Entscheidungsstichwort (Thema)
Optometrische Leistungen
Leitsatz (amtlich)
Die berührungslose Augeninnendruckmessung (Tonometrie) und die Prüfung des Gesichtsfeldes mittels einer Computermessung (automatische Perimetrie) durch Optiker verstößt gegen § 1 HeilprG, da es sich insoweit um Ausübung der Heilkunde handelt. Die Prüfung des Dämmerungssehens und der Blendempfindlichkeit stellt dagegen keine Ausübung der Heilkunde dar.
Normenkette
HeilprG § 1 Abs. 2; UWG § 1
Verfahrensgang
OLG Koblenz (Urteil vom 09.07.1996) |
LG Bad Kreuznach (Urteil vom 05.09.1995) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 9. Juli 1996 insoweit aufgehoben, als die im neugefaßten Tenor ausgesprochenen Verbote unter I. 1. a) (3) aa) und bb) hinsichtlich des Anbietens und der Durchführung der berührungslosen Augeninnendruckmessung (Tonometrie) und der Prüfung des Gesichtsfeldes (automatische Perimetrie) sowie unter I. 1. b) (3) aa) hinsichtlich der Werbung für berührungslose Augeninnendruckmessung den Zusatz enthalten: „ohne den Kunden vor Durchführung der Maßnahme (bzw. in der Werbung) darauf hinzuweisen, daß nur eine Untersuchung durch den Augenarzt zuverlässig einen krankhaften Befund ausschließen kann”.
Im Umfang der Aufhebung wird auf die Berufung der Klägerin das Teilanerkenntnis- und Teilendurteil des Landgerichts Bad Kreuznach vom 5. September 1995 in der Neufassung des Tenors durch das Oberlandesgericht dahin abgeändert, daß unter I. 1. a) (3) aa) und bb) sowie unter I. 1. b) (3) aa) des neugefaßten Urteilsausspruchs des Oberlandesgerichts der vorstehend angeführte Zusatz entfällt.
Von den Kosten der Revision hat die Klägerin 4/7, die Beklagte 3/7 zu tragen.
Tatbestand
Die Beklagte betreibt ein Optikergeschäft. Im Jahre 1994 bot sie in Zeitungen, auf der Rückseite von Kundenrechnungen und auf Schildern vor dem Ladengeschäft optometrische Dienstleistungen an. Dabei handelte es sich unter anderem um berührungslose Augeninnendruckmessungen (Tonometrie), Prüfung des Dämmerungssehens und der Blendempfindlichkeit sowie Prüfung des Gesichtsfeldes mittels einer Computermessung (automatische Perimetrie). Diese Leistungen erbrachte die Beklagte auch in ihren Geschäftsräumen.
Die Klägerin, die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, hat – neben anderen Ansprüchen, die nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens sind – das Angebot und die Durchführung der vorbezeichneten Leistungen im Optikergeschäft der Beklagten sowie – die Prüfung des Gesichtsfeldes ausgenommen – die Werbung für diese Leistungen als einen Verstoß gegen § 1 UWG i.V. mit § 1 Abs. 2 HeilprG beanstandet und Unterlassung begehrt, weil es sich dabei um Augenärzten vorbehaltene Heilbehandlungen handele. Sie hat hilfsweise verlangt, diese Tätigkeiten und die Werbung der Beklagten hierfür zu verbieten, wenn die Kunden vor der Durchführung der Maßnahme bzw. in der Werbung nicht darauf hingewiesen werden, daß nur eine Untersuchung durch den Augenarzt zuverlässig einen krankhaften Befund am Auge ausschließen könne und/oder wenn die Beklagte den Kunden nach Durchführung der Maßnahme sinngemäß mitteile, es habe sich ein normaler Wert oder Befund ergeben.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten.
