Gesamtbild der Verhältnisse nicht mehr besteht. Einer auf Dauer herbeigeführten räumlichen Trennung wird bei Abwägung der für und gegen die Annahme eines dauernden Getrenntlebens sprechenden Merkmale regelmäßig eine besondere Bedeutung zukommen. Der Fortbestand des Güterstandes der allgemeinen Gütergemeinschaft ist kein Indiz für das Weiterbestehen einer ehelichen Wirtschaftsgemeinschaft, wenn der Güterstand auf die Verwendung des Einkommens für die Bedürfnisse der Familie ohne Einfluß ist.
2. Der Senat hält an der im Urteil vom 17. Juli 1970 VI 337/64 (BFHE 99, 537, BStBl II 1970, 739) vertretenen Auffassung fest, daß die Einzelveranlagung dauernd getrennt lebender Eheleute mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Normenkette
EStG 1961 und 1965 § 26 Abs. 1; BGB §§ 1353, 1415 ff.; GG Art. 1-3, 6
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) und seine Ehefrau, die im Güterstand der allgemeinen Gütergemeinschaft leben, wohnen seit August 1963 räumlich getrennt. Eine eheliche Lebensgemeinschaft bestand in den Streitjahren 1964 und 1965 nicht. Eine im Jahre 1963 erhobene Scheidungsklage des Klägers wurde im November 1965 rechtskräftig abgewiesen. Der Kläger leistet an seine Ehefrau und seine Kinder Unterhaltszahlungen von 2 000 DM monatlich. Er verwaltet das Gesamtgut der Gütergemeinschaft.
Für 1964 veranlagte der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) den Kläger zunächst antragsgemäß zusammen mit seiner Ehefrau. Durch den gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO berichtigten Bescheid vom 5. Juni 1967 führte das FA eine Einzelveranlagung durch. Für 1965 besteuerte das FA den Kläger ebenfalls nach der Grundtabelle. Die Unterhaltszahlungen des Klägers an seine Ehefrau berücksichtigte es gemäß § 33a EStG jeweils in Höhe von 1 200 DM als außergewöhnliche Belastung. Der Einspruch des Klägers hatte in diesem Punkt keinen Erfolg.
Das FG wies die Klage ab. Zur Begründung führte es aus: In den streitigen Veranlagungszeiträumen habe der Kläger mit seiner Ehefrau eine eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft nicht mehr geführt. Dies gehe insbesondere daraus hervor, daß der Kläger bereits 1963 die eheliche Wohnung verlassen und Scheidungsklage erhoben habe und die Ehegatten auch nicht ihr gesamtes Einkommen zur gemeinschaftlichen Planung und Bestreitung ihrer Lebensbedürfnisse verwendeten. Zwar seien die Einkünfte aus dem zum Gesamtgut gehörenden Vermögen beiden Ehegatten gemeinschaftlich zugeflossen. Die daneben allein vom Kläger aus nichtselbständiger Arbeit erzielten Einkünfte habe dieser jedoch nicht mit seiner Ehefrau und den Kindern im Rahmen einer ehelichen Planungsgemeinschaft geteilt. Er habe lediglich nach § 1361 BGB Unterhalt geleistet, damit jedoch seiner Verpflichtung aus den §§ 1353, 1360 BGB, sein gesamtes Einkommen zur gemeinschaftlichen Planung und Bestreitung aller Lebensbedürfnisse der Familie einzusetzen, nicht genügt. Seine Unterhaltsverpflichtung habe auf gerichtlichem Wege in streitiger Auseinandersetzung festgestellt werden müssen.
