Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer, Arbeitsrecht
Leitsatz (amtlich)
Es verstößt nicht gegen das GG, daß nach dem Gesetz zur änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 (BGBl 1957 I S. 848, BStBl I S. 352) bei sogenannten Einverdiener-Ehen das Einkommen nur dem Ehegatten zugerechnet wird, der es erzielt hat.
Normenkette
EStG §§ 26, 26a, 26b; GG Art. 3, 6, 20
Tatbestand
Der Beschwerdeführer (Bf.) ist Gesellschafter einer OHG und hat als solcher in den Streitjahren 1949 und 1950 Einkünfte aus Gewerbebetrieb gehabt. Nach einer Betriebsprüfung bei der Firma wurden die rechtskräftigen Einkommensteuerveranlagungen 1949 und 1950 durch den Steuerbescheid vom 5. April 1957 nach § 222 der Reichsabgabenordnung geändert. Die Ehe des Bf. wurde im Oktober 1951 geschieden. Für 1949 und 1950 ist der Bf. bei den ursprünglichen und bei den berichtigten Veranlagungen mit seiner früheren Ehefrau gemäß § 26 des Einkommensteuergesetzes (EStG) a. F. zusammen veranlagt worden. Die Einkommensteuer wurde nach der Steuerklasse III/1 berechnet. Während der Streitjahre hatte nur der Bf. eigene Einkünfte; seine frühere Ehefrau hatte keine Einkünfte. Mit dem Einspruch verlangte der Bf., seine Einkünfte je zur Hälfte ihm und seiner Ehefrau zuzurechnen und ihn und seine Ehefrau getrennt damit zu veranlagen. Das Finanzamt wies den Einspruch als unbegründet zurück, weil §§ 26 ff. EStG in der Fassung des Gesetzes zur änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 (Bundesgesetzblatt - BGBl - 1957 I S. 848, Bundessteuerblatt - BStBl - 1957 I S. 352) - abgekürzt: EStG 1957 - keine Grundlage für die beantragte Veranlagung böten.
Die Berufung blieb erfolglos. Das Finanzgericht führte im wesentlichen aus: Die vom Finanzamt am 5. April 1957, also nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 1957 betreffend die Nichtigkeit des § 26 EStG 1951, erlassenen berichtigten Einkommensteuerbescheide für 1949 und 1950 seien nicht etwa nichtig, weil sie § 26 EStG a. F. angewandt hätten. Nach § 26 Abs. 2 Ziff. 3 EStG 1957 sei § 26 Abs. 1 EStG 1957 anzuwenden, weil die berichtigten streitigen Steuerbescheide infolge des Einspruchs am 30. Juni 1957 noch nicht rechtskräftig gewesen seien. Nach der Neuregelung der Ehegattenbesteuerung im Gesetz vom 26. Juli 1957 seien die Ehegatten für die Veranlagungszeiträume 1949 bis 1957 grundsätzlich mit ihren eigenen Einkünften getrennt zu veranlagen; nur auf Antrag würden sie mit ihren Einkünften zusammen veranlagt. Der Bf. meine, diese gesetzliche Regelung verstoße gegen Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG); denn sie benachteilige die Ehen, in denen nur ein Ehegatte das Familieneinkommen erziele; solche Ehen - gewöhnlich Einverdiener-Ehen genannt - würden steuerlich schlechter gestellt als die, bei denen beide Ehegatten eigene Einkünfte hätten. Das Finanzgericht trete aber der Auffassung des Bf., daß aus diesem Grund §§ 26 ff. EStG n. F. nichtig seien, nicht bei. Die neue gesetzliche Regelung beruhe auf dem Grundsatz der Individualbesteuerung, nach dem Ehegatten wie Ledige zu behandeln seien. Im übrigen könnten die Ehegatten die Zusammenveranlagung beantragen und würden dann nach der familiengerechten Steuerklasse besteuert. Das Finanzamt hätte zwar, weil der Bf. und seine geschiedene Ehefrau damals keinen Antrag auf Zusammenveranlagung gestellt hätten, die Ehegatten im Einspruchsverfahren getrennt veranlagen müssen. Der Bf. sei aber durch die Zusammenveranlagung nicht benachteiligt. Denn die Einkommensteuer sei aus der Steuerklasse III/1 berechnet worden und sei also niedriger als bei einer getrennten Veranlagung. Im übrigen hätten die Ehegatten nachträglich vorsorglich den Antrag auf Zusammenveranlagung gestellt. Der Antrag des Bf., für 1949 und 1950 seine Einkünfte gleichmäßig auf ihn und seine Ehefrau zu verteilen, habe im EStG 1957 keine Grundlage.
Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) macht der Bf. geltend, die Besteuerung der Einverdiener-Ehen im Gesetz vom 26. Juli 1957 sei mit Art. 3 und Art. 6 GG unvereinbar. Wählten die Ehegatten die Zusammenveranlagung nach § 26 Abs. 1 Satz 2 EStG 1957, so werde im Ergebnis die vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärte Besteuerung des § 26 EStG a. F. unzulässigerweise wieder angewendet; die Ehegatten könnten auf den durch Art. 6 Abs. 1 GG garantierten Schutz der Ehe überhaupt nicht verzichten. Würden die Ehegatten aber getrennt veranlagt, so könnte das Einkommen nicht nur einem von ihnen zugerechnet werden. Der Grundsatz der Individualbesteuerung dürfe nicht so angewendet werden, daß Ehegatten wie Ledige behandelt würden.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Zutreffend nimmt das Finanzgericht an, daß die Berichtigungsveranlagungen für 1949 und 1950, weil sie am 30. Juni 1957 noch nicht rechtskräftig waren, nach den Bestimmungen des Gesetzes vom 26. Juli 1957 durchgeführt werden mußten. Die nach § 26 EStG a. F. ergangenen Berichtigungsbescheide waren aber nicht nichtig. Die neue Rechtslage, die durch das Gesetz vom 26. Juli 1957 geschaffen war, mußte in den schwebenden Sachen in jeder Lage des Verfahrens vom Amts wegen beachtet werden (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 27/58 U vom 11. März 1958, BStBl 1958 III S. 212, Slg. Bd. 66 S. 556). Das Finanzamt hätte deshalb, wie das Finanzgericht mit Recht bemerkt, im Einspruchsverfahren die Ehegatten getrennt veranlagen müssen, solange sie nicht die Zusammenveranlagung beantragt hatten. Der Mangel ist aber durch den nachträglich gestellten Antrag geheilt. überdies ist der Bf. auch nicht benachteiligt, weil ihn die Vorinstanzen nach der familiengerechten Steuerklasse III/1 besteuert haben.
Mit der Rb. beanstandet der Bf. ausschließlich, daß das Finanzgericht zu Unrecht die Verfassungsmäßigkeit der Ehegattenbesteuerung im Gesetz vom 26. Juli 1957 für Einverdiener-Ehen anerkannt habe. Die vom Bf. gegen die gesetzliche Regelung erhobenen Bedenken greifen indessen nicht durch.
Nach dem Gesetz vom 26. Juli 1957 werden tatsächlich, wie der Bf. zutreffend ausführt, Familien, in denen nur ein Ehegatte das Familieneinkommen bezieht, insofern benachteiligt, als dieses Einkommen nur dem Ehegatten, der das Einkommen erzielt hat, zugerechnet wird, so daß das Einkommen der vollen Tarifprogression unterliegt. Meist handelt es sich dabei um Ehen, in denen der Ehemann im Wirtschaftsleben tätig ist, die Ehefrau aber sich dem Haushalt und der Erziehung der Kinder widmet. Diese Form der Ehe ist auch heute noch die weitaus überwiegende. Hat in einer Einverdiener-Ehe der Ehemann allein z. B. ein Einkommen von 30.000 DM, so unterliegt es infolge der Tarifprogression einer höheren Besteuerung, als wenn beide Ehegatten eigene Einkünfte haben und mit dem Gesamteinkommen von 30.000 DM getrennt veranlagt werden. In der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sind wiederholt Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer solchen Regelung erhoben worden. In der Entscheidung des Bundesfinanzhofs I 335/56 U vom 2. April 1957 (BStBl 1957 III S. 162, Slg. Bd. 64 S. 432), in der der I. Senat des Bundesfinanzhofs sich mit dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 1957 befaßt, wird ausgeführt: "Mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG wie mit dem Verfassungsgebot des Art. 6 GG, Ehe und Familie staatlich zu schützen, wäre es nicht vereinbar, Ehen mit eigenen Einkünften beider Ehegatten ohne besondere stichhaltige Gründe günstiger zu besteuern als Ehen, in denen der