Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug bei nachträglicher gesetzlicher Optionsbeschränkung für Verwendungsumsätze
Leitsatz (amtlich)
1. Als vorsteuerabzugsberechtigter Unternehmer (Steuerpflichtiger) gilt, wer die durch objektive Anhaltspunkte belegte Absicht hat, i.S. von § 2 UStG eine Umsatztätigkeit gegen Entgelt (wirtschaftliche Tätigkeit i.S. von Art. 4 der Richtlinie 77/388/EWG) selbständig auszuüben, und erste Investitionsausgaben für diese Zwecke hat.
2. Die tatsächliche oder bei Leistungsbezug beabsichtigte Verwendung des Gegenstands oder der sonstigen Leistung zur Ausführung besteuerter Umsätze (vgl. § 15 Abs. 2 UStG) bestimmt den Umfang des Vorsteuerabzugs und ist Grundlage für eine Vorsteuerberichtigung in sog. Folgejahren.
3. Das so entstandene Recht auf sofortigen Vorsteuerabzug bleibt ―vorbehaltlich einer etwaigen Vorsteuerberichtigung― erhalten, auch wenn der Steuerpflichtige aufgrund einer nach dem Bezug dieser Gegenstände oder Dienstleistungen aber vor Aufnahme der Umsatztätigkeit eingetretenen Gesetzesänderung nicht mehr zum Verzicht auf die Steuerbefreiung dieser Umsätze berechtigt ist; dies gilt auch dann, wenn die Umsatzsteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wurde.
Normenkette
AO 1977 § 164; UStG 1991 §§ 2, 9 Abs. 2, §§ 15, 27 Abs. 2; EWGRL 388/77 Art. 4, 17, 20
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ―eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR)― wurde durch Gesellschaftsvertrag vom 1. März 1991 gegründet. Ihr Zweck war das Halten des Erbbaurechts an einem bestimmten Grundstück, die Errichtung eines Wohn- und Bürogebäudes darauf sowie die langfristige Nutzung und Verwertung des Grundbesitzes. Die Klägerin erwarb das Erbbaurecht am 8. März 1991. Einen am 16. März 1991 gestellten Bauantrag nahm sie zurück, weil gegen das Bauvorhaben planungsrechtliche Bedenken erhoben wurden. Am 16. Oktober 1992 stellte die Klägerin erneut einen Bauantrag. Die Baugenehmigung wurde am 27. Mai 1993 erteilt und durch mehrere Nachtragsgenehmigungen ergänzt.
Nach einem Beschluss der Gesellschafter der Klägerin vom 11. Juni 1993 bestand unter ihnen unverändert Einigkeit darüber, dass die Baugenehmigung unmittelbar nach Erteilung an einen Dritten oder mehrere Dritte veräußert werde. Dieser Beschluss konnte mangels eines Übernehmers nicht realisiert werden. Am 10. Oktober 1993 schloss deshalb die Klägerin einen Architektenvertrag zur Abwicklung der Baumaßnahme ab. Die Bauarbeiten begannen im Januar 1994 mit der Herstellung der Baustraße und der Baustelleneinrichtung. Am 28. April 1994 zeigte die Klägerin der Gemeinde den sofortigen Beginn der Bauausführungen an. Die Baumaßnahme wurde im Dezember 1994 fertig gestellt.
Von der Gesamtfläche des Gebäudes vermietete die Klägerin 39,38 v.H. als Wohnraum, 46,49 v.H. als Büro an eine AG, die als Finanzdienstleistungsunternehmen zu mehr als 90 v.H. steuerfreie Umsätze ausführte, und zu 13,96 v.H. als Büro an einen Architekten.
In den Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre 1992 bis 1994 verzichtete die Klägerin auf die Steuerfreiheit der geplanten bzw. ab 1994 ausgeführten Vermietungsumsätze und machte den Vorsteuerabzug aus den Baurechnungen geltend.
