Leitsatz (amtlich)
Die Feststellung und Bekanntgabe der in § 161 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, c oder e AO bezeichneten Voraussetzungen für die Buchführungspflicht in einem Steuer- oder Feststellungsbescheid stellte für den Beginn der Buchführungspflicht der Land- und Forstwirte ein unabdingbares gesetzliches Tatbestandsmerkmal dar, das auch nicht unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben fingiert werden konnte.
Normenkette
AO § 161 Abs. 1; BuchfVO § 1 Abs. 1, 4; GDL §§ 1, 12, 16
Tatbestand
Für die Veranlagungszeiträume 1965 und 1966 ist streitig, ob der Kläger für die Wirtschaftsjahre 1965/66 und 1966/67 buchführungspflichtig war, und, da er keine Bücher geführt hat, seine Gewinne für diese Wirtschaftsjahre zu schätzen waren.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betreibt seit 1952 eine Landwirtschaft. Die landwirtschaftlich genutzte Fläche betrug im Wirtschaftsjahr 1962/63 rd. 20 ha und im Wirtschaftsjahr 1965/66 rd. 27 ha. Der Kläger hielt in den Streitjahren auch drei Turnierpferde. Außerdem fuhr er gegen Entgelt für drei Nachbargemeinden die Milch zur Molkerei. Nachdem sich nach der VOL für die Veranlagungszeiträume 1957 bis 1961 keine Einkommensteuer ergeben hatte, löschte der Beklagte und Revisionskläger (FA) die Steuerakten des Klägers ab 1. Januar 1962. Zur Abgabe von Steuererklärungen hat das FA den Kläger erst wieder aufgefordert, nachdem die Besteuerung der Landwirte durch das GDL vom 15. September 1965 (BGBl I, 1350, BStBl I, 1965, 552) eine neue Rechtsgrundlage erhalten hatte. Im Februar 1966 reichte der Kläger die Einkommensteuererklärungen für 1964 und 1965 ein. Das FA ordnete darauf ohne Erlaß von Steuerbescheiden für die Veranlagungszeiträume 1963 bis 1965 eine Betriebsprüfung an. Die Betriebsprüfung wurde im März 1968 durchgeführt. Da der Betriebsprüfer feststellte, daß die Umsätze des Klägers ab dem Kalenderjahr 1962 über 40 000 DM gelegen hätten, hielt er gemäß § 1 Nr. 3 VOL eine Gewinnermittlung nach der VOL nicht mehr für zulässig. Dementsprechend schätzte er die Gewinne der Wirtschaftsjahre 1963/64 bis 1966/67 durch Vermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG, während er für das Wirtschaftsjahr 1962/63 den Gewinn noch nach der VOL ermittelte. Bis zum Wirtschaftsjahr 1964/65 berücksichtigte er die Steuerbegünstigung des § 77 EStDV. Zur Buchführungspflicht vertrat der Prüfer die Auffassung, daß der Betrieb, da die Einkünfte im Kalenderjahr mehr als 12 000 DM betragen hätten, ab dem Wirtschaftsjahr 1965/66 zur Buchführung verpflichtet gewesen wäre, wenn der Kläger die veränderten Sachverhalte dem FA durch Abgabe einer Steuererklärung rechtzeitig mitgeteilt hätte. Die Steuerbegünstigung des § 77 EStDV könne deshalb vom Wirtschaftsjahr 1965/66 ab nicht mehr gewährt werden. Der Prüfer schätzte die Gewinne des Klägers für 1963 auf 14 469 DM, für 1964 auf 23 178 DM, für 1965 auf 15 882 DM und für 1966 auf 19 945 DM.
Das FA erließ entsprechend den Vorschlägen des Prüfers erstmalige Bescheide für die vier Streitjahre.
Die Einsprüche des Klägers blieben erfolglos. Dagegen hatte die Klage, mit der der Kläger die Herabsetzung der Einkommensteuer für die vier Streitjahre auf null DM begehrte, zum Teil Erfolg.
