Leitsatz (amtlich)
Zinsen, die ein Steuerpflichtiger als Bürge für den Hauptschuldner leistet, sind als Sonderausgaben des Steuerpflichtigen abziehbar, wenn sein Rückgriffsanspruch uneinbringlich ist.
Normenkette
EStG 1971 § 10 Abs. 1 Nr. 1, § 11 Abs. 2 S. 1, § 12
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) hat im Jahre 1967 eine selbstschuldnerische Bürgschaft bis zu einem Höchstbetrag von 30 000 DM zuzüglich Zinsen, Provisionen und Kosten für ein von der Bank seinem Bruder bzw. seiner Mutter gewährtes Darlehen übernommen. Die Bank nahm den Kläger aus der Bürgschaft in Anspruch, und zwar im Streitjahr 1971 in Höhe von 12 488,04 DM wegen der Hauptschuld sowie in Höhe von 2 778,10 DM wegen Zinsen. Der Kläger machte die Zinsen als Sonderausgaben geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt – FA –) lehnte dies ab.
Die Klage hatte in dem Revisionsverfahren noch streitigen Punkt Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus: Die vom Kläger für die Bürgschaft gezahlten Zinsen seien nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG als Schuldzinsen abziehbar. Der Kläger sei Schuldner der Bürgschaftszinsen. Der von Rechtsprechung und vom Schrifttum vertretenen Auffassung, daß Bürgschaftszinsen beim Bürgen nur dann abgezogen werden könnten, wenn die Rückgriffsforderung des Bürgen uneinbringlich sei, könne es nicht folgen. Denn begrifflich werde für den Abzug von Schuldzinsen nicht vorausgesetzt, daß ein Erstattungsanspruch bestehe. Daß eine eventuelle spätere Erstattung der vom Bürgen geleisteten Zinsen möglicherweise nicht mit anderen Sonderausgaben verrechnet werden könne und deshalb im Ergebnis steuerfrei bleibe, spiele für die Frage der Abziehbarkeit der Zinsen keine Rolle. Im übrigen dürfe der bei § 33 EStG entwickelte Gedanke des Gegenwerts nicht bei Sonderausgaben und auch nicht gerade beim Abzug von Bürgschaftszinsen zum Tragen kommen. Auch müßten Sonderausgaben in dem Jahr abziehbar sein, in dem sie geleistet worden seien (§ 11 Abs. 2 EStG).
Das FG ließ die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und wegen Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu.
Mit der Revision macht das FA geltend: Der Kläger habe die Zinsen im Ergebnis wirtschaftlich nicht zu tragen, weil er einen Regreßanspruch gemäß § 774 BGB erlangt habe. Nur wenn sich dieser Regreßanspruch tatsächlich nicht realisieren lasse, könne rechtlich und wirtschaftlich von einer „Schuld” gesprochen werden. Zwar seien Ausgaben in dem Jahr abziehbar, in dem sie geleistet worden seien (§ 11 Abs. 2 EStG). Bei Bürgschaftszinsen müsse aber für das Jahr der Leistung geprüft werden, ob sie wirtschaftlich endgültig vom Steuerpflichtigen getragen werden müssen.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision wird die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.
Sonderausgaben i. S. des § 10 EStG sind ihrem Wesen nach nicht abziehbare Kosten der Lebenshaltung (§ 12 EStG); sie sind Verwendung des erzielten Einkommens. Der Gesetzgeber hat sich jedoch aus sozialen, steuerpolitischen und anderen Gründen entschlossen, die in § 10 EStG im einzelnen aufgezählten „Aufwendungen” in Ausnahme von dem Prinzip des § 12 EStG zum Abzug zuzulassen (vgl. hierzu zuletzt BFH-Urteil vom 10. Oktober 1975 VI R 19/75, BFHE 117, 72, BStBl II 1976, 69).
Zu diesen Aufwendungen zählen nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG in der für das Streitjahr 1971 geltenden Fassung auch „Schuldzinsen”. Aus dem Wort „Aufwendungen” geht für alle Sonderausgaben hervor, daß die wirtschaftliche Belastung des Einkommens Anlaß für die steuerliche Begünstigung durch § 10 EStG ist. Die Abziehbarkeit soll nach dem Sinn und Zweck des § 10 Abs. 1 EStG lediglich möglich sein, soweit der Steuerpflichtige mit den Kosten belastet ist. Das ist nicht der Fall, soweit dem Steuerpflichtigen im Kalenderjahr seiner Zahlung entsprechende Leistungen erstattet oder zurückgezahlt werden (vgl. BFH-Urteil vom 20. Februar 1970 VI R 11/68, BFHE 98, 357, BStBl II 1970, 314). Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der BFH eine wirtschaftliche Belastung durch Zahlung von Kirchensteuern verneint, soweit eine Rückzahlung früher geleisteter Kirchensteuern erfolgt war (Urteil vom 27. September 1963 VI 123/62 U, BFHE 77, 592, BStBl III 1963, 536). Der Sonderausgabenabzug von Versicherungsbeiträgen wurde ebenfalls abgelehnt, soweit dem Steuerpflichtigen Beträge aus dem Versicherungsverhältnis als sogenannte Dividende oder Gewinnbeteiligung (BFH-Urteil VI R 11/68) oder als Bonus oder Beitragsermäßigung (BFH-Urteil vom 27. Februar 1970 VI R 314/67, BFHE 98, 421, BStBl II 1970, 422) zurückgezahlt wurden. Schließlich hat der BFH eine für den Sonderausgabenabzug erforderliche wirtschaftliche Belastung des Steuerpflichtigen dann nicht für gegeben erachtet, wenn schon im Zeitpunkt der Zahlung von Kirchensteuern offensichtlich war, daß die Zahlung zurückgefordert werden kann (Urteil vom 22. November 1974 VI R 138/72, BFHE 114, 346, BStBl II 1975, 350). Entsprechendes gilt für den Streitfall.
