Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkünfte und Umsätze eines Retuscheurs und Grafikers
Leitsatz (NV)
1. Ein selbständiger Retuscheur und Grafiker erzielt Einkünfte aus Gewerbebetrieb.
2. Die Umsätze eines selbständigen Retuscheurs und Grafikers unterliegen dem allgemeinen Steuersatz.
3. Das Finanzamt ist an die in einem Umsatzsteuerbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung vertretene Rechtsauffassung nur in besonderen Ausnahmefällen gebunden.
Normenkette
GewStG § 2 Abs. 1; EStG § 15 Abs. 1 Nr. 1, § 18 Abs. 1 Nr. 1; UStG 1967/1980 § 12 Abs. 2 Nr. 5; AO 1977 § 164
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) besteuerte die Umsätze des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) in den angefochtenen Umsatzsteuerbescheiden für 1979 und 1980 vom 23. September 1983 mit dem allgemeinen Steuersatz. Das FA nahm außerdem an, der Kläger habe einen Gewinn aus Gewerbebetrieb erzielt und setzte gegen ihn in dem Bescheid vom 3. Oktober 1983 einen einheitlichen Gewerbesteuer-Meßbetrag für 1979 fest. Das FA widersprach damit der Ansicht des Klägers, nach der er eine freiberufliche Tätigkeit als Ingenieur i. S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ausgeübt habe, die dem ermäßigten Umsatzsteuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 5 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1967/1980) unterliege.
Der Kläger hatte 1943 seine Gesellenprüfung als . . . retuscheur bestanden und mehrere Jahre als technischer Zeichner in einem Konstruktions- und Zeichenbüro gearbeitet. Ab 1949 setzte er in selbständiger Arbeit Reißbrett- und Konstruktionszeichnungen von Maschinen und Maschinenteilen in dreidimensionale Bilder um. Er stellte Schnittbilder, Phantom- und Glaszeichnungen sowie Explosivzeichnungen her und gestaltete Ausbildungstafeln.
Bis 1958 hatte er seine Berufstätigkeit mit ,,Retuscheur und Grafiker" und bis 1968 mit ,,Grafiker" bezeichnet. Seit 1969 gab er an, ein Ingenieurbüro zu betreiben. In seinen Einkommensteuererklärungen gab er seit 1971 Einkünfte als ,,Ingenieur" an. Mit Schreiben vom 8. September 1970 teilte der Kläger dem Regierungspräsidenten mit, er wolle die bisher von ihm geführte Berufsbezeichnung ,,Ingenieur" weiterführen. Der Regierungspräsident bestätigte unter dem 9. September 1970 den Eingang der Anzeige und wies darauf hin, daß die Erstattung der Anzeige allein nicht die Berechtigung begründe, die Berufsbezeichnung Ingenieur zu führen. Insbesondere könne aus der Eingangsbestätigung das Recht zum Führen der Bezeichnung ,,Ingenieur (grad.)" nicht abgeleitet werden.
Das FA führte zwei Außenprüfungen 1971 (für 1967 bis 1969) und 1978 (für 1973 bis 1975) durch. Der Prüfer meinte danach, die Berufstätigkeit des Klägers sei der eines ,,Fachschulingenieurs" ähnlich. Mit Schreiben an den damaligen Bevollmächtigten des Klägers vom 20. Dezember 1978 teilte das FA mit, daß es gegen die bisherige rechtliche Beurteilung der Tätigkeit des Klägers als freiberufliche Tätigkeit aufgrund der Ausführungen in dem Urteil des Hessischen Finanzgerichts (FG) vom 25. März 1976 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1976, 603) Bedenken habe und daß ab 1979 mit einer anderen rechtlichen Beurteilung zu rechnen sei. Entsprechend dieser Ankündigung erließ das FA die eingangs bezeichneten angefochtenen Steuerbescheide und wies die dagegen eingelegten Einsprüche zurück.
Die Klage, mit der der Kläger geltend gemacht hatte, seine Tätigkeit entspreche der eines freiberuflich tätigen Ingenieurs, blieb erfolglos.
Das FG entschied, der Kläger habe Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt. Es vertrat die Auffassung, er habe keine freiberufliche Tätigkeit als Ingenieur gemäß § 18 Abs. 1 Nr.1 Satz 1 EStG ausgeübt.
