Leitsatz (amtlich)
Eine in der Sache gelegene unbillige Härte ist nicht darin zu sehen, daß bei Gesellschaftern von Personengesellschaften statt von einer ihnen gezahlten Tätigkeitsvergütung nur von dem (anteiligen) fiktiven Unternehmerlohn aus § 31 Nr. 2 GewStG zur Berechnung der Berliner Steuerpräferenz ausgegangen wird.
Normenkette
AO § 131; BHG 1964 § 23 Nr. 2; GewStG § 31 Nr. 2
Tatbestand
Der Revisionsbeklagte (Steuerpflichtiger) ist Kommanditist einer KG mit Geschäftsleitung in der Bundesrepublik und Leiter des Zweigbetriebes dieser KG in Berlin (West); er wurde für das Streitjahr 1964 unter anderen auch mit seinen Einkünften aus der KG zur Einkommensteuer herangezogen. Der Einkommensteuerbescheid 1964 und der ihm - insoweit - zugrunde liegende einheitliche Gewinnfeststellungsbescheid über den Anteil des Steuerpflichtigen am Gewinn der KG sind unanfechtbar geworden.
Mit Schreiben vom 4. März 1966 beantragte der Steuerpflichtige unter Hinweis auf das rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin VIII A 8/64 vom 11. November 1964 EFG 1965, 211), auch auf das ihm von der KG gewährte Geschäftsführergehalt von 36 000 DM im Billigkeitswege die Berliner Steuerpräferenz anzuwenden. Der Revisionskläger (das FA) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 18. Juli 1966 ab. Die gegen den ablehnenden Bescheid eingelegte Beschwerde wurde am 7. Oktober 1966 zurückgewiesen. Auf die Klage des Steuerpflichtigen verurteilte das FG das FA, dem Steuerpflichtigen von der Einkommensteuer 1964 einen Betrag von 3 923 DM zu erlassen. Es führte aus:
Die bei der Ermittlung der Einkünfte des Steuerpflichtigen aus Berlin (West) nach § 23 Nr. 2 BHG 1964 und § 31 Nr. 2 GewStG zu berücksichtigende Tätigkeitsvergütung sei zutreffend mit 10 000 DM angesetzt worden. Diese dem Gesetz entsprechende Behandlung der Tätigkeitsvergütung führe im Streitfall indes für den Steuerpflichtigen zu einer unbilligen Härte, die darin liege, daß nach der gesetzlichen Regelung auf ihn wie auf seinen Mitgesellschafter der gleiche Betrag an präferenzbegünstigten Einkünften aus der KG entfalle, obwohl der Steuerpflichtige in Berlin (West) ansässig sei und den Berliner Zweigbetrieb der KG leite, der Mitgesellschafter des Steuerpflichtigen dagegen in Berlin (West) weder ansässig noch tätig sei. Wenn auch nach dem Gesetz (§ 15 Nr. 2 EStG, § 23 Nr. 2 BHG 1964) die Gewinne nicht unterteilt würden nach Kapitaleinsatz und Arbeitsleistung der Gesellschafter, so könne nach Ansicht des FG - anders als im Veranlagungsverfahren - im Billigkeitsverfahren nach § 131 AO berücksichtigt werden, ob die gesetzlich vorgeschriebene Aufteilung des Gesamtgewinns zu einer unbilligen Härte führe, wenn durch die unzureichende Bemessung des Unternehmerlohns auf insgesamt 10 000 DM im Jahr für alle Gesellschafter der Zweck des BHG nicht in vollem Umfang erreicht werde (Urteil des VG Berlin III A 8/64, a. a. O.; George, Berliner Steuerpräferenzen, 3. Aufl., S. 231). Nach der gesetzlichen Regelung entfalle auf den Steuerpflichtigen im Streitjahr ein Unternehmerlohn von 5 000 DM, ein Betrag, für den kein leitender Angestellter gearbeitet haben würde. Die in der zu niedrigen Bemessung des Unternehmerlohns liegende Unbilligkeit werde auch nicht dadurch beseitigt, daß die Gewinne für Kapitaleinsatz höher seien, wenn man den Unternehmerlohn derart gering bemesse. Denn die Aufteilung des laufenden Gewinns erfolge nicht nach dem Verhältnis des in Berlin (West) und im übrigen Bundesgebiet eingesetzten Eigenkapitals, sondern nach dem Verhältnis der in den Betriebstätten gezahlten Arbeitslöhne. Es entspreche deshalb der Billigkeit, wenn die an den Steuerpflichtigen und an seinen Mitgesellschafter gezahlten Tätigkeitsvergütungen für die Präferenzberechnung den Arbeitslöhnen gleichgestellt würden. Dies entspreche auch dem die Vorschrift des § 33 GewStG bestimmenden Rechtsgedanken. Eine andere Entscheidung würde zu einer außerhalb der Vorstellungen des Gesetzgebers liegenden Härte führen. Der Gesetzgeber habe mit den Berlinpräferenzen die Wirtschaftskraft von Berlin (West) stärken wollen. Diesem Zweck entspreche die vorgesehene Billigkeitsmaßnahme, die berücksichtige, daß der Steuerpflichtige durch die Leitung der Berliner Betriebstätte die Wirtschaftskraft Berlins in größerem Umfang stärke als sein im übrigen Bundesgebiet tätiger Mitgesellschafter.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision des FA, zu deren Begründung es ausführt:
Grundsätzlich sei davon auszugehen, daß die Einziehung einer rechtmäßig festgesetzten Steuer nicht unbillig sei. In der Sache selbst liegende Erlaßgründe seien daher nur dann gegeben, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers auf dem in Frage kommenden Steuerrechtsgebiet angenommen werden könne, daß der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage - hätte er sie geregelt - im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (Urteil des BFH V z 181/57 U vom 27. März 1958, BFH 66, 647, BStBl III 1958, 248). Da die Vorschrift des § 131 AO keine vom Gesetzgeber nicht gewollte Befreiungsvorschrift ersetzen könne, sei ein Erlaß nur in solchen Fällen zulässig und geboten, die bei Erlaß des Gesetzes nicht vorauszusehen gewesen seien und deren Härte nicht in Kauf genommen worden wäre. Der Erlaß setze deshalb voraus, daß der Steuerpflichtige in einer außerhalb der Vorstellungen des Gesetzgebers liegenden und diesen widersprechenden Weise benachteiligt worden sei.
