Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesellschafterhaftung für Steuerschulden einer GbR
Leitsatz (NV)
1. Zur Berichtigung einer Einspruchsentscheidung wegen offenbarer Unrichtigkeiten.
2. Ist ein Unternehmen dem FA gegenüber jahrelang als Gesellschaft bürgerlichen Rechts aufgetreten, so kann die Inanspruchnahme eines Mitinhabers als Haftungsschuldner für die Steuerschulden der Gesellschaft nicht mit der Begründung abgelehnt werden, die Gesellschaft habe wegen Fehlens eines Gesellschaftsvertrages nicht bestanden.
Normenkette
AO 1977 §§ 129, 191; BGB §§ 421, 427, 714
Tatbestand
Streitig ist, ob das FA den Kläger zu Recht für Steuerschulden der Firma F in Anspruch genommen hat.
Die Firma F wurde zunächst vom Vater des Klägers als Einzelfirma betrieben. Im November 1971 reichte sie eine Erklärung zur einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung für 1969 und eine Umsatzsteuererklärung 1969 für eine F, Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), ein. In einem Begleitschreiben teilte die damalige steuerliche Beraterin der Firma F und des Klägers dem FA mit, daß mit Wirkung vom 1. Februar 1969 das bisherige Einzelunternehmen in eine GbR umgewandelt worden sei. Der Kläger sei von seinem Vater als Teilhaber aufgenommen worden. Zum 1. Januar 1972 würde die Umwandlung in eine OHG unter Eintragung in das Handelsregister angestrebt. Die Gewinnverteilung solle in der Weise vorgenommen werden, daß dem Vater des Klägers 67 v. H. und dem Kläger 33 v. H. zugerechnet werden sollten. Es wurden auch entsprechende Kapitalkonten für den Kläger und seinen Vater eingerichtet. Das FA erließ daraufhin entsprechende Feststellungs-, Gewerbesteuer- und Umsatzsteuerbescheide. Für das Jahr 1970 wurden - mit Ausnahme der Umsatzsteuererklärung - ebenfalls Steuererklärungen für die GbR abgegeben und Bescheide an die GbR erlassen.
Auch für die Jahre 1971 bis 1973 wurden die Steuererklärungen - mit Ausnahme der Umsatzsteuererklärungen - für die GbR abgegeben und die Bescheide vom FA an die GbR gerichtet. Ab 1973 erfolgte eine geänderte Gewinnverteilung in der Weise, daß dem Vater des Klägers 60 v. H. und dem Kläger 40 v. H. zugerechnet wurden. Im Betriebsprüfungsbericht für die Jahre 1971 bis 1973 (vom Jahr 1974) wird die Firma F als BGB-Gesellschaft bezeichnet, und es sind der Kläger und sein Vater als Gesellschafter aufgeführt. Aufgrund der Betriebsprüfung ergingen geänderte Feststellungsbescheide für 1971 bis 1973 an die Firma F GbR mit Gewinnzurechnungen auch für den Kläger. Ebenso wurde bei den Gewerbesteuerbescheiden verfahren. Auch in den Jahren 1974 und 1975 wurden Erklärungen wie in den Vorjahren abgegeben und die Steuerbescheide an die GbR gerichtet.
Für die Jahre 1976 und 1977 legte die Firma F von einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft erstellte Jahresabschlüsse vor. In den Wirtschaftsprüferberichten heißt es, daß es sich um eine GbR handele und die Geschäftsführung vom Kläger und seinem Vater gemeinsam ausgeübt werde. Der Prüfungsauftrag sei vom Kläger und seinem Vater erteilt worden. Der Gewinn oder der Verlust würden im Verhältnis 60 v. H. für den Vater und 40 v. H. für den Kläger verteilt. Die entsprechenden Feststellungs- und Umsatzsteuererklärungen 1976 vom 27. Januar 1978 sind auch vom Kläger unterschrieben worden. In den Jahren 1973 und 1975 wurden vom FA der Firma F GbR steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigungen ausgestellt.
Die Firma F wurde etwa ab 1975 mit ihren Steuerzahlungen rückständig. Im Februar 1979 wurde Konkursantrag gestellt, die Eröffnung des Konkurses jedoch mangels Masse abgelehnt. Der Vater des Klägers war damals 68 Jahre alt und bezog neben einer monatlichen Altersrente von 600 DM keine weiteren Einkünfte.