Das FG bejahte das Recht des FA, eine Betriebsprüfung beim Kläger durchzuführen, und zwar unter Hinweis auf das Urteil des erkennenden Senats vom 31. Mai 1972 IV R 70/67 (BFHE 106, 259, BStBl II 1972, 778). Auch die Gewinnschätzungen nach dem Vermögensvergleich hielt das FG für die Wirtschaftsjahre 1963/64 und 1964/65 gemäß § 1 Nr. 3 VOL wegen Überschreitens der Umsatzhöchstgrenze von 40 000 DM ab dem Kalenderjahr 1962 für gerechtfertigt. Das FG verneinte jedoch für die Wirtschaftsjahre 1965/66 und 1966/67, daß die Voraussetzungen des § 161 Abs. 1 Nr. 1 AO und des § 1 Abs. 1 und 4 der Verordnung über landwirtschaftliche Buchführung vom 5. Juli 1935 - LandwBuchfVO - (RGBl I, 908) für den Beginn der Buchführungspflicht erfüllt gewesen seine. Es besteuerte daher den Kläger für diese Wirtschaftsjahre nach dem GDL.
Das FG hat gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Revision zugelassen.
Das FA beantragt mit seiner Revision, hinsichtlich der Jahre 1965 und 1966 die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen. Es trägt u. a. vor, die Rechtsauffassung der Vorinstanz betreffend die Buchführungspflicht lehne sich zu sehr an den Wortlaut der §§ 16 GDL, 161 Abs. 1 Nr. 1 AO und § 1 LandwBuchfVO an. Sie werde aber der Tatsache der Buchführungspflicht des Klägers, die sich aus seiner Erklärungspflicht nach § 56 EStDV i. V. m. § 167 AO ergebe, nicht gerecht. Die Buchführungspflicht des Klägers habe sich für die Jahre 1963 und 1964 schon aufgrund des § 1 Nr. 3 VOL ergeben, da sein Jahresumsatz über 40 000 DM betragen habe. Darüber hinaus hätten sich die Gewinne aufgrund der Schätzungen in den jeweiligen Veranlagungszeiträumen 1963 bis 1966 auf über 12 000 DM belaufen. Gemessen an diesen Merkmalen habe daher die Buchführungspflicht aus § 1 Abs. 3 VOL bezüglich der Vorjahre mit dem Inkrafttreten des GDL am 1. Juli 1965 nicht geendet. Bei anderer Rechtsauffassung würde die Verletzung der Aufzeichnungspflicht gemäß §§ 161 Abs. 1 Nr. 1 AO und 15 UStDB a. F. noch begünstigt werden und würde eine Gleichbehandlung mit den Fällen, in denen der Aufzeichnungs- und Buchführungspflicht nachgekommen werde, unmöglich machen.
Die Revision des FA ist unbegründet.
Entscheidungsgründe
Die Meinung des FA, die Buchführungspflicht des Klägers habe sich für die Jahre 1963 und 1964 wegen Überschreitens der 40 000-DM-Grenze schon aus § 1 Nr. 3 VOL ergeben und sie habe, da die Gewinne über 12 000 DM gelegen hätten, mit dem Inkrafttreten des GDL weiterbestanden, beruht auf einem Rechtsirrtum. Der Kläger war in den Wirtschaftsjahren 1963/64 bis einschließlich 1966/67 nicht buchführungspflichtig.
Buchführungspflichtig wurde ein Landwirt, dessen Gewinn wegen Überschreitung der Umsatzhöchstgrenze von 40 000 DM nach § 1 Nr. 3 VOL nicht mehr nach der VOL ermittelt werden konnte, auch unter der Geltung der VOL erst dann, wenn er zumindest eine der gemäß § 161 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, c oder e AO i. V. m. § 1 Abs. 1 und 4 LandwBuchfVO erforderlichen Voraussetzungen für den Beginn der Buchführungspflicht erfüllt hat.