Mit der Revision beantragt der Kläger, die Vorentscheidung und die Steuerbescheide in Form der Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Ehegatten für die Jahre 1964 und 1965 zusammen zur Einkommensteuer zu veranlagen. Der Kläger rügt Verletzung des § 26 EStG, der §§ 1353, 1360, 1360 a, 1361, 1361 a, 1415 bis 1518 BGB und der Art. 1, 3, 6, 20 Abs. 1, 100 Abs. 1 und 103 Abs. 1 GG. Lebe nur ein Ehepartner persönlich vom Haushalt der übrigen Familie getrennt, so liege keine völlig getrennte Wirtschaftsführung vor. Nach den §§ 1353, 1360 BGB seien die Ehegatten nur verpflichtet, durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die Familie angemessen zu unterhalten. Zivilrechtlich bestehe - entgegen der Auffassung des FG - keine Verpflichtung, das in der Ehe erwirtschaftete Einkommen je hälftig aufzuteilen. Von getrennter Wirtschaftsführung könne nicht gesprochen werden, wenn - wie im Streitfall - ausschließlich von einem Ehegatten erzieltes Einkommen und erworbenes Vermögen ebenso wie die Einkünfte aus diesem Vermögen zur beiderseitigen Lebenshaltung verwendet würden und im übrigen sich das Gesamtgut der Gütergemeinschaft zugunsten beider Ehegatten erhöhe. Die Auslegung des § 26 EStG durch das FG verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG. Es sei nicht gerechtfertigt, dem Kläger, der ganz allein sowohl für seine Ehefrau wie für die vier gemeinschaftlichen Kinder aufkomme, die Vorteile des Splitting-Verfahrens zu versagen und ihn so zu besteuern, als ob er seine Einkünfte ausschließlich für sich verwende. An die persönliche Trennung von Ehegatten dürften nicht so weittragende steuerrechtliche Folgerungen geknüpft werden. In der Versagung der Zusammenveranlagung liege zugleich ein Verstoß gegen Art. 6 GG. Nach Art. 6 Abs. 1 GG stünden die Ehe und die Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Dieser Schutz beziehe sich auf jede bestehende Ehe, gleichgültig ob es sich um eine gesunde oder eine kranke Ehe handele. Es sei nicht gerechtfertigt, den Kläger, der für den Unterhalt einer ganzen Familie sorge, steuerlich deshalb höher zu belasten, weil er sich persönlicher Kontakte zu seiner Ehefrau enthalte. zu beachten sei, daß Art. 1 Abs. 1 GG die Durchsetzung von Persönlichkeitsansprüchen im Bereich der Ehe versage. Die steuerliche Mehrbelastung einer kranken Ehe müsse als eine Art Strafe angesehen werden, die offenbar bezwecken solle, den scheidungswilligen Ehepartner in die Ehe zurückzuführen. Für die steuerrechtliche Entscheidung komme es maßgebend darauf an, daß beide Ehegatten mit ihren Kindern ihre wirtschaftliche Existenz aus dem Einkommen des Mannes und aus dem von ihm geschaffenen Vermögen bestritten. Die zusätzliche steuerliche Belastung habe zur Folge, daß nicht nur der scheidungswillige Ehegatte sondern auch der andere Ehepartner und die Kinder benachteiligt würden, weil sich im Streitfall die Höhe der Unterhaltsansprüche nach dem Nettoeinkommen des Klägers richtete.
Der Beklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist unbegründet.
1. Das Recht der Ehegatten, zwischen getrennter Veranlagung und Zusammenveranlagung zu wählen, setzt unter anderem voraus, daß die Ehegatten nicht dauernd getrennt leben (§ 26 Abs. 1 EStG). Nach der Rechtsprechung des Senats leben Ehegatten dauernd getrennt im Sinne des § 26 Abs. 1 EStG, wenn die zum Wesen der Ehe gehörende Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft nach dem Gesamtbild der Verhältnisse auf die Dauer nicht mehr besteht (Urteile des BFH vom 5. Oktober 1966 VI 42/65 und VI R 184/66, BFHE 87, 208 und 251, BStBl III 1967, 84 und 110; vom 27. August 1971 VI R 206/68, BFHE 104, 51, BStBl II 1972, 173). Dabei ist unter Lebensgemeinschaft die räumliche, persönliche und geistige Gemeinschaft der Ehegatten, unter Wirtschaftsgemeinschaft die gemeinsame Erledigung der die Ehegatten gemeinsam berührenden wirtschaftlichen Fragen ihres Zusammenlebens zu verstehen. Das FG ist bei seiner Entscheidung von diesen Grundsätzen ausgegangen.
