Leitsatz (amtlich)
Soweit die Finanzgerichte die Reisekosten-Pauschsätze als zutreffende Auslegung des Werbungskostenbegriffs und mögliche Schätzung ansehen, sind sie wegen des Grundsatzes der gleichmäßigen Behandlung aller Steuerpflichtigen gehalten, die für das Streitjahr Jeweils geltenden Lohnsteuer-Richtlinien anzuwenden.
Bei Prüfung, ob die Anwendung der Pauschsätze für den Mehrverpflegungsaufwand auf Dienstreisen zu einer unzutreffenden Besteuerung führt, ist die Dauer der Reisetätigkeit zu berücksichtigen, soweit sich diese auf einen räumlich bestimmten und abgrenzbaren Bereich erstreckt und der Arbeitnehmer täglich an seinem Wohnort zurückkehrt.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; EStG § 9; LStDV § 20 Abs. 2; LStR 1968 Abschn. 21 Abs. 2
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Betriebsprüfer. Seine Wohnung, die zugleich sein dienstlicher Wohnsitz ist, befindet sich in A. Am 5 November 1968 hat der Kläger mit der Prüfung der X-AG in B begonnen, die auch das ganze Jahr 1969 andauerte. Der Konzern besteht aus drei Werken, mehreren Tochtergesellschaften und einer Obergesellschaft. Der jeweilige Tätigkeitsort des Klägers wurde durch die prüfungstechnischen Erfordernisse bestimmt. Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung für 1969 ging der Kläger von beruflich veranlaßten Fahrtkosten für 15 740 km aus. Unter Zugrundelegung von 0,3475 DM je km ermittelte der Kläger einen Gesamtaufwand an Fahrtkosten von 5 466,50 DM. Davon sog er die Erstattungen des Arbeitgebers mit 3 097,85 DM ab und machte den Differenzbetrag von 2 368,65 DM sowie im Klageverfahren weitere 1 138 DM an Mehrverpflegungsaufwand als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt – FA –) verneinte den Dienstreisecharakter der Fahrten des Klägers. Nach seiner Ansicht handelte es sich um Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, bei denen die Aufwendungen mit den steuerfreien Erstattungen des Arbeitgebers abgegolten seien. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) führte aus, daß B spätestens zu Beginn des Jahres 1969 zur regelmäßigen Arbeitsstätte des Klägers geworden sei und damit die Voraussetzung für die Annahme einer Dienstreise, nämlich das Auseinanderfallen von regelmäßiger und tatsächlicher Arbeitsstätte, nicht mehr vorgelegen habe. Der Kläger habe seit dem 5. November 1968 die X-AG in B geprüft. Nach Abschn. 21 Abs. 2 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) 1968 sei bei Inlandsreisen nach Ablauf eines Monats zu prüfen, ob die tatsächliche Arbeitsstätte zur regelmäßigen geworden sei. Selbst wenn man von der Dreimonatsfrist in dem neugefaßten Abschn. 21 Abs. 2 LStR 1972 schon für das Streitjahr ausgehen wolle, sei das Ergebnis nicht anders. Der Kläger habe dann spätestens mit Ablauf des 5. Februar 1969 in B seine regelmäßige Arbeitsstätte gehabt. Die Aufwendungen des Klägers für Januar 1909 und die ersten fünf Tage des Monats Februar abzüglich der vom Arbeitgeber steuerfrei erstatteten Beträge überstiegen mit den anderen Werbungskosten nicht den Werbungskostenpauschbetrag von 564 DM nach § 9 a Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Daß der Kläger an mehreren Stellen im Stadtgebiet B tätig geworden sei, die 6 bis 12 km auseinanderlägen, sei ebenfalls unerheblich. Bei den gut ausgebauten Straßen und der Beweglichkeit eines Pkw-Fahrers könne es für die Annahme einer Dienstreise nicht mehr genügen, daß der Kläger innerhalb der Gemeindegrenze des Orts seiner regelmäßigen Arbeitsstätte, aber in einer Entfernung von mehr als 5 km von seiner regelmäßigen Arbeitsstätte tätig geworden sei. Davon gehe zwar noch Abschn. 