Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuerlicher Leistungsaustausch zwischen Gesellschaft und Gesellschafter
Leitsatz (amtlich)
Führt eine GbR sonstige Leistungen (ausschließlich) an ihre Gesellschafter aus, die in deren konkretem Einzelinteresse liegen und zahlen die Gesellschafter insoweit "zum Ausgleich der Verluste" bestimmte Beträge, kann Leistungsaustausch vorliegen. Es ist zur Annahme eines Leistungsaustausches nicht erforderlich, daß die monatlichen, als Einlagen bezeichneten Zahlungen (Gegenleistung) der Gesellschafter am Maßstab der Inanspruchnahme der Gesellschaftsleistung bemessen sind.
Orientierungssatz
Für die Frage der Steuerbarkeit von Leistungen einer Gesellschaft an ihre Gesellschafter kommt es darauf an, ob ein Leistungsaustausch im Sinne des § 1 Abs.1 Nr.1 UStG 1980 vorliegt; das Umsatzsteuerrecht enthält insoweit keine besonderen Regelungen für Personenvereinigungen. Leistungsaustausch setzt eine zum Zwecke der Entgeltserzielung erbrachte Leistung voraus; es muß ein zweckgerichtetes Handeln des Leistenden gegeben sein, das sich auf eine gewollte, erwartete oder erwartbare Gegenleistung richtet und sie damit auslöst, so daß die wechselseitigen Leistungen nicht bloß äußerlich miteinander verbunden sind (vgl. BFH-Rechtsprechung).
Normenkette
UStG 1980 § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wurde mit Vertrag vom 30. Dezember 1980 als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) gegründet. Es beteiligten sich sechs Gesellschafter mit Anteilen von jeweils 1,0 v.H. und zehn Gesellschafter mit Anteilen von jeweils 9,4 v.H. Die Klägerin verwaltete den Grundbesitz der Gesellschafter, plante und leitete deren Bauvorhaben und besorgte das Rechnungswesen.
Nach dem Gesellschaftsvertrag sollten die Leistungen der Gesellschaft an ihre Gesellschafter unentgeltlich erbracht werden. Die Gesellschafter waren verpflichtet, zum Ausgleich der entstehenden Verluste "Einlagen (Nachschüsse)" entsprechend ihrer Beteiligung auf Anforderung der Geschäftsführer der Gesellschaft zu leisten. Die "Nachschüsse" waren monatlich in geschätzten Beträgen zu zahlen. Nach Aufstellung des Abschlusses der Gesellschaft sollte anhand des Jahresergebnisses die endgültige Abrechnung entsprechend den Quoten erfolgen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) beurteilte die Leistungen der Klägerin als umsatzsteuerbar und die Zahlungen der Gesellschafter als Bemessungsgrundlage. Dementsprechend setzte das FA die Umsatzsteuer für die Streitjahre (1981 bis 1986) fest. Bei der Festsetzung für das Streitjahr 1981 berücksichtigte es abziehbare Vorsteuerbeträge. Die Vorsteuerbeträge für die Jahre 1982 bis 1986 brachte das FA erst bei den entsprechenden Festsetzungen, die es während des Klageverfahrens änderte, zum Abzug. Die Klägerin machte diese Änderungsbescheide zum Gegenstand des Klageverfahrens.