Nach den tatsächlichen, nicht angegriffenen Feststellungen der Vorinstanz hat der Kläger im Jahre 1963 die eheliche Wohnung verlassen, um Scheidungsklage zu erheben. Der Kläger hat auch tatsächlich das Scheidungsverfahren noch im Jahre 1963 eingeleitet. Die räumliche Trennung der Eheleute unter diesen Umständen begründet in besonderem Maße die Vermutung für ein dauerndes Getrenntleben im Sinne des § 26 Abs. 1 EStG. Der Kläger selbst hat nicht behauptet, daß er eine dem Wesen der Ehe entsprechende Haus- und Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau wiederherstellen wollte. Auch sonst sind keine Tatsachen ersichtlich, die den durch die räumliche Trennung begründeten äußeren Anschein widerlegen könnten, daß die Eheleute auf die Dauer getrennt leben im Sinne des § 26 Abs. 1 EStG.
Zutreffend hat das FG das Bestehen einer Wirtschaftsgemeinschaft zwischen den Ehegatten verneint. Nach den tatsächlichen und insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des FG hat der Kläger im Streitfall an seine Ehefrau und die gemeinschaftlichen Kinder neben der Überlassung des zum ehelichen Gesamtgut gehörenden Einfamilienhauses den Unterhalt im wesentlichen durch Zahlung einer festen Unterhaltsrente geleistet. Auf die vom Kläger angegriffene Feststellung des FG, daß die Unterhaltsverpflichtung auf gerichtlichem Wege in streitiger Auseinandersetzung habe festgestellt werden müssen, kommt es nicht an. Allein die Tatsache, daß die Ehefrau des Klägers - was unstreitig ist - die Anhebung der festen Unterhaltsrente auf eine angemessene Höhe durch gerichtliche Entscheidung durchsetzen mußte, läßt nach Auffassung des Senats erkennen, daß es an einer gemeinschaftlichen Erledigung der die Ehegatten gemeinsam berührenden wirtschaftlichen Fragen ihres Zusammenlebens fehlte und deshalb eine Wirtschaftsgemeinschaft zwischen den Ehegatten nicht mehr bestand. Eine Verletzung der §§ 1353, 1360, 1360 a, 1361 BGB durch die Vorentscheidung ist nicht erkennbar, Für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits ist es - entgegen der Auffassung des Klägers - ohne Bedeutung, ob die Ehefrau des Klägers bürgerlich-rechtlich einen Anspruch auf die Hälfte des vom Kläger erzielten Einkommens hat. Hierzu hat auch das FG zutreffend nicht Stellung genommen. Entscheidend ist vielmehr, daß die Ehegatten im Streitfall über die Verwendung des für den Familienbedarf bestimmten und hierfür verfügbaren Einkommens nicht gemeinsam entschieden haben, sondern die Ehefrau des Klägers auf eine ihr nach Billigkeitsgrundsätzen zugemessene Unterhaltsrente (§ 1361 BGB) beschränkt war.
Auch die Rüge einer Verletzung der §§ 1415 bis 1518 BGB greift nicht durch. Der Fortbestand des Güterstandes der allgemeinen Gütergemeinschaft bewirkt im Streitfall nicht den Fortbestand einer ehelichen Wirtschaftsgemeinschaft. Zwar hat das Weiterbestehen der allgemeinen Gütergemeinschaft zur Folge, daß die Ehefrau des Klägers im Streitfall auch während des Getrenntlebens an dem Vermögenszuwachs teilnimmt. Der Senat verkennt auch nicht, daß die durch den Güterstand der Gütergemeinschaft begründeten Verfügungsbeschränkungen des Klägers (z. B. über das Gesamtgut als Ganzes und über Grundstücke) fortbestehen und daß die Ehegatten durch das Weiterbestehen der allgemeinen Gütergemeinschaft auch in einer Haftungsgemeinschaft weiterhin verbunden sind (§ 1459 BGB). Diese die Vermögensverhältnisse der Ehegatten betreffende Fortwirkung der Ehe kann jedoch den Fortbestand einer ehelichen Wirtschaftsgemeinschaft deshalb nicht begründen, weil sie auf die Verwendung des erzielten Einkommens für die Bedürfnisse der Familie insbesondere dann wirtschaftlich ohne Auswirkung sein muß, wenn - wie im Streitfall - die Verwaltung des Gesamtgutes nur einem der Ehegatten zusteht und dieser Ehegatte zugleich der alleinige Verdiener der Familie ist.
