Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Freiberuflichkeit eines Laborarztes
Leitsatz (NV)
Die Beanspruchung eines Laborarztes durch nichtärztliche Tätigkeit reduziert an sich die Möglichkeit des persönlichen fachlichen Arbeitseinsatzes am einzelnen Auftrag. Andererseits kann der persönliche fachliche Arbeitseinsatz für ein einzelnes Jahr oder für einzelne Jahre aus besonderen Gründen geringer ausfallen, ohne die Freiberuflichkeit der Tätigkeit zu gefährden (Anschluß an BFH in BFHE 97, 159, BStBl II 1970, 86).
Normenkette
EStG §§ 15, 18
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Facharzt für Laboratoriumsmedizin sowie Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie. Außerdem ist er Diplom-Biochemiker. Er betrieb zunächst eine laborärztliche Praxis in A.
Im Jahr 1978 erwarb der Kläger in B ein Grundstück, auf dem er in den Jahren 1978 bis 1987 erhebliche Investitionen tätigte (Anschaffungskosten für Grund und Boden und Gebäude ca. 20 Mio. DM; Laborausstattung 4,1 Mio. DM; Büroeinrichtung 1,7 Mio. DM. Das Finanzgericht (FG) stellte für 1980 folgende betriebliche Kennzahlen fest:
1980
TDM
Praxiserlöse ...
Gewinne lt. Jahresabschlüssen ...
Gewinne lt. Betriebsprüfung ...
Abschreibungen 422
Personalkosten 1121
Zahl der Arbeitnehmer 49 1)
1) Laut Betriebsprüfungsbericht vom 13. Juli 1984, und zwar 1,5 Weiterbildungsassistent, Biologe, Biochemiker, 13 Medizinisch-Technische Assistenten/innen (MTA) und Chemisch-Technische Assistenten/innen (CTA), 10 Arzthelferinnen und Laborantinnen, 7 Auszubildende zur Arzthelferin, 17 sonstige Arbeitnehmer/innen.
Einen (Fach-)Arzt hatte der Kläger nicht angestellt.
Im Betrieb des Klägers wurde modernste EDV-Technik eingesetzt. Bei der Herstellung der verwandten Software hatte der Kläger wesentlich mitgewirkt. Dieser erbrachte einen enormen persönlichen Arbeitseinsatz. Nach eigenen Angaben wurden in seinem Labor 1982 ca. 160 000 Aufträge und ca. 1450 Einzeltests täglich erledigt.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) beurteilte für die Jahre ab 1980 den Laborbetrieb des Klägers als gewerblichen mit der Begründung, daß die Steigerungen von Umsatz und Gewinn im wesentlichen durch den Einsatz vermehrten Betriebsvermögens und eines vergrößerten Personalbestandes bedingt gewesen seien. Er erließ für 1980 den angefochtenen Gewerbesteuermeßbescheid. Hiergegen wandte sich der Kläger mit der Begründung, daß er mangels Anstellung von Ärzten kein "fachlich vorgebildetes" Personal i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) beschäftige und daher das Kriterium leitender und eigenverantwortlicher Tätigkeit des Klägers nicht zu prüfen sei; in jedem Fall aber sei er eigenverantwortlich tätig gewesen. Sein Einspruch blieb erfolglos.
Für das Jahr 1980 gab das FG der Klage statt, weil die Zahl der Untersuchungsaufträge weit niedriger als im Jahr 1981 gewesen sei.
Das FA hat Revision eingelegt.
Das FA beantragt sinngemäß Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils betreffend 1980 und Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
Auszug aus Urteil vom 21. 3. 1995 XI R 85/93
Zu Recht hat das FG die Tätigkeit des Klägers als Gewerbebetrieb beurteilt.
1. ...
Die selbständige Berufstätigkeit der Ärzte gehört grundsätzliche zur freiberuflichen Tätigkeit (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG). Wie den Formulierungen "als Ausübung eines freien Berufs" in § 1 Abs. 1 GewStDV bzw. § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG und "Berufstätigkeit der Ärzte ... " in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG zu entnehmen ist, kommt es für die Abgrenzung zwischen gewerblichen und freiberuflichen Einkünften nicht schlechthin auf Aus- und Vorbildung sowie Berufsbezeichnung des Steuerpflichtigen, sondern auf die Art der von ihm ausgeübten Tätigkeit an (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 25. November 1975 VIII R 116/76, BFHE 117, 247, BStBl II 1976, 155). Wesentliches Merkmal der freiberuflichen Tätigkeit zur Abgrenzung gegenüber der gewerblichen Tätigkeit ist die unmittelbare, persönliche und individuelle Arbeitsleistung des Freiberuflers (ständige Rechtsprechung).
