Entscheidungsstichwort (Thema)
Befriedigung einzelner Insolvenzgläubiger. Zahlung aus dem insolvenzfreien Vermögen des Schuldners. Insolvenzmasse
Leitsatz (amtlich)
Die Vorschriften der Insolvenzordnung stehen der Befriedigung einzelner Insolvenzgläubiger aus dem insolvenzfreien Vermögen des Schuldners während des Insolvenzverfahrens grundsätzlich nicht entgegen.
Normenkette
InsO §§ 87, 89
Verfahrensgang
LG Hagen (Urteil vom 27.04.2009; Aktenzeichen 10 S 27/09) |
AG Lüdenscheid (Entscheidung vom 29.12.2008; Aktenzeichen 94 C 169/08) |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil der 10. Zivilkammer des LG Hagen vom 27.4.2009 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin ist Verwalterin in dem am 22.10.2003 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des G. K. (im Folgenden: Schuldner). Der beklagte Landkreis meldete mit Schreiben vom 2.2.2004 eine Forderung i.H.v. 548,20 EUR zur Insolvenztabelle an. Die Forderung resultierte im Wesentlichen aus rückständigen Gebühren im Zusammenhang mit der Zulassung von Kraftfahrzeugen. Als der Schuldner ein neues Fahrzeug anmelden wollte, machte der Beklagte die Zulassung gem. §§ 1, 3 des Gesetzes zur Entbürokratisierung der Beitreibung von Gebühren- und Auslagenrückständen bei der Zulassung von Fahrzeugen (Beitreibungserleichterungsgesetz/Kfz-Zulassung - BEG NRW) vom 19.9.2006 von der Zahlung der Rückstände abhängig. Der Schuldner zahlte daraufhin den geschuldeten Betrag aus seinem insolvenzfreien Vermögen.
Rz. 2
Die Klägerin verlangt vom Beklagten die Rückzahlung des Betrags aus eigenem Recht, hilfsweise aufgrund einer mit dem Schuldner vereinbarten Abtretung. AG und LG haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 3
Die Revision hat keinen Erfolg. Die Vorinstanzen haben richtig entschieden.
I.
Rz. 4
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, ein Anspruch auf Rückzahlung folge nicht aus dem Bereicherungsrecht, weil die Leistung nicht ohne Rechtsgrund gem. § 812 Abs. 1 BGB erfolgt sei. Die Verfügung des Schuldners habe nicht die Insolvenzmasse betroffen. Deshalb sei sie nicht nach § 81 Abs. 1 InsO unwirksam. Mit seinem freien Vermögen könne der Schuldner nach eigenem Belieben verfahren. Zahlungen aus diesem Vermögen verkürzten nicht die Masse und verstießen deshalb nicht gegen § 87 InsO und den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung. Ein Rückzahlungsanspruch folge auch nicht aus § 826 BGB. Das Verhalten des Beklagten habe den §§ 1, 3 BEG NRW entsprochen und sei rechtlich nicht zu missbilligen. Mit der Zahlung sei dem Schuldner keine Verletzung seiner Obliegenheit nach § 295 Abs. 1 Nr. 4 InsO zugemutet worden, weil Leistungen aus dem pfändungsfreien Vermögen dem Gläubiger keinen Sondervorteil im Sinne dieser Bestimmung verschafften.
II.
Rz. 5
Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand.
Rz. 6
1. Ansprüche der Klägerin aus eigenem Recht als Insolvenzverwalterin bestehen nicht, weil die Zahlung an den Beklagten mit Mitteln erfolgte, die nicht zur Insolvenzmasse i.S.d. §§ 35, 36 InsO gehörten und deshalb nicht der Verfügungsbefugnis der Klägerin nach § 80 InsO unterlagen.
Rz. 7
2. Die Klägerin hat auch durch die mit dem Schuldner vereinbarte Abtretung keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Rückzahlung erworben, denn dem Schuldner stand ein solcher Anspruch nicht zu.
Rz. 8
a) Die Voraussetzungen für einen Anspruch des Schuldners aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB liegen nicht vor. Der Beklagte hat die Zahlung des Schuldners nicht ohne rechtlichen Grund erlangt. Der die Vermögensverschiebung an den Beklagten materiell rechtfertigende Grund liegt in dessen Anspruch auf Zahlung der Gebühren, den auch die Klägerin nicht in Abrede stellt. Zu den Rechtsnormen, die bestimmen, ob dem Bereicherten das Erlangte dauerhaft zustehen soll, gehören im Streitfall allerdings auch die Normen und die darin enthaltenen Wertungen des Insolvenzrechts (Schwab in MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 812 Rz. 345; OLG Brandenburg WM 2002, 974 [975]; vgl. auch BGHZ 71, 309 [312]). Diese rechtfertigen jedoch entgegen der Ansicht der Revision keine andere Beurteilung.