21 Abs. 2 LStR 1968 aus. Hier müsse aber bereits Abschn. 21 Abs. 2 LStR 1972 angewandt werden, der eine Entfernung von mindestens 15 km von der regelmäßigen Arbeitsstätte vorschreibe, damit eine Dienstreise angenommen werden könne. Nach der Überzeugung des FG habe der Kläger durch die verschiedenen Einsatzstellen auch keinen höheren Aufwand gehabt, als wenn er nur in der Steuerabteilung des Konzerns geprüft hätte. Der Kläger hätte die ihm von Beginn seiner Prüfung an bekannten günstigen Straßenverbindungen weiterbenutzen können. Entsprechendes müsse für seine Verpflegung am Beschäftigungsort gelten. Bei einer Fahrtstrecke von maximal 12 km sei ihm zuzumuten gewesen, sein Essen in den ihm bekannten preisgünstigen Lokalen bzw. Kantinen einzunehmen. Es sei keine Seltenheit, daß Arbeitnehmer eine derartige Strecke mit dem Pkw zurücklegten, um das Mittagessen zu Hause einzunehmen. Insofern habe sich der Kläger also nicht schlechter gestanden als jeder andere Steuerpflichtige, der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in einer Entfernung bis zu 12 km durchführe.
Mit seiner wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügt der Kläger unrichtige Sachverhaltswürdigung durch das FG. Es habe nicht berücksichtigt, daß seine Wohnung in A gleichzeitig der dienstliche Wohnsitz und Mittelpunkt seiner dienstlichen Tätigkeit sei. Dafür seien die besonderen Arbeitsverhältnisse eines Betriebsprüfers ursächlich. Die Frage, ob eine Dienstreise vorliege, könne auch nicht schematisch nach dem Zeitablauf beurteilt werden. Die Dauer der Tätigkeit des Prüfers an einem Ort hänge von der Art des zu prüfenden Betriebs ab. Aus Gründen des beruflichen Aufstiegs, der Freude an der Arbeit und wegen der Gegebenheiten im öffentlichen Dienst nehme er zusätzliche, nicht durch Reisekostenvergütungen gedeckte Aufwendungen auf sich. Die allgemeine Gleichstellung der Bediensteten des öffentlichen Dienstes mit den Arbeitnehmern in der Privatwirtschaft sei noch nicht erreicht. Es sei anzustreben, die Bestimmung des Dienstreisebegriffs des Steuerrechts dem des Besoldungsrechts anzugleichen. Die Kläger beantragen, unter Aufhebung des angefochtenen FG-Urteils und der Einspruchsentscheidung weitere Werbungskosten für Fahrten zwischen A und B und Mehraufwendungen für Verpflegung in Höhe von 3 506,65 DM anzuerkennen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zum Teil begründet.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, daß die Regelung in den Lohnsteuer-Richtlinien über die Reisekosten, insbesondere die Reisekosten-Pauschalsätze, als zutreffende Auslegung des Werbungskostenbegriffs (§ 9 EStG, § 20 Abs. 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV –) und als mögliche Schätzung anzuwenden sind, obwohl sie als solche die Gerichte nicht binden (vgl. z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 14. April 1967 VI R 168/66, BFHE 88, 422, BStBl II 1967, 430). Dabei kann bei Dienstreisen von Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes in der Regel der Unterschied zwischen den nach dem Reisekostenrecht erstatteten Beträgen und den Pauschbeträgen der Lohnsteuer-Richtlinien als Werbungskosten anerkannt werden. Bei der Definition des Dienstreisebegriffs ist grundsätzlich von Abschn. 