Leitsatz (amtlich)
Bei eingetretener Masseunzulänglichkeit hat die Berichtigung der Kosten des Insolvenzverfahrens absoluten Vorrang, auch wenn der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit nicht anzeigt. Dasselbe gilt bei Einstellungsreife mangels Masse, wenn eine Einstellung wegen der Stundung der Verfahrenskosten unterbleibt; die Kosten des Insolvenzverfahrens sind auch in diesem Fall nicht von der genannten Tilgungsreihenfolge ausgenommen.
Normenkette
InsO § 207 Abs. 1, § 209 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Münster (Beschluss vom 10.10.2008; Aktenzeichen 5 T 3/08) |
AG Münster (Beschluss vom 12.12.2007; Aktenzeichen 79 IN 97/02) |
Nachgehend
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des LG Münster vom 10.10.2008 wird auf Kosten des Insolvenzverwalters zurückgewiesen.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 4.567,46 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
[1] Der Rechtsbeschwerdeführer ist Verwalter in dem auf Eigenantrag am 13.11.2002 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners. Diesem waren bereits mit Beschluss vom 28.10.2002 die Verfahrenskosten gem. § 4a InsO gestundet worden.
[2] Auf Antrag des Verwalters wurde dessen Vergütung mit Beschluss des AG vom 31.8.2006 auf 10.410,37 EUR festgesetzt. Der Beschluss ist rechtskräftig.
[3] Aus der vorhandenen Masse befriedigte der Verwalter Forderungen gegen die Masse i.H.v. 7.248,24 EUR. Masseunzulänglichkeit zeigte er nicht an. Das Insolvenzgericht wies jedoch am 17.3.2006 und 31.8.2006 auf bestehende Masseunzulänglichkeit hin und stellte mit Beschluss vom 29.12.2006 das Insolvenzverfahren "nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit" gem. § 211 InsO ein.
[4] Die noch vorhandene Masse von 5.421,24 EUR entnahm der Verwalter für seine Vergütung. Zusätzlich wurden ihm auf die festgesetzte Vergütung aus der Staatskasse 403,91 EUR bezahlt. Er beantragt, ihm den verbleibenden Differenzbetrag zur festgesetzten Vergütung von 4.567,46 EUR aus der Staatskasse zu erstatten.
[5] Das AG hat mit Beschluss vom 12.12.2007 eine weitere Bezahlung aus der Staatskasse abgelehnt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Verwalter sein Zahlungsbegehren weiter.
II.
[6] Die Rechtsbeschwerde ist gem. §§ 6, 7, 63 Abs. 2 InsO, § 64 Abs. 3 InsO entsprechend, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, §§ 574 Abs. 2 Nr. 1, 575 ZPO. Sie ist jedoch unbegründet.
[7] 1. AG und LG haben gemeint, dem Verwalter könne eine weitere Zahlung aus der Staatskasse nicht zuerkannt werden. Die freie Masse von 10.876,46 EUR habe für die Gerichtskosten von 870 EUR und die Insolvenzverwaltervergütung von 10.410,37 EUR bis auf den bereits aus der Staatskasse ausbezahlten Betrag von 403,91 EUR ausgereicht. Wenn der Verwalter die Masse entgegen der Rangordnung des § 209 Abs. 1 InsO für die Befriedigung anderer Forderungen verwendet habe, könne das nicht zu Lasten der Staatskasse gehen.
[8] 2. Der Rechtsbeschwerdeführer meint demgegenüber, er habe die Rangfolge des § 209 Abs. 1 InsO nicht einzuhalten brauchen. Die Vorschrift sei nicht anwendbar, weil er die Masseunzulänglichkeit nicht angezeigt habe. Zudem gelte die Rangordnung des § 209 Abs. 1 InsO nicht, wenn dem Schuldner - wie hier - die Verfahrenskosten gestundet worden seien. Schließlich habe es sich bei den von ihm getätigten Ausgaben aus der Masse um unausweichliche Verwaltungskosten i.S.d. § 54 Nr. 2 InsO gehandelt. Denn er habe eine "stille" Mietverwaltung durchgeführt, weshalb er die hierfür anfallenden Kosten habe bezahlen müssen. Einnahmen hätten von den Mietern nicht erzielt werden können.
