Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrenskostenstundung. Insolvenzverfahren. Prozesskostenhilfe. Vergleichbarkeit
Leitsatz (amtlich)
Die Stundung der Kosten des Insolvenzverfahrens kann dem Schuldner nicht unter Rückgriff auf die von der Rechtsprechung zur Prozesskostenhilfe entwickelten Grundsätze zur herbeigeführten Vermögenslosigkeit versagt werden. Der Schuldner ist grundsätzlich nicht verpflichtet, Rücklagen für die zu erwartenden Kosten eines Insolvenzverfahrens über sein Vermögen zu bilden.
Normenkette
InsO § 4a Abs. 1; ZPO § 114
Verfahrensgang
LG Duisburg (Beschluss vom 26.09.2005; Aktenzeichen 7 T 219/05) |
AG Duisburg (Beschluss vom 10.08.2005; Aktenzeichen 62 IN 64/05) |
Tenor
Dem Schuldner wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des LG Duisburg vom 26.9.2005 gewährt.
Auf die Rechtsmittel des Schuldners werden der vorbezeichnete Beschluss, soweit das LG die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des AG Duisburg vom 10.8.2005 zurückgewiesen hat, und auch dieser Beschluss aufgehoben.
Dem Schuldner werden die Kosten des Insolvenzeröffnungs- und des Insolvenzverfahrens sowie des Verfahrens zur Restschuldbefreiung gestundet.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 2.800 EUR festgesetzt.
Gründe
[1]I.
Nach zwei vorangegangenen Eröffnungsanträgen von Sozialversicherungsträgern stellte auch der Schuldner einen Antrag auf Eröffnung des (Regel-)Insolvenzverfahrens über sein Vermögen sowie einen Antrag auf Gewährung der Restschuldbefreiung. Ferner begehrt er die Stundung der Verfahrenskosten.
[2]Von August 2003 bis Dezember 2004 betrieb der Schuldner ein Unternehmen zur Brandsanierung und einen Handel mit Textilien und Haushaltswaren. Zeitweilig beschäftigte er zehn Arbeitnehmer. Im November 2004 fanden mehrere erfolglose Zwangsvollstreckungsversuche in sein Vermögen statt. Zu dieser Zeit schuldete er Sozialversicherungsbeiträge i.H.v. 13.900 EUR. Am 17.12.2004 meldete der Schuldner sein Gewerbe ab und veräußerte vier Kraftfahrzeuge zum Gesamtpreis von 5.100 EUR. In der Folgezeit verbrauchte er diesen Erlös. Seit Februar 2005 erhält der Schuldner für sich und seinen minderjährigen Sohn Arbeitslosengeld II.
[3]Das AG hat den Stundungsantrag abgelehnt. Die sofortige Beschwerde des Schuldners hat das LG zurückgewiesen. Dagegen wendet sich dieser mit seiner Rechtsbeschwerde.
[4]II.
Die statthafte (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. §§ 7, 6 Abs. 1, § 4d Abs. 1 InsO) Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.
[5]1. Das Beschwerdegericht hat - auch unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Insolvenzgerichts - gemeint, der Schuldner hätte für den absehbaren Fall einer Insolvenzantragstellung nach Möglichkeit Rücklagen bilden müssen. Dieser Obliegenheit sei der Schuldner grob fahrlässig nicht nachgekommen, indem er den Erlös aus dem Verkauf der vier Personenkraftwagen verbraucht habe.
[6]2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
[7]a) Mit Beschlüssen vom 16.12.2004 (IX ZB 72/03, BGHReport 2005, 810 = MDR 2005, 711 = ZInsO 2005, 207, 208) und vom 27.1.2005 (IX ZB 270/03, BGHReport 2005, 881 = MDR 2005, 893 = WM 2005, 527, 528) hat der Senat entschieden, dass die Stundung nach § 4a Abs. 1 Satz 3 und 4 InsO nicht nur bei Vorliegen eines der in § 290 Abs. 1 Nr. 1 und 3 InsO genannten Versagungsgründe für die Restschuldbefreiung, sondern auch in anderen Fällen des § 290 Abs. 1 InsO ausgeschlossen ist, sofern sie bereits in diesem Verfahrensstadium zweifelsfrei gegeben sind. Der Gesetzgeber wollte, wie der Senat zur Begründung ausgeführt hat, die Entscheidung über die Stundung an leicht feststellbare und für den Schuldner offensichtliche Tatsachen knüpfen. Die "Verfahrenskostenhilfe" dient auch der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung. An leicht feststellbare und für den Schuldner offensichtliche Tatsachen kann bei den Versagungsgründen nach § 290 Abs. 1 Nr. 1 und 3 InsO angeknüpft werden. Die anderen in § 290 Abs. 1 InsO genannten Versagungsgründe sind zwar nach der amtlichen Begründung keine tauglichen Anknüpfungspunkte (BT-Drucks. 14/5680, 12, 20). Sie werden daher grundsätzlich erst bei der Entscheidung über die Aufhebung der Stundung berücksichtigt (§ 4c Nr. 5 InsO). Daraus folgt aber nicht, dass die anderen Versagungsgründe bei der Entscheidung über die Stundung stets unberücksichtigt bleiben müssen. Vielmehr ist die Stundung der Verfahrenskosten grundsätzlich zu versagen, wenn die Voraussetzungen eines solchen weiteren Versagungsgrundes bereits in diesem Verfahrensstadium zweifelsfrei feststehen.
