Entscheidungsstichwort (Thema)
Wohnungsbegriff im bewertungsrechtlichen Sinn
Leitsatz (amtlich)
Eine Wohnung im bewertungsrechtlichen Sinn liegt in der Regel nur vor, wenn sie auch baurechtlich zum dauernden Aufenthalt von Menschen geeignet ist.
Orientierungssatz
Der Wohnungsbegriff im bewertungsrechtlichen Sinn ist ohne Rücksicht auf Regelungen in einem Bebauungsplan oder in anderen Gesetzen auszulegen, sofern diese Regelungen eine andere Zielrichtung als das Bewertungsrecht haben. Deshalb ist z.B. unerheblich, ob das betreffende bebaute Grundstück zu einem durch Bebauungsplan ausgewiesenen Wochenendhausgebiet gehört oder die zweite Wohnung des Hauses eine Einliegerwohnung i.S. des § 11 II. WoBauG ist (vgl. BFH-Rechtsprechung).
Normenkette
BewG 1974 § 75 Abs. 6; II. WoBauG § 11
Tatbestand
I. Die Kläger errichteten 1982 und 1983 auf ihrem Grundstück ein Wohnhaus mit einer Wohnung im Erdgeschoß und im Dachgeschoß.
Das beklagte Finanzamt (FA) bewertete das Grundstück zum 1.Januar 1984 durch bestandskräftigen Bescheid als Einfamilienhaus.
1984 bauten die Kläger das Kellergeschoß des Hauses um. In den 1 - 1,20 m im Erdreich liegenden 2,28 m hohen Räumen bauten sie ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer, eine Küche, ein Bad mit WC, einen Flur und einen Abstellraum aus. Die Raumeinheit ist 58,41 qm groß.
Der Wohnraum hat drei Fenster. Das Mittelfenster mißt 1,36 x 0,90 m. Die zwei Seitenfenster messen 1,10 x 0,90 m. Das Schlafzimmer hat zwei Fenster mit den Maßen 0,90 x 0,95 m. Das Küchenfenster mißt 1 x 0,90 m. Im Bad und im Abstellraum befinden sich Lichtschächte, da sich diese Räume bis über Fensterhöhe im Erdreich befinden. Das Fenster im Bad mißt 0,80 x 0,80 m das Fenster im Abstellraum 0,80 x 0,60 m.
Wohnzimmer und Schlafzimmer sind mit Teppichboden ausgelegt, Küche und Bad sind gefliest. Der Abstellraum ist mit Linoleum ausgelegt. Die Küche ist mit einem vierflammigen Herd, Spüle, Waschmaschine, Trockner, Kühlschrank und Kühltruhe eingerichtet.
Der Zugang zu den vorgenannten Räumen erfolgt von außen durch eine Tür zum Küchenraum.
Die Raumeinheit im Kellergeschoß hat eine eigene Klingelanlage, ein Namensschild befindet sich an der Tür zum Kellergeschoß.
Der Heizungs- und Öllagerraum im Kellergeschoß und der Treppenaufgang zum Erdgeschoß sind im Herbst 1984 von den übrigen Räumen des Kellergeschosses durch eine doppelte Rigipswand abgetrennt worden.
Die Kläger vermieteten die vorgenannte Raumeinheit nach ihrem Vortrag ab 1.Oktober 1984 an den Schwager des Klägers.
Der Oberkreisdirektor des Landkreises antwortete dem FA auf Anfrage mit Schreiben vom 5.November 1986:
"Anläßlich einer Ortsbesichtigung am 31.10.1986 wurde festgestellt, daß im Untergeschoß des o.g. Wohnhauses eine zweite Wohnung eingerichtet ist.
Die Wohnung besteht aus zwei Räumen (Wohn- und Schlafzimmer) zuzüglich Küche sowie Dusche und Flur.
Da die Wohnung nur eine Raumhöhe von 2,28 m hat und ca. 1 m- 1,20 m im Erdreich liegt, können die Räume nicht zum dauernden Aufenthalt von Menschen genehmigt werden."