Das Landgericht hat unter Androhung gesetzlicher Ordnungsmittel und Abweisung der Klage im übrigen der Beklagten (unter d des Urteilsausspruchs) untersagt, die vorbezeichneten Dienstleistungen in ihrem Augenoptikergeschäft anzubieten und durchzuführen, wenn sie den Kunden nach Durchführung der Maßnahme mitteile, es habe sich ein normaler Befund oder Wert ergeben. Es hat ihr ferner die Werbung für die vorbezeichneten Dienstleistungen – mit Ausnahme der Werbung für die Prüfung des Gesichtsfeldes – untersagt, wenn diese Leistungen kostenlos angeboten werden.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des Landgerichts teilweise abgeändert und den Urteilsausspruch – soweit für die Revision noch von Bedeutung – neu gefaßt und der Beklagten unter Androhung gesetzlicher Ordnungsmittel untersagt,
1.
in ihrem Augenoptikergeschäft folgende Dienstleistungen anzubieten und durchzuführen:
(1) …
(2) Prüfung des Dämmerungssehens und/oder der Blendempfindlichkeit mit einem Nyktometer, wenn sie den Kunden nach Durchführung der Maßnahme mitteilt, es habe sich ein normaler Befund oder Wert ergeben,
(3) aa) berührungslose Augeninnendruckmessung (Tonometrie)
und/oder
bb) Prüfung des Gesichtsfeldes (automatische Perimetrie),
ohne den Kunden vor Durchführung der Maßnahme darauf hinzuweisen, daß nur eine Untersuchung durch den Augenarzt zuverlässig einen krankhaften Befund ausschließen kann,
im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs in werblichen Mitteilungen folgende Dienstleistungen anzubieten:
(1) …
…
(3) aa) berührungslose Augeninnendruckmessung (Tonometrie)
und/oder
bb) Prüfung des Gesichtsfeldes (automatische Perimetrie), ohne in der Werbung darauf hinzuweisen, daß nur eine Untersuchung durch den Augenarzt zuverlässig einen krankhaften Befund ausschließen kann,
…
Zu b): insbesondere, wenn dies so geschieht, wie in den nachstehend wiedergegebenen Anzeigen, Rückseiten der Rechnungen der Beklagten und Werbetafeln (es folgen verschiedene Beispiele).
Mit der Revision verfolgt die Klägerin das Klagebegehren in dem abgewiesenen Umfang weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat das Angebot der Leistungen, deren Durchführung und die Werbung hierfür nicht schlechthin untersagt, sondern nur entsprechend dem hilfsweisen Klagebegehren. Es hat dazu im einzelnen ausgeführt:
1. Das Anbieten und Durchführen der Tonometrie durch die Beklagte sei nicht generell wettbewerbswidrig. Die berührungslose Augeninnendruckmessung durch einen Optiker verstoße nur dann gegen § 1 UWG i.V. mit § 1 Abs. 2 HeilprG sowie gegen § 3 UWG, wenn der Optiker es vor einer Untersuchung unterlasse, darüber aufzuklären, daß das Verfahren nur zur Abklärung eines Indizes für ein Glaukom geeignet sei, ein Wert im statistischen Normalbereich deshalb keinen Beweis für ein gesundes Auge erbringe und eine abschließende Beurteilung nur durch einen Augenarzt vorgenommen werden könne. Außerdem sei das Verhalten ohne eine derartige Aufklärung irreführend.
Bei Anwendung des § 1 Abs. 2 HeilprG sei anerkannt, daß heilkundliche Verrichtungen nicht erfaßt würden, die für sich gesehen kein ärztliches Fachwissen voraussetzten und keine nennenswerten Gesundheitsgefahren zur Folge hätten, es sei denn, eine mittelbare Gesundheitsgefährdung sei die Folge, etwa weil ein Leiden, dessen Diagnose ärztliches Fachwissen erfordere, nicht rechtzeitig erkannt und behandelt werde. Auf dieser Grundlage sei einem Optiker das Anbieten und Durchführen der Tonometrie grundsätzlich erlaubt. Das Verfahren setze kein ärztliches Fachwissen voraus und könne keine nennenswerten Gesundheitsgefahren zur Folge haben. Die Beklagte gebe auch nicht vor, ein Glaukom positiv oder negativ diagnostizieren zu können oder zu wollen. Sie biete vielmehr nur eine Messung des Augeninnendrucks an und teile nach derselben mit, ob nach dem Meßergebnis statistisch gesehen von einem erhöhten Augeninnendruck ausgegangen werden müsse oder nicht. Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht deshalb, weil die Mitarbeiter der Beklagten nach der Messung mitteilten, es habe sich ein normaler Wert ergeben. Es handele sich dabei nur um eine formalisierte Einordnung des Meßergebnisses. Jedoch könne eine mittelbare Gefährdung von der Untersuchung ausgehen, wenn der Optiker den Kunden nicht darüber aufkläre, daß nur ein Augenarzt zuverlässig eine Glaukomerkrankung ausschließen könne. Es bestehe die nicht fernliegende Gefahr, daß der Kunde, der hierüber nicht aufgeklärt werde, sich zu Unrecht gesund wähne und wegen des Ergebnisses im Normbereich davon abgehalten werde, einen Augenarzt aufzusuchen, was zu irreversiblen Schäden des Auges mit der Folge der Erblindung führen könne.