Mit der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage machte die Klägerin geltend: Die Zahlungen der Gesellschafter seien nicht als Leistungsentgelte, sondern als Gesellschafterbeiträge zu beurteilen. Die Höhe dieser Beiträge sei nach den Verhältnissen der zu verwaltenden Vermögen der Gesellschafter bemessen worden, wobei lediglich eine Gruppe von sechs Gesellschaftern mit kleinerem Vermögen und eine solche von zehn Gesellschaftern mit größerem Vermögen gebildet worden seien. Die Inanspruchnahme der Leistungen der Gesellschaft durch die Gesellschafter korrespondiere nicht mit dieser Einteilung in lediglich zwei Gruppen. Der zu verwaltende Grundbesitz bestehe aus unbebauten Grundstücken, reparaturbedürftigen Wohnhäusern und solchen in hervorragendem Bauzustand sowie aus Gewerbeimmobilien. Die Verwaltung des unbebauten Grundbesitzes erfordere nahezu keinen Aufwand, die Verwaltung der Gewerbeobjekte nur einen geringen. Dagegen sei der Verwaltungsaufwand bei den Wohngebäuden größer und besonders hoch bei den stark reparaturbedürftigen Sozialwohnungen. Diese Umstände kämen bei den Nachschüssen nicht zum Tragen. Es fehle deshalb an der unmittelbaren Beziehung zwischen dem Umfang der Leistungen der Gesellschaft und den Zahlungen der Gesellschafter, wie es der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) in seinem Urteil vom 8. März 1988 Rs.102/86 (Slg.1988, 1443) als notwendige Voraussetzung für die Annahme eines Leistungsaustausches verlangt habe.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und führte zur Begründung aus: Die Klägerin habe konkrete, auf das Einzelinteresse des jeweiligen Gesellschafters bezogene Leistungen ausgeführt, und zwar --wie sich aus der Ausgleichsvereinbarung im Gesellschaftsvertrag ergebe-- in der Erwartung eines Entgelts. Sie habe ihre Leistungen nur unter der Bedingung der Abdeckung der Kosten durch die Gesellschafter erbringen können und wollen. Die Bezeichnung der Gegenleistung im Gesellschaftsvertrag als Gesellschafterbeitrag sei unerheblich. Die Gesellschafter der Klägerin hätten ihre Zahlungen geleistet, um konkrete, für sie notwendige Leistungen der Klägerin zu erhalten. Dadurch hätten Leistung und Gegenleistung in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis gestanden. Für die Annahme eines Leistungsaustausches sei ohne Belang, ob Leistung und Gegenleistung gleichwertig sind oder die Gegenleistung zumindest angemessen ist.
Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Unter Hinweis auf Rechtsprechung des EuGH und des Bundesfinanzhofs (BFH) vertritt sie die Auffassung, die Annahme eines Leistungsaustausches bei Gesellschaftsleistungen setze voraus, daß die Höhe der Zahlungen der Gesellschafter nach dem bestimmbaren oder zumindest abschätzbaren, zu erwartenden Umfang der Inanspruchnahme der Leistungen der Gesellschaft bemessen sei. Da im Streitfall die Zahlungen der Gesellschafter von der Leistungsinanspruchnahme unabhängig gewesen seien, müßten sie als Verlustausgleich auf der Gesellschaftsebene und damit als Gesellschafterbeitrag beurteilt werden.
Die im Revisionsverfahren ergangenen Änderungsbescheide für die Streitjahre 1982 bis 1985, durch die der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben wurde, machte die Klägerin gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung sowie die Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre ersatzlos aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Die Auffassung des FG, die Klägerin habe gegenüber ihren Gesellschaftern steuerbare Leistungen ausgeführt, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
1. Gemäß § 1 Abs.1 Nr.1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 unterliegen der Umsatzsteuer Lieferungen und sonstige Leistungen, die ein Unternehmer im Erhebungsgebiet gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Die Klägerin als GbR hat Leistungen gegen Entgelt an ihre Gesellschafter erbracht. Auch für die Frage der Steuerbarkeit von Leistungen einer Gesellschaft an ihre Gesellschafter kommt es darauf an, ob ein Leistungsaustausch im Sinne der vorgenannten Vorschrift vorliegt; das Umsatzsteuerrecht enthält insoweit keine besonderen Regelungen für Personenvereinigungen (Senatsurteil vom 4. Juli 1985 V R 107/76, BFHE 145, 244, BStBl II 1986, 153).
