Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Auskunftsersuchen nach § 205 AO sind nicht mehr zulässig, wenn das Veranlagungsverfahren abgeschlossen ist, es sei denn, daß sich bei einer Nachprüfung durch die Aufsichtsbehörde erhebliche Anhaltspunkte dafür ergeben, daß die Veranlagung fehlerhaft ist.
Auskunftsersuchen müssen den Grundsätzen von Recht und Billigkeit entsprechen.
Normenkette
AO § § 175, 205, 222/1/3, § 222/1/4; StAnpG § 2 Abs. 2
Tatbestand
Die Bf. sind die Erben des am 16. Juli 1948 verstorbenen X. Zum Nachlaß des Erblassers gehörte u. a. eine Gemäldesammlung. Mit vorläufigen Steuerbescheiden vom 22. Juni und 20. Oktober 1949 setzte das Finanzamt die Erbschaftsteuer fest. In dem zuletzt genannten Bescheid behielt sich das Finanzamt die endgültige Steuerfestsetzung nach Feststellung der tatsächlichen Werte, insbesondere der Gemälde, vor. Mit Schreiben vom 27. Oktober 1949 erkannte das Finanzamt für die Gemälde einen Wert von 50.000 DM an. In einem weiteren vorläufigen Bescheid vom 19. Dezember 1949 war deshalb eine Nacherhebung für die Gemälde nicht mehr vorbehalten. Die Bf. nahmen daraufhin den gegen den vorläufigen Bescheid vom 22. Juni 1949 eingelegten Einspruch zurück.
Im Rahmen einer Vorprüfung für den Rechnungshof im Jahre 1954 beanstandete die Oberfinanzdirektion den Wertansatz für die Gemälde. Sie wies das Finanzamt an, festzustellen, ob die Voraussetzungen für die Befreiungsvorschrift des § 18 Abs. 1 Nr. 6 ErbStG 1925 vorliegen und ob der Wertansatz von 50.000 DM sich auf die ganze Sammlung oder nur auf einen Teil bezieht, und, soweit die Befreiungsvorschrift nicht in Betracht komme, den gemeinen Wert der Sammlung zu ermitteln. Daraufhin verlangte das Finanzamt mit Schreiben vom 17. August und 5. Oktober 1954 vom Bevollmächtigten der Bf. entsprechende Auskünfte. Die gestellten Fragen wurden nur zum Teil beantwortet. Am 12. November 1954 erließ das Finanzamt einen weiteren vorläufigen Steuerbescheid, worin es den Wert der Gemälde zwar mit 50.000 DM ansetzte, sich aber wegen der anderweitigen Bewertung der Gemälde im Wege der Nachprüfung durch die Aufsichtsbehörde eine Nachforderung vorbehielt.
Mit Schreiben vom 18. September 1957 erbat das Finanzamt unter Hinweis auf eine Anordnung der Oberfinanzdirektion Mitteilung darüber, ob "die Befreiungsvorschrift des § 18 Abs. 1 Ziff. 6 ErbStG 1925 zutrifft oder nicht". Für den Fall, daß die Befreiungsvorschrift beansprucht würde, wurde den Bf. aufgegeben, ein besonderes Verzeichnis der Gegenstände nebst Angabe ihres Wertes vorzulegen und nachzuweisen, daß die Gemälde gemäß der von der zuständigen Behörde erlassenen Anweisung dem Zwecke der Forschung und Volksbildung nutzbar gemacht worden seien. Schließlich wurden die Bf. aufgefordert, darzutun und zu belegen, daß der Wert der Gemälde im Zeitpunkt des Todestages des Erblassers geringer gewesen sei als gegenüber der Zeit vorher. Im Jahre 1942 waren nämlich die Gemälde in einer Erbschaftsteuererklärung mit einem Wert von 150.000 RM angegeben worden.
Gegen dieses Schreiben legten die Bf. Beschwerde ein, die erfolglos blieb. Auch die Berufung hatte keinen Erfolg.
