Leitsatz (amtlich)
Kommt es bei der Tarifierung von Schuhen darauf an, ob der Oberteil aus Leder oder aus Spinnstoff besteht, so ist maßgebend, ob Leder oder Spinnstoff den größten Teil der Außenfläche bildet. Vor dem entsprechenden Flächenvergleich sind von der Gesamtaußenfläche des Oberteils die Zubehör- oder Verstärkungsteile und die Abschnitte aus anderen Stoffen als Leder oder Spinnstoff abzuziehen. Das Begriffspaar "Zubehör- oder Verstärkungsteile" ist einengend auszulegen.
Normenkette
KN Kap 64 Anm 4 Buchst. a; KN Pos 6403; KN Pos 6404
Tatbestand
Am 1.September 1987 erteilte die Beklagte (Oberfinanzdirektion --OFD--) der Klägerin auf deren Antrag eine verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) über "Laufschuhe" eines bestimmten Modells. Die OFD wies darin die Ware als "Schuhe mit Laufsohlen aus Kunststoff und Oberteil aus Spinnstoffen" der Position 6404 1100 der Kombinierten Nomenklatur (KN) zu. Die Klägerin legte dagegen Einspruch mit dem Begehren ein, die Ware in die Position 6403 KN (Schuhe mit Laufsohlen aus Kunststoff und Oberteil aus Leder) einzuordnen. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Mit ihrer Klage beantragt die Klägerin, die vZTA aufzuheben.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Die zu tarifierende Ware gehört entgegen der Auffassung der OFD zur Position 6403 KN.
Unter Position 6403 KN fallen "Schuhe mit Laufsohlen aus ... Kunststoff ... und Oberteil aus Leder", während zur Position 6404 KN die gleichen Schuhe "mit Oberteil aus Spinnstoffen" gehören. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Schuhe im tariflichen Sinn ein Oberteil aus Spinnstoffen oder aus Leder haben. Die Abgrenzung der beiden Positionen regelt die Anm. Nr.4 a zu Kapitel 64 KN. Darin heißt es, daß als Stoff des Oberteils der Stoff gilt, "der den größten Teil der Außenfläche bildet, unabhängig von Zubehör- oder Verstärkungsteilen wie Randeinfassungen, Knöchelschützer, Verzierungen, Schnallen, Laschen, Ösen oder ähnliche Vorrichtungen". In Anwendung dieser Vorschrift ergibt sich, daß die Schuhe solche mit einem Oberteil aus Leder sind und daher in die Position 6403 KN einzuordnen sind.
Nach der genannten Vorschrift sind die beiden Positionen nicht nach der Bedeutung des die Außenfläche bedeckenden Stoffes für den Verwendungszweck der Schuhe voneinander abzugrenzen (vgl. zur früheren Rechtslage Entscheidungen des Senats vom 2.Juni 1981 VII K 14/80, BFHE 133, 478, und vom 19.Oktober 1982 VII K 12/81, BFHE 136, 569; Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- vom 5.April 1984 Rs.298/82, EuGHE 1984, 1829), sondern allein nach den Flächenanteilen dieser Stoffe. Der Vergleich der Gesamtfläche der Lederabschnitte mit der Gesamtfläche der Spinnstoffabschnitte ist aber vorzunehmen "unabhängig von Zubehör- oder Verstärkungsteilen". Das bedeutet, daß die Flächenmaße dieser Teile beim Flächenvergleich unberücksichtigt bleiben müssen (englisch: "no account being taken of"; französisch: "sans egard aux"). Vor dem Vergleich der Flächenanteile beider Stoffe miteinander sind also von dem Maß der Gesamtaußenfläche des Oberteils (hier 484 qcm) die Flächenmaße der nicht zu berücksichtigenden Zubehör- und Verstärkungsteile abzuziehen. In gleicher Weise abzuziehen sind ferner die Abschnitte der Außenfläche des Oberteils, die aus anderen Stoffen als Leder oder Spinnstoff bestehen; das sind die Kunststoffösen (*= rd.12,5 qcm), die beiden Kunststoffbesätze im Bereich der Ferse (*= 24,5 und 34,5 qcm), die Reflektoren (*= 8,5 qcm) sowie die Umrandung der schwarzen Lederecken (*= 7,6 qcm), insgesamt also 87,6 qcm.
Die Ansicht der OFD, bei der Entscheidung der Frage, welcher Stoff den größten Teil der Außenfläche des Oberteils bildet, müßten für die nicht zu berücksichtigenden Teile die unter diesen liegenden Stoffe in die Vergleichsrechnung einbezogen werden, ist mit Wortlaut und Zielsetzung der Anmerkung 4 a zu Kapital 64 KN nicht vereinbar. Nach dieser Anmerkung kommt es auf den Stoff an, der den größten Teil der Außenfläche bildet, so daß unter der Außenfläche liegende Teile von vornherein außer Betracht zu bleiben haben. Die Worte "unabhängig von" in der Anmerkung 4 a können --wie auch der obige Hinweis auf die englische und französische Fassung belegt-- nur dahin verstanden werden, daß die entsprechenden Teile keine Berücksichtigung finden dürfen, also in der Vergleichsrechnung weder dem Leder- noch dem Spinnstoffanteil zuzuschlagen sind. Wäre die Auffassung der OFD richtig, so führte dies zu einem tariflich sicherlich nicht gewollten Ungleichgewicht bei den Positionen 6403 und 6404 KN. Denn bei der hier in Frage stehenden Art von Schuhen mit Oberteil aus Leder-, Spinnstoff- und Kunststoffanteilen führte diese Auffassung in den meisten Fällen zur Tarifierung nach Position 6404 (Oberteil aus Spinnstoffen), weil nicht zu berücksichtigende Leder- und Kunststoffanteile zwar auf Spinnstoff angebracht zu sein pflegen, das Umgekehrte aber kaum vorkommen dürfte.