Nach einer Sonderprüfung ließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) in den geänderten Umsatzsteuerbescheiden für 1992 und 1993 (§ 168 i.V.m. § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung ―AO 1977―) sowie im erstmaligen Bescheid für 1994 einen Vorsteuerabzug nur in Höhe von 13,96 v.H. der geltend gemachten Beträge zu. Nach Auffassung des FA ging der Verzicht der Klägerin auf die Steuerfreiheit der übrigen Büro-Vermietungsumsätze ins Leere. Hinsichtlich dieser Umsätze sei die Option gemäß § 9 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (im Folgenden: UStG) in der ab 1994 geltenden Fassung aufgrund des Missbrauchbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetzes (StMBG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 1993, 2310, BStBl I 1994, 50) eingeschränkt. Denn die Klägerin habe nicht vor dem 11. November 1993, dem in § 27 Abs. 2 UStG i.d.F. des StMBG festgelegten Stichtag, mit der Errichtung des Gebäudes begonnen. Die Klägerin verwende die Bauleistungen somit nur zu 13,96 v.H. zur Ausführung steuerpflichtiger Leistungen.
Die Klägerin vertrat dagegen die Auffassung, die Einschränkung der Option ―hinsichtlich der Vermietung der Büroräume an das Finanzdienstleistungsunternehmen― durch die Neuregelung des § 9 Abs. 2 UStG gelte für sie nicht. Denn als Beginn der Errichtung des Gebäudes sei der Zeitpunkt des Bauantrags anzusehen, zumindest aber die Erteilung der Baugenehmigung (am 27. Mai 1993). Ferner habe sie noch vor dem 11. November 1993 den Architekten mit der Ausführungs- und Auftragsplanung sowie der Vorbereitung und der Mitwirkung bei der Vergabe der Baugewerke beauftragt. Sie habe daher mit der Bauerrichtung begonnen. Im Übrigen genieße sie Vertrauensschutz. Wäre nämlich der Inhalt des StMBG im Zeitpunkt der Investitionsentscheidung bekannt gewesen, wäre ihre Entscheidung möglicherweise anders ausgefallen, weil die Versagung des Vorsteuerabzugs zu einem erheblichen Liquiditätsnachteil führe. § 27 Abs. 2 UStG in der geänderten Fassung verstoße gegen das Rückwirkungsverbot.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg (vgl. die Veröffentlichung des Urteils des Finanzgerichts ―FG― in Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 1997, 507).
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung von § 9 Abs. 2 i.V.m. § 27 Abs. 2 UStG (in der ab 1994 geltenden Fassung) sowie von § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG. Die Rechtsverletzung beruhe auf unzutreffender Auslegung des Merkmals "mit der Errichtung des Gebäudes begonnen" (§ 27 Abs. 2 UStG). Unter Berufung auf die Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28. September 1982 III R 12/80 (BFHE 137, 134, BStBl II 1983, 146) und vom 10. April 1992 III R 142/90 (BFHE 167, 474, BStBl II 1992, 632) macht sie geltend, dass immer dann, wenn für die Errichtung eines Gebäudes eine Genehmigung erforderlich sei, der Antrag auf Baugenehmigung als Beginn der Herstellung gelte. Überdies sei die Auffassung der Vorentscheidung mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) nicht vereinbar.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Umsatzsteuer für 1992 auf ./. 18 195,03 DM, für 1993 auf ./. 1 630,86 DM und für 1994 auf ./. 249 793,13 DM festzusetzen.
Der Senat setzte mit Beschluss vom 27. August 1998 (BFHE 186, 468, BFH/NV 1999, 274) das Verfahren aus und legte die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.
Der EuGH beantwortete die vorgelegten Fragen mit Urteil vom 8. Juni 2000 Rs. C-396/98 (Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer- Recht ―UVR― 2000, 308; Umsatzsteuer-Rundschau ―UR― 2000, 336).