Am 14. Dezember 1979 wurde die Firma F im Handelsregister gelöscht.
Mit Haftungsbescheid vom 2. März 1979 nahm das FA den Kläger für die rückständigen Steuern der Firma F als Verfügungsberechtigten nach §§ 35, 69 AO 1977 mit insgesamt 250 000 DM in Anspruch. Bei den zugrundeliegenden Steuerschulden handelt es sich nach dem Haftungsbescheid um: Lohnsteuer Januar bis August 1978, November und Dezember 1978, Januar 1979; Lohnsteuerverspätungszuschlag Oktober und Dezember 1978, Lohnkirchensteuer März bis August 1978, November und Dezember 1978 und Januar 1979; Lohnsummensteuer III und IV/1977; Umsatzsteuer 1971 bis 1977; Gewerbesteuer 1972, 1975 und 1977.
Den mit dem Ziel der Aufhebung des Haftungsbescheids eingelegten Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 10. November 1980 zurück. Im Betreff der Einspruchsentscheidung sind als Steuerschulden angegeben: Lohnsteuer 1978 samt Verspätungszuschlag, Lohnkirchensteuer 1978, Lohnsummensteuer 1977, Umsatzsteuer 1972 bis 1977, Gewerbesteuer 1972, 1975 und 1977. In der Begründung der Einspruchsentscheidung ist ausgeführt, der Kläger hafte gemäß § 191 AO 1977 i. V. m. §§ 421, 427, 431 BGB als Gesellschafter für die Steuerschulden der Firma F GbR, die ihrerseits wegen Überschuldung die Steuerschulden nicht erfüllen könne. Es habe in den Kalenderjahren, ,,für die Steuerschulden der Firma in dem angefochtenen Bescheid angefordert wurden", eine GbR bestanden. Das FA habe somit den Kläger für die bei Erlaß des Haftungsbescheids bestehenden Steuerschulden der GbR in Höhe von 250 000 DM ,,- spezifiziert aufgeführt in dem Bescheid -" als Haftungsschuldner in Anspruch genommen.
Nachdem der Kläger im Dezember 1980 Klage erhoben hatte mit der Begründung, er sei nicht Gesellschafter der Firma gewesen, außerdem sei die Einspruchsentscheidung insofern zweideutig, als in ihrem Betreff teilweise bei den Steuerschulden andere Jahre angegeben seien als im Haftungsbescheid, berichtigte das FA die Einspruchsentscheidung mit Bescheid vom 19. Dezember 1980 gemäß § 129 AO 1977. Im Betreff nannte es nun dieselben Steuerarten und Jahre wie im Haftungsbescheid. Außerdem wurden in der Begründung eine Jahreszahl berichtigt und an einer Stelle das Wort ,,ab" eingefügt. Dieser Berichtigungsbescheid wurde mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen dahingehend, gegen ihn könne Klage erhoben werden.
Mit der nunmehr gegen den Berichtigungsbescheid (§ 129 AO 1977) erhobenen Klage machte der Kläger geltend, das FA sei nicht berechtigt gewesen, die Einspruchsentscheidung nach § 129 AO 1977 zu ändern. Es handele sich hier nicht um offenbare Unrichtigkeiten, sondern um die verspätete Nachholung einer erforderlichen Begründung. Er, der Kläger, sei davon ausgegangen, für die in der alten Einspruchsentscheidung nicht mehr genannten Steuern, nämlich Umsatzsteuer 1971 sowie Lohnsteuer und Lohnkirchensteuer 1979, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden.
Das FG hat die Klage - mit Ausnahme der Haftungsfreistellung von den Verspätungszuschlägen (123 DM) - abgewiesen. Es hat ausgeführt: Die Berichtigungen in dem Bescheid vom 19. Dezember 1980 seien nach § 129 AO 1977 wegen Vorliegens von Schreibfehlern oder ähnlicher offenbarer Unrichtigkeiten zulässig gewesen, und zwar auch hinsichtlich der in der ursprünglichen Einspruchsentscheidung nicht angegebenen Lohnsteuer und Lohnkirchensteuer 1979 und der Umsatzsteuer 1971. Dies ergebe sich daraus, daß der Einspruch ohne jede Einschränkung zurückgewiesen worden sei sowie weiter daraus, daß in den Gründen der Einspruchsentscheidung die Haftbarmachung des Klägers in vollem Umfang - also wiederum uneingeschränkt - aufrechterhalten worden sei.
