Entscheidungsstichwort (Thema)
Festsetzungsfrist für hinterzogene bzw. leichtfertig verkürzte Steuern
Leitsatz (NV)
Zu den Voraussetzungen, unter denen sich die Festsetzungsfrist wegen Steuerhinterziehung oder leichtfertiger Steuerverkürzung verlängert.
Normenkette
AO 1977 § 169 Abs. 2 S. 1, § 370 Abs. 1 Nr. 1, § 378 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist als Internist selbständig tätig. Er ermittelt seinen Gewinn durch Überschußrechnung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Der Kläger ist an einer Laborgemeinschaft in der Rechtsform einer BGB-Gesellschaft beteiligt. Für die Ausgaben dieser Gemeinschaft leistet er monatliche Zahlungen. Die Gemeinschaft errechnet ihre Ausgaben jeweils für das Kalenderjahr unter Berücksichtigung von Absetzungen für Abnutzung (AfA) für ihr Anlagevermögen und verteilt diese Kosten auf die Mitglieder; hierüber ergeht jeweils eine einheitliche Feststellung des zuständigen Finanzamts.
Anläßlich einer Betriebsprüfung wurde festgestellt, daß der Kläger seinen Gewinn für das Jahr 1977 unter Abzug seiner Zahlungen an die Laborgemeinschaft als Betriebsausgaben ermittelt und erklärt hatte. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) veranlagte den Kläger zunächst entsprechend dieser Erklärung zur Einkommensteuer. Nachdem die Mitteilung über den für den Kläger festgestellten Anteil an den Ausgaben der Laborgemeinschaft vorlag, zog das FA diesen Betrag vom erklärten Gewinn ab und berichtigte die Einkommensteuerfestsetzung 1977 entsprechend. - Für das Jahr 1978 errechnete der Kläger den Gewinn wiederum unter Abzug der tatsächlichen Zahlungen an die Laborgemeinschaft; in der Anlage zur Einkommensteuererklärung gab er außer diesem Gewinn auch seinen Ausgabenanteil an den Kosten der Laborgemeinschaft an. Das FA zog diesen Betrag vom erklärten Gewinn ab und veranlagte den Kläger entsprechend zur Einkommensteuer. Die Steuererklärungen für 1977 und 1978 waren im Februar bzw. Dezember 1979 eingereicht worden.
Nach Aufdeckung dieses Sachverhalts berichtigte das FA im Jahre 1984 seine unter Nachprüfungsvorbehalt ergangenen Einkommensteuerbescheide für 1977 und 1978. Das FA ging davon aus, daß dem Steuerberater des Klägers eine leichtfertige Steuerverkürzung zur Last falle, so daß sich die Steuerfestsetzungsfrist auf fünf Jahre verlängere und die Berichtigungsbescheide noch ergehen durften. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil und die Einkommensteuerberichtigungsbescheide 1977 und 1978 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht (FG).
Die angefochtenen Einkommensteuerbescheide sind nach Ablauf der allgemeinen Steuerfestsetzungsfrist von vier Jahren (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 der Abgabenordnung - AO 1977 -) ergangen; die Steuererklärungen 1977 und 1978 sind im Jahre 1979 abgegeben, die Berichtigungsbescheide jedoch erst im Oktober 1984 erlassen worden. Sie können deshalb nur Bestand haben, wenn die nachgeforderte Steuer hinterzogen oder leichtfertig verkürzt wurde; in diesem Fall verlängert sich die Festsetzungsfrist auf zehn bzw. fünf Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO 1977).
Im Streitfall ist das FA davon ausgegangen, daß dem Steuerberater des Klägers eine leichtfertige Steuerverkürzung anzulasten sei (§ 378 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Das angefochtene Urteil hat diese Auffassung bestätigt, jedoch tatsächliche Feststellungen getroffen, die für eine Steuerhinterziehung i. S. von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 sprechen. Diese Feststellungen sind von einem Verfahrensfehler beeinflußt; sie ergeben auch im übrigen nicht, daß auf seiten des Klägers oder seines Steuerberaters die objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer leichtfertigen Steuerverkürzung oder einer Steuerhinterziehung erfüllt sind.
1. Das FG ist nicht der Darstellung des Steuerberaters gefolgt, er habe bei Erstellung der Überschußrechnung für den Kläger angenommen, daß die Laborgemeinschaft die Zahlungen des Klägers als Betriebseinnahme behandle, so daß ein in der Gemeinschaft entstandener Verlust beim Kläger anteilig als zusätzliche Betriebsausgabe zu berücksichtigen sei. Dies sei zwar grundsätzlich möglich, entspreche aber nicht der üblichen Verbuchungsweise, auf die die Finanzverwaltung in einer auch dem Steuerberater zugänglichen Verfügung hingewiesen habe (Erlaß des Finanzministers Niedersachsen vom 26. Mai 1978, veröffentlicht in Deutsches Steuerrecht - DStR - 1978, 413). Tatsächlich habe sich der Steuerberater aber nicht entsprechend seiner Einlassung verhalten. In diesem Fall hätte er nämlich den bereits mitgeteilten Verlustanteil in der Steuererklärung 1977 zusätzlich berücksichtigt. So aber müsse angenommen werden, er habe ,,prüfen" wollen, ob dem FA bei Zugang der Verlustmitteilung die Ausgabenposition in der Überschußrechnung und die Doppelberücksichtigung der Ausgaben auffalle. Die Einwände des Steuerberaters stellten sich als Schutzbehauptungen dar, die den wahren Sachverhalt, nämlich die bewußte Inkaufnahme (1977) und Inanspruchnahme (1978) der doppelten Berücksichtigung der fraglichen Aufwendungen verschleiern sollten.
