Entscheidungsstichwort (Thema)
Erprobung eines Wirtschaftsguts zulageunschädlich
Leitsatz (NV)
Ein Wirtschaftsgut ist neu, solange es noch ungebraucht ist. Diese Eigenschaft verliert es nicht dadurch, daß der Erwerber seine technische Funktionsfähigkeit vor dem endgültigen Kaufentschluß kurze Zeit erprobt. Voraussetzung ist jedoch, daß von Beginn an die grundsätzliche Bereitschaft zum Kauf vorhanden war.
Normenkette
InvZulG 1982 § 4b Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Wirtschafts- und Steuerberatungsgesellschaft in der Rechtsform einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GdbR). Im Streitjahr 1982 schaffte die Klägerin u. a. zwei Schreibautomaten mit den Typenbezeichnungen 8800 und 6700 an.
Über die beiden Schreibautomaten wurden nach längeren Vorverhandlungen zwei gleichlautende ,,Mietverträge" abgeschlossen, nach denen die Klägerin die Geräte für jeweils 48 Monate anmietete. Dabei galten die ersten sechs Monate ab Installationsdatum als Probemietzeit. Innerhalb dieser Zeit hatte die Klägerin das Recht, die Geräte unter Anrechnung der bis zu diesem Zeitpunkt geleisteten Mietraten auf den Kaufpreis zu erwerben. Außerdem konnte sie innerhalb der ersten sechs Monate vom Vertrag generell zurücktreten.
Das erste Gerät (Typ 8800) wurde am 8. April 1982 in den Kanzleiräumen installiert. In der Folgezeit wurde das Personal in die Handhabung eingewiesen. Am 10. Juni 1982 erklärte die Klägerin gegenüber der Vertriebsfirma, daß sie die Anlage kaufen werde. Gleichzeitig trat sie wegen der Finanzierung mit ihrer Hausbank in Verhandlungen ein. Am 23. September 1982 wurde eine Rechnung über die käufliche Übernahme erteilt, wobei, wie vereinbart, vom Kaufpreis die gezahlten Mietraten abgezogen wurden.
Der ,,Mietvertrag" über das zweite Gerät (Typ 6700) wurde am 8./15. Juli 1982 geschlossen. Da ein solches Gerät nicht vorrätig war, wurde zunächst ein Gerät mit der Typenbezeichnung 8900 aufgestellt, das dann am 21. Oktober 1982 durch das gewünschte System 6700 ersetzt wurde. Bereits am 20. September 1982 hatte die Klägerin die käufliche Übernahme des Automaten erklärt. Die Rechnung über den Kauf unter Anrechnung der geleisteten Mietzahlungen wurde hier am 30. Dezember 1982 erteilt.
Am 25. Mai 1983 beantragte die Klägerin für die beiden Schreibautomaten eine Beschäftigungszulage nach § 4b des Investitionszulagengesetzes 1982 (InvZulG 1982). Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte den Antrag mit der Begründung ab, die beiden Schreibsysteme seien wegen der vorangegangenen Nutzung aufgrund der Mietverträge zum Zeitpunkt des Kaufs nicht mehr neu gewesen.
Auf die Sprungklage gab das Finanzgericht (FG) dem Antrag mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1985, 38 veröffentlichten Urteil statt.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es ist weiterhin der Ansicht, daß die Geräte durch die vor dem Kauf liegende Mietphase ihre Eigenschaft als neues Wirtschaftsgut verloren hätten. Unschädlich sei in solchen Fällen allenfalls eine kurze technische Erprobung vor dem Kauf; nicht zulässig sei eine Bedenkzeit unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Im übrigen sei eine Erprobungszeit von zwei Monaten zu lang.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet, allerdings mit der Maßgabe, daß Klägerin und Revisionsbeklagte die GdbR selbst ist.
Gemäß § 4b Abs. 1 Satz 2 InvZulG 1982 ist die Investitionszulage der Gesellschaft selbst zu gewähren und entsprechend ist diese auch Prozeßbeteiligte. Das Rubrum des finanzgerichtlichen Urteils ist insoweit richtigzustellen. In der Sache selbst hat das FG jedoch zu Recht eine Investitionszulage für die Anschaffung der beiden Textverarbeitungssysteme festgesetzt.