21 Abs. 2 LStR in der für den betreffenden Zeitraum geltenden Fassung auszugehen. Schon wegen des Grundsatzes der gleichmäßigen Behandlung aller Steuerpflichtigen (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes – GG –) muß es dem FG verwehrt bleiben, Richtlinienregelungen anzuwenden, die erst in der Zukunft gelten sollen. Das FG durfte seine Entscheidung danach nicht mit Abschn. 21 Abs. 2 LStR 1972 begründen. Es kann dahinstehen, ob ein Betriebsprüfer, dessen Prüfungstätigkeit im einzelnen Unternehmen von vornherein durch seine Aufgabe begrenzt ist, am Sitz der Firma überhaupt eine regelmäßige Arbeitsstätte im Sinn von Abschn. 21 Abs. 2 letzter Satz LStR 1968 begründen kann. Da der Kläger während seiner Prüfung der X AG an räumlich verschiedenen Stellen, die zwischen 6 und 12 km voneinander entfernt waren, geprüft hat, ohne daß sich nach dem Sachverhalt ein fester Mittelpunkt seiner Arbeit feststellen ließe, ist entgegen der Entscheidung der Vorinstanz davon auszugehen, daß der Kläger im Streitjahr Dienstreisen ausgeführt hat. Daraus folgt aber nicht zwingend, daß er Anspruch auf Anerkennung der Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwand als Werbungskosten hat, denn FÄ und FG, die aus Gründen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung die Richtsätze grundsätzlich beachten sollen, brauchen sich dann nicht an die Richtsätze zu halten, wenn deren Anwendung zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führen würde (BFH-Urteil vom 20. Dezember 1971 VI R 257/70, BFHE 104, 217, BStBl II 1972, 246). In Abschn. 21 Abs. 2 Satz 6 LStR wird bestimmt, daß nach einer Abwesenheit des Arbeitnehmers von etwa einem Monat geprüft werden soll, ob die tatsächliche Arbeitsstätte nicht zu seiner regelmäßigen geworden ist. Selbst wenn eine derartige Feststellung beim Kläger nicht getroffen werden konnte, so entspricht es doch der Lebenserfahrung, daß sich die Lebenshaltungskosten am neuen Arbeitsort nach einer gewissen Anlaufzeit ermäßigen, weil mit der Dauer des Aufenthalts die Kenntnis über günstige Einkaufsmöglichkeiten oder auch Gaststättenangebote zunimmt. Entsprechend war beim Kläger zu berücksichtigen, daß er bei Beginn des Veranlagungszeitraums 1969 schon fast zwei Monate die X-AG prüfte. Selbst wenn sich seine Dienstreisen nicht in arbeitstäglichen Fahrten zu der jeweiligen Arbeitsstätte erschöpften, war der Dauer seiner Prüfungstätigkeit Rechnung zu tragen, die sich räumlich auf einen von vornherein bestimmten und abgrenzbaren Bereich erstreckte. Soweit ihm dennoch gegenüber anderen Arbeitnehmern ein zusätzlicher Aufwand für Verpflegung entstanden ist, war dieser mit den Leistungen des Arbeitgebers hinreichend abgegolten.
Dagegen folgt aus der Anerkennung des Dienstreisecharakters der Fahrten des Klägers, daß ihm wegen seiner Fahrtaufwendungen über die Leistungen des Arbeitgebers hinaus bis zu 0,25 DM je km ohne Einzelnachweis als Werbungskosten anerkannt werden können (BFH-Urteil vom 10. Dezember 1971 VI R 133/71 BFHE 104, 206, BStBl II 1972, 243). Ausweislich des Akteninhalts hat der Kläger die ihm entstandenen Fahrtkosten in wesentlichen Punkten durch Anwendung der ADAC-Sätze ermittelt, so daß er sich auf diesen geschätzten Betrag verweisen lassen muß. Danach ergeben sich folgende noch anzuerkennende Werbungskosten:
Gefahrene km |
15 740 × 0,25 DM |
= |
3 935 DM |
% Erstattung durch Arbeitgeber |
3 097,85 DM |
noch zu berücksichtigen |
837,15 DM. |
Unter Aufhebung des FG-Urteils war die Einkommensteuer des Streitjahrs entsprechend neu festzusetzen, und zwar auf 2 336 DM.
Fundstellen
Haufe-Index 514846 |
BFHE 1975, 425 |