2. Die Regelung des § 26 Abs. 1 EStG verstößt nicht gegen die Art. 1, 2, 3, 6 und 20 Abs. 1 GG. Der Senat hat wiederholt - zuletzt im Urteil vom 17. Juli 1970 VI 337/64 (BFHE 99, 537, BStBl II 1970, 739) - entschieden, daß die unterschiedliche einkommensteuerliche Belastung zusammen lebender und dauernd getrennt lebender Ehegatten die Grundrechte aus Art. 2, 3 und 6 GG nicht verletzt. An diesen Grundsätzen hält der Senat fest. Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BFH VI 337/64 durch Beschluß vom 12. Januar 1971 (Az. 1 BvR 703/70) nicht zur Entscheidung angenommen.
Entgegen der Auffassung des Klägers verletzt die Regelung des § 26 Abs. 1 EStG weder das Recht auf Unantastbarkeit der Menschenwürde noch das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Das Recht der Ehegatten, frei darüber zu entscheiden, ob sie zusammen oder getrennt leben wollen, wird durch die Regelung des § 26 Abs. 1 EStG nicht verletzt. Daß der Gesetzgeber an die frei getroffene Entscheidung der Ehegatten bestimmte steuerliche Folgerungen knüpft, bedeutet keinen Eingriff in das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Zu Unrecht sieht der Kläger einen Verstoß gegen die Art. 3 und 6 GG darin, daß der Gesetzgeber den dauernd getrennt lebenden Ehegatten nicht die Möglichkeit einräumt, zwischen getrennter Veranlagung und Zusammenveranlagung wählen zu können. Art. 6 Abs. 1 GG bestimmt, daß Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen. Knüpft der Gesetzgeber bei einer Regelung an das Institut der Ehe an, so ist er nach Art. 6 Abs. 1 GG lediglich gehalten, jede Benachteiligung von Verheirateten gegenüber Unverheirateten zu vermeiden. Der Gesetzgeber ist jedoch durch Art. 6 Abs. 1 GG nicht gehindert, die steuerlichen Vorteile des Splittings nur solchen Personen zu gewähren, die den Voraussetzungen genügen, von denen der Gesetzgeber bei Schaffung des Instituts des Splittings ausgegangen ist. Der Schaffung dieser Vergünstigung liegt die Vorstellung zugrunde, daß nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten das "Familieneinkommen" gemeinschaftlich erwirtschaften und über dessen Verwendung gemeinsam planen und entscheiden. Deshalb werden die nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten durch die Anwendung des Splitting-Tarifs im Ergebnis so besteuert, als ob jeder Ehegatte die Hälfte des Familieneinkommens bezogen hätte. Leben die Ehegatten dauernd getrennt und besteht die eheliche Gemeinschaft nicht mehr fort, so ist der Anlaß dafür, die Ehegatten durch die Anwendung des Splitting-Tarifs im Ergebnis so zu besteuern, als ob jeder Ehegatte die Hälfte des Familieneinkommens bezogen hätte, entfallen. Wie der Senat in der Entscheidung VI 337/64 ausführlich dargelegt hat, handelt es sich bei dem den nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten eingeräumten Wahlrecht des § 26 Abs. 1 EStG um eine jener vielfältigen Maßnahmen, durch die der Gesetzgeber mit der Einräumung von Steuervorteilen - in zulässiger Weise - bestimmte sozialpolitische Ziele verfolgt. Hierin liegt kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Dauerndes Zusammenleben und dauerndes Getrenntleben der Ehegatten sind unterschiedliche Lebenssachverhalte, an die der Gesetzgeber unterschiedliche Rechtsfolgen knüpfen durfte. Dabei verkennt der Senat nicht, daß die steuerliche Leistungsfähigkeit von dauernd getrennt lebenden Ehegatten im Einzelfall geringer sein kann als die von zusammen lebenden Eheleuten. Dies allein reicht bei Abwägung aller anderen einschlägigen Gesichtspunkte aber nicht aus, um die Versagung des Splitting-Tarifs bei dauernd getrennt lebenden Eheleuten als verfassungswidrig anzusehen.
Fundstellen
BStBl II 1973, 640 |
BFHE 1973, 363 |
NJW 1973, 2079 |