Gemäß § 161 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, c oder e AO a. F. waren für Zwecke der Besteuerung nach dem Einkommen, dem Ertrag und dem Vermögen Land- und Forstwirte, die nach den bei der letzten Veranlagung getroffenen Feststellungen einen Gesamtumsatz von mehr als 200 000 DM oder ein land- und forstwirtschaftliches Vermögen von mehr als 100 000 DM oder Reineinkünfte aus Land- und Forstwirtschaft von mehr als 9 000 DM gehabt haben, verpflichtet, Bücher zu führen und aufgrund jährlicher Bestandsaufnahmen regelmäßig Abschlüsse zu machen. Eine entsprechende, aber hinsichtlich des Zeitpunktes genauere Regelung für den Beginn der Buchführungspflicht für Land- und Forstwirte enthält § 1 Abs. 1 und 4 LandwBuchfVO, deren Weitergeltung durch § 16 GDL ausdrücklich bestätigt wurde. Danach beginnt die Buchführungspflicht nach § 161 AO für Land- und Forstwirte mit dem Anfang des für die Gewinnermittlung bei der Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer maßgebenden Wirtschaftsjahres, das auf den Zeitpunkt folgt, an dem erstmalig bei einer Veranlagung zur Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer oder Umsatzsteuer oder bei einer Einheitswertfeststellung oder bei einem Rechtsmittelverfahren, das eine derartige Veranlagung oder Feststellung betrifft, festgestellt worden ist, daß eine der in § 161 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, c oder e AO bezeichneten Voraussetzungen vorliegt und diese Feststellung dem Landwirt durch einen Bescheid bekanntgegeben worden ist.
Über die Erfordernisse des § 161 Abs. 1 Nr. 1 AO i. V. m. § 1 Abs. 1 und 4 LandwBuchfVO hinaus hat die Rechtsprechung des BFH den Grundsatz aufgestellt, daß unter Berücksichtigung von Treu und Glauben bei Steuerpflichtigen mit Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft die Buchführungspflicht gemäß § 161 Abs. 1 Nr. 1 AO in der Regel erst dann beginnt, wenn der Steuerpflichtige auf diesen Zeitpunkt durch eine besondere Mitteilung des FA hingewiesen worden ist (vgl. BFH-Urteile vom 9. Mai 1957 IV 383/55 U, BFHE 65, 151 [154], BStBl III 1957, 291, und vom 22. September 1960 IV 249/59 U, BFHE 71, 716 [719 f.], BStBl III 1960, 516).
Demnach war der Kläger in den Wirtschaftsjahren 1963/64 und 1964/65 nicht buchführungspflichtig, da diesen Veranlagungen unstreitig keine Veranlagung mit Feststellungen i. S. des § 161 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, c oder e AO vorausgegangen war und der Kläger deshalb vom FA auch nicht auf den Beginn der Buchführungspflicht hingewiesen worden ist.
Im Gegensatz zu den Wirtschaftsjahren vor dem 1. Juli 1965, für die der Wegfall der VOL-Besteuerung und der Beginn der Buchführungspflicht an zwei verschiedene Voraussetzungen gebunden waren, so daß in der Regel ein Zwischenzeitraum entstand, in dem der Landwirt als echter Schätzungslandwirt behandelt wurde, wurde der Gewinn des Landwirts vom Wirtschaftsjahr 1965/66 ab nach den Durchschnittsätzen des GDL ermittelt, solange er nicht zur Führung von Büchern verpflichtet war (§§ 1 Abs. 1, 12 GDL). Die Voraussetzungen für den Beginn der Buchführungspflicht gemäß § 161 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, c oder e AO und § 1 Abs. 1 und 4 LandwBuchfVO haben sich durch das GDL grundsätzlich nicht geändert. Geändert hat sich lediglich die Gewinngrenze des § 161 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c AO, die vom Wirtschaftsjahr 1965/66 ab von 9 000 DM auf 12 000 DM erhöht worden ist, d. h., daß vom Wirtschaftsjahr 1965/66 ab die Buchführungspflicht erst begann, wenn in dem letzten vor dem 1. Juli 1965 bekanntgegebenen Einkommensteuerbescheid Gewinne aus Land- und Forstwirtschaft von über 12 000 DM festgestellt worden waren. Schätzungslandwirte waren also vom Wirtschaftsjahr 1965/66 ab nur noch die Landwirte, die bis dahin als sogenannte unechte Schätzungslandwirte bezeichnet wurden, das sind Landwirte, die zur Führung von Büchern verpflichtet waren, jedoch keine ordnungsmäßigen Bücher geführt haben oder deren Bücher sachliche Unrichtigkeiten vermuten ließen.