Die Klägerin wendet sich in ihrer Stellungnahme zum Urteil des EuGH weiterhin in erster Linie gegen die Auffassung, der Beginn der Errichtung des Gebäudes i.S. des § 27 Abs. 2 UStG sei mit dem Beginn der Bauarbeiten gleichzusetzen. Nach ihrer Meinung kommt es vielmehr auf die Vergabe der Planungsaufträge an. Zudem rügt sie Verfassungswidrigkeit der Vorschrift. Da es für ihr Recht auf Vorsteuerabzug auf ihre Verwendungsabsicht angekommen und dieser Vorgang bereits (zum Stichtag der Vorschrift) abgeschlossen gewesen sei, habe die Vorschrift eine unzulässige "echte Rückwirkung". Ferner müsse der Anwendungsbereich des § 9 Abs. 2 UStG (i.d.F. des StMBG) durch teleologische Reduktion eingeschränkt werden, soweit es ―wie hier― nicht um sog. Vorschaltmodelle gehe. Bei solchen hätten Unternehmer (wie Banken und Versicherungen), die wegen steuerfreier Umsätze nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt seien, für Gebäudeerrichtungen vorsteuerabzugsberechtigte Gesellschaften "vorgeschaltet" und von diesen dann (steuerpflichtig) gemietet. § 9 Abs. 2 UStG bezwecke, bei solchen Mietern einen rechtsmissbräuchlich erlangten Vorsteuerabzug zu verhindern. Eine solche Gestaltung sei bei ihr nicht gegeben.
Das FA tritt der Revision entgegen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision der Klägerin ist begründet. Die Vorentscheidung war aufzuheben. Für 1992 war die Umsatzsteuer wie beantragt festzusetzen. Für die Jahre 1993 und 1994 war die Sache an das FG zurückzuverweisen.
1. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG kann der Unternehmer die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen. Nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG ist aber die Steuer für die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet, vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen.
Die gemeinschaftsrechtliche Regelung in Art. 17 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) sieht vor:
"(1.) Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.
(2.) Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen: (a) Die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden."
Die im Streitfall entscheidungserhebliche Frage, "ob ein Steuerpflichtiger, der die Mehrwertsteuer für Gegenstände oder Dienstleistungen entrichtet hat, die ihm im Hinblick auf die Ausführung bestimmter Vermietungsumsätze geliefert bzw. erbracht wurden, insoweit ein Recht auf Vorsteuerabzug auch dann erworben hat, wenn durch eine zwischen dem Bezug dieser Gegenstände oder Dienstleistungen und der Aufnahme der Umsatztätigkeiten der Vermietung eingetretene Gesetzesänderung das Recht auf Verzicht auf die Steuerbefreiung dieser Umsätze abgeschafft worden ist" (vgl. EuGH-Urteil Rs. C-396/98 Rdnr. 35), beantwortete der EuGH mit der Vorabentscheidung vom 8. Juni 2000 wie folgt: Nach Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG "bleibt das Recht eines Steuerpflichtigen, die Mehrwertsteuer, die er für die Gegenstände oder Dienstleistungen entrichtet hat, die ihm im Hinblick auf die Ausführung bestimmter Vermietungsumsätze geliefert bzw. erbracht wurden, als Vorsteuer abzuziehen, erhalten, wenn dieser Steuerpflichtige aufgrund einer nach dem Bezug dieser Gegenstände oder Dienstleistungen, aber vor Aufnahme dieser Umsatztätigkeiten eintretenden Gesetzesänderung nicht mehr zum Verzicht auf die Steuerbefreiung dieser Umsätze berechtigt ist; dies gilt auch dann, wenn die Mehrwertsteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wurde" (vgl. den Leitsatz der Entscheidung).
Nach Rdnrn. 40 ff. des EuGH-Urteils Rs. C-396/98 darf die Abgabenverwaltung zwar objektive Nachweise für die erklärte Absicht verlangen, zu besteuerten Umsätzen führende wirtschaftliche Tätigkeiten aufzunehmen. Ergibt die Prüfung, dass diese Erklärung in gutem Glauben abgegeben worden ist und durch objektive Anhaltspunkte belegt wird, liegt also kein Fall von Betrug oder Missbrauch vor, bleibt das einmal entstandene Recht auf Vorsteuerabzug vorbehaltlich etwaiger Berichtigungen gemäß Art. 20 der Richtlinie 77/388/EWG erhalten.