Das FG hat sich in dieser Auffassung durch das Verhalten des Steuerberaters im Prozeß bestätigt gesehen. Dieser sei nämlich der zweimaligen Aufforderung des Berichterstatters, alle in seinem Besitz befindlichen Unterlagen vorzulegen, die die Laborgemeinschaft beträfen, nicht nachgekommen und habe erst in der mündlichen Verhandlung die Verlustmitteilungen der Laborgemeinschaft für 1977 und 1978 vorgelegt. Dies gebe dem Gericht zu der Vermutung Anlaß, daß er auch sonst im Besteuerungsverfahren nicht aufgrund eines zu vernachlässigenden Rechtsirrtums, sondern mit Blick auf die bewußte Erlangung ihm nicht zustehender Steuervorteile gehandelt habe.
Diese Feststellungen über das Prozeßverhalten des Steuerberaters sind unzutreffend. Wie die Revision zu Recht geltend macht, ergeben die eigenen Akten des FG, daß der Prozeßvertreter des Klägers die angeführten Verlustmitteilungen bereits vor Erlaß der Aufklärungsanordnungen des Berichterstatters als Anlage zum Schriftsatz vom 12. Juni 1985 eingereicht hat. Das FG hätte diese entscheidungserhebliche Tatsache, die sich aus den Akten ergibt, nicht unberücksichtigt lassen dürfen; es hat damit entgegen dem Gebot des § 96 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) seine Überzeugung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen. An das Ergebnis einer solcherart mangelhaften Beweiswürdigung ist das Revisionsgericht nicht gebunden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 2. Februar 1967 V 99/64, BFHE 88, 396, BStBl III 1967, 403). Dieser erst bei der Urteilsfindung unterlaufene Verfahrensfehler konnte nicht, wie das FA meint, vom Klägervertreter schon in der mündlichen Verhandlung gerügt werden; seinem Verhalten kann auch kein Verzicht auf die entsprechende Verfahrensrüge (§ 295 der Zivilprozeßordnung - ZPO -) entnommen werden; ob ein Verzicht auf die Einhaltung der Vorschrift des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO überhaupt wirksam sein kann, braucht daher nicht erörtert zu werden.
Das angefochtene Urteil beruhte auch auf diesem Mangel (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO). Hierzu genügt bereits die Möglichkeit, daß die Entscheidung des Gerichts ohne den Verfahrensmangel anders ausgefallen wäre (Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 13. Aufl., S. 888). Im Streitfall besteht diese Möglichkeit. Denn das FA hat aus dem Prozeßverhalten des Steuerberaters Folgerungen für seine Absichten bei Abgabe der Steuererklärungen gezogen und daran die Vermutung geknüpft, er habe damals bewußt die Erlangung eines dem Kläger nicht zustehenden Steuervorteils angestrebt. Auf die weiteren in diesem Zusammenhang vom Kläger erhobenen Verfahrensrügen braucht danach nicht eingegangen zu werden.
2. Das Urteil enthält auch keine weiteren fehlerfrei getroffenen Feststellungen, die die Rechtsfolgerung des FG rechtfertigen könnten.
Das FG ist wie das FA in rechtlicher Hinsicht davon ausgegangen, daß der Kläger bzw. sein Berater eine leichtfertige Steuerverkürzung begangen habe. In diesem Zusammenhang konnte das FG unbedenklich annehmen, daß es durch das Verhalten des Steuerberaters zu einer Steuerverkürzung gekommen ist. Nach seinen, auch vom Kläger nicht mehr bestrittenen Feststellungen hat die Laborgemeinschaft nämlich die Zahlungen der angeschlossenen Ärzte nicht als Betriebseinnahmen verbucht, sondern nur ihre Ausgaben einschließlich der AfA für das abnutzbare Sachanlagevermögen erfaßt und auf die Gesellschafter umgelegt. Im festgestellten ,,Verlustanteil" des Arztes wurden damit die auf ihn entfallenden Ausgaben berücksichtigt. Die Steuerverkürzung ist dadurch zustande gekommen, daß der Kläger in seiner Überschußrechnung nicht diesen Ausgabenanteil, sondern seine Zahlungen an die Laborgemeinschaft berücksichtigte und daß andererseits das FA den ,,Verlustanteil" für 1977 von sich aus und für 1978 nach einem Hinweis des Steuerberaters in der Anlage zur Steuererklärung zusätzlich gewinnmindernd berücksichtigte.