1. Nach § 4b Abs. 2 InvZulG 1982 sind begünstigte Investitionen, für die eine zehnprozentige Investitionszulage gewährt wird, u. a. die Anschaffung von neuen abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, die nachweislich nach dem 31. Dezember 1981 und vor dem 1. Januar 1983 bestellt wurden.
a) Ein Wirtschaftsgut ist, wie der erkennende Senat bereits mehrfach entschieden hat, neu, wenn es noch ungebraucht ist, d. h., wenn es noch nicht in Gebrauch genommen oder sonst verwendet wurde (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. Januar 1986 III R 116/83, BFHE 146, 322, BStBl II 1986, 467 unter 2. m. w. N.). Diese Eigenschaft verliert es nicht schon allein dadurch, daß es zur Herstellung seiner Funktions- oder Verkaufsbereitschaft in Betrieb gesetzt, oder - wie hier - vom Investor, bevor er seine endgültige Kaufentscheidung trifft, zum Zwecke der Erprobung auf seine technische Brauchbarkeit hin genutzt wurde (ständige Rechtsprechung, z. B. BFH-Urteil vom 13. März 1979 III R 71/78, BFHE 127, 117, BStBl II 1979, 287). Ein Investor soll nicht gezwungen werden, ein Wirtschaftsgut zu erwerben, dessen Eignung er für den Betrieb nicht erprobt hat, wobei die Erprobungsdauer allerdings ein den Umständen des einzelnen Falles angemessenes zeitliches Maß nicht überschreiten darf.
Dem FA ist allerdings zuzustimmen, daß eine Erprobung im Hinblick auf den wirtschaftlichen Nutzen einer Investition die Eigenschaft eines Wirtschaftsguts als neu beeinträchtigt. Die Ungewißheit, ob sich eine Investition rentiert, fällt in den Bereich des typischen Unternehmerrisikos, das jede Investitionsentscheidung in sich birgt. Sinn und Zweck des InvZulG, ergänzende Anreize für die Investitionstätigkeit der Privatwirtschaft zur Schaffung von neuen und zur Sicherung von vorhandenen Arbeitsplätzen zu geben (BTDrucks 9/1488, S. 10, 16 f.), verlangen es nicht, dieses Risiko dem Investor teilweise abzunehmen (BFH-Urteile vom 2. Dezember 1977 III R 144/74 unter 1. b, nicht veröffentlicht - NV -, und vom 24. Mai 1968 VI R 176/66, BFHE 92, 399, BStBl II 1968, 571, jeweils zu der gleichgelagerten Problematik des § 19 des Berlinförderungsgesetzes - BerlinFG -).
b) Die Erprobung eines Wirtschaftsgutes auf seine technische Funktionsfähigkeit vor dem Kauf ist jedoch nur dann zulageunschädlich, wenn die grundsätzliche Bereitschaft des Investors zur Anschaffung von Anbeginn an vorhanden war (BFHE 146, 322, BStBl II 1986, 467, und BFH-Urteil vom 2. Dezember 1977 III R 144/74 unter 1. a, NV). Ohne Bedeutung ist dabei, welcher bürgerlich-rechtlichen Vertragsgestaltung sich die Vertragsparteien bedienen, um ihre Beziehungen während der technischen Erprobungsphase zu regeln. Sowohl ein Kauf auf Probe oder Besicht als auch ein für die Probezeit abgeschlossener Mietvertrag liegen, ihrem wirtschaftlichen Gehalt nach, so nahe beisammen, daß die Gewährung der Investitionszulage nicht allein von der gewählten Form abhängen kann. Entscheidend ist vielmehr immer, daß die Kaufabsicht im Vordergrund stand. Nur dann, wenn die Kaufentscheidung zu Beginn des Vertragsverhältnisses und nicht erst während der Mietzeit gefaßt wird, ist von einer zulageunschädlichen Erprobungszeit auszugehen.
Ob bereits zu Beginn der Vertragsbeziehungen eine Kaufabsicht vorlag, ist im Einzelfall zu entscheiden. Für einen Kaufvertrag spricht dabei, wenn der Kaufpreis zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages bestimmt ist und wenn die Mietzahlungen auf diesen Preis in voller Höhe angerechnet werden sollen (vgl. BFH-Urteil vom 2. August 1966 I R 119/66, BFHE 87, 191, BStBl II 1967, 63). Der Mietvertrag steht hingegen im Vordergrund, wenn der Vertrag über einen festen Zeitraum und ohne vorzeitige Rückgabemöglichkeit der Mietsache zwischen den Parteien abgeschlossen wurde, der Mieter also auch dann an den Vertrag gebunden ist, wenn er schon nach kurzer Zeit feststellt, daß der Gegenstand die gestellten Erwartungen nicht erfüllt (BFHE 146, 322, BStBl II 1986, 467 unter 3.).