2. Daraus folgt für das ―noch streitige― Vorsteuerabzugsrecht der Klägerin:
a) Die Eigenschaft der Klägerin als Steuerpflichtige bzw. Unternehmerin i.S. von § 15 Abs. 1 UStG bestand bereits im Zeitpunkt ihrer Investitionsausgaben in den Streitjahren 1992 bis 1994 vor Aufnahme der tatsächlichen Umsatztätigkeit nach Abschluss der Bauarbeiten Ende 1994 aufgrund ihrer objektiv belegten Absicht, das Gebäude nach Fertigstellung zu Vermietungsumsätzen ―also zu einer wirtschaftlichen Tätigkeit i.S. von Art. 4 Abs. 1, 2 der Richtlinie 77/388/EWG― verwenden zu wollen. Damit entstand auch das Recht auf Vorsteuerabzug der Klägerin bereits im Zeitpunkt dieser Leistungsbezüge.
b) Auch der Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug, das mit dem jeweiligen Leistungsbezug entstand, richtet sich nach den wiedergegebenen Grundsätzen des EuGH-Urteils Rs. C-396/98 nach der objektiv belegten Verwendungsabsicht bei dem jeweiligen Leistungsbezug, soweit dessen tatsächliche Verwendung erst in einem späteren Besteuerungszeitraum begann. Nach Rdnr. 41 des EuGH-Urteils Rs. C-396/98 hat "das nationale Gericht zu prüfen, ob unter Berücksichtigung der Umstände des Ausgangsverfahrens, insbesondere des Umstands, dass die Gesellschafter der Klägerin am 11. Juni 1993 immer noch beabsichtigten, die Baugenehmigung unmittelbar nach ihrer Erteilung an einen Dritten zu veräußern, die Erklärung, zu besteuerten Umsätzen führende wirtschaftliche Tätigkeiten aufnehmen zu wollen, in gutem Glauben abgegeben worden ist und durch objektive Anhaltspunkte belegt wird".
aa) Die im Jahr 1992 in Anspruch genommenen Leistungen (Architekt, Notar) sollten jedenfalls für Zwecke besteuerter Umsätze verwendet werden. Das gilt sowohl für die Alternative, dass die Klägerin bei Bezug dieser Leistungen beabsichtigt hatte, die Leistungen im Rahmen einer steuerpflichtigen Gebäudevermietung einzusetzen, als auch unter Berücksichtigung einer Absicht, "die Baugenehmigung … zu veräußern". Auch dieser letztgenannte Umsatz unterliegt keiner Steuerbefreiung, insbesondere nicht der des § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG (vgl. insoweit BFH, Urteil vom 24. Februar 2000 V R 89/98, BFHE 191, 84, BStBl II 2000, 278).
Aufgrund der insoweit abweichenden Beurteilung des Vorsteuerabzugs war das FG-Urteil aufzuheben.
bb) Der Senat kann aber anhand der vorhandenen Feststellungen nicht abschließend entscheiden, ob die Klägerin die Absicht, die mit der Vereinbarung vom 10. Oktober 1993 in Auftrag gegebenen Architektenleistungen im Rahmen steuerpflichtiger Gebäudevermietung einzusetzen, "in gutem Glauben" an diese Möglichkeit erklärt haben konnte.
Nach § 9 Abs. 2 UStG in der ab 1. Januar 1994 geltenden Fassung durch das StMBG vom 21. Dezember 1993 war der Verzicht auf die Steuerbefreiung der Vermietung oder Verpachtung von Grundstücken (§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG) nur zulässig, soweit der Leistungsempfänger das Grundstück ausschließlich für Umsätze verwendet oder zu verwenden beabsichtigt, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Da das Finanzdienstleistungsunternehmen, an das die Klägerin einen Teil der Räume des Gebäudes ab Ende 1994 vermietete, nach den Feststellungen des FG zu über 90 v.H. steuerfreie, den Vorsteuerabzug ausschließende Umsätze ausführte, entfällt die Möglichkeit des Verzichts auf die Steuerbefreiung.