[8]b) Das gilt auch für den Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO. Zwar wird insoweit in der Literatur die Auffassung vertreten, dass dieser Versagungsgrund für das summarische Stundungsverfahren ungeeignet sei. Das folge aus der Notwendigkeit schwieriger Abwägungen und der Unvereinbarkeit mit dem Beschleunigungsgebot (Kohte in Kohte/Ahrens/Grote, Verfahrenskostenstundung, Restschuldbefreiung und Verbraucherinsolvenzverfahren 3. Aufl., § 4a Rz. 14 bis 17a; Braun/Buck, Insolvenzordnung 2. Aufl., § 4a Rz. 22). Dies steht jedoch der vom Senat bejahten Anwendbarkeit grundsätzlich aller Tatbestände des § 290 Abs. 1 InsO nicht entgegen, wenn die entsprechenden Voraussetzungen bereits im Stundungsverfahren zweifelsfrei feststehen. So hat der Senat auch keine Bedenken getragen, den von den genannten Autoren ebenfalls ausgeklammerten Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO in diesem Zusammenhang anzuwenden (BGH, Beschl. v. 16.12.2004a.a.O.; v. 27.1.2005 - IX ZA 20/04).
[9]Die Voraussetzungen des § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO sind hier indes nicht zweifelsfrei gegeben. In Betracht kommt allein der Fall der Verschwendung schuldnereigenen Vermögens. Die Verschwendung von Vermögen ist zu bejahen, wenn Werte außerhalb einer sinnvollen und nachvollziehbaren Verhaltensweise verzehrt werden (vgl. Uhlenbruck/Vallender, InsO 12. Aufl., § 290 Rz. 54; MünchKomm/InsO/Stephan, § 290 Rz. 60; Kübler/Prütting/Wenzel, InsO § 290 Rz. 18). Etwa getätigte Ausgaben müssen im Verhältnis zum Gesamtvermögen und dem Einkommen des Schuldners als grob unangemessen und wirtschaftlich nicht nachvollziehbar erscheinen (HK-InsO/Landfermann, 4. Aufl., § 290 Rz. 12; Uhlenbruck, a.a.O.; vgl. auch BGH, Beschl. v. 9.12.2004 - IX ZB 132/04, ZVI 2005, 643, 644). Dies kann hier nicht festgestellt werden. Das Beschwerdegericht hat die Darstellung des Schuldners nicht widerlegt, er habe sich im Dezember 2004 im Zusammenhang mit der Aufgabe seines Gewerbes in einer finanziellen Ausnahmesituation befunden und in dem Verkauf der Fahrzeuge die einzige Möglichkeit gesehen, seine Familie zu ernähren. Im Beschwerdeverfahren hat der Schuldner hierzu näher ausgeführt, er habe den Erlös für seine existenziellen Bedürfnisse verwendet, nämlich um seine Familie zu ernähren, zu kleiden und den Wohnraum zu sichern. Dies sind keine Verhaltensweisen, die unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht mehr nachvollziehbar sind und grob unangemessen erscheinen.
[10]c) Allerdings hat der Senat (BGH, Beschl. v. 16.12.2004a.a.O.) anerkannt, dass § 4a Abs. 1 Satz 4 InsO auch sonst keine abschließende Regelung trifft. Eine Stundung braucht dann nicht gewährt zu werden, wenn die Restschuldbefreiung aus anderen Gründen, die nicht unter § 290 InsO fallen, offensichtlich nicht erreicht werden kann (Kübler/Prütting/Wenzel, a.a.O. § 4a Rz. 38 a), etwa weil der Schuldnerantrag unzulässig ist (AG Köln, Beschl. v. 19.9.2002 - 71 IN 292/02, NZI 2002, 618) oder die wesentlichen am Verfahren teilnehmenden Forderungen gem. § 302 InsO von der Restschuldbefreiung ausgenommen sind (AG Siegen, Beschl. v. 24.9.2002 - 25 IN 203/01, ZInsO 2003, 478; AG Marburg ZVI 2002, 275 f.; AG München, Beschl. v. 16.1.2003 - 1502 IN 1870/02, ZVI 2003, 369, 370). Vergleichbar liegt der Fall hier indes nicht. Aus den Feststellungen des LG geht nicht hervor, dass der Schuldner das Ziel der Restschuldbefreiung nicht oder doch im Wesentlichen nicht erreichen kann.