[9] 3. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts hält rechtlicher Prüfung stand. Die Einwendungen der Rechtsbeschwerde greifen nicht durch.
[10] § 63 Abs. 2 InsO sieht einen Anspruch des Verwalters gegen die Staatskasse wegen seiner Vergütung nur vor, wenn die Kosten des Verfahrens nach § 4a InsO gestundet worden sind und die Insolvenzmasse für die Vergütung nicht ausreicht. Die zweite Voraussetzung ist hier nicht erfüllt.
[11] a) § 209 InsO ist nicht deshalb unanwendbar, weil der Verwalter die bestehende und von ihm auch in der Rechtsbeschwerde nicht in Frage gestellte Masseunzulänglichkeit nicht angezeigt hat. Andernfalls könnte er sich der von ihm einzuhaltenden Rangfolge bei der Befriedigung der Massegläubiger auf Kosten der Staatskasse entziehen.
[12] aa) Allerdings erlegt § 208 InsO dem Insolvenzverwalter die Pflicht auf, bei Masseunzulänglichkeit diese dem Insolvenzgericht anzuzeigen. Die Anzeige ist für das Insolvenzgericht, das die Voraussetzungen der Masseunzulänglichkeit nicht nachzuprüfen hat, bindend (HmbKomm-InsO/Weitzmann, 3. Aufl., § 208 Rz. 7; Landfermann in HK/InsO, 5. Aufl., § 208 Rz. 8; Hefermehl in MünchKomm/InsO, 2. Aufl., § 208 Rz. 10; a.A. Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO § 208 Rz. 4).
[13] Auch ein später mit der Frage der Masseunzulänglichkeit befasstes Prozessgericht ist an die in Übereinstimmung mit § 208 InsO angezeigte Masseunzulänglichkeit gebunden (BGHZ 154, 358, 360 f.). Ausnahmen hat der BGH in Betracht gezogen, falls dem Insolvenzverwalter unredliches Verhalten vorzuwerfen ist, er arglistig handelt oder ein ausreichender Massebestand gerichtskundig ist und keines Beweises bedarf (BGHZ 167, 178, 189 Rz. 27).
[14] bb) § 209 InsO geht wie selbstverständlich davon aus, dass bei Masseunzulänglichkeit auch eine Anzeige erfolgt ist. Deshalb kann der Insolvenzverwalter bei vorliegender Masseunzulänglichkeit die in § 209 Abs. 1 InsO für diesen Fall zwingend vorgegebene Berichtigungsreihenfolge nicht dadurch außer Kraft setzen, dass er die gebotene Anzeige einfach unterlässt. Vielmehr ist der Verwalter schon nach dem Wortlaut des § 209 InsO bei eingetretener (§ 208 Abs. 1 Satz 1 InsO) oder voraussichtlicher (§ 208 Abs. 1 Satz 2 InsO) Masseunzulänglichkeit verpflichtet, die dort verbindlich vorgegebene Tilgungsreihenfolge einzuhalten. Der Vorrang ist unabhängig davon, wann der Insolvenzverwalter die bestehende Masseunzulänglichkeit dem Insolvenzgericht anzeigt. Deshalb findet auch bei einer verspäteten Anzeige eine Aufteilung der Kosten für die Zeit vor und nach der Anzeige nicht statt (BGHZ 167, 178, 188 Rz. 24; Hefermehl in MünchKomm/InsO, a.a.O., § 209 Rz. 15; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 209 Rz. 8; Nerlich/Römermann/Westphal, InsO § 209 Rz. 5; Hess, InsO § 209 Rz. 25).
[15] Mit der Anzeige kann der Verwalter allerdings Rechtsklarheit schaffen, so dass er für die weitere Abwicklung der Insolvenzmasse Planungssicherheit erhält und Altmassegläubiger ihre Forderungen nicht mehr mit der Leistungsklage verfolgen können (BGHZ 154, 358, 360).
[6] Dagegen wird - soweit ersichtlich - von niemandem die Auffassung vertreten, dass der Verwalter durch Unterlassen der Anzeige die Anwendbarkeit des § 209 InsO vermeiden kann. Auch die von der Rechtsbeschwerde herangezogenen Literaturstellen vertreten derartiges nicht.