Den Antrag der Kläger, das Grundstück zum 1.Januar 1985 als Zweifamilienhaus zu bewerten, lehnte das FA mit Schreiben vom 18.Februar 1987 ab. Die Räume im Kellergeschoß seien wegen ihrer Lage und ihrer geringen Höhe nicht zum dauernden Aufenthalt für Menschen geeignet und daher keine Wohnung.
Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Auf die Klage hob das Finanzgericht (FG) den ablehnenden Bescheid des FA vom 18.Februar 1987 sowie die Einspruchsentscheidung auf und verpflichtete das FA, das Grundstück zum 1.Januar 1985 als Zweifamilienhaus zu bewerten.
Die umstrittenen Räume im Kellergeschoß seien zwar wegen ihrer Höhe und ihrer Lage gemäß § 43 der Niedersächsischen Bauordnung (NBauO) als Wohnräume ungeeignet; das ergebe sich auch aus dem Schreiben des Oberkreisdirektors des Landkreises vom 5.November 1986. Jedoch setze eine Wohnung im bewertungsrechtlichen Sinne nicht voraus, daß die Räume rechtlich zur Dauernutzung geeignet sind. Maßgebend sei nur, daß in den Räumen nach der Verkehrsauffassung tatsächlich ein Haushalt geführt werden könne. Das sei hier der Fall. Trotz der Lage (1-1,20 m unter dem Erdreich) machten Wohnzimmer, Schlafzimmer und Küche infolge der vielen großflächigen Fenster einen hellen und freundlichen Eindruck, da sie ausreichend belichtet und belüftet würden. Die lichte Höhe von 2,28 m wirke nicht beengend oder störend. Die Räume seien auch bei heutigen Wohnansprüchen nach Lage, Größe, Gestaltung und Ausstattung dauerhaft für die Haushaltsführung durch eine Familie geeignet.
Durch die doppelte Rigipswand seien die Räume im Kellergeschoß am Stichtag auch ausreichend gegenüber der Hauptwohnung baulich abgeschlossen gewesen.
Mit der vom FG zugelassenen Revision beantragt das FA, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
1. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, weil das FG den Begriff der Wohnung i.S. des § 75 Abs.5 und 6 des Bewertungsgesetzes (BewG) ohne Rücksicht auf baurechtliche Vorschriften ausgelegt hat.
Der Senat schließt sich nicht der Auffassung des FG an, daß es unerheblich ist, ob die Räume im Kellergeschoß den Anforderungen des § 43 NBauO entsprechen.
Zwar ist der vorgenannte Wohnungsbegriff des § 75 BewG bewertungsrechtlicher Natur; er ist daher ohne Rücksicht auf Regelungen in einem Bebauungsplan oder in anderen Gesetzen auszulegen, sofern diese Regelungen eine andere Zielrichtung als das Bewertungsrecht haben. Deshalb ist z.B. unerheblich, ob das betreffende bebaute Grundstück zu einem durch Bebauungsplan ausgewiesenen Wochenendhausgebiet gehört oder die zweite Wohnung des Hauses eine Einliegerwohnung i.S. des § 11 des II.Wohnungsbaugesetzes (II.WoBauG) ist (Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 25.Mai 1979 III R 41/78, BFHE 128, 259, BStBl II 1979, 543, und vom 27.September 1985 III R 68/84, BFHE 144, 458, BStBl II 1985, 706). Jedoch setzt auch der Wohnungsbegriff im bewertungsrechtlichen Sinne voraus, daß die betreffenden Räume zum dauernden Aufenthalt von Menschen geeignet sind, selbst wenn sie ―wie z.B. die Räume eines Wochenendhauses― rechtlich nicht zum dauernden Aufenthalt bestimmt sind. Darauf hat der früher für die Bewertung zuständig gewesene III.Senat in seinem vorgenannten Urteil in BFHE 128, 259, unter 1.b) letzter Absatz der Gründe hingewiesen. Verweigert daher eine Behörde eine Baugenehmigung mit der Begründung, die betreffenden Räume seien zum dauernden Aufenthalt von Menschen nicht geeignet, so können die betreffenden Räume in der Regel auch bewertungsrechtlich nicht als Wohnung anerkannt werden. Dementsprechend hat der III.Senat in seinem vorgenannten Urteil BFHE 128, 259, unter Hinweis auf das Urteil vom 24.November 1978 III R 81/76 (BFHE 126, 565, BStBl II 1979, 255) erwähnt, daß auch baurechtliche Vorschriften den bewertungsrechtlichen Wohnungsbegriff beeinflussen können.