Dies ergibt sich auch aus § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG. Danach ist ein Angehöriger eines freien Berufes auch dann freiberuflich tätig, wenn er sich der Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bedient; Voraussetzung ist, daß er aufgrund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig wird. Diese Regelung ist durch das Steueränderungsgesetz (StÄndG) 1960 eingefügt worden, um gegenüber der vom Reichsfinanzhof (RFH) und vom BFH angewendeten Vervielfäl tigungstheorie ein den Bedürfnissen der Angehörigen der freien Berufe besser entsprechendes Verfahren zur Abgrenzung gegenüber der gewerblichen Tätigkeit ein zuführen (Begründung des Regierungsentwurfs, BTDrucks III/1811, S. 11, 12, sowie Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags zu BTDrucks III/1941, S. 4). Der 2. Halbsatz des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG, insbesondere das Wort eigenverantwortlich, bringt zum Ausdruck, daß -- entsprechend dem historisch gewachsenen Begriff des freien Berufs -- der unmittelbare persönliche Einsatz des Berufsträgers bei der Bewältigung der ihm übertragenen Aufgaben erforderlich ist. ...
2. Die Frage nach der persönlichen Arbeitsleistung stellt sich in besonderem Maße, wenn sich der Angehörige des freien Berufs der Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bedient. Nach Wortlaut und Wortsinn des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG bedeutet dies weder, daß die Arbeitskräfte eine der Ausbildung des Berufsträgers gleichwertige Berufsausbildung aufweisen, noch daß ihre Tätigkeit mit der des Berufsträgers identisch ist. Unter fachlich vorgebildeten Arbeitskräften sind vielmehr auch solche zu verstehen, die eine gegenüber dem Berufsträger weniger qualifizierte Berufsausbildung haben. Mit Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte ist eine Tätigkeit gemeint, die die Arbeit des Berufsträgers jedenfalls in Teilbereichen ersetzt und nicht nur von untergeordneter Bedeutung ist. Bei einem Arzt für Laboratoriumsmedizin zählen MTA zu den fachlich vorgebildeten Arbeitskräften (vgl. Urteil in BFHE 159, 535, BStBl II 1990, 507). Sie dürfen nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 MTA-Gesetz medizinische und chemische Untersuchungen nach Standardverfahren durchführen, wobei sie insoweit nicht auf untergeordnete Tätigkeiten beschränkt sind.
Die Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte ist für die Freiberuflichkeit des Berufsträgers unschädlich, solange er bei der Erledigung der einzelnen Aufträge leitend und eigenverantwortlich aufgrund eigener Fachkenntnisse tätig ist. Selbst eine besonders intensive leitende Tätigkeit, zu der u. a. die Organisation des Sach- und Personalbereichs, Arbeitsplanung, Arbeitsverteilung, Aufsicht über Mitarbeiter und deren Anleitung, stichprobenweise Überprüfung der Ergebnisse gehören, vermag allerdings die eigenverantwortliche Tätigkeit nicht zu ersetzen (vgl. BFH-Beschluß in BFHE 151, 147, BStBl II 1988, 17; BFH-Urteil in BFHE 117, 247, BStBl II 1976, 155). Diese kann nur dann angenommen werden, wenn die persönliche Teilnahme des Berufsträgers an der praktischen Arbeit in ausreichendem Umfang gewährleistet ist. Die Eigenverantwortlichkeit erschöpft sich nicht darin, daß der Berufsträger nach außen die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung des einzelnen Auftrags trägt. Die Ausführung jedes einzelnen Auftrags muß vielmehr ihm selbst und nicht den qualifizierten Mitarbeitern, den Hilfskräften, den technischen Hilfsmitteln oder dem Unternehmen als Ganzem zuzurechnen sein (vgl. BFH-Urteil in BFHE 117, 247, BStBl II 1976, 155).