2. Auch das Anbieten und die Durchführung der Prüfung des Gesichtsfeldes mittels einer Computermessung (automatische Perimetrie) sei weder nach § 1 UWG i.V. mit § 1 Abs. 2 HeilprG noch nach § 3 UWG wettbewerbswidrig, wenn die Beklagte den Kunden vorher darüber aufkläre, daß nur ein Augenarzt zuverlässig einen krankhaften Befund ausschließen könne. Die automatische Perimetrie sei grundsätzlich keine Heilbehandlung i.S. des § 1 Abs. 2 HeilprG. Die Ergebnisse der Perimetrie lieferten Aussagen über Erkrankungen der Netzhaut, der Sehnerven, der Sehbahnen (innerhalb des Gehirns) und der Sehzentren des Gehirns. Die bei der nicht gesundheitsschädlichen Untersuchung zu stellenden hohen Anforderungen an die Konzentration der Probanden könnten zwar in Einzelfällen zu einer psychischen Belastung führen; das reiche aber zur Annahme einer nennenswerten Gesundheitsgefährdung nicht aus. Jedoch bestehe eine mittelbare Gefährdung der Kunden, da ein aus statistischer Sicht im Normbereich liegender Befund noch keine Garantie dafür abgebe, daß es sich im Einzelfall um ein unversehrtes Gesichtsfeld handele. Es sei deshalb nicht auszuschließen, daß ein Kunde, der keine subjektiven Beschwerden habe, tatsächlich aber an einer Augenkrankheit leide, wegen eines angeblich normalen Ergebnisses der perimetrischen Prüfung davon abgehalten werden könnte, einen Augenarzt aufzusuchen. Diese Gefahr entfalle aber, wenn die Beklagte vor der Untersuchung darauf hinweisen müsse, daß nur ein Augenarzt zuverlässig einen krankhaften Befund ausschließen könne.
3. Das Anbieten und die Durchführung der Prüfung des Dämmerungssehens und der Blendempfindlichkeit mit Hilfe eines Nyktometers seien – auch ohne Hinweis – keine Ausübung der Heilkunde. Das Verfahren erfordere kein ärztliches Fachwissen und sei völlig ungefährlich. Auch mittelbare Gefahren seien ausgeschlossen. Nach dem von der Klägerin in Bezug genommenen sachkundigen Vorbringen könne dies zwar nur gelten, wenn der Test einen Normalbefund ergeben habe, obwohl der Patient subjektiv unter Beschwerden leide. Dann bedürfe es eines breiten Spektrums differenzial-diagnostischer Erwägungen im Rahmen ergänzender Untersuchungen. Es verstehe sich aber von selbst, daß der Optiker in einem solchen Fall rate, einen Arzt zur weiteren Abklärung der Beschwerden aufzusuchen. Damit könne es bei dem erstinstanzlichen Urteilsausspruch verbleiben.
4. Soweit die Klägerin ein generelles Verbot der Werbung für die berührungslose Augeninnendruckmessung begehre, könne sie damit nicht durchdringen. Die Beklagte sei insoweit allerdings verpflichtet, in der Werbung darauf hinzuweisen, daß nur eine Untersuchung durch den Augenarzt zuverlässig einen krankhaften Befund ausschließen könne. Die Werbung wecke sonst bei dem Verbraucher die unzutreffende Vorstellung, die Augeninnendruckmessung sei als Vorsorgeuntersuchung für die Erkennung einer Glaukomerkrankung ausreichend, während das Meßergebnis in Wahrheit nur ein Indiz hierfür sei.