Soweit nach § 27 Abs. 2 Nr. 3 UStG i.d.F. des StMBG § 9 Abs. 2 UStG nicht anzuwenden ist, wenn mit der Errichtung des Gebäudes vor dem 11. November 1993 begonnen worden ist, fehlen dafür die Voraussetzungen.
Der Senat geht davon aus, dass die Klägerin sich bis zur Verkündung (Veröffentlichung) des Gesetzesbeschlusses des StMBG (21. Dezember 1993) mit den Änderungen des Umsatzsteuergesetzes auf die bis dahin geltende Rechtslage berufen darf; Rechtssicherheit hinsichtlich einer (beabsichtigten) Gesetzesänderung tritt erst zu diesem Zeitpunkt ein. Das gilt jedenfalls für die bei jedem Leistungsbezug vom Unternehmer geforderte Sofortentscheidung über die ―den Vorsteuerabzug bestimmende― beabsichtigte Verwendung der bezogenen Leistungen zur Ausführung besteuerter Umsätze (§ 15 Abs. 2 UStG). Die vom FG in der Vorentscheidung vertretene Auffassung, aufgrund des Gesetzentwurfs vom 7. September 1993 und der nachfolgenden Diskussion habe die Klägerin mit einer kurzfristigen Änderung der Gesetzeslage rechnen müssen, wird dem Erfordernis der "Sofortentscheidung" des Unternehmers über das Recht zum Vorsteuerabzug regelmäßig nicht gerecht. Für diese Entscheidung gilt die bestehende Gesetzeslage im Zeitpunkt des Leistungsbezugs. Das FG muss somit im zweiten Rechtsgang prüfen, ob bzw. in welchem Umfang die (am 10. Oktober 1993 vereinbarten) Architektenleistungen von der Klägerin vor oder erst nach dem 21. Dezember 1993 tatsächlich bezogen wurden. Ab diesem Stichtag scheidet eine im guten Glauben erklärte Absicht zu steuerpflichtiger Vermietung an das Finanzdienstleistungsunternehmen aus. Da nach den Grundsätzen der Vorabentscheidung des EuGH die Verwendungsabsicht im Zeitpunkt des jeweiligen Leistungsbezugs maßgebend ist, kommt es nicht auf den Abschluss des Vertrags, sondern auf die Inanspruchnahme der Architektenleistung durch die Klägerin an. Ferner kann die noch bestehende Abzugsberechtigung für Leistungsbezüge vor dem Stichtag nicht unter dem Gesichtspunkt eines ebenfalls vorher geplanten "einheitlichen" Projekts auf die später in Anspruch genommenen Leistungen zur Gebäudeerrichtung ausgedehnt werden.
cc) Soweit die Klägerin ab Januar 1994 mit den Bauarbeiten begann und dazu Bauleistungen anderer Unternehmer in Anspruch nahm, konnte sie nicht mehr in "gutem Glauben" eine beabsichtigte steuerpflichtige Verwendung (an das Finanzdienstleistungsunternehmen) erklären. Bei diesen Leistungsbezügen war die Änderung der umsatzsteuerrechtlichen Vorschriften über die Vermietungsleistungen bereits in Kraft getreten.
3. Soweit die Klägerin ihr Vorsteuerabzugsbegehren in erster Linie darauf stützt, für sie gelte ―ggf. zumindest nach Vertrauensschutzgrundsätzen― die Rechtslage vor den Änderungen durch das StMBG vom 21. Dezember 1993, kann ihr nicht gefolgt werden.