Bei einem Arzt für Laboratoriumsmedizin tritt der das Berufsbild des Arztes prägende "persönliche, individuelle Dienst am Patienten" in den Hintergrund; er ist in be sonderem Maße auf die technischen Einrichtungen und die Mithilfe qualifizierter Mitarbeiter angewiesen. Um seine Tätigkeit als eigenverantwortlich zu werten, muß er jedoch jeden eingegangenen Untersuchungsauftrag nach Inhalt und Fragestellung zur Kenntnis nehmen, die Bearbeitung durch die zuständigen Abteilungen sowie die Auswahl und Anwendung der Untersuchungsmethode kontrollieren und die Plausibilität des Ergebnisses (Befunderhebung und Befundauswertung) nachprüfen (BFH- Urteil in BFHE 159, 535, BStBl II 1990, 507). Hiervon ausgehend hängt die Beantwortung der Frage, ob eine eigenverantwortliche Tätigkeit vorliegt bei einem Laboratoriumsarzt wesentlich von der Anzahl der Untersuchungsaufträge ab; denn der menschlichen Leistungsfähigkeit sind Grenzen gesetzt. Auf die persönliche Mitarbeit am einzelnen Untersuchungsauftrag kann auch im Hinblick auf die fortschreitende Technisierung nicht verzichtet werden. Führt der technische Fortschritt dazu, daß die persönliche, individuelle Dienstleistung -- von Ausnahmefällen abgesehen -- durch EDV-Programme ersetzt wird, so handelt es sich nicht mehr um die die Ausübung des freien Berufs prägende eigenverantwortliche Tätigkeit. Diese setzt voraus, daß dem Laborarzt -- im Regelfall (Urlaub, Krankheit ausgenommen) -- ausreichend Zeit für die persönliche Mitwirkung am einzelnen Untersuchungsauftrag verbleibt. Auch wenn man berücksichtigt, daß der Zeitaufwand hinsichtlich der einzelnen Unter suchungen und deren Befundung unterschiedlich ist, so kann nicht mehr davon ausgegangen werden, daß der Laborarzt dem einzelnen Auftrag "den Stempel seiner persönlichen Arbeit aufdrücken" kann, wenn ihm pro Untersuchung im Durchschnitt etwa 30 Sekunden zur Verfügung stehen.
Die Unterschrift des Laborarztes unter jedem Befundbericht ist für die eigenverantwortliche Tätigkeit ohne Aussagekraft. Sie verdeutlicht, daß er für die Befunde seines Laboratoriums die Verantwortung trägt. Sie besagt aber nichts darüber, ob er an der Bearbeitung des einzelnen Auftrags in der gebotenen Weise persönlich mitgewirkt hat.
3. Die Vorentscheidung ist von den vorgenannten Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Das FG hat festgestellt, daß der Kläger in den Streitjahren durchschnittlich 50 bis 55 Arbeitskräfte, darunter jeweils 14 bis 20 MTA, BTA und CTA angestellt hatte. Es hat aufgrund der für 1982 angegebenen Untersuchungsaufträge unter Berücksichtigung der geltend gemachten Wochenend- und Feiertagsarbeit und eines -- abgesehen von Wochenenden -- 16stündigen Arbeitstages des Klägers ermittelt, daß bei durchschnittlich täglich anfallenden 1577 Untersuchungen (2,8 pro Auftrag) dem Kläger durchschnittlich pro Untersuchung 36,5 Sekunden zur Verfügung standen. Das FG hat daraus, daß der Kläger insbesondere durch die Leitung des Laboratoriums, aber auch durch die Fortentwicklung der praxiseigenen Software, wissenschaftliche Aktivitäten, Fortbildung und zeitweilige Geschäftsführertätigkeit bei einer GmbH zeitlich erheblich beansprucht war, gefolgert, daß ihm tatsächlich durchschnittlich weit weniger Zeit pro Untersuchung verblieb. Es hat unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Streitfalls die Tätigkeit des Klägers als nicht mehr eigenverantwortlich beurteilt. Der erkennende Senat ist mangels zulässiger und begründeter Revisionsgründe gemäß § 118 Abs. 2 FGO an die tatsächlichen Feststellungen und die auf tatsächlichem Gebiet liegende Würdigung des FG gebunden.
4. Zu Recht hat das FG auch eine Aufteilung der Einkünfte des Klägers in solche aus freiberuflicher Arbeit einerseits und aus Gewerbebetrieb andererseits nicht vorgenommen. Der Senat verweist insoweit auf die Ausführungen im BFH-Urteil in BFHE 159, 535, BStBl II 1990, 507.
Fundstellen
Haufe-Index 420127 |
BFH/NV 1995, 1048 |