2. a) Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vom FG festgestellten, mit Revisionsrügen nicht angegriffenen Sachverhalt ergibt sich, daß die Klägerin bereits bei Abschluß des ,,Mietvertrages" für das erste Gerät (Typ 8800) eine Kaufabsicht hatte. So heißt es in einer vom FG in Bezug genommenen Aktennotiz zum ersten Mietvertragsentwurf, die der Lieferfirma auch zur Kenntnis gebracht wurde, u. a. ,,da die Vorschaltung eines Mietvertrages lediglich der Erprobung eines Produktes dient, das wir bei Bewährung in jedem Fall kaufen wollen, . . .". An anderer Stelle ist ausgeführt ,,eine Verlängerung des Mietvertrages über sechs Monate hinaus kommt voraussichtlich nicht in Frage. Die Vorabmiete soll, wie bereits ausgeführt, lediglich einen Kauf auf Probe ersetzen". Mit diesen erklärten Absichten der Klägerin stimmen die Regelungen des Mietvertrages überein, wonach sie das Recht hat, innerhalb von sechs Monaten sich für den Kauf des Schreibautomaten 8800 zu entscheiden oder diesen endgültig zurückzugeben. Für die bestehende Kaufabsicht spricht dabei auch die vereinbarte volle Anrechnung der bis zum endgültigen Kaufentschluß bereits gezahlten Mietraten.
Gegen die Annahme der Kaufabsicht bereits zu Beginn des Vertragsverhältnisses spricht auch nicht, daß die Klägerin erst im Juni 1982 Verhandlungen mit der Hausbank wegen Finanzierung des Kaufpreises aufgenommen hat; denn die Finanzierung spielte naturgemäß erst eine Rolle, nachdem sich die Klägerin endgültig zum Kauf entschlossen hatte.
Der zwischen der Aufstellung des Geräts am 8. April 1982 und dem endgültigen Kaufentschluß am 10. Juni 1982 liegende zweimonatige Zeitraum ist für eine technische Erprobung auch nicht zu lang. Es ist gerichtsbekannt, daß der Einsatz von Schreibautomaten in der Anfangsphase zu Schwierigkeiten führt. Diese können erst während eines längeren Zeitraums behoben werden. Unzutreffend ist auch die Auffassung des FA, die Klägerin habe die Automaten nicht technisch, sondern wirtschaftlich erprobt. Der Klägerin ging es darum, die Gewähr dafür zu haben, daß ihr Personal nach einer Einarbeitungszeit mit den Automaten zurechtkommt. Es handelt sich dabei um ein Anliegen, das berechtigt ist und das durchaus Gegenstand einer vereinbarten Probezeit sein kann.
b) Auch das zweite Gerät (Typ 6700) war bei seiner Anschaffung noch neu i. S. von § 4b InvZulG 1982. Dabei kann dahinstehen, ob, wofür vieles spricht, bereits bei Abschluß des ,,Mietvertrages" im Juli 1982 eine Kaufabsicht bestand. Jedenfalls wurde aber nach den nicht angegriffenen Feststellungen des FG spätestens am 20. September 1982 der endgültige Kaufvertrag abgeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt war das Gerät noch gar nicht geliefert, sondern es wurde erst im Oktober 1982 in den Kanzleiräumen aufgestellt. Daß zwischenzeitlich ein anderes Gerät benutzt wurde, ändert nichts daran, daß das später angeschaffte Schreibsystem neu im Sinne von ungebraucht war. Auch die Tatsache, daß die Bezahlung erst im Dezember 1982 erfolgte, spricht nicht dagegen, daß die feste Kaufabsicht bereits im September 1982, also vor der Lieferung, feststand.
3. Beide Geräte waren somit bei ihrer Anschaffung neu. Da die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung einer Zulage nach § 4b InvZulG 1982 vorliegen, ist das finanzgerichtliche Urteil im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Revision war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Fundstellen
Haufe-Index 416284 |
BFH/NV 1990, 127 |