Als Zubehör- oder Verstärkungsteile sind nur solche anzusehen, die sich eindeutig diesen Begriffen zuordnen lassen. Denn die Regelung der Anmerkung 4 a zu Kapitel 64 KN, wonach es grundsätzlich auf einen Vergleich der Flächenmaße ankommt, hat eindeutig den Sinn, die Abgrenzung zwischen Schuhen mit Oberteil aus Leder und Schuhen mit Oberteil aus Spinnstoffen zu vereinfachen und klare Ergebnisse sicherzustellen. Dies würde aber verhindert, rechnete man zu den Zubehör- oder Verstärkungsteilen auch Teile, die allenfalls als dem Randbereich dieser Begriffe zugehörig betrachtet werden können.
Nach der beispielhaften Aufzählung in der genannten Anmerkung gehören "Verzierungen" zu den Zubehörteilen. Als Verzierungen können nach den Ausführungen im Vorabsatz nur solche Teile der Oberfläche der Schuhe angesehen werden, die eindeutig als bloße Verzierung erkennbar sind. Das ist nicht schon dann der Fall, wenn wie hier ein Lederbesatz das Aussehen der Schuhe zu verbessern bestimmt ist; denn das trifft mehr oder weniger auf alle Lederteile der Schuhoberfläche zu. Wenn eine andere Funktion als die verzierende nach der Art des Besatzes nicht auszuschließen ist --und das ist bei dem von den Beteiligten insoweit verschieden beurteilten schwarzen Lederteil offensichtlich der Fall--, so kann dieser Besatz beim Flächenvergleich nicht ausgenommen werden. Das wird bestätigt durch die Erläuterungen zur KN (Kapitel 64, Erläuterungen zum Harmonisierten System, Rdnr.20.0), wo als Verzierung beispielhaft nur Quasten, Pompons und Borten aufgeführt sind.
Als nicht zu berücksichtigender Verstärkungsteil im Sinne der Anmerkung ist dagegen der Lederbesatz im Bereich der Kunststoffösen anzusehen (*= 60 qcm). Er hat die Funktion, ein Ausreißen der Ösen zu verhindern und diesen durch die Führung der Schuhbänder besonders strapazierten Teil des Schuhes zu verstärken.
Nicht als Zubehör- oder Verstärkungsteil ist nach Auffassung des Senats auch der schmale Lederstreifen an der Ferse zwischen dem ledertragenden Kunststoffabschnitt und dem Spinnstoff anzusehen (*= 25,5 qcm). Als Verstärkung kann dieser Streifen deswegen nicht angesehen werden, weil diese Funktion allein dem Kunststoffabschnitt zukommt und durch den Streifen nicht unterstützt wird. Auch als Randeinfassung im Sinne der Vorschrift kann dieser Lederstreifen nicht angesehen werden. Bereits der Kunststoffabschnitt, an den der Lederstreifen angrenzt, hat eine eigene Einfassung. Der Lederstreifen selbst hat keine sichtbare Einfassungsfunktion.
Nach allem sind von der Gesamtoberfläche des Oberteils (*= 484 qcm) vor Anstellung des Oberflächenvergleichs abzuziehen insgesamt 147,6 qcm (Kunststoffteile: 87,6 qcm; Verstärkungsteil: 60 qcm). Dabei geht der Senat von den sich aus dem genannten Prüfungsbericht ergebenden Maßen aus, die von der OFD nicht in Zweifel gezogen worden sind. Darin ist lediglich das Oberflächenmaß der Ösen nicht enthalten, das der Senat mit 12,5 qcm angesetzt hat. Es ergibt sich also für den Vergleich eine Gesamtoberfläche aus Leder oder Spinnstoff von 336,4 qcm. Davon bestehen aus Leder die vordere Kappe (*= 119 qcm), das schwarze Lederteil (56 qcm), der Lederbesatz auf dem Kunststoffabschnitt an der Ferse (53 qcm) und der Lederstreifen an der Ferse (25,5 qcm). Diesem Lederanteil von 253,5 qcm steht also nur ein Spinnstoffanteil von 82,9 qcm gegenüber. Den größten Anteil der Außenfläche bildet somit das Leder.
Die angefochtene vZTA erweist sich danach als unrichtig. Sie ist entsprechend dem Antrag der Klägerin zusammen mit der Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Nach Auffassung des Senats ist die richtige Anwendung der KN offenkundig. Der Senat ist daher nicht zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH verpflichtet (vgl. EuGH-Urteil vom 6.Oktober 1982 Rs.283/81, EuGHE 1982, 3415). Er sieht sich an dieser Entscheidung nicht durch den von der OFD in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Umstand gehindert, daß die Tarifierung von Schuhen der vorliegenden Beschaffenheit im Tarifausschuß der EG ohne Beschlußfassung besprochen worden ist. Der Senat hält die richtige Anwendung der Anmerkung 4 a zu Kapitel 64 KN für so eindeutig, daß keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung bleibt.
Fundstellen
Haufe-Index 62656 |
BFH/NV 1989, 53 |
BFHE 158, 100 |
BFHE 1990, 100 |
BB 1990, 56-56 (L1) |
HFR 1990, 148 (LT) |
ZfZ 1990, 47 (KT) |