Auch in der Sache selbst sei die Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner nicht zu beanstanden. Denn bei der Firma F habe es sich um eine GbR gehandelt, mit dem Vater des Klägers und dem Kläger als Gesellschafter. Der Kläger habe sich selbst verschiedentlich in den Steuererklärungen als Gesellschafter bezeichnet, die Firma sei dem FA gegenüber fortlaufend als Gesellschaft aufgetreten und habe sich dementsprechend als solche behandeln lassen. Die Haftung des Klägers bestehe deshalb gemäß § 191 AO 1977 i. V. m. § 42 d EStG (Lohn- und Lohnkirchensteuer) bzw. § 191 AO 1977 i. V. m. §§ 421, 427, 714 BGB (Umsatz-, Gewerbe- und Lohnsummensteuer) zu Recht. Auch ein Fehler im Auswahlermessen sei nicht erkennbar, da - wie das FA in der Einspruchsentscheidung ausführlich dargetan habe - das Konkursverfahren über das Vermögen der Gesellschaft mangels Masse erst gar nicht eröffnet worden sei und der andere Gesellschafter - der hochbetagte Vater des Klägers - nur eine geringe Altersrente beziehe.
Mit der Revision verfolgt der Kläger das Klagebegehren weiter. Er rügt unrichtige Anwendung von § 191 AO 1977 i. V. m. §§ 421 ff., 714 BGB.
Das FG habe es unterlassen zu prüfen, ob überhaupt ein Gesellschaftsvertrag (§ 705 BGB) bestanden habe. Ferner habe es verkannt, daß ein vollkaufmännisches Gewerbe nicht in der Rechtsform einer GbR betrieben werden dürfe und daß die Haftung des Klägers für Gesellschaftsschulden durch Vereinbarung des Klägers mit seinem Vater beschränkt gewesen sei.
Schließlich habe das FG übersehen, daß die von dem FA für die Haftung angegebenen Rechtsgrundlagen widersprüchlich seien. Denn es sei nicht miteinander zu vereinbaren, daß der Kläger zunächst - im Haftungsbescheid - als Verfügungsberechtigter (§ 35 AO 1977) und später - in der Einspruchsentscheidung - in seiner Eigenschaft als Gesellschafter einer GbR in Anspruch genommen worden sei. Das erstere schließe das letztere aus und umgekehrt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Die Berichtigungen der Einspruchsentscheidung (10. November 1980) durch den Bescheid vom 19. Dezember 1980 hat das FG zutreffend gemäß § 129 Satz 1 AO 1977 für zulässig erachtet. Es handelt sich bei den im Betreff der Einspruchsentscheidung nicht genannten Jahreszahlen 1979 (Lohn- und Lohnkirchensteuer) und 1971 (Umsatzsteuer) um offenbare Unrichtigkeiten im Sinne dieser Vorschrift. Denn aus den Gründen der Einspruchsentscheidung ergibt sich eindeutig, daß sich die Zurückweisung des Einspruchs auf die nämlichen Steuern und Steuerabschnitte bezog wie die im Haftungsbescheid aufgeführten. So ist in der Begründung der Einspruchsentscheidung mehrfach auf die im Haftungsbescheid genannten Steuern Bezug genommen; auch die Haftungssumme mit 250 000 DM ist unverändert aus dem Haftungsbescheid übernommen. Bei dieser Sachlage handelt es sich bei den Weglassungen im Betreff der Einspruchsentscheidung um ,,mechanische" Versehen, nicht aber um Verstöße rechtlicher oder denkgesetzlicher Art (vgl. Kühn / Kutter / Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., Anm. 2 c zu § 129 AO 1977).