Die Werbung für die Prüfung der Blendempfindlichkeit und des Dämmerungssehens mittels Nyktometer sei ohne weiteres zulässig, da bereits die Prüfung selbst auch ohne aufklärende Hinweise nicht wettbewerbswidrig sei.
II. Die Revision der Klägerin hat teilweise Erfolg.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts stellt das Anbieten und Durchführen der berührungslosen Augeninnendruckmessung (Tonometrie) und der Prüfung des Gesichtsfeldes (automatische Perimetrie) sowie die Werbung für diese Dienstleistungen einen Verstoß gegen § 1 UWG i.V. mit § 1 Abs. 2 HeilprG dar, so daß sich die Klage insoweit bereits mit den Hauptanträgen als begründet erweist. Hinsichtlich der Prüfung des Dämmerungssehens und der Blendempfindlichkeit mittels eines Nyktometers hat das Berufungsgericht einen derartigen Verstoß zu Recht verneint.
1. Nach § 1 Abs. 2 HeilprG ist Ausübung der Heilkunde jede berufs- und gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten oder Körperschäden, auch wenn sie im Dienste eines anderen ausgeübt wird. Diese Begriffsbestimmung ist ihrem Wortlaut nach sehr weit gefaßt. Bei wörtlicher Auslegung würden auch zahlreiche heilkundliche Verrichtungen mehr handwerklicher oder technischer Art unter das Ausübungsverbot fallen, was ersichtlich nicht der Sinn und Zweck des Gesetzes sein sollte (BGH, Urt. v. 4.2.1972 – I ZR 104/70, NJW 1972, 1132, 1133 – Augenoptiker). Die im Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG gebotene verfassungskonforme Auslegung erfordert Einschränkungen. Vom Ausübungsverbot werden dementsprechend nur Tätigkeiten erfaßt, die ärztliche Fachkenntnisse voraussetzen und keine gesundheitlichen Schädigungen zur Folge haben können, wobei auch nur mittelbare Gesundheitsgefährdungen genügen, etwa dadurch, daß frühzeitiges Erkennen ernster Leiden, das ärztliches Fachwissen voraussetzt, verzögert werden kann und daß die Wahrscheinlichkeit einer solchen Gefährdung nicht nur geringfügig ist (vgl. BGH, Urt. v. 13.9.1977 – 1 StR 389/77; Urt. v. 29.6.1987 – II ZR 5/87, NJW 1987, 2928, 2930 m.w.N.; BVerwGE 23, 140, 146; 35, 308, 310; Pelchen in Erbs/Kohlhaas/Pelchen, Strafrechtliche Nebengesetze, § 1 HeilprG Rdn. 8).
2. Von diesen rechtlichen Anforderungen ist auch das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen. Seine Annahme, sowohl die berührungslose Augeninnendruckmessung als auch die Prüfung des Gesichtsfeldes seien grundsätzlich nicht als Ausübung der Heilkunde i.S. des § 1 Abs. 2 HeilprG und damit nicht zugleich als Verstoß gegen § 1 UWG zu werten, hält jedoch der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Das Berufungsgericht hat zwar rechtsfehlerfrei angenommen, daß die genannten Verrichtungen weder ärztliches Fachwissen voraussetzen noch daß mit ihnen konkrete Gesundheitsgefahren verbunden sind. Dies wird auch von der Revision nicht gesondert angegriffen. Soweit das Berufungsgericht indessen meint, auch mittelbare Gesundheitsgefahren seien nicht zu befürchten, sofern vorab darüber aufgeklärt werde, daß ein krankhafter Befund nur durch einen Augenarzt zuverlässig ausgeschlossen werden könne, kann dem nicht beigetreten werden. Dabei kann dahinstehen, ob im Rahmen der Prüfung des § 1 Abs. 2 HeilprG Aufklärungspflichten überhaupt – ähnlich wie bei § 3 UWG – zu berücksichtigen sind mit der Folge, daß ihre Erfüllung aus dem Verbotstatbestand herausführt. Denn selbst bei der vom Berufungsgericht für erforderlich gehaltenen Aufklärung lassen sich mittelbare Gesundheitsgefahren nicht hinreichend ausschließen.
