Entscheidungsstichwort (Thema)
Ort der Geschäftsleitung
Leitsatz (NV)
Hatte ein Unternehmen seinen Sitz in Berlin, wurden aber auch in Westdeutschland geschäftsleitende Aufgaben wahrgenommen, so lag die Geschäftsleitung nur dann nicht ausschließlich in Berlin, wenn dem Unternehmen in Westdeutschland Wohn- oder Geschäftsräume für Geschäftsleitungsmaßnahmen zur Verfügung standen.
Normenkette
BerlinFG § 21 Abs. 2; AO 1977 § 12
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH, die im Januar 1988 gegründet wurde und deren Gegenstand in den Streitjahren 1988 bis 1992 ein Gewerbe für Montage und Schweißen von Spezialbolzen für Industrieanlagen, Werke und Stahlbauten war. Gesellschafter der Klägerin waren A mit einem Geschäftsanteil von 190 000 DM und B mit einem solchen von 10 000 DM. Beide Gesellschafter hatten ihren Wohnsitz in G (alte Bundesländer). Dort betrieb B als Einzelunternehmer die Herstellung von ... A wurde Geschäftsführer der Klägerin. Seit dem 19. Juni 1989 wurde auch C zum Geschäftsführer bestellt. Als Sitz und Ort der Geschäftsleitung der Klägerin ist in den Körperschaftsteuererklärungen Berlin, ... Straße 15, angegeben. A hatte seinen Wohnsitz in Berlin, ... straße 10, bei D. C wohnte ebenfalls in Berlin.
Anläßlich einer Außenprüfung stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) fest, daß sich bei einem Anruf unter der Geschäftsleitungsadresse der Klägerin am 3. März 1992 um ca. 11.00 Uhr ein Herr E meldete, der die Prüferin wegen weiterer Rückfragen an den westdeutschen Firmensitz in G verwies. E sei kein Arbeitnehmer der Klägerin, sondern nehme nur Telefonate für die in der ... Straße 15 ansässigen Unternehmen entgegen. Auch ein weiterer Versuch der Prüferin, A oder C am 13. März 1992 um 10.30 Uhr telefonisch zu erreichen, blieb erfolglos. Es habe sich eine Dame mit dem Firmennamen der Klägerin gemeldet und mitgeteilt, daß sich A auf Montage befinde. Auch die seit 1992 Teilzeitbeschäftigte sei nicht anwesend gewesen. Herr S vom Steuerberaterbüro habe angegeben, Berlin sei zwar der "Hauptsitz" des Unternehmens. Organisatorisch sei jedoch bisher das "Auslieferungslager" in G Mittelpunkt der Geschäftstätigkeit, weil die Werke von G aus besser zu erreichen seien. Frau F, die bis Ende 1989 für die Klägerin tätige Lohnbuchhalterin, habe bekundet, daß nach dem Erstellen der Lohnkonten alle Unterlagen nach G gesandt worden seien. Die für die Klägerin tätigen Arbeitnehmer würden dort eingestellt. Sie hätten ihre Wohnsitze ausnahmslos in Westdeutschland. Die Lohnzettel des Unternehmens wiesen als Firmenanschrift G aus. Dies sei die Adresse des Einzelunternehmens von B. Arbeitseinsätze in Berlin würden bei der Abrechnung von Auslösungen von der Klägerin als Dienstreisen gewertet.
Nach den weiteren Feststellungen des FA war das Büro der Klägerin in der 8. Etage eines Büro-Centers gelegen. Das Büro-Center werde von zwei Personen betreut, die in einer Art Empfangshalle arbeiteten und keine Arbeitnehmer der Klägerin seien. Hinter der Empfangshalle beginne ein Flur mit diversen Zimmern, an deren Türen keinerlei Hinweise auf Firmen oder andere dort ansässige Personen angebracht seien. Das Zimmer der Klägerin sei nur dadurch erkennbar, daß ein ausgeschnittener Briefkopf an der Tür aufgeklebt gewesen sei. Der Raum umfasse 15 qm und sei mit einem Schreibtisch, einem Schreibtischstuhl, einem Computer mit Drucker, zwei Stahlaktenschränken, einem Sideboard und einem Kühlschrank ausgestattet. In dem Raum hätten sich zwei weitere Sitzgelegenheiten befunden.
Nach der Auskunft von A sei der Raum der Sitz der Geschäftsleitung der Klägerin. Dort seien A und C sowie G regelmäßig tätig. In den Stahlschränken befinde sich ein Teil der angeforderten Prüfungsunterlagen. A habe seinen ausschließlichen Wohnsitz in Berlin. Er wohne bei D zur Untermiete. D habe eine 55 qm große Wohnung. Auch C wohne ausschließlich in Berlin. Er hatte jedoch bei dem zuständigen Berliner FA noch keine Steuererklärung abgegeben. Weder A noch C wurden in dem Berliner Telefonbuch geführt. A und C hielten sich häufig in G auf, da die von ihnen betreuten Werke von dort besser zu erreichen seien. Die Lohnermittlung, das Erstellen von Lohnzetteln und die Krankmeldungen beim Bauleiter vollzogen sich jeweils auf Baustellen, die zu 90 v. H. außerhalb von Berlin lagen. Die Daten wurden von G aus nach Berlin übertragen. Alle Firmenwagen wurden regelmäßig in G technisch betreut und gepflegt. Bei Beginn der Außenprüfung befanden sich noch einige Unterlagen der Klägerin in G.