[17] Da sich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens herausgestellt hat, dass die Insolvenzmasse nicht ausreicht, um die Verfahrenskosten zu decken, hätte das Verfahren nach § 207 InsO mangels Masse sofort eingestellt werden müssen, wenn nicht die Kosten nach § 4a InsO gestundet gewesen wären (vgl. BGH, Beschl. v. 16.7.2009 - IX ZB 221/08, ZIP 2009, 1591 Rz. 6). Auch in diesem Fall hätte der Verwalter jedoch gem. § 207 Abs. 3 InsO noch vor der Einstellung die Kosten des Verfahrens, soweit möglich, zu berichtigen gehabt. Auf eine Anzeige des Verwalters kommt es in diesem Zusammenhang überhaupt nicht an.
[18] Der Umstand, dass die Einstellung wegen der Verfahrenskostenstundung unterbleibt, kann andererseits nicht dazu führen, dass nunmehr der Verwalter auch nicht gem. § 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO daran gebunden wäre, zunächst die Kosten des Insolvenzverfahrens zu begleichen oder zunächst zumindest entsprechende Rückstellungen zu bilden. Denn die Berichtigung der Kosten des Insolvenzverfahrens hat absoluten Vorrang (BGHZ 167, 178, 187 Rz. 22 ff.).
[19] b) Die Verfahrenskostenstundung gem. § 4a InsO führt nicht dazu, dass die Rangfolge der Befriedigung nach § 209 Abs. 1 InsO verändert und die Kosten des Insolvenzverfahrens nicht an erster Stelle zu begleichen wären.
[20] Allerdings ist ein Teil der Literatur der Meinung, die Verfahrenskosten seien im Falle der Stundung vollständig aus der Verteilungsregel des § 209 Abs. 1 InsO auszuklammern und erst bei vollständiger Deckung aller Masseverbindlichkeiten zu erfüllen (FK-InsO/Kießner 5. Aufl., § 209 Rz. 7c; Landfermann in HK/InsO, a.a.O., § 209 Rz. 6; HmbKomm-InsO/Weitzmann, a.a.O., § 209 Rz. 3).
[21] Nach anderer Auffassung ändert sich durch die Verfahrenskostenstundung an der Rangfolge der Befriedigung nach § 209 Abs. 1 InsO nichts (Uhlenbruck, a.a.O., § 209 Rz. 2, 8; Pape in Kübler/Prütting/Bork, a.a.O., § 209 Rz. 5a; Jaeger/Eckardt, InsO § 4a Rz. 60; Graf-Schlicker/Mäusezahl, InsO § 209 Rz. 2; Hefermehl in MünchKomm/InsO, a.a.O., § 209 Rz. 19 Fn. 34). Diese Auffassung ist zutreffend.
[22] Gegen die Annahme, bei Kostenstundung finde § 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO keine Anwendung, spricht schon, dass der Gesetzgeber bei Einführung der Kostenstundung die Vorschrift, anders als etwa § 207 Abs. 1 InsO, nicht entsprechend geändert hat. Der Umstand, dass die Kosten gestundet und damit nicht fällig sind, ändert nichts an deren Erfüllbarkeit (vgl. BT-Drucks. 14/5680, 28). § 292 Abs. 1 Satz 2, Satz 3 InsO, der mit der Verfahrenskostenstundung im Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung vom 26.10.2001 (BGBl. I, 2710) eingeführt worden ist, zeigt, dass selbst im Restschuldbefreiungsverfahren die Kosten des vorangegangenen Insolvenzverfahrens zu berichtigen sind, bevor die infolge der Abtretung eingegangenen Beträge an Gläubiger ausgeschüttet werden dürfen.
[23] Der Regelung der Kostenstundung liegt das gesetzgeberische Konzept zugrunde, dass ein Einsatz öffentlicher Mittel nur erfolgen soll, wenn der Schuldner unter Heranziehung des während des Verfahrens erlangten Neuerwerbs nicht in der Lage ist, die Verfahrenskosten abzudecken. Daraus hat der Gesetzgeber die Rechtfertigung dafür abgeleitet, dass selbst im Restschuldbefreiungsverfahren die Verfahrenskosten vorrangig zu befriedigen sind (BT-Drucks. 14/5680, a.a.O.; Uhlenbruck/Vallender, a.a.O., § 292 Rz. 38).