aa) Hinsichtlich der berührungslosen Augeninnendruckmessung hat das Berufungsgericht im Ausgangspunkt rechtsfehlerfrei festgestellt, daß damit grundsätzlich eine mittelbare Gesundheitsgefährdung verbunden sei. Es hat es als unstreitig angesehen, daß die Messung nur eine begrenzte Aussagekraft hat. Dazu hat es ausgeführt, ein erhöhter Augeninnendruck sei zwar ein Indiz für ein Glaukom, mehr jedoch nicht; auch bei erhöhtem Augeninnendruck müsse der Kunde nicht krank sein. Andererseits könne er aber bei nicht erhöhtem Augeninnendruck an einem sogen. Niederdruckglaukom leiden. Damit bestehe die nicht fernliegende Gefahr, daß der Kunde sich zu Unrecht gesund wähne und wegen des Ergebnisses im Normbereich davon abgehalten werde, einen Augenarzt aufzusuchen. Das könne im Einzelfall gefährlich sein; denn unstreitig müsse ein Glaukom frühzeitig behandelt werden, solle es nicht zu irreversiblen Schäden des Auges mit Erblindung kommen.
Auch bei der Prüfung des Gesichtsfeldes (automatische Perimetrie) steht nach den vom Berufungsgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen eine mittelbare Gesundheitsgefährdung der Kunden, die sich beim Augenoptiker einer solchen Prüfung unterziehen, fest. Das Berufungsgericht hat dazu ausgeführt, daß die Ergebnisse der Perimetrie Aussagen über Erkrankungen der Netzhaut, der Sehnerven, der Sehbahnen (innerhalb des Gehirns) und der Sehzentren des Gehirns lieferten. Ein aus statistischer Sicht im Normbereich liegender Befund gebe – wie dem von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Gutachten zu entnehmen sei – noch keine Garantie dafür ab, daß es sich im Einzelfall um ein unversehrtes Gesichtsfeld handele. Umgekehrt müsse eine Abweichung von der Norm nicht krankheitsbedingt sein. Prof. Dr. D. spreche von einer Häufigkeit fehlerhafter Befunde von ca. 15 – 25 %. Mithin sei bei Durchführung der Untersuchung durch den Optiker die mittelbare Gefahr nicht auszuschließen, daß ein Kunde, der keine subjektiven Beschwerden habe, tatsächlich aber an einer Augenkrankheit leide, wegen eines angeblich normalen Ergebnisses der perimetrischen Prüfung davon abgehalten werde, einen Augenarzt aufzusuchen.
bb) Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die weitere Annahme des Berufungsgerichts, die von ihm aufgezeigten mittelbaren Gesundheitsgefahren entfielen, wenn der Kunde vorher darauf hingewiesen werde, daß nur eine Untersuchung durch den Augenarzt zuverlässig einen krankhaften Befund ausschließen könne. Das Berufungsgericht hat bei seiner Würdigung wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung kann nicht davon ausgegangen werden, daß ein so allgemein gehaltener Hinweis bei allen Kunden die nötige Beachtung findet und hinreichend über die Gefahren und Risiken aufklärt, nämlich die Schwere möglicher Gesundheitsgefahren mit – im Falle nicht rechtzeitiger Behandlung – irreversiblen Schäden des Auges, die zur Erblindung führen können. Es erscheint vielmehr naheliegend, daß ein nicht unerheblicher Teil der Kunden der Beklagten, die bei dieser eine Messung bzw. Prüfung vornehmen lassen, sich damit zufrieden geben, daß eine mit Fragen der Sehfähigkeit vertraute Person diese Maßnahmen vorgenommen hat, und sie sich deshalb keiner weiteren Kontrolle ihres Auges unterziehen müssen; dies insbesondere dann, wenn ihnen – was das Berufungsgericht als zulässig erachtet hat – nach Durchführung der Maßnahmen mitgeteilt wird, es habe sich ein normaler Wert oder Befund ergeben. Selbstverständlich erwarten die Kunden auch eine Mitteilung des Ergebnisses der Messung bzw. Prüfung. Denn es erscheint – worauf die Revision zu Recht hinweist – fernliegend, daß die von der Beklagten angesprochenen Personen eine Augeninnendruckmessung und eine Prüfung des Gesichtsfeldes lediglich um ihrer selbst willen – gewissermaßen zur Befriedigung einer nicht diagnostisch orientierten Neugierde – vornehmen lassen; es ist vielmehr kein anderer Zweck erkennbar als der, etwas über den Gesundheitszustand des Auges und die Möglichkeiten einer Erkrankung zu erfahren. Führt die Messung bzw. Prüfung durch den Optiker zu keinen Auffälligkeiten, so werden erfahrungsgemäß nicht unerhebliche Teile der Kunden ungeachtet des vorab gegebenen Hinweises, daß eine gesicherte Abklärung nur durch einen Augenarzt erfolgen könne, mit einem Gefühl trügerischer Sicherheit darauf vertrauen, daß schon alles in Ordnung sei, und von dem an sich erforderlichen Arztbesuch abgebracht. Dies liegt in der menschlichen Natur. Damit ist die naheliegende Gefahr verbunden, daß schwere Erkrankungen des Auges, die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bereits im Frühstadium einer Behandlung bedürfen, zunächst unerkannt bleiben.