Zwar treffe es zu, daß die nach dem Gesetz erfolgte Aufteilung nach Maßgabe der gezahlten Arbeitslöhne ein einfaches, indes verhältnismäßig grobes Verfahren darstelle, bei dem eine den jeweiligen Verhältnissen des Einzelfalles voll entsprechende Aufteilung des Gesamtgewinns nicht immer erzielt werden könne. Dies gelte insbesondere dann, wenn ein erheblicher Teil der im Betrieb geleisteten Arbeit auf einen oder mehrere Gesellschafter selbst entfalle. Wenn sich der Gesetzgeber anstelle eines anderen, ebenfalls denkbaren Aufteilungsmaßstabes für das im Gesetz niedergelegte Verfahren entschieden habe, so habe er aus Gründen der Praktikabilität gewisse Unebenheiten und Härten, die bei der Anwendung des Steuerpräferenzgesetzes auftreten könnten, bewußt in Kauf genommen. Dafür, daß die sich aus der gesetzlichen Regelung ergebenden Folgen außerhalb der Vorstellungen des Gesetzgebers gelegen hätten, seien keine Anhaltspunkte gegeben. Im Gegenteil spreche der Umstand, daß die Aufteilungsregelung trotz mehrfacher Gesetzesänderungen seit 1955 unverändert beibehalten worden sei, dafür, daß der Gesetzgeber die Auswirkungen des Gesetzes durchaus erkannt habe.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Der Steuerpflichtige beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, da die Einlegung der Revision durch die OFD für das FA unzulässig sei und es hinsichtlich des Antrags des FA auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand an einer formgerechten Zustellung des angefochtenen Urteils fehle, hilfsweise, die Revision als unbegründet zurückzuweisen und die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
1. Was die Frage der form- und fristgerechten Einlegung der Revision betrifft, nimmt der Senat auf den Beschluß des BFH Gr. S. 4/68 vom 10. März 1969 (BFH 95, 366, BStBl II 1969, 435) Bezug. Der Senat schließt sich der dort vertretenen Rechtsauffassung an. Die zur Vertretung des FA erforderliche Vollmacht auf die OFD liegt vor. Ihre Beibringung ist bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung, auf die die Entscheidung ergeht, im Verfahren ohne mündliche Verhandlung bis zur Beschlußfassung des Gerichts über die Entscheidung möglich (Beschluß des BFH III R 123/68 vom 2. Mai 1969, BFH 95, 430, BStBl II 1969, 438).
2. Nach § 131 AO können im Einzelfall Steuern erlassen werden, wenn ihre Einziehung unbillig ist. Die Unbilligkeit kann in der Person des Steuerpflichtigen oder in der Sache selbst liegen. Sachliche Billigkeitsgründe hat die Rechtsprechung anerkannt, soweit nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers auf dem in Frage kommenden Steuerrechtsgebiet angenommen werden kann, daß der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage - hätte er sie geregelt - im Sinne des beabsichtigten Erlasses entschieden haben würde (BFH-Urteil VII 185/57 U vom 28. Oktober 1958, BFH 68, 27, BStBl III 1959, 11). Ein solcher Billigkeitsgrund liegt im Streitfall nicht vor.
Der Senat kann dem FG nicht darin folgen, daß der Gesetzgeber die Folgen der Verweisung auf § 31 Nr. 2 GewStG in § 23 Nr. 2 Satz 3 BHG 1964 nicht erkannt habe. Die Vorschrift des § 31 Nr. 2 GewStG befaßt sich allein mit der Berücksichtigung des sogenannten Unternehmerlohns für die im Betrieb tätigen Unternehmer bzw. Mitunternehmer im Rahmen der gezahlten Arbeitslöhne für den Zerlegungsfall. Hätte der Gesetzgeber für die Ermittlung der Einkünfte des Unternehmers bzw. der Mitunternehmer aus Berlin (West) an Stelle des für alle Gesellschafter einheitlich auf 10 000 DM bemessenen (fiktiven) Unternehmerlohns die im jeweiligen Falle vereinbarte und tatsächlich gezahlte Tätigkeitsvergütung berücksichtigt wissen wollen, hätte er dies an Stelle der Verweisung auf § 31 Nr. 2 GewStG zum Ausdruck gebracht. Da andererseits in einer ganzen Reihe solcher Fälle eine feste Tätigkeitsvergütung nicht gezahlt wird, die Steuerpflichtigen aber über die getroffene gesetzliche Regelung in den Genuß der Berliner Steuerpräferenz gelangen, müs angenommen werden, daß die in der getroffenen Regelung liegenden Unebenheiten im Interesse der Gewinnung eines einfachen Aufteilungsschlüssels bewußt in Kauf genommen worden sind. Für Billigkeitsmaßnahmen nach § 131 AO ist daher kein Raum.
Fundstellen
Haufe-Index 69059 |
BStBl II 1970, 607 |
BFHE 1970, 175 |