Rz. 9
aa) Gemäß § 87 InsO können Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur noch nach den Vorschriften des Insolvenzrechts verfolgen. Sie haben ihre Forderungen zur Insolvenztabelle anzumelden, Zwangsvollstreckungen sind weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig (§ 89 Abs. 1 InsO). Damit soll erreicht werden, dass die Insolvenzgläubiger gleichmäßige Befriedigung erlangen (Breuer in MünchKomm/InsO, 2. Aufl., § 87 Rz. 2; HK-InsO/Kayser, 5. Aufl., § 87 Rz. 1). Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Insolvenzgläubiger gilt während der Dauer des Insolvenzverfahrens jedoch nur in Bezug auf die Insolvenzmasse. Sie soll der Gesamtheit der Insolvenzgläubiger zur Befriedigung zur Verfügung stehen und muss vor unberechtigten Zugriffen einzelner Gläubiger geschützt werden. Für das freie, nicht zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen des Schuldners gilt der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung im Insolvenzverfahren hingegen nicht. Das schon in § 14 KO enthaltene Verbot, während der Dauer des Insolvenzverfahrens in dieses Vermögen zu vollstrecken, dient nicht der Gleichbehandlung der Gläubiger, sondern soll dem Schuldner die Möglichkeit geben, schon während des Konkurses eine neue wirtschaftliche Existenz zu begründen (Jaeger/Henckel, KO 9. Aufl., § 14 Rz. 2; Kilger/Schmidt, KO 17. Aufl., § 14 Anm. 1a). Da der Neuerwerb des Schuldners nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens anders als unter der Geltung der Konkursordnung zur Insolvenzmasse gehört, hat dieser Gesichtspunkt allerdings heute nur noch eine geringe Bedeutung (vgl. die Regierungsbegründung zu § 100 InsO-E = § 89 InsO, BT-Drucks. 12/2443, 137). Freiwillige Zahlungen des Schuldners mit Mitteln, die nicht zur Insolvenzmasse gehören (dies sind insb. unpfändbare Gegenstände, § 36 InsO), sind daher durch die §§ 87, 89 InsO nicht untersagt. Dies entspricht auch der im Schrifttum herrschenden Auffassung (Jaeger/Eckardt, InsO § 89 Rz. 59; Breuer in MünchKomm/InsO, a.a.O., § 89 Rz. 32; Kilger/Schmidt, a.a.O.). Eine Rückzahlung kann allenfalls im Wege der Einzelgläubigeranfechtung erwirkt werden (Jaeger/Eckardt, a.a.O.; vgl. dazu Huber, AnfG 10. Aufl., § 1 Rz. 57 und § 16 Rz. 4). Auch wenn der Gläubiger - wie hier auf der Grundlage der §§ 1, 3 BEG NRW - weitere Leistungen an den Schuldner davon abhängig macht, dass der Schuldner zuvor seine Rückstände begleicht, handelt es sich weder um eine Anspruchsverfolgung i.S.v. § 87 InsO noch um eine Zwangsvollstreckung i.S.v. § 89 InsO (anders für den Fall einer Zwangsabmeldung nach § 14 KraftStG FK-InsO/App, 5. Aufl., § 89 Rz. 9). Geht der Schuldner auf das Verlangen des Gläubigers ein und erbringt er eine Zahlung aus seinem insolvenzfreien Vermögen, verletzt er nicht den Grundsatz der Gleichbehandlung in seinem von der Insolvenzordnung gezogenen Rahmen.