Zwar bestehen gegen den Abzug von von einem Bürgen auf die Hauptschuld geleisteten Zinsen als Sonderausgabe gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1971 im Grundsatz keine Bedenken. Die Rechtsprechung hat einen solchen Abzug aber nur für den Fall zugelassen, daß der Bürge die bürgschaftshalber geleisteten Schuldzinsen im tatsächlichen wirtschaftlichen Endergebnis auch zu tragen hatte (vgl. Urteile des Reichsfinanzhofs – RFH – vom 7. März 1934 VI A 1083/33, RStBl 1934, 711, und vom 17. April 1935 VI A 929/34, RStBl 1935, 1196; BFH-Urteil vom 9. September 1965 VI 245/63, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1966 S. 73). Dieser Rechtsprechung liegt offenbar der oben wiedergegene Gedanke zugrunde, daß derjenige, der „Aufwendungen” als Sonderausgaben abzuziehen begehrt, auch wirtschaftlich mit diesen Kosten tatsächlich belastet sein muß. Eine solche Belastung wird zu Recht verneint, soweit der Bürge eine nicht uneinbringliche Rückgriffsforderung gemäß § 774 BGB gegen den Hauptschuldner hat. Denn insoweit ist der Fall mit demjenigen vergleichbar, daß eine Erstattung der Sonderausgaben im Jahr der Zahlung erfolgt oder daß die Zahlung offensichtlich zurückgefordert werden kann.
Diese Auffassung wird vom Schrifttum weitgehend geteilt. Littmann (Das Einkommensteuerrecht, 11. Aufl., § 10 EStG Rdnr. 19; ebenso schon Strutz, Kommentar zum Einkommensteuergesetz 1925, 1. Bd., 1927, § 15 Anm. 11 a. E.) hält den Schuldzinsenabzug als Sonderausgabe bei einem Bürgen, der Zinsen des Hauptschuldners zahlt, nur insoweit für zulässig, als der Bürge keine oder nur geringe Aussichten habe, vom Hauptschuldner Ersatz zu erhalten. Auch Herrmann/Heuer (Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 17. Aufl., Bd. III § 10 EStG Anm. 23 und 29) gehen davon aus, daß, soweit ein vollwertiger Rückgriffsanspruch besteht, die Zahlung den Zahlenden wirtschaftlich nicht belaste, so daß der Wert des Anspruchs von der Zahlung abzusetzen sei. Dies treffe sowohl für den zahlenden Gesamtschuldner (ebenso Littmann, a. a. O.), der entsprechend dem Bürgen in gewissem Umfang einen Rückgriffsanspruch im Innenverhältnis zu den anderen Gesamtschuldnern hat (§ 426 BGB), als auch für den in Anspruch genommenen Bürgen zu. Diese Auffassung geht zutreffend davon aus, daß die Ersatzleistung, aber auch schon der durchsetzbare Ersatzanspruch die wirtschaftliche Belastung des Zahlenden mindert und deshalb auch den Sonderausgabenabzug verringert oder gar ausschließt.
Entgegen der Auffassung des FG wird mit diesem Ergebnis nicht die Gegenwerttheorie, die nach Auffassung des BFH im Rahmen des § 33 EStG grundsätzlich zu beachten ist, auf den Sonderausgabenabzug übertragen. Es wird vielmehr durch die Berücksichtigung des Rückgriffsanspruchs nur der tatsächliche „Aufwand” des Steuerpflichtigen ermittelt.
Die vorstehende Auffassung steht auch nicht im Widerspruch zu § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG. Danach sind Ausgaben für das Kalenderjahr abzusetzen, in dem sie geleistet worden sind. Die vom Kläger geleisteten Schuldzinsen sind i. S. von § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG zwar im Jahre 1971 abgeflossen. Ob sie für dieses Jahr als Sonderausgabe abgezogen werden können, beurteilt sich aber nicht nach der letztgenannten Vorschrift, sondern nach § 10 EStG und demgemäß danach ob sie im Kalenderjahr als Aufwendung, d. h. als wirtschaftliche Belastung, anzusehen sind. Dies ist, wie dargelegt, bei der Zahlung von Zinsen aufgrund einer Bürgschaftsverpflichtung aber nur der Fall wenn der Erstattungsanspruch des Bürgen uneinbringlich ist.
Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausging, ist die Vorentscheidung aufzuheben. Das FG hat von seiner Ansicht aus zu Recht nicht geprüft, ob der Kläger einen Rückgriffsanspruch gegen seine Mutter oder gegen seinen Bruder oder gegen beide hat und ob ein solcher Anspruch gegebenenfalls im Streitjahr uneinbringlich war. Nach Zurückverweisung der Sache an das FG wird es diese Prüfung nachzuholen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 510633 |
BFHE 1976, 331 |