[24] Für § 209 InsO kann nichts anderes gelten. Der Gesetzgeber hat durch nichts erkennen lassen, dass hier andere Grundsätze anwendbar sein sollen (Uhlenbruck, a.a.O.; Pape in Kübler/Prütting/Bork, a.a.O.).
[25] c) Die vom Insolvenzverwalter getätigten Ausgaben können schließlich auch nicht als Kosten des Insolvenzverfahrens i.S.d. § 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO angesehen werden.
[26] Was zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu zählen ist, ist in § 54 InsO gesetzlich definiert. Hierunter fallen die Gerichtskosten sowie die Vergütung und die Auslagen des vorläufigen Insolvenzverwalters, des Insolvenzverwalters und der Mitglieder des Gläubigerausschusses. Damit werden offensichtlich nicht die vom Insolvenzverwalter getätigten Ausgaben erfasst, die im Zusammenhang mit einer nicht näher erläuterten "stillen" Mietverwaltung (vermutlich: kalte Zwangsverwaltung) für Grundstücksaufwendungen angefallen sein sollen. Das bedarf keiner näheren Begründung. Der Rechtsbeschwerdeführer hat diese Ausgaben auch selbst keineswegs in seinem Vergütungsantrag geltend gemacht, sondern dort - davon unabhängig - die Auslagenpauschale gem. § 8 Abs. 3 InsVV beantragt und erhalten.
[27] Ob in die Verfahrenskosten nach § 207 Abs. 1 Satz 2 InsO die für eine Fortführung der Verwaltung "unabweisbaren Ausgaben" einbezogen werden können (so Uhlenbruck, a.a.O., § 207 Rz. 5; Landfermann in HK/InsO, a.a.O., § 207 Rz. 5 ff.; FK-InsO/Kießner, a.a.O., § 207 Rz. 7 ff.; a.A. Pape in Kübler/Prütting/Bork, a.a.O., § 207 Rz. 16; § 26 Rz. 14), kann hier dahinstehen. Dasselbe gilt für § 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Auch dort wird teilweise vertreten, der Kostenbegriff sei entsprechend zu erweitern (HmbKomm-InsO/Weitzmann, a.a.O., § 209 Rz. 3, der in diesen Fällen konsequent eine Kostenfestsetzung gem. § 4 Abs. 2 InsVV vorschlägt; Landfermann in HK/InsO, a.a.O., § 209 Rz. 5 Fn. 6 i.V.m. § 207 Rz. 5 ff.; FK-InsO/Kießner, a.a.O., § 209 Rz. 7). Nach anderer Auffassung kommt dies auch hier nicht in Betracht (Pape in Kübler/Prütting/Bork, a.a.O., § 209 Rz. 7).
[28] Der Rechtsbeschwerdeführer hat nämlich schon nicht substantiiert dargelegt, dass es sich bei den von ihm veranlassten Ausgaben um derartige unausweichliche Verwaltungskosten handelte, für die von den genannten Teilen der Literatur eine Berücksichtigung erwogen wird. Auch in der Rechtsbeschwerde macht er nur geltend, es habe sich - was offenbar auch nur einen Teil der Aufwendungen betrifft - um Aufwendungen im Rahmen einer "stillen" Mietverwaltung gehandelt, nämlich um Strom, Gas, Wasser, Umsatzsteuer, Versicherungen, Reparaturen, Instandhaltungen usw. Die Unabweisbarkeit dieser und weiterer Ausgaben wurde jedoch nicht dargelegt. Es fehlt vielmehr schon an der Darlegung der Unabweisbarkeit der Übernahme einer - nicht näher substantiierten - "stillen" Mietverwaltung. Dies gilt umso mehr, als der Verwalter im Rahmen dieser stillen Verwaltung - wie nunmehr in der Rechtsbeschwerde im Gegensatz zu früherem Vorbringen behauptet wird - keine Einnahmen erzielt haben will.
Fundstellen
Haufe-Index 2271559 |
EBE/BGH 2010, 1 |
NJW-RR 2010, 927 |
EWiR 2010, 127 |
WM 2010, 130 |
WuB 2010, 227 |
ZIP 2010, 145 |
DZWir 2010, 158 |
MDR 2010, 350 |
NZI 2010, 188 |
NZI 2010, 35 |
ZInsO 2010, 63 |
ZVI 2010, 36 |