[11]d) Mit den vorstehenden Erweiterungen des § 4a Abs. 1 InsO sind die der Auslegung durch den Wortlaut, den Sinn und Zweck der Vorschrift sowie den Willen des Gesetzgebers gesetzten Grenzen erreicht (Kohte in Kohte/Ahrens/Grote, a.a.O. § 4a Rz. 17a; vgl. allgemein BVerfG NJW 1987, 1619, 1620; 2005, 409). Ein Rückgriff auf die von der Rechtsprechung zur Prozesskostenhilfe entwickelten allgemeinen Grundsätze zur herbeigeführten Vermögenslosigkeit ist nicht zulässig. Zwar besteht in der Rechtsprechung der OLG und in der zivilprozessualen Literatur im Grundsatz Einigkeit, dass einer Partei, die sich trotz eines absehbaren Prozesses ihres vorhandenen Vermögens entäußert, unter bestimmten Voraussetzungen Prozesskostenhilfe verweigert werden kann (vgl. BGH, Beschl. v. 22.6.2005 - XII ZB 247/03, BGHReport 2005, 1380 = MDR 2005, 1230 = NJW 2005, 2781 [Scheinehe]; Musielak/Fischer, ZPO 4. Aufl., § 115 Rz. 55; Zöller/Philippi, ZPO 25. Aufl., § 115 Rz. 72 f.; Stein/Jonas/Bork, ZPO 22. Aufl., § 114 Rz. 20, § 115 Rz. 92; MünchKomm/ZPO/Wax, § 114 Rz. 96, § 115 Rz. 65; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO 27. Aufl., § 115 Rz. 17, jeweils m.w.N. aus der Rspr.). Dies ist aber auf die Stundung der Verfahrenskosten gem. § 4a InsO nicht übertragbar. Denn die Verfahrenskostenhilfe nach der Insolvenzordnung ist ein von den Vorschriften der Prozesskostenhilfe abweichendes, eigenständiges Rechtsinstitut (BT-Drucks. 14/5680, 1,11 f.). Auch soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers die (vorläufige) Gewährung der "Verfahrenskostenhilfe" zur Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung beitragen (BT-Drucks. 14/5680, 12). Komplizierte Prüfungen, die schon im Ansatz mit Unsicherheiten tatsächlicher Art behaftet und geeignet sind, das Verfahren zu verzögern, Rechtsmittel im Eröffnungsverfahren herauszufordern und damit dem Anliegen des Gesetzgebers zuwiderlaufen, mittellosen Personen den Verfahrenszugang unter zumutbaren Bedingungen zu eröffnen, sollen in diesem Verfahrensabschnitt nach Möglichkeit unterbleiben (BGH, Beschl. v. 25.9.2003 - IX ZB 459/02, BGHReport 2003, 1439 = MDR 2004, 171 = NZI 2003, 665, 666). Aufwendige Aufklärungsversuche des Insolvenzgerichts, ob und warum sich ein Schuldner seit dem Zeitpunkt drohender oder bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit der ihm verbliebenen Vermögenswerte entäußert hat, haben regelmäßig zu unterbleiben. Gegen die von den Vorinstanzen (ebenso bereits LG Duisburg, Beschl. v. 24.6.2004 - 7 T 161/04, ZVI 2004, 534 f.; stark einschränkend Kübler/Prütting/Wenzel, InsO § 4a Rz. 32; Nerlich/Römermann/Becker, InsO § 4a Rz. 34, jew. nur für das Verbraucherinsolvenzverfahren; a.A. LG Freiburg, Beschl. v. 12.2.2004 - 4 T 308/02 und 4 T 309/02, zit. nach juris; Braun/Buck, InsO 4. Aufl., § 4a Rz. 9; Pape NJW 2005, 2755) angenommene Obliegenheit des Schuldners, "Rücklagen für die Verfahrenskosten anzusparen", spricht jedenfalls im vorliegenden Fall auch, dass der Schuldner, der im Jahr 2002 die eidesstattliche Versicherung abgegeben hatte, ständigen Vollstreckungsversuchen ausgesetzt war. Die Möglichkeit, Vermögen zur Finanzierung eines Insolvenzverfahrens zu bilden, scheidet in einem solchen Fall regelmäßig aus. Stellt sich später eine Vermögensverschwendung heraus, kann die Stundung gem. § 4c Nr. 5 InsO wieder aufgehoben werden.
[12]III.
Gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO sind die angefochtenen Entscheidungen aufzuheben. Gemäß § 577 Abs. 5 ZPO hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden, weil die Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind.
[13]Eine teilweise Verwerfung der Rechtsbeschwerde kommt nicht in Betracht. Denn der vom Schuldner gestellte Aufhebungsantrag richtet sich - recht verstanden - nur gegen die Zurückweisung seiner sofortigen Beschwerde in dem angefochtenen Beschluss, nicht aber gegen die Ablehnung seines zweitinstanzlichen Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (vgl. BGH, Beschl. v. 21.10.2004 - IX ZB 73/03, ZVI 2005, 47 f.).
Fundstellen