Ehemann die gesamten Einkünfte bezieht, die Ehefrau aber, weil sie im Haushalt tätig ist und die Kinder erzieht, sich im Wirtschaftsleben nicht betätigen kann. Eine steuerliche Benachteiligung solcher Ehen würde auch wohl dem Art. 6 GG widersprechen. Daß die Ehe eine soziologische Einheit darstellt und mit anderen Gemeinschaften (Gesellschaften) des bürgerlichen Rechts nicht verglichen werden kann, ist bereits im bürgerlichen Recht für den Gesetzgeber ein entscheidender Gesichtspunkt bei der Gestaltung des Eherechts. Auch er wendet der Rechtsstellung der Mutter und Hausfrau sein besonderes Augenmerk zu." Von ähnlichen überlegungen ist die Entscheidung des III. Senats des Bundesfinanzhofs III 125/57 S vom 28. Februar 1958 (BStBl 1958 III S. 191, Slg. Bd. 66 S. 497) getragen, die sich mit der Zusammenveranlagung von Ehegatten für die Vermögensabgabe befaßt. Auch der erkennende Senat hat in der Entscheidung VI 33/56 U vom 31. Oktober 1957 (BStBl 1957 III S. 433, Slg. Bd. 65 S. 520) ähnliche Bedenken geäußert.
Der Senat hat trotz seiner Bedenken in der letzterwähnten Entscheidung das System der Ehegattenbesteuerung, wie es im Gesetz vom 26. Juli 1957 geschaffen wurde, grundsätzlich für verfassungsgerecht erklärt. Wesentlich war dabei die Erwägung, daß der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 1957 auf einem wichtigen Teilgebiet große Rechtsunsicherheit für einen langen Zeitraum herbeigeführt hatte, der Gesetzgeber alsbald handeln mußte und nur eine übergangslösung für die Zeit bis zum 31. Dezember 1957 schaffen wollte. Tatsächlich hat der Gesetzgeber anschließend durch das Gesetz zur änderung steuerlicher Vorschriften auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Ertrag und des Verfahrensrechts vom 18. Juli 1958 (BGBl 1958 I S. 473, BStBl 1958 I S. 412) die Einkommensbesteuerung der Ehegatten für die Zeit ab 1. Januar 1958 rückwirkend und endgültig geregelt. Insbesondere ist dabei die unterschiedliche einkommensteuerliche Belastung von Einverdiener- und Mehrverdiener-Ehen durch die allgemeine Einführung des Splittingtarifs beseitigt worden.
Der Gesetzgeber, der die nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 1957 entstandene Lage regeln mußte, stand vor einer besonders schwierigen Aufgabe. Viele Millionen Steuerfälle der Jahre ab 1949 waren endgültig abgewickelt und konnten aus mannigfachen Gründen nicht wieder aufgerollt werden. Das galt insbesondere für die Arbeitnehmer. Es wäre mit dem Gebot steuerlicher Gerechtigkeit nicht zu vereinbaren gewesen, dem Lohnsteuerabzug unterliegende Arbeitnehmer anders zu behandeln als veranlagte Steuerpflichtige. Der Gesetzgeber mußte einen Weg finden, auf dem, so gut es ging, die in Betracht kommenden verfassungsrechtlichen Grundsätze, die sich zum Teil überschnitten, verwirklicht werden konnten. Es handelte sich einmal darum, den Grundsatz des Art. 6 GG, auf den das Bundesverfassungsgericht seinen Beschluß vom 17. Januar 1957 gestützt hatte, durchzuführen. Aber auch der Grundsatz der Gerechtigkeit, d. h. der geichmäßigen Behandlung der Steuerpflichtigen (Art. 3 GG), und der Grundsatz des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit (Art. 20 GG) durften nicht außer acht gelassen werden. Diese Grundsätze kollidierten miteinander, wie auch das Bundesverfassungsgericht im Beschluß 1 BvR 678/57 vom 12. Dezember 1957 (BStBl 1958 I S. 52) ausgeführt hat, in dem es die dagegen erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken zurückweist, daß die rechtskräftig gewordenen und mit der Neuregelung im Gesetz vom 26. Juli 1957 unvereinbaren Veranlagungen von Ehegatten nicht allgemein wieder aufgerollt wurden.