Die Berufstätigkeit des Klägers sei auch der eines Ingenieurs nicht ähnlich gewesen. Dem Kläger fehle dafür die vergleichbare Ausbildung auf wissenschaftlicher Grundlage. Außerdem sei die vom ihm ausgeübte Tätigkeit der Berufstätigkeit der Ingenieure nicht ähnlich. Dafür, daß die Tätigkeit des Klägers nur auf einer theoretischen und wissenschaftlichen Grundlage durchgeführt werden könne, wie sie eine der Ingenieurausbildung ähnliche Berufsausbildung vermittele, gebe es jedoch keine Anhaltspunkte. Lediglich die Auseinandersetzung mit den Gesetzen der darstellenden Geometrie reiche dafür nicht aus. Weitere konkrete Selbststudien habe der Kläger nicht vorgetragen. Alle Umstände des Streitfalls wiesen darauf hin, daß die Tätigkeit des Klägers auf seiner langjährigen praktischen Berufserfahrung in Verbindung mit einer besonderen grafischen Begabung beruhe.
Der Kläger könne sich auch nicht auf Treu und Glauben berufen, weil das FA ihn mit Schreiben vom 20. Dezember 1978 ausdrücklich auf die zu erwartende Änderung der Rechtsauffassung über die Beurteilung seiner Tätigkeit für die Zukunft hingewiesen habe.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung der Amtsaufklärungspflicht des FG und unrichtige Anwendung des § 18 EStG sowie des Grundsatzes von Treu und Glauben. Zur Begründung macht er u. a. geltend: Die Amtsaufklärungspflicht habe das FG verletzt, weil es angenommen habe, die Berufstätigkeit des Klägers ohne einen Sachverständigen beurteilen zu können.
Das FG habe aber auch § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG fehlerhaft angewendet. Weil er, der Kläger, seine Berufstätigkeit vor dem Erlaß des Hessischen Ingenieurgesetzes aufgenommen und ausgeübt habe, könne die Qualifikationsbeschreibung nach § 1 Hessisches Ingenieurgesetz nicht angewendet werden. Das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. Dezember 1963 IV 54/61 U (BFHE 78, 349, BStBl III 1964, 136) lasse erkennen, daß die einmal zu Recht ausgesprochene Anerkennung als Freiberufler nicht dadurch wegfalle, daß später eine gesetzliche Berufsregelung eingeführt werde, der die Tätigkeit dann nicht mehr entspreche, so daß ein vorher steuerlich als Freiberufler anerkannter Steuerpflichtiger diese Eigenschaft auch nicht mehr verliere. Das FG habe § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG somit unrichtig angewendet, wenn es die Berufsregelung des § 1 Hessisches Ingenieurgesetz im Streitfall berücksichtigt habe.
Außerdem stehe die Vorentscheidung im Widerspruch zu Treu und Glauben. Dagegen habe das FA verstoßen, wenn es seine Rechtsauffassung ändere, die es trotz zweier Außenprüfungen aufrechterhalten habe. Eine abweichende Tatsachenwürdigung, die ihren Grund nicht in einer Änderung der Verhältnisse oder in dem Bekanntwerden neuer, bisher nicht berücksichtigter Umstände habe, sei willkürlich, wie der BFH in dem Urteil vom 28. Februar 1961 I 25/61 U (BFHE 72, 689, BStBl III 1961, 252) entschieden habe.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben, den Gewerbesteuermeßbescheid für 1979 vom 3. Oktober 1983 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 9. November 1983 aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide für 1979 und für 1980 vom 23. September 1983 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 9. November 1983 zu ändern und die als freiberuflich erklärten Umsätze nur mit dem ermäßigten Steuersatz zu besteuern, hilfsweise die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Das FA ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Die Verfahrensrüge greift nicht durch. Von einer Begründung sieht der Senat gemäß Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ab.
