Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifbegünstigung nach Maßgabe des verwirklichten Sachverhalts
Leitsatz (NV)
1. Ob die Tarifvergünstigung der §§ 16, 34 EStG zu gewähren ist, ist allein nach dem verwirklichten Sachverhalt zu beurteilen. Steht sie dem Steuerpflichtigen zu, so kann sie ihm nicht durch eine fehlerhafte zu niedrige Feststellung des entstandenen Veräußerungsgewinns genommen werden.
2. Ist im Revisionsverfahren betr. Gewinnfeststellung nur die Frage im Streit, ob ein Veräußerungsgewinn tarifbegünstigt ist oder nicht, so ist die Höhe des Veräußerungsgewinns nicht Streitgegenstand.
Normenkette
EStG §§ 16, 34; FGO §§ 65, 110
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine KG. An ihr waren G. S. als persönlich haftender Gesellschafter mit 70 v. H. sowie dessen Ehefrau E. S. (Beigeladene) und dessen Neffe K. S. als Kommanditisten mit je 15 v. H. beteiligt. G. S. ist am 8. August 1972 verstorben. Die Beigeladene war seine Alleinerbin. Sie veräußerte den ererbten Anteil am 13. Dezember 1972 an K. S. Als Gegenleistung für die dadurch bewirkte Minderung ihrer Gesellschaftsrechte von 85 v. H. auf 15 v. H. erhielt die Beigeladene aus dem Gesellschaftsvermögen der Klägerin Grundstücke und Bankguthaben. Außerdem wurde ihr eine Veräußerungsrente eingeräumt. Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, daß der dadurch entstandene Veräußerungsgewinn X DM beträgt.
Zu den Grundstücken, die die Beigeladene als Entgelt für den veräußerten Teil ihres Mitunternehmeranteils erhalten hat, gehört auch das in A belegene Grundstück. Bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns sind die stillen Reserven dieses Grundstücks (unstreitig 500 000 DM) nicht mitberücksichtigt worden. Das Grundstück diente vor und nach der Veräußerung des ererbten Mitunternehmeranteils dem Betrieb der Klägerin. Es ist daher im Zusammenhang mit der Veräußerung zum Buchwert vom Gesellschaftsvermögen in das Sonderbetriebsvermögen der Beigeladenen überführt worden.
Demzufolge behandelte das Finanzamt (- FA -) nach einer Betriebsprüfung den Veräußerungsgewinn von X DM nicht als tarifbegünstigt. Die nach erfolglosem Einspruch hiergegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) lehnte die Anwendung der Tarifvergünstigung des § 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf den erzielten Veräußerungsgewinn ab, weil durch die Buchwertübertragung des Grundstücks in A nicht alle stillen Reserven des veräußerten Teils des Mitunternehmeranteils der Beigeladenen aufgedeckt worden seien. Durch eine Übertragung des Grundstücks zum Teilwert hätten alle stillen Reserven aufgedeckt werden können.
Mit der Revision macht die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts geltend.
Die Klägerin und die Beigeladene beantragen übereinstimmend, die Vorentscheidung aufzuheben und den angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheid 1972 dahingehend abzuändern, daß der festgestellte Veräußerungsgewinn in Höhe von X DM tarifbegünstigt ist.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Das FA hat während des Verfahrens den angefochtenen Bescheid geändert. Die Klägerin hat beantragt, den geänderten Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen (§ 121 i. V. m. § 68 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
1. Nach den vom FG getroffenen Feststellungen hat die Beigeladene einen Teil ihres Mitunternehmeranteils, nämlich den Teil, den sie von ihrem verstorbenen Ehemann G. S. geerbt hatte (70 v. H.), an K. S. veräußert. Es liegt also kein Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters gegen Abfindung vor. Dem steht nicht entgegen, daß die Beigeladene als Gegenleistung aus dem Gesellschaftsvermögen der Klägerin Grundstücke und Bankguthaben erhalten hat. Mit der Übereignung dieser Wirtschaftsgüter hat die Klägerin keine eigene Verpflichtung, sondern die Kaufpreisverpflichtung des K. S. gegenüber der Beigeladenen erfüllt. Die von der Klägerin an die Beigeladene übereigneten Wirtschaftsgüter sind damit verdeckt von K. S. aus dem Gesellschaftsvermögen der Klägerin entnommen worden.
2. Der Gewinn, der durch die Veräußerung eines Teils des Mitunternehmeranteils entstanden ist, ist nach § 16 Abs. 2 EStG der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten den Wert des veräußerten Anteils am Betriebsvermögen übersteigt. Besteht die Gegenleistung für den veräußerten Mitunternehmeranteil ganz oder teilweise in anderen Wirtschaftsgütern, liegt also ein Tausch vor, so bemißt sich insoweit der Veräußerungspreis nach dem gemeinen Wert der vom Veräußerer erlangten Wirtschaftsgüter.
Im Streitfall hat die Beigeladene im Zusammenhang mit der Veräußerung eines Teils ihres Mitunternehmeranteils auch das Grundstück in A erhalten. Dieses Grundstück hatte - wie das FG festgestellt hat - im Veräußerungszeitpunkt einen Buchwert von Y DM und enthielt 500 000 DM stille Reserven. Sein gemeiner Wert betrug also Y + 500 000 DM. Dieser Betrag hätte bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns für den veräußerten Mitunternehmeranteil gemäß § 16 Abs. 2 EStG berücksichtigt werden müssen.
Dem steht § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG (Aufstockungsverbot) nicht entgegen, weil diese Regelung auf die Bewertung bei Veräußerungen keine Anwendung findet. Dabei spielt es keine Rolle, wenn das veräußerte Wirtschaftsgut infolge des durch die Veräußerung bedingten Wechsels vom Gesellschaftsvermögen ins Sonderbetriebsvermögen eines Gesellschafters oder umgekehrt Betriebsvermögen der Personengesellschaft bleibt.
Das FG hat mithin den Veräußerungsgewinn von X DM zu gering festgestellt. Eine Erhöhung des Veräußerungsgewinns um diesen Betrag durch das FG ist nicht möglich, weil nur die Frage im Streit ist, ob der Veräußerungsgewinn von X DM tarifbegünstigt ist oder nicht.
3. Die deshalb aus verfahrensrechtlichen Gründen bestehende Unmöglichkeit, den Veräußerungsgewinn um 500 000 DM zu erhöhen, ändert nichts daran, daß durch die Anteilsveräußerung stille Reserven von insgesamt . . . DM, also auch die stillen Reserven des Grundstücks in A (500 000 DM) aufgedeckt worden sind. Damit sind auch hinsichtlich des festgestellten Veräußerungsgewinns von X DM die Voraussetzungen des § 34 EStG erfüllt. Die Tarifbegünstigung ist zu gewähren.
Dem steht nicht entgegen, daß dieser Veräußerungsgewinn rechtsirrtümlicherweise zu niedrig festgestellt worden ist; denn die Frage, ob die Tarifvergünstigung der §§ 16, 34 EStG zu gewähren ist, ist allein nach dem verwirklichten Sachverhalt zu beurteilten. Steht sie dem Steuerpflichtigen zu, so kann sie ihm nicht durch eine fehlerhafte zu niedrige Feststellung des entstandenen Veräußerungsgewinns genommen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 415848 |
BFH/NV 1989, 163 |