a) Die Klägerin hat die Voraussetzung der Übergangsregelung gemäß § 27 Abs. 2 Nr. 3 UStG i.d.F. des StMBG, dass "mit der Errichtung des Gebäudes … vor dem 11. November 1993 begonnen worden ist", nicht erfüllt. Dieses Merkmal ist ersichtlich an den tatsächlichen Errichtungsvorgang und nicht schon an das Vorhandensein einer bloßen Herstellungskonzeption geknüpft (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Februar 1998 V B 69/97, BFH/NV 1998, 1005). Umsatzsteuerrechtlich unerheblich ist auch, ob die Aufwendungen für die Architektenleistungen zu den ertragsteuerrechtlichen Herstellungskosten gehören. Der Begriff "Beginn der Errichtung des Gebäudes" war bereits durch Art. 17 Nr. 11 des Steuerbereinigungsgesetzes (StBereinG) 1985 vom 14. Dezember 1984 (BGBl I 1984, 1493, BStBl I 1984, 659) in § 27 Abs. 5 UStG 1980 eingefügt und seither in dem hier wiedergegebenen Sinn ausgelegt worden (vgl. Bundesminister der Finanzen ―BMF―, Schreiben vom 7. Oktober 1985 IV A 3 -S 7168- 11/85, BStBl I 1985, 622, unter 8.). Danach enthält das Schreiben des BMF vom 30. Dezember 1994 (BStBl I 1994, 943, bzw. Abschn. 148a der Umsatzsteuer-Richtlinien 1996) jedenfalls dem Grundsatz nach auch zur Übergangsregelung in § 27 Abs. 2 UStG zutreffende Auslegungskriterien. Nach den Feststellungen des FG war vor dem 11. November 1993 weder mit den Ausschachtungsarbeiten begonnen worden noch war ein spezifischer (richtig: spezifizierter) Bauauftrag an den Bauunternehmer erteilt worden oder Baumaterial in nicht unbedeutenden Mengen auf den Bauplatz angefahren worden.
Dass damit nicht jeder Fall berücksichtigt wird, in dem der Unternehmer bereits vor dem Stichtag seine Absicht dokumentiert hat, ein bestimmtes Gebäude aufgrund abgeschlossener Kalkulation zur errichten, macht die Übergangsregelung nicht unangemessen (vgl. zuletzt Bundesverfassungsgericht ―BVerfG―, Beschluss vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67, Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst ―DStRE― 1998, 270).
Jedenfalls bei Bezug der Bauleistungen ab Januar 1994 stand für die Klägerin fest, dass die Berechtigung zur steuerpflichtigen Vermietung an das Finanzdienstleistungsunternehmen weggefallen war. Denn dieses Unternehmen verwendete als Mieter die Räume nicht "ausschließlich für Umsätze, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen" (§ 9 Abs. 2 Satz 1 UStG i.d.F. des StMBG). Nach den Feststellungen des FG waren ―wie bereits dargelegt― die Umsätze dieser Gesellschaft vielmehr zu über 90 v.H. steuerfrei und schlossen den Vorsteuerabzug insoweit aus.
b) Schließlich kann der Klägerin nicht darin gefolgt werden, dass sie, weil sie bereits in den Umsatzsteuer-Voranmeldungen 1992 gegenüber dem FA auf die Steuerbefreiung für beabsichtigte Vermietungsumsätze verzichtet habe, auf den Fortbestand der damals geltenden Rechtslage habe vertrauen dürfen, insbesondere darauf, dass sie nicht nachträglich der (ab 11. November 1993 eingeführten) Belastung durch den Ausschluss vom Vorsteuerabzug solcher Umsätze unterworfen werde.
Das Vorsteuerabzugsrecht des Unternehmers aus Leistungsbezügen hängt grundsätzlich von der Besteuerung der damit ausgeführten Umsätze ab (vgl. Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG: "Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden…").
Verzichtet ein Unternehmer auf die Steuerbefreiung, die für solche Verwendungsumsätze vorgesehen ist, so unterwirft er sich einerseits der Belastung mit Umsatzsteuer, andererseits steht ihm der Vorsteuerabzug für die verwendeten Gegenstände oder sonstigen Leistungen zu. Ist der Verwendungsumsatz hingegen steuerfrei, besteht auch kein Recht auf Vorsteuerabzug.