In der Rb. machen die Bf. geltend, daß es nicht statthaft sei, Auskünfte nach §§ 204 und 205 AO zeitlich unbeschränkt einzuholen. über den Wert der Gemälde sei 1949 mit dem Finanzamt eine Vereinbarung getroffen worden. Diese Vereinbarung könne nach Treu und Glauben nicht umgestoßen werden. Durch diese Vereinbarung sei auch eine Fehleraufdeckung nach § 222 AO ausgeschlossen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist unbegründet.
Bei dem Schreiben des Finanzamts vom 18. Sept. 1957 handelt es sich um ein Auskunftsersuchen. Solche Auskunftsersuchen müssen, um wirksam zu sein, rechtlich zulässig sein und den Grundsätzen von Recht und Billigkeit entsprechen (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs IV 81/50 S vom 23. Februar 1951, BStBl 1951 III S. 77, Slg. Bd. 55 S. 204; IV 120/52 U vom 18. September 1952, BStBl 1952 III S. 275, Slg. Bd. 56 S. 716, und II 99/56 U vom 1. Juli 1959, BStBl 1959 III S. 413, 414, Slg. Bd. 69 S. 409).
Rechtsgrundlage für das Auskunftsersuchen des Finanzamts bildet § 205 AO. Nach Abs. 2 dieser Bestimmung kann das Finanzamt bei sachlichen Bedenken gegen die Richtigkeit der Steuererklärung den Steuerpflichtigen zu schriftlicher Auskunft auffordern. Dieser Berechtigung des Finanzamts entspricht die dem Steuerpflichtigen durch § 170 AO auferlegte Verpflichtung, die von ihm begehrte Auskunft zu erteilen. Die Verpflichtung zur Erteilung von Auskünften entfällt jedoch, wenn das Veranlagungsverfahren zum Abschluß gelangt ist (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 221/22 vom 15. November 1922, Slg. Bd. 11 S. 1).
Die Bf. behaupten nun, daß hinsichtlich des Wertansatzes der Gemälde der Erbschaftsteuerbescheid vom 19. Dezember 1949 trotz seiner Bezeichnung als vorläufiger Bescheid endgültig gewesen sei. Es braucht nicht erörtert zu werden, ob diese Auffassung der Bf. zutrifft. Denn auch dann, wenn es richtig wäre, daß hinsichtlich des Wertansatzes der Gemälde der Steuerbescheid vom 19. Dezember 1949 endgültig ist, könnte das Finanzamt gleichwohl von den Bf. Auskunft verlangen und wären die Bf. demnach verpflichtet, Auskunft zu erteilen.
Im Streitfall hat die Oberfinanzdirektion im Rahmen der Vorprüfung für den Rechnungshof die Veranlagung zur Erbschaftsteuer nachgeprüft (vgl. § 222 Abs. 1 Nrn. 3 und 4 AO). Die Oberfinanzdirektion hat dabei zwar noch nicht einen Fehler nach § 222 Abs. 1 Nr. 3 oder 4 AO aufgedeckt, der zu einer änderung des Wertansatzes geführt hätte. Es haben sich aber immerhin erhebliche Anhaltspunkte dafür ergeben, daß ein Fehler im Sinne dieser Bestimmung vorliegt. Insbesondere ist es der Aufsichtsbehörde als zweifelhaft erschienen, welchen Teil der Gemälde der Wertansatz betrifft, und ob die Voraussetzungen der Steuerbefreiungsvorschrift des § 18 Abs. 1 Ziff. 6 ErbStG 1925 für die sämtlichen oder nur für einen Teil der Gemälde