Leitsatz (amtlich)
Eine freiberufliche erzieherische Tätigkeit kann ohne Ablegung einer fachlichen Prüfung, z. B. aufgrund eigener praktischer Erfahrungen, ausgeübt werden.
Normenkette
EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Die Klägerin betreibt seit 1964 mit Genehmigung der Regierung des Saarlandes, Ministerium für Arbeit und Sozialwesen, unter der Auflage ein Kinderheim, eine geprüfte Kinderpflegerin einzustellen, da die Klägerin nicht geprüfte Kinderpflegerin ist. Im Jahre 1966 hat das Landesjugendamt des Saarlandes die Klägerin von der Pflicht zur Einholung der Erlaubnis der Aufnahme jeden einzelnen Kindes nach § 28 des Gesetzes für Jugendwohlfahrt (BGBl I 1961, 1205) unter der Auflage der Einstellung einer zusätzlichen Kindergärtnerin befreit.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) zog die Klägerin für das Streitjahr 1968 zur Gewerbesteuer heran. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das FG hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Die Klägerin habe keine selbständige Arbeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG in Form einer erzieherischen Tätigkeit ausgeübt, weil ihr die fachlichen Voraussetzungen zur Leitung eines Kinderheims gefehlt haben. Aus diesem Grunde habe die Klägerin auf Anordnung der Regierung des Saarlandes, der Minister für Arbeit und Sozialwesen, eine Kindergärtnerin einstellen müssen und außerdem noch drei Pflegerinnen beschäftigt. Die Klägerin sei daher zwar leitend, aber bei der Erziehung der Kinder nicht eigenverantwortlich tätig geworden. Daß eine erzieherische Tätigkeit auch ohne Fachprüfung aufgrund praktischer Erfahrungen mit staatlicher Anerkennung ausgeübt werden kann, sei ohne Belang. Denn die Jugendbehörde habe in ihrer Genehmigungsverfügung den Vorbehalt der Einstellung einer Kinderpflegerin aufrechterhalten. Zur Erziehung der Kinder habe sich die Klägerin mithin fremder qualifizierter Arbeitskräfte bedienen müssen.
Hiergegen richtet sich die Revision mit folgender Begründung:
Aus der Bescheinigung des Kreisjugendamtes, wonach die Klägerin in ihrem Heim eigenverantwortlich erzieherisch tätig gewesen sei und sich nur wegen der großen Zahl der Kinder weiterer Fachkräfte habe bedienen müssen, sei zu schließen, daß die Klägerin eine solche Tätigkeit bereits im Streitjahr ausgeübt habe. Der Verfügung des Landesjugendamtes im Jahre 1966 könne nicht entnommen werden, daß es die Klägerin zur Kindererziehung für unfähig erachtet habe. Sie habe lediglich nicht alle Kinder betreuen können, so daß eine zusätzliche Kraft erforderlich gewesen sei. Auch werde die Feststellung des Kreisjugendamtes vom 2. März 1972 nicht entkräftet, daß die Klägerin im erzieherischen Bereich in eigener Verantwortung tätig war. Selbst wenn ihr aber die Erziehung verboten gewesen wäre, so hätte dies nicht verhindern können, daß sie trotzdem die Kinder erzog, zumal die steuerliche Anerkennung erzieherischer Tätigkeit nicht vom Nachweis der Fähigkeit durch ein Staatsexamen abhänge.
Es sei denkfehlerhaft, aus der Feststellung, was die Klägerin tun oder nicht tun durfte, darauf zu schließen, was sie getan oder nicht getan hat. Auch ohne Fachexamen könne die Klägerin über ausreichende erzieherische Fähigkeiten verfügen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen. Da die Klägerin nicht die fachlichen Voraussetzungen als Heimleiterin gehabt habe, habe sie auch nicht auf erzieherischem Gebiet eigenverantwortlich tätig werden können.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision wird die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Der Senat tritt der Vorinstanz darin nicht bei, wenn sie die freiberufliche Tätigkeit der Klägerin schon deshalb ablehnt, weil dieser die fachlichen Voraussetzungen für die Leitung eines Kinderheims gefehlt hätten und sie wegen der Beschäftigung von vier vorgebildeten Arbeitskräften nicht eigenverantwortlich tätig geworden sei. Um zu einer solchen Würdigung zu gelangen in dem Sinn, daß sie möglich, wenn auch nicht zwingend ist, fehlen ausreichende tatsächliche Feststellungen im angefochtenen Urteil, worauf die Klägerin mit ihrer Revision zutreffend hinweist. Denn weder genügt es für die Annahme des Fehlens der fachlichen Voraussetzungen, wovon die Vorinstanz offensichtlich ausgeht, daß die Klägerin keine geprüfte Kinderpflegerin ist, noch rechtfertigt der Umstand, daß die Klägerin mehrere vorgebildete Arbeitskräfte beschäftigte, allein schon die Annahme, sie habe nicht eigenverantwortlich tätig sein können.
Wenn § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG fordert, daß die freiberufliche Tätigkeit aufgrund eigener Fachkenntnisse ausgeübt werden müsse, so kann doch im allgemeinen nicht verlangt werden, daß die Fachkenntnisse in bestimmter Weise erlangt und durch Ablegung von Fachprüfungen nachzuweisen sind. Die Vorinstanz hätte daher im Wege sich aufdrängender weiterer Sachaufklärung feststellen müssen, ob die Klägerin nicht auch ohne Nachweis durch eine Fachprüfung, z. B. aufgrund gewonnener praktischer Erfahrungen, erzieherisch und damit freiberuflich hätte tätig sein können, wie sie behauptet, und ob sie es nicht tatsächlich auch war, wie sie ebenfalls behauptet.
Nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG ist es nicht ausgeschlossen, daß ein Freiberufler trotz Beschäftigung mehrerer vorgebildeter Arbeitskräfte eigenverantwortlich tätig sein kann. Das ist z. B. auch dann der Fall, wenn der Steuerpflichtige durch seine Mitwirkung an der Erziehungstätigkeit von ihm beschäftigter Hilfskräfte deren Tätigkeit den Stempel seiner Persönlichkeit aufdrückt (vgl. BFH-Urteil vom 13. Dezember 1973 I R 138/71, BFHE 111, 105, BStBl II 1974, 213). Die Vorinstanz läßt auch in dieser Hinsicht ausreichende tatsächliche Feststellungen vermissen.
Fundstellen
Haufe-Index 70995 |
BStBl II 1974, 642 |
BFHE 1974, 474 |