Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht, Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Eine übereignung im Sinne des § 116 AO wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Erwerber beim übergang des Unternehmens Einrichtungsgegenstände, die ihm bereits vorher zur Sicherung übereignet worden sind, und Waren, die er früher unter Eigentumsvorbehalt geliefert hat, übernimmt.
Normenkette
AO § 116 Abs. 1; UStDB § 85
Tatbestand
Die Revisionsklägerin, eine Lebensmittelgroßhandlung, belieferte bis Ende Februar 1962 das Lebensmitteleinzelhandelsgeschäft der Eheleute R als Hauptlieferant. Die gelieferten Waren verblieben bis zur Bezahlung in ihrem Eigentum. Die Eheleute R bilanzierten die Waren als eigene und führten sie in den Umsatzsteuererklärungen als eigenen Warenbestand auf. Durch die Verträge vom August und November 1961 übereigneten die Eheleute R die Einrichtungsgegenstände ihres Geschäfts mit Ausnahme einiger geringwertiger an die Revisionsklägerin zur Sicherung der Forderungen. Als die Zahlungsrückstände rund 20.000 DM erreicht hatte, vereinbarten die Eheleute R mit der Revisionsklägerin im Vertrag vom Februar 1962, daß die Ladeneinrichtung von der Revisionsklägerin zum Taxpreis übernommen werde, das Warenlager mit Ausnahme der von anderen Lieferanten unter Eigentumsvorbehalt gelieferten und nicht bezahlten Waren sowie das Ladenlokal zu übergeben seien und die Eheleute R innerhalb eines Jahres im Umkreis von 500 m um ihren Betrieb kein neues Lebensmittelgeschäft betreiben oder betreiben lassen dürften. Kurze Zeit später eröffnete die Revisionsklägerin mit der übernommenen Ladeneinrichtung und in den übernommenen Räumen ein Lebensmittelgeschäft unter ihrem Namen als Filiale, nachdem sie Umbauten und Umstellungen vorgenommen und das Warenlager aufgefüllt hatte.
Das FA nahm die Revisionsklägerin wegen der Umsatzsteuerrückstände der Eheleute R durch Haftungsbescheid nach § 116 AO in Anspruch. Der Einspruch führte zu einer Herabsetzung der Haftungssumme. Die Berufung blieb ohne Erfolg. Ihre Rb. stützt die Revisionsklägerin im wesentlichen darauf, daß sie nicht als Haftende in Anspruch genommen werden dürfe. Das FG habe den Begriff der übereignung im ganzen nach § 116 AO verkannt. Die Gegenstände, die ihr bereits auf Grund der Sicherungsübereignung oder des Eigentumsvorbehalts gehörten, hätten nicht an sie im Sinne des § 116 AO veräußert werden können. Andere Gegenstände seien ihr nicht übertragen worden. § 116 AO sei auch deshalb nicht anwendbar, weil sie den Kundenstamm, die Geschäftsbücher und die Außenstände der Eheleute R nicht übernommen habe. Kundenstamm und Außenstände seien aber die einzigen Aktiva des Geschäfts gewesen. Eine übereignung des Unternehmens im ganzen liege deshalb nicht vor.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nach Inkrafttreten der FGO als Revision zu behandeln. Sie ist unbegründet.
Wird ein Unternehmen im ganzen übereignet, so haftet der Erwerber nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 AO für Steuern, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründet. Zu diesen Steuern gehört die Umsatzsteuer. Die übereignung eines Unternehmens im ganzen setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, daß die übereigneten Gegenstände die wesentlichen Grundlagen des Unternehmens waren und geeignet sind, die wesentlichen Grundlagen für den Betrieb des Erwerbers zu bilden (Urteil V 173/63 U vom 25. November 1965, BFH 85, 343, BStBl III 1966, 333).
Unerheblich ist, ob die Gegenstände dem Erwerber bereits vorher sicherungsübereignet waren oder ob sie der Erwerber vorher dem Veräußerer unter Eigentumsvorbehalt geliefert hatte. § 116 AO verwendet den Begriff "übereignet" in einer gegenüber dem bürgerlichen Recht erweiterten und auf den Erwerb eines Betriebes ausgerichteten Bedeutung (siehe im einzelnen das Urteil des BFH V 190/58 vom 25. August 1960, HFR 1961, 256 = Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Reichsabgabenordnung, § 116, Rechtsspruch 11). Der Abschluß des Sicherungsübereignungsvertrages bewirkt noch keine übereignung im Sinne des § 116 AO, weil der Sicherungsnehmer von seinen Rechten nur im Rahmen des Sicherungszwecks Gebrauch machen darf (siehe BFH-Urteil V 32/60 U vom 30. August 1962, BFH 75, 518, BStBl III 1962, 455). Eine Haftung nach § 116 AO wird erst ausgelöst, wenn der Sicherungsnehmer - hier die Revisionsklägerin durch den Vertrag vom Februar 1962 - bei der Verwertung das Volleigentum an den sicherungsübereigneten Gegenständen erwirbt. Der Revisionsklägerin konnten auch Waren, die sie vorher an die Eheleute R unter Eigentumsvorbehalt geliefert hatte, im Sinne des § 116 AO "übereignet" werden. Die Eheleute R hatten bereits mit der Auslieferung der Ware das wirtschaftliche Eigentum an den unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Waren erworben (siehe Urteil des RFH VI 71/42 vom 14. Oktober 1942, RFH Bd. 52 S. 192, RStBl 1942, 1062). Sie haben ihrer Auffassung, daß sie die Ware wirtschaftlich als ihre eigene ansahen, Ausdruck verliehen, indem sie die von der Revisionsklägerin gelieferten Waren als Bestände in ihre Bilanz aufnahmen und in der Umsatzsteuererklärung als eigene Warenbestände bezeichneten. Auf die Bezahlung des Kaufpreises kommt es bei einem Verkauf unter Eigentumsvorbehalt für den übergang des wirtschaftlichen Eigentums am Kaufgegenstand nicht an; entscheidend ist dessen Auslieferung. Soweit das Urteil V z 196/56 U vom 25. Juli 1957 (BFH 65, 197, BStBl III 1957, 309) eine abweichende Auffassung erkennen läßt, hält der Senat daran nicht mehr fest.
Eine Geschäftsveräußerung im ganzen nach § 116 AO ist also zu bejahen, weil das eigentümerähnliche Herrschaftsverhältnis an den sachlichen Grundlagen des Geschäfts von den Veräußern auf die Erwerberin übergegangen ist.
Für die Entscheidung ist es - entsprechend der Ansicht des FG - unerheblich, daß die Revisionsklägerin die Geschäftsbücher, die Außenstände und den Kundenstamm nicht übernommen hat. Geschäftsbücher und Außenstände sind für die Fortführung eines Lebensmitteleinzelhandelsgeschäfts ohne Bedeutung. Es würde auch dem klaren Wortlaut des § 116 AO widersprechen, wenn man die übernahme des Kundenstamms als Merkmal für den Eintritt der Haftung nach § 116 AO werten würde. Ein Kundenstamm läßt sich weder rechtlich noch wirtschaftlich übereignen.
Das FG bejahe demnach zutreffend die Haftung der Revisionsklägerin für die Umsatzsteuerschulden der Lebensmitteleinzelhandlung der Eheleute R. Die Revision war daher als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 412685 |
BStBl III 1967, 684 |
BFHE 1967, 466 |
BFHE 89, 466 |