Entscheidungsstichwort (Thema)
Belehrungspflicht bei Auskünften von Angehörigen
Leitsatz (amtlich)
Das FA darf bei der Artfortschreibung des Einheitswerts eines Grundstücks diejenigen Kenntnisse nicht verwerten, die es sich durch Auskunft eines Angehörigen des Grundstückseigentümers ohne Belehrung nach § 101 Abs.1 Satz 2 AO 1977 verschafft hat.
Normenkette
AO 1977 § 101 Abs. 1 S. 2
Tatbestand
I. Der Kläger ist Eigentümer eines Wohnhausgrundstücks, das zum 1.Januar 1964 als Zweifamilienhaus bewertet worden war. Das Dachgeschoß des Hauses war damals teilweise vermietet.
1984 stellte das Finanzamt (FA) fest, daß das Haus seit Jahren nur noch von dem Kläger und seinen Eltern bzw. seiner verwitweten Mutter bewohnt wurde. Nach den Ermittlungen des FA hatte das Haus nur einen Eingang und einen Hausflur sowie ein Bad und eine Küche. Es bewertete daher das Grundstück durch Artfortschreibungsbescheid vom 8.März 1985 zum 1.Januar 1981 als Einfamilienhaus.
Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Die Klage wies das Finanzgericht (FG) ab.
Nach der eigenen Darstellung des Klägers in der mündlichen Verhandlung enthalte das Haus nur ein Bad/WC und seien in der Küche des Dachgeschosses nach dem Auszug der Mieter im Jahre 1978 nur ein Kühlschrank und ein elektrischer Kochtopf vorhanden gewesen. Bei dieser Ausstattung habe der Kläger in den Räumen des Dachgeschosses keinen eigenen Haushalt geführt, sondern im Haushalt der Eltern bzw. der verwitweten Mutter gelebt. Das Haus habe daher am Bewertungsstichtag nur eine Wohnung gehabt.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger weiterhin sein Klageziel, nämlich die Aufhebung der Artfortschreibung zum 1.Januar 1981.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Das angefochtene Urteil muß aufgehoben werden, weil der festgestellte Sachverhalt die Entscheidung des FG nicht trägt.
Nach dem Tatbestand des FG-Urteils hat das FA 1984 Tatsachen festgestellt, die es zu der hier angefochtenen Artfortschreibung veranlaßt haben. Der im Tatbestand außerdem wiedergegebene Vortrag der Beteiligten läßt aber erkennen, daß diese darüber streiten, ob das FA sich diese Tatsachenkenntnisse auf rechtmäßige Weise verschafft hat. Das FG ist diesem Streit nicht nachgegangen. Es hätte dies jedoch tun und feststellen müssen, ob die hierzu von den Beteiligten vorgetragenen Tatsachen zutreffen. Denn diese sind für die Entscheidung des Rechtsstreit erheblich.
a) Nach dem (im Tatbestand des FG-Urteils wiedergegebenen) Vortrag der Beteiligten haben Beamte des FA im November 1984 offenbar das betreffende Haus mit Einwilligung der Mutter des Klägers in dessen Abwesenheit betreten und von der Mutter auf Anfrage Auskunft über die für die Artfeststellung des Grundstücks wesentlichen Einzelheiten erhalten. Auf ihr Recht zur Auskunftsverweigerung gemäß § 101 Abs.1 der Abgabenordnung (AO 1977) ist die Mutter offenbar nicht hingewiesen worden.
Demnach schließt der bisher festgestellte Sachverhalt nicht die Möglichkeit aus, daß sich das FA die Kenntnis der für die Artfortschreibung erheblichen Tatsachen durch Verletzung des § 101 Abs.1 AO 1977 verschafft hat. Falls dies zutrifft, würde dies dem FA verbieten, diese so erlangten Kenntnisse zu verwerten.