2. Der bisher vom FG festgestellte Sachverhalt erlaubt keine abschließende Entscheidung der Sache.
Das FG hat nicht festgestellt, ob die Baugenehmigung für den Ausbau des Kellergeschosses unanfechtbar versagt oder nachträglich (rückwirkend oder nicht rückwirkend) erteilt worden ist. Diese Feststellung ist für die bewertungsrechtliche Beurteilung des Falles von erheblicher Bedeutung. Die maßgebende Entscheidung darüber, ob die Räume im Kellergeschoß den Anforderungen des § 43 NBauO genügen, steht den Baubehörden bzw. den Verwaltungsgerichten zu. Das Schreiben des Oberkreisdirektors des Landkreises vom 5.November 1986 ist kein unanfechtbarer Verwaltungsakt. Den neuen Tatsachenvortrag der Kläger zur Baugenehmigung in der Revisionsinstanz kann der BFH nicht berücksichtigen.
Außerdem kann bisher nicht beurteilt werden, ob die doppelte Rigipswand im Keller ausreicht, um die Wohnräume im Kellergeschoß gegenüber der Hauptwohnung baulich abzuschließen (vgl. dazu die BFH-Urteile vom 22.Juni 1979 III R 17/77, BFHE 129, 65, BStBl II 1980, 175, und vom 5.Oktober 1984 III R 192/83, BFHE 142, 505, BStBl II 1985, 151). Vielfach reichen solche Leichtbauwände nicht aus (vgl. BFHE 129, 65). Anders kann die Rechtslage sein, wenn eine Türöffnung mit solchem Material und einer zusätzlichen Balkenkonstruktion einschließlich Dämmstoffen verschlossen wird (BFH-Urteil vom 4.Juli 1990 II R 74/87, BFHE 161, 166, BStBl II 1991, 131). Ob das für eine größere Maueröffnung ausreicht, hängt davon ab, ob die in Leichtbauweise errichtete Wand im Verhältnis zu ihrer Größe als ausreichend stabil für einen baulichen Abschluß anzusehen ist. Über die Konstruktion der Rigipswand im Kellergeschoß gibt der vom FG festgestellte Sachverhalt jedoch keinen Aufschluß. Ebensowenig ist ersichtlich, wie groß die Wand ist und an welcher Stelle des Kellergeschosses sie errichtet worden ist. Denn das FG-Urteil bezieht sich ebenso wie das Protokoll über den Beweis- und Erörterungstermin am 1.Juni 1988 im übrigen wegen der baulichen Gestaltung auf den mit Schriftsatz der Kläger vom 16.März 1988 überreichten Bauplan des Kellergeschosses; diesem Schriftsatz ist aber in der dem Senat vorliegenden FG-Akte kein Bauplan des Kellergeschosses beigeheftet.
Zur Klärung der vorgenannten Punkte und zur erneuten Entscheidung wird die Sache an das FG zurückverwiesen. Diesem wird gemäß § 143 Abs.2 FGO auch die Kostenentscheidung übertragen.
Fundstellen
Haufe-Index 63662 |
BFH/NV 1991, 54 |
BStBl II 1991, 683 |
BFHE 164, 455 |
BFHE 1992, 455 |
BB 1991, 1558 (L) |
DB 1991, 2067 (S) |
DStR 1991, 1247 (KT) |
HFR 1991, 641 (LT) |
StE 1991, 281 (K) |
WPg 1991, 676 (S) |
StRK, R.40 (LT) |
DWW 1991, 314 (LT) |