zutreffen. Ergeben sich aber im Rahmen der Nachprüfung durch die Aufsichtsbehörde erhebliche Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Fehlers, so müssen die Aufsichtsbehörden bzw. die von ihnen angewiesenen Finanzämter dieselben Befugnisse haben, die den Finanzämtern im Veranlagungsverfahren nach § 205 AO unmittelbar zustehen. Es ergibt sich aus der AO kein Anhalt dafür, daß in dem Verfahren, das unter Beachtung bestimmter förmlicher Voraussetzungen zu einer Berichtigungsveranlagung (früher Neuveranlagung, vgl. § 212 AO a. F.) führt, die Steuerbehörden mit weniger Befugnissen ausgestattet sein sollten als in dem eigentlichen Veranlagungsverfahren, das zur erstmaligen Festsetzung der Steuer führt. Andernfalls könnten die Aufsichtsbehörden nur solche Fehler aufdecken, die aus den Akten unmittelbar ersichtlich sind. Es würde aber gerade dem Sinn und Zweck der den Aufsichtsbehörden zustehenden überprüfungsbefugnis widersprechen, nämlich die Gleichmäßigkeit der Gesetzesanwendung zu überwachen (vgl. § 3 des Gesetzes über die Finanzverwaltung), wenn sie trotz Vorliegens erheblicher Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit einer Steuerfestsetzung nicht die Möglichkeit hätten, den Sachverhalt unter Mitwirkung der Steuerpflichtigen aufzuklären oder aufklären zu lassen. Dabei ist es, solange die Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen ist, ohne Belang, wann die überprüfung durch die Aufsichtsbehörde stattfindet und demgemäß ein Anlaß zu einem Auskunftsersuchen gegeben ist. Eine Verjährung ist aber im Streitfall noch nicht eingetreten. Der Senat ist deshalb der Auffassung, daß das Finanzamt die Bf. um weitere Auskünfte ersuchen konnte und diese verpflichtet gewesen sind, Auskunft zu erteilen.
Auskunft kann jedoch nur über Tatsachen verlangt werden. Nur insoweit besteht auch eine Verpflichtung zur Auskunft (vgl. Tipke-Kruse, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, § 170 Anm. 3). Im Streitfall hat das Finanzamt im Schreiben vom 18. September 1957 um Mitteilung darüber gebeten, "ob hiernach die Befreiungsvorschrift des § 18 Abs. 1 Ziff. 6 ErbStG 1925 zutrifft oder nicht". Auf Grund der vorausgehenden Anfragen des Finanzamts und der unmittelbar dieser Aufforderung vorangehenden Darstellung der Voraussetzungen für die Steuerbefreiung kann dies nur dahin verstanden werden, daß das Finanzamt Auskunft über die Tatsachen verlangt, die eine Anwendung der Steuerbefreiungsvorschrift rechtfertigen.
Auch soweit im zweiten Teil des Schreibens vom 18. September 1957 das Finanzamt die Bf. auffordert, darzutun und zu belegen, daß der Wert der Gemälde im Zeitpunkt des Todes des Erblassers geringer gewesen sei als in der Zeit vorher, handelt es sich um nichts anderes als um die Angabe von Tatsachen, auf denen nach Auffassung der Bf. die Wertminderung der Gemäldesammlung beruht.