2. Die Revision ist auch nicht begründet, soweit sie sich gegen die Sachentscheidung des FG wendet.
Der Kläger war nicht freiberuflich i. S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG tätig.
a) Der Kläger ist nicht Ingenieur. Die selbständige Berufstätigkeit der Ingenieure i. S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG übt grundsätzlich nur aus, wer aufgrund der in den Ingenieurgesetzen der Länder vorgeschriebenen Ausbildung ermächtigt ist, die Berufsbezeichnung ,,Ingenieur" zu führen (BFH-Urteil vom 4. August 1983 IV R 6/80, BFHE 139, 84, BStBl II 1983, 677 unter 2. a). Dies trifft auf den Kläger nicht zu, denn er hat nicht die für Ingenieure vorgeschriebene Berufsausbildung durchlaufen.
b) Die Berechtigung, aufgrund einer Übergangsregelung in einem landesrechtlichen Ingenieurgesetz - hier § 3 des Hessischen Ingenieurgesetzes - die Berufsbezeichnung ,,Ingenieur" zu führen, reicht für eine Zuordnung einer Berufstätigkeit zu dem Katalogberuf ,,Ingenieur" i. S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG nicht aus (BFH-Urteil vom 1. Oktober 1986 I R 121/83, BFHE-Urteil vom 1. Oktober 1986 I R 121/83, BFHE 148, 140, BStBl II 1987, 116 unter 2.). Derartige Übergangsregelungen prägen nicht das Berufsbild des Katalogberufes. Ingenieur i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG ist ein solcher Steuerpflichtiger nur, wenn er auch schon vor Inkrafttreten des jeweiligen Ingenieurgesetzes die Tätigkeit eines Ingenieurs ausgeübt hat. Dabei muß es sich um eine Tätigkeit gehandelt haben, die den Steuerpflichtigen aufgrund seiner Kenntnisse und Erfahrungen in die Lage versetzt, in einer fachlichen Breite und Tiefe technische Werke zu planen und zu konstruieren und die Ausführungen des Geplanten leitend anzuordnen und zu überwachen (BFH in BFHE 148, 140, BStBl II 1987, 116 unter 2.). Der Kläger hat eine solche Tätigkeit nach den Feststellungen des FG nicht ausgeübt.
c) Der Kläger hat auch keine freiberufliche Tätigkeit ausgeübt, die der Berufstätigkeit der Ingenieure i. S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG ähnlich ist. Eine derartige ähnliche Berufstätigkeit ist auch gegeben, wenn der Steuerpflichtige zwar eine Ausbildung, die mit der in dem Ingenieurgesetz der Länder vorgeschriebenen Ausbildung vergleichbar ist, nicht nachweisen kann, seine praktische Berufstätigkeit aber mathematisch-technische Kenntnisse voraussetzt, die üblicherweise nur durch eine Berufsausbildung als Ingenieur vermittelt werden (BFH-Urteil vom 10. November 1988 IV R 63/86, BFHE 155, 109, BStBl II 1989, 198). Der Steuerpflichtige muß diese Kenntnisse nachweisen. Dazu kann er substantiiert darlegen, daß er sie durch ein Fern- oder Selbststudium erworben hat (BFH-Urteil vom 18. Juni 1980 I R 109/77, BFHE 132, 16, BStBl II 1981, 118 unter 2. b m. w. N.). Der Kläger hat über Art und Weise und über den Inhalt derartiger Studien aber keine Ausführungen gemacht.
Der bezeichnete Nachweis ist in Ausnahmefällen entbehrlich, wenn die berufliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen an sich so geartet ist, daß sie ohne theoretische Grundlage, wie sie eine der Berufsausbildung des Ingenieurs ähnliche Ausbildung vermittelt, gar nicht ausgeübt werden könnte (BFH-Urteile in BFHE 132, 16, BStBl II 1981, 118 unter 2. c; vom 18. Juni 1980 I R 113/78, BFHE 132, 20, BStBl II 1981, 121 unter II.). Dazu gehört, daß die Tätigkeit bei Auslegung eines strengen Maßstabs besonders anspruchsvoll ist und eine gewisse fachliche Breite aufweist. Sie muß zumindest das Wissen des Kernbereichs eines Studiums an einer Fachhochschule voraussetzen. Um dies zu erkennen, muß die Tätigkeit des Steuerpflichtigen an der allgemeinen Aufgabenbeschreibung des Ingenieurs gemessen werden. Aufgabe des Ingenieurs ist es, auf der Grundlage natur- und technikwissenschaftlicher Erkenntnisse und unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Belange technische Werke zu planen, zu konstruieren und ihre Fertigung zu überwachen (BFH-Urteil vom 21. Februar 1986 III R 183, 184/82, BFH / NV 1986, 603).