Rz. 10
bb) Die Ansicht der Revision, die Rechtsordnung missbillige die Vermögensverschiebung an den Beklagten, lässt sich auch nicht darauf stützen, dass die Zahlung dem Schuldner unzumutbar gewesen sei, weil er dadurch seine Obliegenheit nach § 295 Abs. 1 Nr. 4 InsO verletzt habe. Nach dieser Vorschrift darf der Schuldner aus Gründen der Gläubigergleichbehandlung während der Laufzeit der Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO Zahlungen zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger nur an den Treuhänder leisten und keinem Insolvenzgläubiger einen Sondervorteil verschaffen. Diese Obliegenheit besteht jedoch erst in der Wohlverhaltensphase nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens und Ankündigung der Restschuldbefreiung (BGH, Beschl. v. 18.12.2008 - IX ZB 249/07, WM 2009, 361 m.w.N.). Für die während des Insolvenzverfahrens erfolgte Zahlung des Schuldners gilt sie nicht. Es kann deshalb dahinstehen, ob § 295 Abs. 1 Nr. 4 InsO Zahlungen des Schuldners aus seinem unpfändbaren und deshalb nicht von der Abtretungserklärung erfassten Vermögen überhaupt verbietet (verneinend AG Göttingen ZInsO 2005, 1001 [1002]; Ehricke in MünchKomm/InsO, 2. Aufl., § 295 Rz. 97 und § 294 Rz. 32; Ahrens in FK/InsO, 5. Aufl., § 295 Rz. 58; Pape, InVo 2006, 454, 460; Adam, ZInsO 2006, 1132) und ob eine etwaige Obliegenheitsverletzung jedenfalls deshalb außer Betracht zu bleiben hat, weil sie unter den gegebenen Umständen die Befriedigung der Gläubiger nicht beeinträchtigen und deshalb nicht zu einer Versagung der Restschuldbefreiung führen könnte (§ 296 Abs. 1 Satz 1 InsO).
Rz. 11
b) Die Revision nimmt hin, dass das Berufungsgericht einen Anspruch auf Rückzahlung aus § 826 BGB verneint hat. Rechtsfehler sind insoweit nicht zu erkennen. Die Durchsetzung berechtigter Forderungen kann nur dann gegen die guten Sitten verstoßen, wenn sich der Gläubiger unlauterer Mittel bedient (BGH, Urt. v. 7.3.1985 - III ZR 90/83, WM 1985, 866 [868]; v. 19.10.1987 - II ZR 9/87, NJW 1988, 700 [703]). Welche Voraussetzungen dafür unter insolvenzrechtlichen Gesichtspunkten erfüllt sein müssen, braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden. In Betracht können etwa Fälle kommen, in denen ein Gläubiger mit Monopolstellung Leistungen, welche der Schuldner dringend benötigt, von der Begleichung rückständiger Verbindlichkeiten in einem Umfang abhängig macht, die dem insolventen Schuldner unter Berücksichtigung seines berechtigten Interesses am Erhalt seines pfändungs- und damit insolvenzfreien Vermögens nicht zuzumuten ist. Ein solcher Fall liegt hier nicht annähernd vor. Der Beklagte hat ausschließlich die gesetzlichen Bestimmungen der §§ 1, 3 BEG NRW angewandt. Danach war ihm die Zulassung eines neuen Fahrzeugs für den Schuldner ohne Ermessensspielraum verwehrt, solange dieser noch Gebühren oder Auslagen aus vorausgegangenen Zulassungs- und damit zusammenhängenden Verwaltungsvorgängen schuldete. Für den Schuldner entstand dadurch zwar eine gewisse Zwangslage. Es ist aber weder festgestellt, dass der Schuldner auf die Zulassung eines Fahrzeugs zwingend angewiesen war, noch war die Bezahlung der Rückstände aus dem insolvenzfreien Vermögen unzumutbar.
Rz. 12
c) Beurteilt man die Rechtsbeziehung zwischen dem Schuldner und dem Beklagten als öffentlich-rechtliche, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Für einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gilt uneingeschränkt, was zu einem Bereicherungsanspruch nach § 812 BGB ausgeführt wurde. Ein Amtshaftungsanspruch besteht nicht, weil seitens des Beklagten keine Amtspflicht verletzt wurde.
Fundstellen
Haufe-Index 2299437 |
BB 2010, 449 |
DStR 2010, 11 |
DStR 2010, 658 |
NWB 2010, 576 |
EBE/BGH 2010 |
StuB 2010, 292 |
WM 2010, 523 |
WuB 2010, 355 |
ZIP 2010, 380 |
DZWir 2010, 244 |
JZ 2010, 229 |
JuS 2010, 452 |
NJ 2010, 4 |
NZI 2010, 19 |
NZI 2010, 223 |
ZInsO 2010, 376 |
InsbürO 2010, 114 |
NWB direkt 2010, 182 |
ZBB 2010, 174 |
V&S 2010, 8 |
VIA 2010, 29 |