Zwar hat nicht jeder Verfahrensfehler ein solches Verbot zur Folge. Die Verletzung bloßer Ordnungsvorschriften hat keine derartige Wirkung, wie § 127 AO 1977 bestätigt. Jedoch schreibt § 101 AO 1977 nicht lediglich bestimmte Formalien vor. Vielmehr soll diese Vorschrift das zwischen Angehörigen bestehende Vertrauensverhältnis schützen. Seine Verletzung ist ―außer bei nachträglicher Zustimmung― irreparabel. Da sie nicht rückgängig gemacht werden kann, darf das FA die hieraus gewonnenen Tatsachenkenntnisse nicht verwerten (Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 88 AO 1977 Rdnr.130; anderer Ansicht Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 4.Aufl. 1989, § 101 Anm.3 "mangels einer entsprechenden Vorschrift", unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 1.Dezember 1966 IV 65-66/65, BFHE 88, 12, BStBl III 1967, 273; jedoch beruft sich dieses Urteil nur darauf, daß § 176 der Reichsabgabenordnung ―AO― keine Belehrung vorschreibe). Die Sachlage ist nicht anders, als wenn das FA Tatsachenkenntnisse durch eine rechtswidrige Außenprüfung erlangt hat (vgl. z.B. das BFH-Urteil vom 9.Mai 1985 IV R 172/83, BFHE 143, 506, BStBl II 1985, 579). Dabei kann hier offenbleiben, ob die Steuerfestsetzung nur dann angefochten werden kann, wenn vorher auch die rechtswidrige Ermittlungsmaßnahme des FA angegriffen worden war. Denn im vorliegenden Fall beruht die umstrittene Tatsachenfeststellung des FA nicht auf einem selbständig anfechtbaren Verwaltungsakt (BFH-Urteil vom 14.August 1985 I R 188/82, BFHE 144, 339, BStBl II 1986, 2), sondern auf Unterlassung der Belehrung nach § 101 AO 1977.
Das FA wendet ein, das FG stütze seine Entscheidung nicht auf die Feststellung des FA. Vielmehr habe es den Sachverhalt selbst ermittelt, nämlich durch die umfangreiche Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung über den baulichen Zustand des Grundstücks und seine Nutzung.
Dieser Einwand hat keinen Erfolg.
In dem anhängigen Rechtsstreit hatte das FG nur darüber zu entscheiden, ob der angefochtene Artfortschreibungsbescheid rechtmäßig oder rechtswidrig war. Durch eigene Handlungen konnte es irgendwelche Mängel dieses Bescheides nicht heilen. Denn das Gerichtsverfahren ist keine Fortsetzung des Veranlagungsverfahrens. Dementsprechend haben die Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem FG über den baulichen Zustand des Hauses und dessen Nutzung keinen Einfluß auf die Beantwortung der Frage, ob sich das FA die Kenntnis der für die Artfortschreibung erheblichen Tatsachen unerlaubt verschafft hat und damit der Artfortschreibungsbescheid rechtswidrig ist. Eine andere Auffassung würde dem Prinzip der Gewaltenteilung widersprechen.
Diese Auffassung des Senats verwehrt dem FA nicht, die Artfortschreibung aufgrund der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung durch einen neuen Bescheid auf einen späteren Zeitpunkt zu wiederholen. Ob diese Artfortschreibung materiell gerechtfertigt wäre, kann hier nicht entschieden werden.
b) Ist schon aus den vorstehend genannten Gründen die Aufhebung des FG-Urteils geboten, so braucht der Senat nicht mehr darauf einzugehen, ob nach den bisherigen Tatsachenfeststellungen auch der vom Kläger erhobene Vorwurf der Verletzung des Art.13 Abs.1 des Grundgesetzes nicht ausgeräumt ist. Der in dem FG-Urteil wiedergegebene Vortrag der Beteiligten stimmt insoweit nicht überein. Das FA räumt nur ein, daß seine Beamten die Erdgeschoßwohnung der Mutter (mit deren Zustimmung) betreten haben; der Kläger behauptet dagegen, die Beamten hätten bei dieser Gelegenheit auch seine Dachgeschoßwohnung (in seiner Abwesenheit und ohne seine Zustimmung) besichtigt.
2. Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts sowie zur erneuten Verhandlung und Entscheidung muß die Sache daher an das FG zurückverwiesen werden (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Diesem Gericht wird auch die Kostenentscheidung übertragen (§ 143 Abs.2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 63431 |
BFH/NV 1991, 13 |
BStBl II 1991, 204 |
BFHE 163, 103 |
BFHE 1991, 103 |
BB 1991, 405 (L) |
DB 1991, 529 (T) |
DStR 1991, 415 (KT) |
DStZ 1991, 407 (KT) |
HFR 1991, 259 (LT) |
StE 1991, 76 (K) |