2. Die Annahme einer Leistung gegen Entgelt erfordert eine zum Zwecke der Entgeltserzielung erbrachte Leistung (Leistungsaustausch); es muß ein zweckgerichtetes Handeln des Leistenden gegeben sein, das sich auf eine gewollte, erwartete oder erwartbare Gegenleistung richtet und sie damit auslöst, so daß die wechselseitigen Leistungen nicht bloß äußerlich miteinander verbunden sind (BFH-Urteil vom 7. Mai 1981 V R 47/76, BFHE 133, 133, BStBl II 1981, 495).
Die Klägerin hat sonstige Leistungen ausgeführt, indem sie den Grundbesitz der Gesellschafter verwaltet hat. Leistungsempfänger waren die Gesellschafter, deren im Gesellschaftsvertrag begründete Ansprüche die Klägerin erfüllte. Die Leistungen lagen demnach nicht im Gesamtinteresse der Gesellschaft (Klägerin), sondern dienten dem Individualinteresse der einzelnen Gesellschafter, d.h. die Klägerin verfolgte nicht Gesamtbelange, sondern Sonderbelange der Gesellschafter.
Die Verwaltungsleistungen der Klägerin richteten sich auf die im Gesellschaftsvertrag vereinbarten, als Einlagen (Nachschüsse) bezeichneten und monatlich zu leistenden Zahlungen der Gesellschafter; auf diese Zahlungen hatte die Klägerin einen (gesellschafts-)vertraglichen Anspruch. Beide, die Verwaltungsleistungen der Klägerin und die Zahlungen der Gesellschafter, waren daher innerlich miteinander verbunden.
3. Die gegen die Entgeltlichkeit der Leistungen vorgebrachten Einwände der Klägerin greifen nicht durch.
a) Für die Qualifizierung der Zahlungen der Gesellschafter als Entgelt ist die im Gesellschaftsvertrag enthaltene Würdigung als Gesellschafterbeitrag ("Einlagen/Nachschüsse") unerheblich.
b) Der Entgeltscharakter der Zahlungen ist entgegen der Ansicht der Klägerin nicht deshalb zu verneinen, weil die Zahlungen sich nicht am Umfang der Inanspruchnahme der Leistungen durch die Gesellschafter, sondern an der Gesellschaftsbeteiligung und deshalb mittelbar am zu verwaltenden Vermögen der Gesellschafter orientierten. Abgesehen davon, daß dieser Maßstab einen groben Anhaltspunkt für die Inanspruchnahme der Leistungen abgeben könnte, ist es in Fällen der vorliegenden Art zur Annahme eines Leistungsaustausches auch nicht erforderlich, daß das Entgelt nach Maßgabe der Inanspruchnahme der Leistungen der Gesellschaft bemessen wird. In der Rechtsprechung (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 12. April 1962 V 134/59 U, BFHE 74, 703, BStBl III 1962, 260; in BFHE 145, 244, BStBl II 1986, 153; FG Köln, Urteil vom 31. August 1993 2 K 1170/90, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1994, 269) ist die Staffelung der Zahlungen lediglich als Beweisanzeichen im Rahmen der Beurteilung herangezogen worden, ob eine konkrete Leistung der Gesellschaft an den Gesellschafter oder lediglich die Wahrnehmung von Gesamtbelangen der Gesellschaft gegeben ist (s. dazu auch Flückiger/Georgy in Plückebaum/Malitzky, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, § 1 Abs.1 Rz.877; Husmann in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Umsatzsteuergesetz (Mehrwertsteuer), Kommentar, § 1 Anm.211; Mößlang in Sölch/Ringleb/ List, Umsatzsteuergesetz, § 1 Bem.105 f.; Probst in Hartmann/ Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, E § 1 Abs.1 Nr.1 Tz.147). Dient das Handeln der Gesellschaft jedoch ausschließlich und unzweifelhaft dem konkreten Individualinteresse des Gesellschafters, folgt das Austauschverhältnis bereits aus der Art der Leistung (vgl. BFH-Urteil vom 9. Mai 1974 V R 128/71, BFHE 112, 430, BStBl II 1974, 530, m.w.N. der Rechtsprechung; Weiß, Umsatzsteuer-Rundschau 1986, 63, unter 4.; Tendenzen-Konsequenzen, Beilage 3/1995 zu EFG, S.11, 4). Die Gegenleistung des Gesellschafters hat dann nur Bedeutung für die Bemessungsgrundlage.
