Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug des Grundstückserwerbers - Sachentscheidung durch BFH
Leitsatz (amtlich)
Verzichtet der Veräußerer eines Grundstücks auf die Steuerfreiheit des Umsatzes, so steht dem Vorsteuerabzug des Erwerbers, der den vollen Kaufpreis bezahlt, § 42 AO 1977 auch dann nicht entgegen, wenn der Veräußerer die geschuldete Umsatzsteuer nicht entrichten kann.
Orientierungssatz
Selbst wenn der Kläger lediglich Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Entscheidung beantragt, kann der BFH in der Sache selbst entscheiden (vgl. BFH-Urteil vom 18.12.1970 VI R 313/68).
Normenkette
UStG 1980 § 4 Nr. 9 Buchst. a, § 9 Abs. 1, § 15 Abs. 1 Nr. 1; AO 1977 § 41 Abs. 2, § 42; FGO § 126 Abs. 3
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Entscheidung vom 23.10.1990; Aktenzeichen V 141/89) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) kaufte am 18.Dezember 1986 von seinem Vater, einem Bauunternehmer (im folgenden: V), ein Grundstück zu einem Kaufpreis von 80 000 DM, nachdem ein Konkursverfahren gegen V mangels einer die Kosten deckenden Konkursmasse im August 1986 eingestellt worden war. Laut Kaufvertrag waren in dem Kaufpreis 9 824,56 DM Mehrwertsteuer enthalten. Der Kaufpreisanspruch war an die Volksbank L abgetreten. Mit Vertrag vom 8.Januar 1987 verpachtete der Kläger das Grundstück an das Bauunternehmen S GmbH & Co. KG zu einer monatlichen Pacht von 500 DM zuzüglich Umsatzsteuer.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) lehnte im Umsatzsteuerbescheid für 1986 vom 8.April 1988 und im "Einspruchsbescheid" vom 9.Februar 1989 den Abzug des Vorsteuerbetrags für den Grundstückskauf in Höhe von 9 824,56 DM ab.
Die Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung aus: Es liege zwar kein Scheingeschäft i.S. von § 41 Abs.2 der Abgabenordnung (AO 1977) vor. Die an der Grundstücksveräußerung Beteiligten hätten das abgeschlossene Rechtsgeschäft so, wie es durchgeführt worden sei, gewollt. Auch der Verzicht des V auf die Steuerfreiheit des Grundstücksumsatzes sei keine Scheinhandlung. Dem Vorsteuerabzug stehe jedoch § 42 AO 1977 entgegen. Der Kläger habe gewußt, daß V nicht in der Lage sein werde, seine aufgrund der Option zur Steuerpflicht entstehende Umsatzsteuerschuld zu begleichen. V seien aus dem Kaufvertrag keine Barmittel zugeflossen.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 15 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980.
Nach seiner Auffassung steht § 42 AO 1977 dem Vorsteuerabzug nicht entgegen.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Entscheidung an das FG zurückzuverweisen sowie die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen. Nach seiner Meinung ist der Verzicht auf die Steuerfreiheit nach § 9 Abs.1 UStG 1980 nur wirksam, wenn die sich daraus ergebende Umsatzsteuer entrichtet wird.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung und des angefochtenen Steuerbescheids und zur antragsgemäßen Umsatzsteuerfestsetzung für 1986 (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, obwohl der Kläger lediglich Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Entscheidung beantragt (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18.Dezember 1970 VI R 313/68, BFHE 102, 202, BStBl II 1971, 591).
2. Dem Kläger steht der begehrte Vorsteuerabzug zu.
a) Nach § 15 Abs.1 Nr.1 Satz 1 UStG 1980 kann der Unternehmer die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG 1980 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen.
Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt. Der Kläger ist aufgrund der Verpachtung des Grundstücks Unternehmer. Der Unternehmer V hat ihm für sein Verpachtungsunternehmen ein Grundstück geliefert und hierüber eine Rechnung mit gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer erteilt. Eine Rechnung i.S. des § 15 Abs.1 Nr.1 Satz 1 UStG 1980 kann auch in einem Kaufvertrag zu sehen sein, der Umsatzsteuer gesondert ausweist (Senatsurteil vom 4.März 1982 V R 55/80, BFHE 135, 133, BStBl II 1982, 317; Senatsbeschluß vom 7.Juli 1988 V B 72/86, BFHE 154, 197, BStBl II 1988, 913). Das UStG 1980 macht den Vorsteuerabzug beim Leistungsempfänger nicht davon abhängig, daß der Leistende die dem Leistungsempfänger in Rechnung gestellte Umsatzsteuer auch tatsächlich an das FA abführt (Senatsurteil vom 6.Juni 1991 V R 70/89, unter 3.a, BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866).
Dem Vorsteuerabzug steht § 15 Abs.2 Satz 1 Nr.1 UStG 1980 nicht entgegen. Zwar ist die Grundstücksverpachtung an sich steuerfrei (§ 4 Nr.12 Satz 1 Buchst.a UStG 1980). Der Kläger hat jedoch gemäß § 9 Abs.1 UStG 1980 auf die Steuerfreiheit der Verpachtungsumsätze verzichtet.
b) § 41 Abs.2 AO 1977 schließt den Vorsteuerabzug nicht aus, wie das FG zutreffend ausgeführt hat (vgl. dazu Senatsurteil in BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866, unter 2.).
c) Auch § 42 AO 1977 steht dem Vorsteuerabzug nicht entgegen.
Nach dieser Vorschrift kann durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Mißbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.
Verzichtet der Grundstücksveräußerer auf die Steuerfreiheit der Grundstückslieferung (§ 4 Nr.9 Buchst.a UStG 1980), ist der Vorsteuerabzug durch den Grundstückserwerber grundsätzlich nicht rechtsmißbräuchlich; vielmehr soll der Verzicht auf die Steuerbefreiung dem Erwerber den Vorsteuerabzug regelmäßig gerade ermöglichen (Senatsurteil in BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866, unter 4.). Der Senat hat einen Mißbrauch beim Erwerber lediglich für den Fall bejaht, daß dieser den vereinbarten Kaufpreis (einschließlich Umsatzsteuer) dem Verkäufer gar nicht auszahlt, sondern mit eigenen Gegenforderungen verrechnet (vgl. hierzu noch Reiß, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 1992, 42; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14.Aufl., § 42 AO 1977, Tz.36; Weiß, UR 1991, 317, und die Urteilsanmerkung in Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1992, 20). So liegen die Dinge im Streitfall nicht, da der Kläger kein Gläubiger des V war, sondern den Kaufpreis entrichtet hat. Dies ist entscheidend (Senatsurteil vom 16.März 1993 V R 54/92, BFHE 171, 7).
Fundstellen
Haufe-Index 64775 |
BFH/NV 1993, 78 |
BStBl II 1993, 854 |
BFHE 172, 172 |
BFHE 1994, 172 |
BB 1993, 2224 (L) |
DB 1993, 2468 (L) |
DStR 1993, 1625 (KT) |
DStZ 1994, 95 (KT) |
HFR 1994, 33 (LT) |
StE 1993, 583 (K) |