Zu Unrecht berufen sich die Bf. auf die mit dem Finanzamt getroffene Vereinbarung über den Wertansatz der Gemälde. Es ist zwar richtig, daß das Finanzamt mit Schreiben vom 27. Oktober 1949 zugesagt hat, einen Wert von 50.000 DM für die Gemälde bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer anzuerkennen, worauf die Bf. ihren Einspruch zurückgezogen haben. Soweit hiermit das Zustandekommen eines Vergleichs beabsichtigt gewesen sein sollte, ist jedoch davon auszugehen, daß es im Steuerrecht Vergleiche über Steueransprüche nicht gibt (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs II 38/55 S vom 13. Juli 1955, BStBl 1955 III S. 251, Slg. Bd. 61 S. 137; IV 281/54 U vom 27. Januar 1955, BStBl 1955 III S. 92, Slg. Bd. 60 S. 235). Soweit man im Hinblick auf die von beiden Seiten abgegebenen Erklärungen von einer Vereinbarung sprechen kann, kann dahingestellt bleiben, ob grundsätzlich eine Rechtsbindung an getroffene Vereinbarungen nicht besteht (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 111/54 U vom 31. Januar 1956, BStBl, 1956 III S. 86, Slg. Bd. 62 S. 230) oder ob eine solche Bindung im Hinblick auf die Grundsätze von Treu und Glauben unter bestimmten Umständen zu bejahen ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 281/54 U a. a. O.). Denn im Streitfall ist auch eine Bindung des Finanzamts auf Grund von Treu und Glauben nicht eingetreten. Der durch Treu und Glauben in solchen Fällen gewährleistete Vertrauensschutz setzt nämlich voraus, daß dem Finanzamt der Sachverhalt vollständig bekannt ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 176/57 U vom 18. Nov. 1958, BStBl 1959 III S. 52, Slg. Bd. 68 S. 137). Gerade daran hat es aber im Streitfall gefehlt. Zwar haben die Bf. die Erbschaftsteuererklärung und den Erbschaftsteuerbescheid über den Nachlaß der Mutter des Erblassers, die im Jahre 1942 verstorben war, vorgelegt. Sie haben auch eine im Vermögensteuer-Veranlagungsverfahren des Erblassers ergangene Verfügung des Finanzamts Z dem Finanzamt vorgezeigt, wonach die Gemälde aus Billigkeitsgründen von der Vermögensteuer freigestellt worden sind, da deren Erhaltung im öffentlichen Interesse gelegen war. Dadurch ist aber das Finanzamt nicht in vollem Umfang über den Sachverhalt unterrichtet worden. Die Bf. haben insbesondere darüber keinen Aufschluß gegeben, ob sämtliche Gemälde oder nur ein Teil davon zum Nachlaß des Erblassers gehört, und ob die Voraussetzungen für die Befreiungsvorschrift nach § 18 Abs. 1 Ziff. 6 ErbStG 1925 für sämtliche oder nur für einen Teil der Gemälde zugetroffen haben. Darüber haben die Bf. bis jetzt keine eindeutigen Angaben gemacht. Das Finanzamt ist deshalb bei seiner Zusage von einem ihm nur unvollständig unterbreiteten und deshalb ihm auch nur unvollständig bekannten Sachverhalt ausgegangen. Unter diesen Umständen ist aber die vom Finanzamt abgegebene Zusage nicht bindend.
Das Auskunftsersuchen des Finanzamtes entspricht auch den Grundsätzen von Recht und Billigkeit (ß 2 Abs. 2 StAnpG). Denn das Ersuchen um Auskunft ist notwendig gewesen, weil der Sachverhalt in den durch die Auskunft aufzuklärenden Punkten bisher nicht geklärt gewesen ist. Das Ersuchen konnte auch durch die Bf. beantwortet werden, weil es sich ausschließlich auf Tatsachen bezogen hat, über die allein die Bf. Bescheid wußten (Zugehörigkeit zum Nachlaß, Anzahl der Gemälde und der in Betracht kommenden Künstler, Dauer des Familienbesitzes. Verwendung für Zwecke der Forschung und der Volskbildung). Insoweit ist den Bf. auch eine Auskunft zumutbar gewesen.
Die Rb. war unter diesen Umständen als unbegründet zurückzuweisen. Die Höhe des Streitwertes ist von den Vorinstanzen nach freiem Ermessen (ß 320 Abs. 4 AO) auf 100 DM bzw. 1.000 DM festgestellt worden. Im Hinblick auf die möglichen Steuerunterschiede, die durch die Oberfinanzdirektion im Schriftsatz vom 16. Januar 1958 dargestellt worden sind, stellt der Senat den Wert des Streitgegenstandes für das gesamte Rechtsmittelverfahren auf 3.000 DM fest. Die Kostenentscheidung beruht auf § 307 AO.
Fundstellen
Haufe-Index 411079 |
BStBl III 1964, 88 |
BFHE 1964, 225 |
BFHE 78, 225 |