Leitsatz (amtlich)
1. Löst ein Handelsvertreter durch Vereinbarung mit dem Geschäftsherrn den Ausgleichsanspruch (§ 89b HGB) seines Vorgängers in einer bestimmten Höhe ab, erwirbt er damit entgeltlich ein immaterielles Wirtschaftsgut "Vertreterrecht".
2. Das Wirtschaftsgut "Vertreterrecht" ist auch dann zu aktivieren, wenn das Entgelt hierfür durch Verrechnung mit einem prozentualen Anteil an den erzielten Provisionen entrichtet wird.
3. Die tatrichterliche Schätzung der Nutzungsdauer eines Wirtschaftsguts kann vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden, ob sie zulässig war und ob das FG anerkannte Schätzungsgrundsätze, die Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze beachtet hat.
Orientierungssatz
Das BFH-Urteil vom 26.2.1964 I 383/61 U enthält keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Inhalts, daß sich ein von einem Handelsvertreter entgeltlich erworbenes "Vertreterrecht" innerhalb von drei Jahren nach Erwerb "verflüchtigt".
Normenkette
EStG 1971 § 5 Abs. 2, § 7 Abs. 1 Sätze 1-2; HGB § 89b; FGO § 96 Abs. 1 S. 1, § 118 Abs. 1 S. 1; AO 1977 § 162 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute; sie werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Laut Bestätigungsschreiben vom 26.Juni 1969 der Firma A KG übernahm der Kläger mit Wirkung vom 1.April 1970 als selbständiger Handelsvertreter den Vertreterbezirk seines Vorgängers K. Für eine Einarbeitungszeit (1.Oktober 1969 bis 31.März 1970) erhielt er ein garantiertes Monatseinkommen. Weiterhin ist in dem Bestätigungsschreiben vermerkt:
"Sie erklärten sich bereit, den von uns an Herrn K zu zahlenden Ausgleich
in einer ebenfalls noch gemeinsam festzulegenden Höhe und festzulegendem
Zeitraum abzulösen."
Ferner verwies die Firma A KG auf den Inhalt eines noch abzuschließenden Vertretervertrages, in welchem die sich aus den Preislisten ergebenden, nach dem Entgelt bemessenen Provisionssätze geregelt werden sollten. Dieser Vertrag wurde unter dem 29.Mai/6.Juni 1973 schriftlich abgeschlossen. Bereits im April 1970 hatten die Vertragsparteien mündlich vereinbart, daß der Ausgleichsanspruch des Vorgängers vorläufig mit etwa 157 500 DM zuzüglich Mehrwertsteuer zu beziffern sei und ab 1.Januar 1971 durch eine Provisionskürzung in Höhe von 17,5 v.H. monatlich gezahlt werden solle. Durch Vertrag vom 13./18.Februar 1974 wurde der Netto-Ausgleichsbetrag endgültig auf 155 500 DM festgesetzt. Bis Ende 1973 waren 138 109,11 DM netto (1971: 45 000 DM; 1972: 49 865,87 DM; 1973: 43 243,24 DM) getilgt. Der Kläger behandelte die zur Tilgung des Ausgleichsanspruchs einbehaltenen Beträge als Betriebsausgaben.
Nach einer Außenprüfung vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Auffassung, der Kläger habe ein mit 155 500 DM zu aktivierendes immaterielles Wirtschaftsgut "Vertreterrecht" erworben, dessen Nutzungsdauer beginnend ab dem 1.Januar 1971 fünf Jahre bzw. --so in der verbösernden Einspruchsentscheidung-- 26 Jahre (bis zur mutmaßlichen Beendigung des Handelsvertretervertrages durch Eintritt des Klägers in den Ruhestand mit Erreichung des 65.Lebensjahres) betrage. Die Klage, mit welcher der Kläger die Rückgängigmachung der Aktivierung, hilfsweise die Annahme einer dreijährigen Nutzungsdauer des Wirtschaftsguts "Vertreterrecht" erstrebte, hatte insofern Erfolg, als das Finanzgericht (FG) die Verböserung durch die Einspruchsentscheidung aufhob und die angegriffenen Bescheide wieder herstellte.