Auf Grund dieser Feststellungen gewann das FA die Überzeugung, daß die Klägerin nicht den ausschließlichen Ort der Geschäftsleitung in Berlin hatte. Es erließ deshalb am 11. März 1993 gemäß §164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderte Körperschaftsteuerbescheide 1988 bis 1992 und einen Feststellungsbescheid gemäß §47 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) zum 31. Dezember 1991.
Der Einspruch und die Klage der Klägerin blieben erfolglos.
Mit ihrer vom Finanzgericht (FG) zugelassenen Revision rügt die Klägerin die fehlerhafte Anwendung des §21 Abs. 2 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG).
Sie beantragt, unter Aufhebung des Urteils vom 22. Mai 1995, die geänderten Körperschaftsteuerbescheide 1988 und 1989 vom 11. März 1993 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. März 1994, den geänderten Körperschaftsteuerbescheid 1990 vom 30. Januar 1995 und den geänderten Körperschaftsteuerbescheid 1991 vom 8. Dezember 1994 dahingehend zu ändern, daß die Körperschaftsteuer 1988 bis 1991 unter Berücksichtigung der Berlinermäßigung gemäß §21 Abs. 2 BerlinFG neu festgesetzt werde.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
1. Nach §21 Abs. 2 Satz 1 BerlinFG ermäßigt sich bei Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die ihre Geschäftsleitung und ihren Sitz ausschließlich in Berlin (West) haben, vorbehaltlich des Satzes 2 die tarifliche Körperschaftsteuer i. S. des §23 Abs. 1 bis 4, §26 Abs. 6 KStG für die Streitjahre 1988 bis 1992 um die im Gesetz genannten Vomhundertsätze, soweit sie auf Einkünfte aus Berlin i. S. des §23 BerlinFG entfällt. Nach §21 Abs. 2 Satz 2 BerlinFG ermäßigt sich die tarifliche Körperschaftsteuer um die im Gesetz genannten Vomhundertsätze, soweit sie Einnahmen i. S. des §20 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) aus Anteilen an Körperschaften oder Personenvereinigungen enthält, die unbeschränkt steuerpflichtig sind. Nach §10 AO 1977 ist der Ausdruck "Geschäftsleitung" als der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung zu verstehen. Die Definition gilt auch für die Auslegung des §21 Abs. 2 Satz 1 BerlinFG (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 8. September 1993 I B 37/93, BFH/NV 1994, 363). Nach §12 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 ist die Stätte der Geschäftsleitung zugleich eine Betriebsstätte der Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse. So gesehen setzt die Existenz einer Geschäftsleitung ausschließlich in Berlin (West) voraus, daß die Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse während des jeweiligen Veranlagungszeitraums einerseits in Berlin (West) einen Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung hat und andererseits außerhalb von Berlin (West) keinen (weiteren) Mittelpunkt (Betriebsstätte) unterhält, von der aus auch Geschäftsleitungsmaßnahmen durchgeführt werden. Zu beiden Voraussetzungen hat das FG keine ausreichenden Feststellungen getroffen.
2. In seinem Urteil vom 7. Dezember 1994 I K 1/93 (BFHE 176, 253, BStBl II 1995, 175) hat der Senat entschieden, daß unter der "geschäftlichen Oberleitung" einer Kapitalgesellschaft i. S. des §10 AO 1977 ihre Geschäftsführung im engeren Sinne zu verstehen ist. Das ist die sog. laufende Geschäftsführung. Zu ihr gehörten die tatsächlichen und rechtsgeschäftlichen Handlungen, die der gewöhnliche Betrieb der Gesellschaft mit sich bringt, und solche organisatorischen Maßnahmen, die zur gewöhnlichen Verwaltung der Gesellschaft gehören ("Tagesgeschäfte"). Jedes Unternehmen hat mindestens einen Ort der geschäftlichen Oberleitung. Letztlich bestimmt sich nach den im Einzelfall von der Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten, welche von ihnen der Geschäftsleitung zuzuordnen sind und auf welche bei der Bestimmung des Ortes bzw. der Orte der Geschäftsleitung abzustellen ist. Dies schließt nicht aus, daß einzelne Geschäftsleitungstätigkeiten verschiedenen Mittelpunkten (Betriebsstätten) zuzuordnen sind. Allerdings fordert §21 Abs. 2 Satz 1 BerlinFG, daß sämtliche Geschäftsleitungstätigkeiten "ausschließlich" dem in Berlin (West) bestehenden Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung zuzurechnen sind. Besteht deshalb außerhalb von Berlin (West) ein weiterer Mittelpunkt (Betriebsstätte), dem Tätigkeiten zuzurechnen sind, die den Geschäftsleitungsbereich betreffen, so schließt dies die Gewährung der Steuerermäßigung nach §21 Abs. 2 Satz 1 BerlinFG aus. Vor diesem Hintergrund ist es nicht rechtsfehlerhaft, wenn das FG die Beobachtung von Konkurrenzunternehmen, die Verhandlungen über Vertragsangebote und die Pflege der Geschäftsbeziehungen zu Auftraggebern und Informanten im Streitfall als Tätigkeiten, die für das gedeihliche Fortbestehen der Klägerin von besonderer Bedeutung sind, dem Bereich der geschäftlichen Oberleitung zugeordnet hat. Das FG hat jedoch keine Feststellungen darüber getroffen, daß die genannten Geschäftsleitungstätigkeiten einem außerhalb von Berlin (West) gelegenen Mittelpunkt (Betriebsstätte) der Klägerin zuzurechnen sind.