Diesen Anforderungen entspricht die Tätigkeit des Klägers aber nicht. Nach den Feststellungen des FG, die auf den von dem Kläger vorgelegten Arbeiten und der Darstellung in der von ihn beigebrachten Stellungnahme des Sachverständigen T beruhen, wendet der Kläger bei seinen Zeichnungen von technischen Gegenständen die Gesetze der darstellenden Geometrie an. Dabei setzt er seine besondere grafische Begabung ein. Selbst wenn diese Darstellungstechnik auch Studienfach an einer technischen Hochschule ist und wenn sie auch von Ingenieuren in bestimmten Gebieten verwendet wird, ist die berufliche Tätigkeit des Klägers auf einen speziellen Bereich der Ingenieurtätigkeit beschränkt. Dies folgt auch aus der vom FG ausgewerteten, vom Kläger vorgelegten schriftlichen Stellungnahme des Sachverständigen T. Daraus brauchte das FG den Schluß auf vergleichbare Kenntnisse im Umfang der fachlichen Breite, wie sie durch eine Ingenieurausbildung vermittelt werden, nicht zu ziehen.
d) Das FA hat - wie das FG zu Recht entschieden hat - durch den Erlaß der angefochtenen Steuerbescheide auch nicht gegen Treu und Glauben verstoßen.
Dabei ist zu beachten, daß der Gewerbesteuermeßbetragsbescheid 1979 erstmals ergangen ist und daß die geänderten Umsatzsteuerfestsetzungen für 1979 und für 1980 als Steueranmeldungen einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehen (§ 18 Abs. 1 Satz 3 UStG 1980, § 168 Sätze 1, 3 der Abgabenordnung - AO 1977 -).
Ein Steuerbescheid, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht, kann grundsätzlich ohne jede sachliche Einschränkung und demgemäß auch aufgrund von Tatsachen geändert werden, die bereits bei Erlaß des Steuerbescheids bekannt waren (BFH-Urteil vom 22. Dezember 1987 IX R 149/82, BFH / NV 1988, 497 unter 2. m. w. N.). Nur in besonderen Ausnahmefällen kann das FA an die Rechtsauffassung gebunden sein, die es einer vorläufigen Steuerfestsetzung zugrundegelegt hat (BFH-Urteile vom 4. Oktober 1984 IV R 180/82, BFH / NV 1986, 215 unter 2. b m. w. N.). Für den Steuerpflichtigen muß in diesen Fällen eine Vertrauenslage vorhanden sein; d. h. er muß im Vertrauen auf die Nichtgeltendmachung des Steueranspruchs bestimmte Maßnahmen oder Vorkehrungen getroffen oder unterlassen haben, die für ihn die Entrichtung der nachträglich doch noch festgesetzten Steuer wegen der damit verbundenen Nachteile billigerweise nicht mehr zumutbar erscheinen lassen.
Für eine solche Vertrauenslage sind im Streitfall keine Anhaltspunkte vorhanden. Dabei ist zu beachten, daß das FA dem Steuerpflichtigen die Änderung seiner rechtlichen Beurteilung angekündigt und für einen erst danach beginnenden Besteuerungszeitraum angewendet hat.
Der Streitfall ist auch nicht mit dem Sachverhalt vergleichbar, über den der BFH in dem Urteil vom 28. Februar 1961 I 25/61 U (BFHE 72, 689, BStBl III 1961, 252) entschieden hat. In jenem Fall hatte das FA in voller Kenntnis der tatsächlichen Verhältnisse einen Betrieb 16 Jahre lang einer Witwe als Alleinunternehmerin zugerechnet und in den angefochtenen Steuerbescheiden dagegen eine Mitunternehmerschaft zwischen ihr und ihren Söhnen angenommen. Im Streitfall ist die Änderung der steuerlichen Beurteilung der Tätigkeit des Klägers, der sich erst ab 1969 als Ingenieur bezeichnet hatte, durch ein Urteil des Hessischen FG verursacht worden, so daß die in den (nicht entscheidungserheblichen) Ausführungen des BFH in dem Urteil in BFHE 72, 689, BStBl III 1961, 252 zu Treu und Glauben vorausgesetzte Willkür im Streitfall nicht vorliegt.
Fundstellen
Haufe-Index 416399 |
BFH/NV 1990, 232 |