Mit der Revision tragen die Kläger vor:
Er, der Kläger, habe nichts aufgewendet, sondern für eine gewisse Zeit weniger Provision erhalten. Im Abschluß eines ungünstigen Handelsvertretervertrages allein liege kein Wertverzehr (Bezugnahme auf Seithel, Betriebs-Berater --BB-- 1963, 465). - Nach den Grundsätzen des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 17.Dezember 1964 IV 378/61 U (BFHE 81, 471, BStBl III 1965, 170) könne hier eine Aktivierung von Ausgleichszahlungen unterbleiben. - Ein etwaiges Wirtschaftsgut müsse wie der derivativ erworbene Praxiswert einer Freiberufler-Praxis abgeschrieben werden, da die Tätigkeit eines Handelsvertreters ebenso wie diejenige eines Freiberuflers auf persönlichem Einsatz und persönlicher Tüchtigkeit beruhe. Der Erfolg eines Handelsvertreters sei insbesondere vom Vertrauen des einzelnen Abnehmers zu ihm geprägt. In tatsächlicher Hinsicht habe er nicht einen vorhandenen Kundenstamm erworben, sondern das nicht veräußerbare Recht, ein Unternehmen zu vertreten. Der BFH habe in seinem Urteil vom 26.Februar 1964 I 383/61 U (BFHE 79, 521, BStBl III 1964, 423) entschieden, daß sich der Wert einer erkauften Fürsprache in drei Jahren verflüchtige. Dieser Grundsatz sei auf den Streitfall zu übertragen. Es könne nicht darauf ankommen, ob der Handelsvertreter seine Zahlungen an den Geschäftsherrn oder an seinen Vorgänger entrichte.
Die Kläger beantragen sinngemäß, das angefochtene Urteil und die angefochtenen Einkommensteuerbescheide zu ändern und die Einkommensteuer auf 29 176 DM (1971), 26 402 DM (1972) und 10 114 DM (1973) herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß der Kläger ein Wirtschaftsgut "Vertreterrecht" entgeltlich erworben hat.
a) Es kann dahingestellt bleiben, ob das Vorbringen des Klägers, er habe für die Anlaufphase lediglich eine gegenüber den regulären Sätzen gekürzte Provision erhalten, der Revision zum Erfolg verhelfen könnte. Die behauptete --in der Praxis übliche und zivilrechtlich zulässige (vgl. Küstner/von Manteuffel, Handbuch des gesamten Außendienstrechts, Bd.II, Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, 5.Aufl. 1988, Rdnr.78)-- Vereinbarung hätte eine genaue Bestimmung des Zeitraums der Provisionsminderung vorausgesetzt. Daran fehlt es hier. Vielmehr verweist die Firma A KG in ihrem Bestätigungsschreiben vom 26.Juni 1969 auf die allgemein geltenden Provisionssätze. Mit diesen wurde die "Einstandszahlung" (vgl. Küstner/von Manteuffel, a.a.O., Rdnr.90 f.) zeitlich gestreckt verrechnet. Sofern den Ausführungen von Herrmann/Heuer/Raupach (Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19.Aufl., § 5 EStG Anm.1567) zu entnehmen sein sollte, Abmachungen der vorliegenden Art seien stets als Vereinbarung einer Provisionskürzung zu verstehen, könnte dem der Senat nicht folgen. Der zum Vergleich herangezogene Fall, daß ein Autor (zunächst) einen rechnerisch um das Honorar des Vorgängers gekürzten Vergütungsanspruch erhält, unterscheidet sich vom Streitfall dadurch, daß dort eine Verrechnung nicht vorgesehen ist.
b) Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß ein abnutzbares immaterielles Wirtschaftsgut "Vertreterrecht" begründet wurde, dessen Anschaffungskosten der Summe der vereinbarten Provisionsminderungen von (endgültig) 155 500 DM entsprechen.