3. Nach §10 AO 1977 setzt die Annahme einer Geschäftsleitung einen Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung voraus. Nach §12 Satz 2 Nr. 1 AO 1977 bildet die Stätte der Geschäftsleitung eine Betriebsstätte. Daraus folgt, daß das Innehaben der Geschäftsleitung ausschließlich in Berlin (West) nicht nur tätigkeits-, sondern auch ortsbezogen verstanden werden muß. Befindet sich ein Geschäftsführer auf einer mehrtägigen Dienstreise und trifft er während derselben wichtige Geschäftsleitungsentscheidungen, so bildet der jeweilige Ort der Entscheidung noch keinen Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung des vertretenen Unternehmens. Es fehlt an einer ortsbezogenen Einrichtung außerhalb der Geschäftsleitungsbetriebsstätte, der die Tätigkeit zuzuordnen ist. Eine solche befindet sich nicht zwangsläufig am jeweiligen Aufenthaltsort des Geschäftsleiters. Die Voraussetzungen des §21 Abs. 2 Satz 1 BerlinFG sind deshalb nur dann nicht erfüllt, wenn sich entweder die Geschäftsleitungsbetriebsstätte der Klägerin außerhalb von Berlin (West) befand oder wenn außerhalb der (insoweit unterstellten) Geschäftsleitungsbetriebsstätte der Klägerin in Berlin (West) eine weitere Einrichtung existierte, der Geschäftsleitungstätigkeiten der Klägerin zuzuordnen sind. Letzteres setzt eine Einrichtung voraus, an der sich der Geschäftsführer mit einer gewissen Regelmäßigkeit aufhält und der Maßnahmen der Geschäftsführung zuzuordnen sind, weil sie entweder dort getroffen werden oder weil der Geschäftsführer mit einer gewissen Regelmäßigkeit von dort aus agiert. Die vom FG getroffene Feststellung, daß vor allem A Verhandlungen mit ständig wechselnden Auftraggebern in Westdeutschland geführt habe, reicht nicht aus, um dort eine weitere Einrichtung der Klägerin anzunehmen. Die Geschäftseinrichtungen von Auftraggebern bilden in der Regel keine Einrichtung (Betriebsstätte) der Auftragnehmer. Entscheidend ist deshalb letztlich, ob einem Geschäftsführer der Klägerin in Westdeutschland Wohn- oder Geschäftsräume zur Verfügung standen, die er mit einer gewissen Regelmäßigkeit nutzte und denen die in Westdeutschland ausgeübte Geschäftsleitungstätigkeit zuzuordnen ist.
4. Da die Vorentscheidung diesbezügliche tatsächliche Feststellungen nicht enthält, ist sie aufzuheben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif, sondern muß an das FG zurückverwiesen werden. Dieses wird im zweiten Rechtszug feststellen müssen, ob und inwieweit den Geschäftsführern der Klägerin in Westdeutschland Wohn- oder Geschäftsräume zur Verfügung standen, in denen entweder unmittelbare Geschäftsleitungsmaßnahmen getroffen wurden oder denen solche zuzuordnen sind. Sollte das FG feststellen, daß den Geschäftsführern Räume in Westdeutschland zur Verfügung standen, die die Eignung hatten, eine Einrichtung der Klägerin zu sein, dann kann das FG jedenfalls dann, wenn die geschäftliche Oberleitung der Klägerin die Geschäftsführer regelmäßig ganztägig in Anspruch nahm, aus deren überwiegendem Aufenthalt in Westdeutschland auf eine auch dort gelegene Geschäftsleitungsbetriebsstätte der Klägerin rückschließen.
Fundstellen
BFH/NV 1998, 434 |
DStRE 1998, 233 |
HFR 1998, 390 |