Damit der Handlungsbeitrag des Klägers oder seines Steuerberaters als leichtfertige Steuerverkürzung angesehen werden kann, müßte ihm der Vorwurf grober Fahrlässigkeit gemacht werden können (vgl. Franzen / Gast / Samson, Steuerstrafrecht mit Steuerordnungswidrigkeiten und Verfahrensrecht, 3. Aufl., § 378 AO 1977 Anm. 23, mit Rechtsprechungsnachweisen). Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn der Beteiligte die ihm persönlich zuzumutende Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt (BFH-Urteil vom 3. Februar 1983 IV R 153/80, BFHE 137, 547, BStBl II 1983, 324, m. w. N.). Der Vorwurf grober Fahrlässigkeit kann sich insbesondere darauf stützen, daß Umstände außer Betracht gelassen wurden, deren Erheblichkeit für die Begründung oder den Umfang einer Steuerforderung sich hätte aufdrängen müssen.
Hierzu enthält das Urteil keine hinreichenden Feststellungen.
Das FG konnte sich nicht mit einem Hinweis auf den Erlaß der Finanzverwaltung vom 26. Mai 1978 (a. a. O.) begnügen, in dem das im Streitfall von der Laborgemeinschaft geübte Buchungsverfahren als üblich bezeichnet wird. Da die in Form einer Personengesellschaft gegründete Laborgemeinschaft nicht der Gewinnerzielung, sondern der Kooperation durch die Unterhaltung eines gemeinsamen Labors diente, kam für sie eine Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich oder Überschußrechnung nicht in Betracht; sie hatte vielmehr ihre Aufwendungen festzuhalten, damit diese gemäß § 180 Abs. 2 AO 1977 (a. F.) einheitlich festgestellt und auf die Gesellschafter aufgeteilt werden konnten. So ist die Laborgemeinschaft vorliegend verfahren. Wie auch das FG einräumt, ist dieses Vorgehen aber nicht zwingend. Aus dem Erlaß des Niedersächsischen Finanzministers vom 26. Mai 1978 und insbesondere aus einer Verfügung der Oberfinanzdirektion Frankfurt vom 26. März 1982 (Steuererlasse in Karteiform, Gewerbesteuergesetz, § 2 Abs. 1 Nr. 45) ergibt sich vielmehr, daß eine Reihe von Laborgemeinschaften die von ihren Gesellschaftern erhobenen Umlagen als Betriebseinnahmen und die eigenen Aufwendungen als Betriebsausgaben verbuchen; der so ermittelte ,,Gewinn" oder ,,Verlust" wird alsdann auf die Gesellschafter aufgeteilt. Die beteiligten Ärzte müssen in diesem Fall die eingezahlten Umlagen und zusätzlich ihren Anteil am ,,Gewinn" oder ,,Verlust" der Laborgemeinschaft in ihre Überschußrechnung aufnehmen; sie stehen dadurch nicht anders, als hätte die Laborgemeinschaft lediglich ihre Ausgaben berücksichtigt und in das Feststellungsergebnis einbezogen.
Sofern dem Steuerberater die tatsächliche Buchungsweise der Laborgemeinschaft nicht bekannt war, sind Feststellungen des FG darüber erforderlich, ob der Steuerberater tatsächlich davon ausgegangen ist und davon ausgehen durfte, daß die Laborgemeinschaft in der zuletzt beschriebenen, nur ausnahmsweise vorkommenden Weise verfahren ist, bei der sich die ,,Verlustfeststellung" allerdings auf relativ kleine Spitzenbeträge beschränkt hätte. Da die leichtfertige Steuerverkürzung zudem einer bestimmten Person zugeordnet werden muß, wird zu klären sein, wie der Kläger und in welcher Weise der Steuerberater oder seine Angestellten in Zusammenhang mit der Erstellung der Überschußrechnung und der Abgabe der Steuererklärungen 1977 und 1978 tätig geworden sind, ob und wann die Verlustmitteilungen der Laborgemeinschaft an den Kläger oder den Steuerberater gelangt sind, welche Maßnahmen der Steuerberater daraufhin getroffen hat und ob ihm die Buchungsweise von Laborgemeinschaften aus der steuerlichen Beratung anderer Mandanten bekannt war. Sofern das FG danach zu dem Ergebnis gelangt, dem Steuerberater hätten sich weitere Nachforschungen aufdrängen müssen, kann auch dies u. U. den Vorwurf einer leichtfertigen Steuerverkürzung begründen; in diesem Zusammenhang wird auf den BFH-Beschluß vom 5. März 1979 GrS 5/77 (BFHE 127, 140, BStBl II 1979, 570) verwiesen. Auf die Verletzung von Ermittlungspflichten durch das FA könnte sich der Kläger in diesem Zusammenhang nicht berufen, da die Berichtigung der Einkommensteuerbescheide gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 bei einem von ihm zu vertretenden Verschulden seines Steuerberaters nicht gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoßen würde.
Fundstellen
Haufe-Index 414818 |
BFH/NV 1988, 409 |