Leitsatz (amtlich)
Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn ein Rechtsanwalt seiner Büroangestellten mündlich die Anweisung erteilt hat, die Berufungsschrift per Telefax an das Rechtsmittelgericht zu übermitteln, die Absendung jedoch im Laufe des Tages in Vergessenheit gerät und unterbleibt.
Normenkette
ZPO § 233
Verfahrensgang
LG Aachen (Beschluss vom 10.12.2003; Aktenzeichen 7 S 208/03) |
AG Eschweiler |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des LG Aachen v. 10.12.2003 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen.
Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens: 1.677,93 EUR
Gründe
I.
Die Klägerin hat die Beklagten auf Grund eines Verkehrsunfalls auf Schadensersatz i.H.v. 1.677,93 EUR nebst Zinsen in Anspruch genommen. Das AG hat die Klage abgewiesen. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 2.6.2003 zugestellt worden. Am 20.6.2003 hat die Klägerin Berufung eingelegt. Die Frist zur Begründung der Berufung endete am Montag, dem 4.8.2003. Die Berufungsbegründung ist per Fax am 5.8.2003 eingegangen. Auf gerichtlichen Hinweis hat die Klägerin am 15.8.2003 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das LG den Antrag im Wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, die Klägern habe nicht dargetan, dass im Büro ihres Prozessbevollmächtigten eine zuverlässige Ausgangskontrolle für fristgebundene Schriftsätze stattgefunden habe. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 238 Abs. 2 i.V.m. § 522 Abs. 1 S. 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch unzulässig, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BGH nicht erfordern. Die Rechtsfragen, die der Streitfall aufwirft, sind höchstrichterlich geklärt. Eine Divergenz zur Rechtsprechung des BGH liegt nicht vor.
1. Die Rechtsbeschwerde wendet sich nicht gegen die Erwägungen des Beschwerdegerichts hinsichtlich einer unzureichenden Ausgangskontrolle im Büro des Prozessbevollmächtigten der Klägerin. Sie meint jedoch, dieser Gesichtspunkt stehe nach ständiger Rechtsprechung des BGH vorliegend der Wiedereinsetzung deswegen nicht entgegen, weil der Prozessbevollmächtigte der Klägerin seiner - qualifizierten und zuverlässigen - Kanzleiangestellten eine konkrete Einzelanweisung erteilt habe, deren Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte. Dies habe das Beschwerdegericht verkannt.
2. Richtig ist, dass ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt. Er ist deshalb im Allgemeinen nicht verpflichtet, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern (st.Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 6.10.1987 - VI ZR 43/87, MDR 1988, 219 = VersR 1988, 185 f.; Beschl. v. 11.2.2003 - VI ZB 38/02, MDR 2003, 709 = BGHReport 2003, 696 = VersR 2003, 1462; v. 9.12.2003 - VI ZB 26/03, BGHReport 2004, 622 = MDR 2004, 47; Beschl. v. 13.4.1997 - XII ZB 56/97, NJW 1997, 1930). Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos. Betrifft die Anweisung z.B. einen so wichtigen Vorgang wie die Eintragung einer Rechtsmittelfrist und wird sie nur mündlich erteilt, müssen in der Kanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass die Anweisung in Vergessenheit gerät und die Fristeintragung unterbleibt. In einem solchen Fall bedeutet das Fehlen jeder Sicherung einen entscheidenden Organisationsmangel (BGH, Beschl. v. 5.11.2002 - VI ZR 399/01, MDR 2003, 238 = BGHReport 2003, 253 = VersR 2003, 1459; v. 4.11.2003 - VI ZB 50/03, MDR 2004, 478 = BGHReport 2004, 263 = NJW 2004, 688; v. Pentz, NJW 2003, 858 [863 f.]).
Ein solcher Organisationsfehler ist auch im vorliegenden Fall ursächlich dafür, dass die Berufungsbegründung nicht rechtzeitig per Fax an das Berufungsgericht übermittelt worden ist. Ebenso wie die nur mündlich angeordnete Eintragung einer Rechtsmittelfrist schlichtweg vergessen werden kann und deswegen eine besondere Kontrolle erfordert, kann im Einzelfall auch die Gefahr bestehen, dass die nur mündlich angeordnete Absendung eines Schriftsatzes in Vergessenheit gerät. Ein solcher Fall ist hier gegeben, weil der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Anweisung, die Berufungsbegründung per Fax an das LG zu senden, seiner Büroangestellten schon am Vormittag erteilt hatte, ohne dabei aber eine unverzügliche Ausführung zu verlangen. Für den Fall, dass die Absendung am Vormittag unterblieb, bestand die nicht fern liegende Gefahr, dass die Angestellte die Anweisung nach ihrer Mittagspause vergessen könnte. Ein solches Versehen kann auch einer ansonsten stets zuverlässigen Bürokraft unterlaufen. Deswegen hätte der Prozessbevollmächtigte hier, um seiner Sorgfaltspflicht zu genügen, die klare und präzise Anweisung (vgl. BGH, Beschl. v. 31.5.2000 - V ZB 57/99, NJW-RR 2001, 209) erteilen müssen, die Berufungsbegründung umgehend, jedenfalls aber noch am Vormittag abzusenden. Sah er davon ab, gereicht ihm zum Verschulden, dass er keine Vorkehrungen dagegen getroffen hat, die Ausführung seiner Anweisung auf andere Weise sicherzustellen oder zu kontrollieren. Gemäß § 85 Abs. 2 ZPO muss sich die Klägerin dieses Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen.
Das Beschwerdegericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mithin zu Recht zurückgewiesen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 1193370 |
Inf 2004, 611 |
NWB 2004, 2852 |
BGHR 2004, 1445 |
FamRZ 2004, 1711 |
NJW-RR 2004, 1361 |
MDR 2004, 1375 |
VersR 2005, 383 |
PA 2004, 171 |
r+s 2005, 354 |