Übernimmt ein Handelsvertreter einen eingeführten und regelmäßig bearbeiteten Vertreterbezirk, so erhält er dadurch einen greifbaren wirtschaftlichen Vorteil. Die "Einstandszahlung" ist die Gegenleistung des Handelsvertreters für die ihm vom Geschäftsherrn verschaffte --rechtlich verfestigte-- wirtschaftliche Chance, Provisionseinnahmen zu erzielen. Die Rechtslage ist vergleichbar mit der entgeltlichen Überlassung bestehender Geschäftsbeziehungen, etwa durch Einräumung eines Bierlieferungsrechts (vgl. BFH-Urteil vom 26.Februar 1975 I R 72/73, BFHE 115, 243, 245, BStBl II 1976, 13) oder eines "Alleinvertretungsrechts" (vgl. BFH-Urteil vom 27.Juli 1988 I R 130/84, BFHE 154, 227, BStBl II 1989, 101). Der Senat läßt offen, ob er den Urteilen in BFHE 79, 521, BStBl III 1964, 423, und in BFHE 81, 471, BStBl III 1965, 170, soweit diese Aussagen zur Aktivierung immaterieller Wirtschaftsgüter enthalten, hinsichtlich Begründung und Ergebnis folgen könnte. Die genannten Entscheidungen betreffen insofern andere Sachverhalte, als dort die Handelsvertreter in Rechtsbeziehungen unmittelbar zu ihren Vorgängern traten, die ihrerseits den Nachfolgern keine gesicherten Rechtspositionen verschaffen konnten.
Das immaterielle Wirtschaftsgut "Vertreterrecht" ist entgeltlich erworben worden. Entgelt ist hier die Verpflichtung des Klägers, die vereinbarten Verrechnungen bis zum Betrag von insgesamt 155 500 DM hinzunehmen. § 5 Abs.2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steht der Aktivierung nicht entgegen. Ein abgeleiteter (derivativer) Erwerb eines Wirtschaftsguts, den diese Vorschrift voraussetzt, ist auch dann gegeben, wenn --wie hier das "Vertreterrecht"-- das Wirtschaftsgut erst durch die Vereinbarung mit dem Vertragspartner begründet wird (Urteil in BFHE 115, 243, 246, BStBl II 1976, 13).
c) Entgegen der Auffassung des Klägers ist eine sofortige Aktivierung des Wirtschaftsguts "Vertreterrecht" zulässig und geboten. Die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs --RFH-- (Urteil vom 1.Februar 1933 VI A 945/31, RStBl 1933, 479) und des BFH (Urteile in BFHE 81, 471, BStBl III 1965, 170; vom 2.Februar 1967 IV 246/64, BFHE 88, 237, BStBl III 1967, 366) läßt eine Aktivierung entgeltlich erworbener Wirtschaftsgüter ausnahmsweise nach Maßgabe der geleisteten Zahlungen zu, wenn die Erwerbsaufwendungen von einer schwankenden Bezugsgröße wie Umsatz oder Gewinn abhängen und sonach das erworbene Wirtschaftsgut nur schwer bewertbar ist. Kann zugleich die Dauer der Nutzung des Wirtschaftsgutes nicht eindeutig bestimmt werden, ist es nach dem Urteil in BFHE 81, 471, BStBl III 1965, 170 zulässig, von einer Aktivierung der Aufwendungen und ihrer Verteilung auf die Nutzungsdauer abzusehen; statt dessen können die tatsächlichen Zahlungen sofort als laufende Betriebsausgaben abgezogen werden (vgl. auch BFH-Urteil vom 26.Juli 1962 IV 355/61 U, BFHE 75, 338, BStBl III 1962, 390; zustimmend Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.o., § 5 EStG Anm.1373).
Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Die Höhe des an die Firma A KG zu zahlenden "Einstands" war von vornherein im wesentlichen bestimmt; der Wert des erworbenen Wirtschaftsguts "Vertreterrecht" war dadurch hinreichend konkretisiert. Nicht genau bestimmt war lediglich der Zeitraum, in welchem die Verpflichtung gegenüber der Firma A KG zu tilgen war. Zwar war die Tilgung umsatzabhängig. Indes liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß die Erzielung jedenfalls eines Mindestumsatzes in konkreter Höhe und damit die Tilgung innerhalb eines relativ bestimmten Zeitraums hätten zweifelhaft sein können.