All dies muß jedenfalls gelten, solange die konkrete Bedeutung und Aussagekraft der von der Beklagten angebotenen Messungen und Prüfungen – anders als bei den von der Revisionserwiderung angesprochenen Blutdruckmessungen, die Laien auch selbständig vornehmen können – nicht allgemein bekannt sind. Für eine solche Allgemeinkenntnis lassen sich den Akten keine Anhaltspunkte entnehmen. Sie ergeben sich auch nicht aus dem Hinweis der Revisionserwiderung, daß bereits Geräte entwickelt worden seien, mit denen Interessenten selbst den Augeninnendruck messen können. Ebensowenig lassen sie sich aus dem in der rechtsgutachtlichen Stellungnahme, die von der Revisionserwiderung vorgelegt worden ist, angeführten Umstand herleiten, daß die Entwicklung der apparativen und Verfahrenstechnik dazu geführt habe, daß im Gesundheitssektor zahlreiche Arten von Messungen durch spezialisierte Berufe durchgeführt würden, ohne daß hierfür ärztliches Sachwissen erforderlich wäre, und daß durch das steigende Bewußtsein der Bevölkerung für Gesundheit und Fitness das Interesse an derartigen Messungen von Zustand und Leistungsfähigkeit des eigenen Körpers gestiegen sei. Dieser Gesichtspunkt hat hier schon angesichts der nicht auszuschließenden Möglichkeit außerordentlich gefährlicher, das Augenlicht bedrohender irreversibler Erkrankungen unberücksichtigt zu bleiben, solange sich dem Meßergebnis keine ärztliche Diagnose anschließt. Entgegen der Ansicht des Gutachters kann keine Rede davon sein, daß sich die vom Berufungsgericht festgestellten mittelbaren Gesundheitsschädigungen noch in einem tolerablen Rahmen halten. Nichts anderes folgt aus dem im Gutachten angeführten Umstand, daß Optiker die Bestimmung der Sehschärfe vornehmen dürfen, ohne gegen die Bestimmungen des Heilpraktikergesetzes zu verstoßen. Der Senat hat diese auch von ihm vertretene Ansicht im wesentlichen damit begründet, daß der Gesetzgeber entsprechend entschieden habe (vgl. BGH NJW 1972, 1132 – Augenoptiker; auch BVerwGE 23, 140, 142). Im übrigen sind die hier in Rede stehenden Messungen und Prüfungen – anders als die der Anpassung von Brillen dienende Sehschärfenbestimmung – Hilfstätigkeiten der ärztlichen Diagnose. Selbstverständlich können diese Maßnahmen auch durch nichtärztliche Personen vorgenommen werden, sofern gewährleistet ist, daß sich eine ärztliche Diagnose anschließt.
b) Sind nach alledem sowohl die berührungslose Augeninnendruckmessung (Tonometrie) als auch die Prüfung des Gesichtsfeldes (automatische Perimetrie) durch Augenoptiker als Verstoß gegen § 1 HeilprG und damit gegen eine dem Schutz der Gesundheit dienende Norm zu werten, so ist das beanstandete Verhalten zugleich auch ohne weiteres wettbewerbswidrig i.S. des § 1 UWG (vgl. BGH, Urt. v. 3.4.1981 – I ZR 41/80, GRUR 1981, 665, 666 = WRP 1981, 573 – Knochenbrecherin; auch BGHZ 114, 354, 360 – Katovit). Dies gilt nicht nur für das Anbieten und Durchführen der Messungen und Prüfungen, sondern auch für die Werbung für diese Maßnahmen.
3. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die von einem Optiker vorgenommene Prüfung des Dämmerungssehens und der Blendempfindlichkeit mit einem Nyktometer in Verbindung mit der Mitteilung, es habe sich ein normaler Befund oder Wert ergeben, stelle keinen Verstoß gegen § 1 HeilprG dar. Das Berufungsgericht hat insoweit rechtsfehlerfrei festgestellt, daß die Messungen kein ärztliches Fachwissen erfordern und völlig ungefährlich seien. Auch mittelbare Gefahren seien bei einer Vornahme durch den Optiker auszuschließen. Sinn der Prüfung des Dämmerungssehens und der Blendempfindlichkeit beim Optiker sei nicht die Abklärung eines Krankheitsbildes, sondern vor allem die Überprüfung, ob das Auge noch den Erfordernissen gewachsen sei, die der Straßenverkehr an Dämmerungs- und Nachtfahrten stelle. Nach diesem vom Berufungsgericht festgestellten Sinn der Überprüfung erwartet der Verkehr keine Abklärung von Krankheitsbildern, so daß auch keine Gefahr besteht, daß eine an sich gebotene Heilbehandlung unterbleibt. Dieser tatrichterlichen Würdigung steht das abweichende Verständnis der Revision entgegen, das Publikum sehe die in Rede stehenden Untersuchungen als solche zur Prüfung des eigenen Gesundheitszustandes an, ohne daß revisible Rechtsfehler aufgezeigt werden; ebenso die weitere Erwägung der Revision, daß die Blendempfindlichkeit Folge einer Erkrankung sein könne und bei Untersuchungen seitens eines Optikers die pathologische Ursache verkannt werden könne, dem Betroffenen somit ein trügerisches Gefühl der Sicherheit vermittelt werden könnte. Angesichts der vom Berufungsgericht festgestellten Tatsachengrundlage kommt es auch nicht darauf an, ob das bei der Prüfung verwendete Nyktometer überhaupt – wie die Revision meint – eine Diagnose zuläßt.
III. Danach war auf die Revision der Klägerin das angefochtene Urteil teilweise aufzuheben, soweit bezüglich der Tonometrie und der automatischen Perimetrie der Klage nur nach dem Hilfsantrag und nicht nach dem Hauptantrag stattgegeben worden ist. Soweit das Berufungsgericht der Beklagten allerdings auch die Werbung für die Prüfung des Gesichtsfeldes verboten hat (ohne in der Werbung darauf hinzuweisen, daß nur eine Untersuchung durch den Augenarzt zuverlässig einen krankhaften Befund ausschließen kann), hat es der Klägerin mehr zugesprochen als beantragt. Insoweit ist das Berufungsurteil rechtskräftig geworden. Denn in diesem Umfange kann die Klägerin, da sie insoweit überhaupt keinen Antrag gestellt hat und damit nicht beschwert ist, das Urteil nicht mit der Revision angreifen und hat es auch nicht angegriffen, während die Beklagte sich gegen ihre Verurteilung insoweit nicht wendet.
Die Kostenentscheidung für die Revisionsinstanz folgt aus § 92 Abs. 1 und § 97 Abs. 1 ZPO. Die Kostenentscheidung des Berufungsgerichts bedurfte keiner Aufhebung.
Unterschriften
Erdmann, Mees, v. Ungern-Sternberg, Starck, Pokrant
Fundstellen
NJW 1999, 865 |
GRUR 1999, 512 |
Nachschlagewerk BGH |
ArztR 1999, 163 |
GewArch 1999, 126 |
MedR 1999, 462 |
WRP 1999, 315 |
AusR 1999, 113 |