Im vorliegenden Fall betraf die Gesetzesänderung zum 1. Januar 1994 die Möglichkeit des Verzichts auf die Steuerbefreiung von Grundstücksvermietungen. Zuvor konnte der Steuerpflichtige auf die Steuerbefreiung verzichten, also besteuerte Vermietungsumsätze ausführen, aber hinsichtlich der Gebäudeherstellung das Recht auf Vorsteuerabzug beanspruchen. Ob eine derartige Gesetzesänderung zur Umsatzbesteuerung eines Investitionsguts eine (nachträgliche) Belastung im Vergleich zur (vorherigen) Rechtslage bewirkt, lässt sich ―nach dem Gesetzessystem zutreffend― nicht lediglich hinsichtlich der wirtschaftlichen Vorteile des "Sofortabzugs" der Vorsteuerbeträge aus den Herstellungskosten, sondern allenfalls überschlägig für die Verwendungszeit der vorsteuerbelasteten Leistungsbezüge beurteilen. Das Umsatzsteuergesetz geht bei Investitionsgütern vom Grundsatz des Sofortabzugs des Vorsteuerabzugs aus bei gleichzeitiger Möglichkeit der Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG. Das Verwendungsschicksal des angeschafften Wirtschaftsguts kann während eines pauschalierten Berichtigungszeitraums zu einer Korrektur des ursprünglichen Vorsteuerabzugs führen. Bei Gebäuden ist insoweit der 10-jährige Vorsteuer-Berichtigungszeitraum zugrunde zu legen. Hätte die Klägerin während des Berichtigungszeitraums z.B. aufgrund Mieterwechsels zu steuerfreier Vermietung übergehen müssen, wäre es zur anteiligen Vorsteuerberichtigung gekommen, ohne dass die Frage eines unzulässigen Eingriffs in ihre wirtschaftliche Anfangsplanung eine Rolle gespielt hätte.
Wäre der ursprünglich von der Klägerin erklärte (beabsichtigte) Verzicht auf die Steuerbefreiung der vorgesehenen Vermietungsumsätze realisiert worden, hätte sie zwar "sofort" gemäß § 15 UStG den Vorsteuerabzug aus der Gebäudeherstellung erlangt. Wegen der durch Verzicht eintretenden Steuerpflicht der Vermietungsumsätze hätte sie aber aus den Mieteinnahmen grundsätzlich der Umsatzsteuer herausrechnen müssen. Mit dem Ausschluss des Verzichts auf die Steuerbefreiung entfiel diese laufende Umsatzsteuerbelastung für die Klägerin. Im Gegenzug blieb ihr der Vorsteuerabzug versagt.
Im Übrigen trat eine gegen das Rückwirkungsverbot verstoßende Versagung des entstandenen Vorsteuerabzugs für Leistungsbezüge in den Jahren 1992 und 1993 ―vor dem Stichtag der Gesetzesänderung― (wie oben ausgeführt) nicht ein.
4. Die Sache wird an das FG zurückverwiesen, damit dieses nunmehr unter Berücksichtigung der durch den EuGH vorgegebenen rechtlichen Grundsätze zur Entstehung und zum Umfang des Vorsteuerabzugsrechts die bei den jeweiligen Leistungsbezügen maßgebenden Verwendungs-Umstände ermitteln und würdigen kann.
Soweit der 1992 und bis zum 21. Dezember 1993 entstandene Vorsteuerabzug die Anschaffung von Wirtschaftsgütern i.S. von § 15a UStG betreffen sollte, ist ggf. zu prüfen, ob die tatsächlich steuerfreie Verwendung ab dem Jahr 1994, die von der Verwendungsabsicht zu steuerpflichtigen Umsätzen bei Leistungsbezug im Jahr 1992 abweicht, zu einer Vorsteuerberichtigung gemäß § 15a UStG (vgl. Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG) führt.
Fundstellen
Haufe-Index 571268 |
BFH/NV 2001, 994 |
BStBl II 2003, 426 |
BFHE 194, 498 |
BFHE 2002, 498 |
DB 2001, 1123 |
DStR 2001, 785 |
DStRE 2001, 605 |
HFR 2001, 787 |
StE 2001, 282 |
UR 2001, 260 |