2. Die Annahme des FG, das immaterielle Wirtschaftsgut "Vertreterrecht" sei gemäß § 7 Abs.1 Sätze 1 und 2 EStG 1971 auf eine Nutzungsdauer von fünf Jahren abzuschreiben, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn sie beruht auf einer Schätzung (§ 96 Abs.1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO-- i.V.m. § 162 Abs.1 Satz 1 der Abgabenordnung --AO 1977--), die vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden kann, ob sie überhaupt zulässig war und ob das FG als Tatsachengericht anerkannte Schätzungsgrundsätze, die Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze beachtet hat (§ 118 Abs.1 Satz 1 FGO; BFH-Urteil vom 25.März 1988 III R 96/85, BFHE 153, 119, 122, BStBl II 1988, 655; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2.Aufl., 1987, § 118 Anm.24 m.w.N.). Die Vorentscheidung läßt eine Rechtsverletzung nicht erkennen.
Entgegen der Darlegung der Kläger enthält das Urteil in BFHE 79, 521, BStBl III 1964, 423 keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Inhalts, daß sich ein von einem Handelsvertreter entgeltlich erworbenes "Vertreterrecht" innerhalb von drei Jahren nach Erwerb "verflüchtigt". Das zitierte BFH-Urteil bezieht sich ausdrücklich "auf den Inhalt der Akten" und ist insofern sachverhalts- und einzelfallbezogen. Denn die Dauerhaftigkeit bereits bestehender Geschäftsbeziehungen zwischen Lieferant und Abnehmer hängt nicht nur vom persönlichen Einsatz des Handelsvertreters im Bereich der "Kundenpflege" ab, sondern auch von Art, Qualität und Marktposition des vertriebenen Produkts. Der Vertrieb einer eingeführten Markenware verbürgt größere Beständigkeit der Geschäftsbeziehungen zwischen Lieferant und Abnehmer als der Vertrieb beispielsweise eines dem Modetrend unterworfenen Artikels. Ein Vergleich zwischen Handelsvertreter und Freiberufler ist nur eingeschränkt möglich: Beide Berufsgruppen sind (nur) insofern vergleichbar, als beim Freiberufler wie --im Regelfall-- auch beim Handelsvertreter nicht der Kapitaleinsatz, sondern die persönliche Arbeitsleistung im Vordergrund steht. Hingegen ist das persönliche Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient von anderer Art als die vom Handelsvertreter angebahnte und/oder gepflegte Beziehung zwischen Lieferant und Abnehmer: Das Verhältnis zum Patienten ist ausschließlich personenbezogen und besteht in der Regel nur aus der Summe von Beziehungen, Aussichten und Möglichkeiten, die in entscheidendem Maße auf dem Vertrauen des einzelnen Patienten zu dem Praxisinhaber beruhen und daher in ihrem Fortbestand eng mit seiner Person verbunden sind. Dieses persönliche Vertrauensverhältnis endigt zwangsläufig mit dem Ausscheiden des Praxisinhabers. Was für den Nachfolger verbleibt, ist (nur) die "Hoffnung, durch persönliche Tüchtigkeit und Leistungsfähigkeit ein neues Vertrauensverhältnis zu schaffen" (BFH-Urteil vom 15.April 1958 I 61/57 U, BFHE 67, 151, BStBl III 1958, 330).
Auch in dem von den Klägern zitierten nicht veröffentlichten Urteil des BFH vom 4.Mai 1977 I R 192/74 hat der BFH die Beurteilung, ob sich das vom ausscheidenden Handelsvertreter erworbene Wirtschaftsgut "Vertreterrecht" in drei Jahren verflüchtigt, dem FG als Tatsacheninstanz überlassen und u.a. aus diesem Grunde die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen. Die Frage nach der Nutzungsdauer liegt ebenso weitgehend auf tatsächlichem Gebiet wie die Frage, ob ein Wirtschaftsgut firmenwertähnlichen Charakter hat (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 17.März 1977 IV R 218/72, BFHE 122, 70, 75, BStBl II 1977, 595).
Fundstellen
Haufe-Index 62850 |
BFH/NV 1989, 19 |
BStBl II 1989, 549 |
BFHE 156, 110 |
BFHE 1989, 110 |
BB 1989, 881-882 (LT1-2) |
DB 1989, 957-958 (LT) |
DStR 1989, 286 (KT) |
HFR 1989, 429 (LT) |
WPg 1989, 503 (S) |
StRK, Akt. R.41 (LT) |
FR 1989, 302 (KT) |
Information StW 1989, 309 (T) |
DStZ/E 1989, 222 (K) |