Die Meinung des FA, der Kläger sei entgegen diesen Ausführungen nach den Grundsätzen von Treu und Glauben buchführungspflichtig geworden, weil er durch Verletzung seiner in § 56 EStDV verankerten Pflicht, eine Einkommensteuererklärung abzugeben, die Ursache dafür gesetzt habe, daß er vor dem 1. Juli 1965 keinen Bescheid mit der Feststellung eines Gewinns über 12 000 DM erhalten habe, ist nicht haltbar. Die Feststellung der in § 161 Abs. 1 Nr. 1 AO bezeichneten Voraussetzungen für die Buchführungspflicht in einem Steuer- oder Feststellungsbescheid und dessen Bekanntgabe stellen für den Beginn dieser Buchführungspflicht ein unabdingbares gesetzliches Tatbestandsmerkmal dar, das nicht fingiert werden kann, wenn feststeht, daß es nicht erfüllt ist. Die geforderte Feststellung in einem bekanntgegebenen Steuer- oder Feststellungsbescheid ist überhaupt das einzige Tatbestandsmerkmal für den Beginn der Buchführungspflicht. Die tatsächliche Höhe des Umsatzes, des Gewinns oder des Vermögens ist gegenüber dieser Feststellung nicht entscheidend. Die tatsächliche Höhe des Gewinns kann es schon deshalb nicht sein, weil sie ohne Feststellung in einem Bescheid wegen ihrer Abhängigkeit von der angewandten Gewinnermittlungsmethode, die auch im Falle der Schätzung mehrere Möglichkeiten umfaßt, für den Steuerpflichtigen ungewiß sein muß. Man kann daher den Beginn der Buchführungspflicht trotz einer Feststellung unter der in § 161 Abs. 1 Nr. 1 AO geforderten Umsatz-, Gewinn- oder Vermögenshöhe nicht mit der Begründung bejahen, Gewinn, Umsatz oder Vermögen seien nur deshalb unter der in § 161 Abs. 1 Nr. 1 AO geforderten Höhe festgestellt worden, weil der Steuerpflichtige nicht die tatsächliche Höhe seines Umsatzes, Gewinns oder Vermögens zutreffend erklärt habe. Noch weniger kann man den Beginn der Buchführungspflicht, wenn eine entsprechende Feststellung mangels eines Steuerbescheides überhaupt nicht getroffen wurde, nach Treu und Glauben mit der Begründung bejahen, der Steuerpflichtige habe durch die Nichtabgabe der Steuererklärung das Fehlen einer entsprechenden Feststellung in einem Steuerbescheid verschuldet. Das einzige gesetzliche Tatbestandsmerkmal für den Beginn der Buchführungspflicht kann nicht unter Berufung auf Treu und Glauben durch eine Fiktion ersetzt werden. Das würde zu einer Aushöhlung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmales führen.
Der Kläger war demnach auch in den Wirtschaftsjahren 1965/66 und 1966/67 nicht buchführungspflichtig, da diesen Wirtschaftsjahren keine Veranlagung vorausgegangen war, in der eine Überschreitung der Gewinngrenze von 12 000 DM oder einer anderen Grenze i. S. des § 161 Abs. 1 Nr. 1 AO festgestellt worden wäre. Danach hat das FG den Gewinn der Wirtschaftsjahre 1965/66 und 1966/67 mit Recht nach § 12 GDL ermittelt. Auch die Revision des FA war deshalb als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
BStBl II 1978, 76 |
BFHE 1977, 461 |
NJW 1977, 1656 |