c) Die Klägerin kann sich --wie das FG zutreffend ausgeführt hat-- für ihre Auslegung des Entgeltlichkeitsbegriffs in § 1 Abs.1 Nr.1 Satz 1 UStG 1980 nicht auf das Urteil des EuGH in Slg.1988, 1443 berufen. Der EuGH hat in dieser Entscheidung die Steuerbarkeit der Leistungen einer Organisation verneint, deren Aufgaben im wesentlichen in der Werbung und in der Förderung und Verbesserung der Qualität von Äpfeln und Birnen bestanden. Zur Begründung führte der EuGH aus, der Begriff der Dienstleistung gegen Entgelt i.S. von Art.2 Nr.1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG setze das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der erbrachten Dienstleistung und dem erhaltenen Entgelt voraus. Ein solcher Zusammenhang sei nicht gegeben, wenn keine Beziehung zwischen dem aus der Leistung beim Leistungsempfänger erwachsenden Vorteil und der Höhe der Zahlung, die dieser zu leisten habe, bestehe. Diese Bemerkung des EuGH ist vor dem Hintergrund seiner Feststellung zu sehen, daß die (Dienst-)Leistungen der Organisation dem gesamten Wirtschaftszweig galten und dem einzelnen Erzeuger nur mittelbar Vorteile gebracht haben (vgl. die Ausführungen des Generalanwalts Jacobs, Nr.29 der Schlußanträge in der Rechtssache C-215/94 Jürgen Mohr vom 23. November 1995, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 1996, 85). Möglicherweise hätte der EuGH trotz der Mittelbarkeit der Zuwendung die Steuerbarkeit der Leistungen bejaht, wenn die Erzeuger konkret an ihren Vorteilen bemessene Zahlungen geleistet hätten. Aus den Ausführungen des EuGH kann jedoch nicht im Umkehrschluß gefolgert werden, ein Leistungsaustausch setze eine konkret nach der Inanspruchnahme der Leistung bemessene Gegenleistung voraus. Ist eine konkrete Leistung an den Leistungsempfänger gegeben, kommt --sofern die übrigen Voraussetzungen des Leistungsaustausches vorliegen-- der Höhe der Gegenleistung keine Bedeutung für den Steuertatbestand, sondern nur eine solche für die Bemessungsgrundlage zu. Gegenteiliges kann den Ausführungen des EuGH nicht entnommen werden.
4. Die Klägerin hat ihre Leistungen als Unternehmerin im Rahmen ihres Unternehmens ausgeführt. Unternehmer ist gemäß § 2 Abs.1 UStG 1980, wer nachhaltig Leistungen gegen Entgelt erbringt (BFH-Urteil vom 6. Mai 1993 V R 45/88, BFHE 171, 138, BStBl II 1993, 564). Diese Voraussetzungen sind nach den vorstehenden Ausführungen zu bejahen. Der Unternehmereigenschaft der Klägerin steht nicht entgegen, daß sie ausschließlich gegenüber ihren Gesellschaftern tätig wird (§ 2 Abs.1 Satz 3 UStG 1980).
5. Gegen die Besteuerungsgrundlagen im übrigen hat die Klägerin keine Bedenken erhoben, noch sind Bedenken sonstwie ersichtlich. Insbesondere stehen die vom FA berücksichtigten abziehbaren Vorsteuerbeträge außer Streit.
Fundstellen
Haufe-Index 65972 |
BFH/NV 1996, 266 |
BStBl II 1996, 387 |
BFHE 180, 204 |
BFHE 1997, 204 |
BB 1996, 1486 |
BB 1996, 1752 |
BB 1996, 1752-1753 (LT) |
DB 1996, 1450-1451 (LT) |
DStR 1996, 1647-1648 (KT) |
DStZ 1996, 573-574 (KT) |
HFR 1996, 676 (L) |
StE 1996, 451 (K) |