2. In der Sache selbst hat das FA den Kläger in der Einspruchsentscheidung zu Recht als Gesellschafter der F GbR zur Haftung herangezogen (§ 191 AO 1977, § 113 der Reichsabgabenordnung - AO - i. V. m. §§ 427, 714 BGB und § 42 d EStG; vgl. hierzu Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23. Oktober 1985 VII R 187/82, BFHE 145, 13, BStBl II 1986, 156). Hierin hat das FA die für die Haftung maßgebliche Rechtsgrundlage erblickt, die es gemäß § 126 Abs. 2 i. V. m. § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 bis zum Abschluß des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens - also auch in der Einspruchsentscheidung - als Begründung nachschieben konnte. Im übrigen besteht zwischen der Haftungsinanspruchnahme als Verfügungsberechtigter nach §§ 35, 69 AO 1977 (so geschehen im Haftungsbescheid) und derjenigen als Gesellschafter, entgegen der Ansicht des Klägers, kein Widerspruch, weil auch ein Gesellschafter als Verfügungsberechtigter i. S. von § 35 AO 1977 auftreten und dann als solcher zur Haftung herangezogen werden kann. Von einem wechselseitigen Ausschluß der beiden Haftungsbestimmungen kann also keine Rede sein. Schließlich liegt der Einwand der Revision, ein vollkaufmännisches Gewerbe könne nicht in Form einer GbR betrieben werden, insofern neben der Sache, als bei Vorhandensein eines solchen Gewerbes im Streitfall eine OHG gegeben gewesen wäre (§ 105 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches - HGB -), so daß sich die Haftung des Klägers aus § 128 HGB ergäbe, an dem Ergebnis sich also sachlich nichts ändern würde.
Schließlich ist auch der von der Revision - wie bereits in den Vorinstanzen - erneut erhobene Einwand, die Firma F sei überhaupt nicht als Gesellschaft, sondern als Einzelfirma betrieben worden, nicht stichhaltig. Denn die Firma F ist nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen und daher revisionsrechtlich verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) in den Streitjahren dem FA gegenüber durchgängig - wenn auch nicht völlig ausnahmslos - als GbR aufgetreten. Es entsprach dies der von der Firma dem FA am 24. November 1971 abgegebenen Mitteilung, daß das bisherige Einzelunternehmen F mit Wirkung vom 1. Februar 1969 in eine GbR umgewandelt worden sei. Die Firma hat sich auch in den Folgejahren - jedenfalls für die hier interessierenden Zeiträume (bis einschließlich 1978) - durchgängig als GbR behandeln lassen, und ihre Inhaber, nämlich der Vater des Klägers und der Kläger selbst, haben das Vorhandensein einer solchen Gesellschaft sogar mehrfach ausdrücklich anerkannt (vgl. z. B. den Betriebsprüfungsbericht vom 28. Oktober 1974, Schlußbesprechung).
Bei dieser Sachlage konnte das FG bei sachgerechter Würdigung der Gesamtumstände ohne Verstoß gegen die Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze und damit revisionsrechtlich bindend zu dem Ergebnis kommen, daß das Unternehmen in Form einer Gesellschaft betrieben wurde (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, 1. Aufl., Tz. 10 zu § 118). Das Fehlen eines förmlichen Gesellschaftsvertrags steht dem nicht entgegen (vgl. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 45. Aufl., § 705 Anm. 3 a).
Ist aber, wie vorstehend dargetan, die Firma in Form einer Gesellschaft betrieben worden, so ergibt sich die Haftung des Klägers für die Lohnsteuer aus § 191 Abs. 1 AO 1977 und § 42 d EStG, für die Lohnkirchensteuer aus § 191 Abs. 1 AO 1977, § 42 d EStG i. V. m. § 3 Abs. 4 und § 11 Abs. 3 des Hamburgischen Kirchensteuergesetzes. Arbeitgeber i. S. von § 42 d EStG sind die Gesellschafter (Urteil des BFH vom 25. März 1983 VI R 207/82, nicht veröffentlicht). Für die Umsatzsteuer ergibt sich die Haftung aus § 191 Abs. 1 und 4 AO 1977, § 2 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1973 und für die Gewerbesteuer und Lohnsummensteuer aus § 191 Abs. 1 und 4 AO 1977, § 5 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes, jeweils i. V. m. §§ 421, 427, 714 BGB (vgl. das oben genannte Urteil in BFHE 145, 13, BStBl II 1986, 156), bzw. für die noch vor dem 31. Dezember 1976 liegenden Haftungstatbestände aus § 113 AO in Verbindung mit den genannten Vorschriften des BGB (§ 11 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung).
Da das FG nach alledem zu dem richtigen Ergebnis gelangt ist, ist die Revision als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 415551 |
BFH/NV 1988, 615 |