Der Gesetzgeber hat den vom Bundesverfassungsgericht im Beschluß vom 17. Januar 1957 aus Art. 6 GG erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken dadurch Rechnung getragen, daß er die getrennte Veranlagung der Ehegatten mit ihren eigenen Einkünften vorsah. Darüber hinaus bot er den Ehegatten die Möglichkeit, die Zusammenveranlagung zu beantragen. Die zu veranlagenden Ehegatten also die ihnen jeweils günstigste Form der Besteuerung wählen. Für zusammen veranlagte Ehegatten und für Arbeitnehmer-Ehegatten, bei denen nur einer berufstätig war, gewährte der Gesetzgeber für 1957 einen besonderen steuerfreien Betrag von 600 DM (§§ 26 d Abs. 2, 39 a Abs. 1 EStG 1957). Darin liegt ein gewisser Ausgleich dafür, daß in Einverdiener-Ehen eine Aufspaltung des Einkommens nicht möglich ist.
Nach Auffassung des Senats, wie sie bereits im Urteil VI 33/56 U a. a. O. zum Ausdruck gekommen ist, konnte der Gesetzgeber bei der besonderen Lage, die durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts entstanden war, im Rahmen seines Ermessens zu der gewählten Lösung kommen, ohne gegen Verfassungsgrundsätze zu verstoßen (vgl. auch die Entscheidung des Senats VI 90/58 U vom 8. August 1958 - BStBl 1958 III S. 418 - betreffend die Verfassungsmäßigkeit des § 32 a EStG 1957). Es wäre gewiß auch in Einzelpunkten eine andere Regelung denkbar gewesen. Aber für die Regelung, die der Gesetzgeber getroffen hat, sprechen gute Gründe; sie ist jedenfalls frei von unsachlicher Willkür. Hat sich der Gesetzgeber aber aus guten Gründen für eine bestimmte Regelung entschieden, so ist es nicht Sache der Gerichte, zu prüfen, ob nicht eine noch bessere und gerechtere Lösung möglich gewesen wäre (vgl. Entscheidung des Senats VI 20/58 U vom 28. Februar 1958, BStBl 1958 III S. 196, Slg. Bd. 66 S. 512).
Die in der Entscheidung des Bundesfinanzhofs I 335/56 U herausgestellten überlegungen zur steuerlichen Behandlung der Einverdiener-Ehen beziehen sich naturgemäß in erster Linie auf die endgültige Regelung der Ehegattenbesteuerung. Der Bundesfinanzhof wollte damit die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts ergänzen, die unmittelbar eine Neuregelung der Ehegattenbesteuerung nur für die Ehen erforderlich machten, in denen beide Ehegatten eigene Einkünfte hatten. Der I. Senat machte deshalb darauf aufmerksam, daß dem Art. 6 GG nicht voll Rechnung getragen werde, wenn Ehen mit eigenen Einkünften der Ehegatten steuerlich günstiger behandelt würden als Einverdiener-Ehen. Nachdem der Gesetzgeber im Gesetz vom 18. Juli 1958 so schnell wie möglich rückwirkend für die Zeit ab 1. Januar 1958 die steuerliche Gleichbehandlung aller Ehen verwirklicht hat, sind die Bedenken des Bundesfinanzhofs als erledigt zu betrachten.
Zusammenfassend ist deshalb festzustellen, daß die Verfassungsmäßigkeit der §§ 26, 26 a EStG 1957, die der Senat in der Entscheidung VI 33/56 U bereits allgemein anerkannt hat, auch nicht dadurch berührt wird, daß bei Einverdiener-Ehen das Einkommen nicht auf die Ehegatten verteilt, sondern nur einem Ehegatten zugerechnet wird.
Fundstellen
Haufe-Index 409190 |
BStBl III 1958, 442 |
BFHE 1959, 442 |
BFHE 67, 442 |