Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechte des Bauunternehmers bei Umsatzsteuererstattungsantrag des Bauträgers im Reverse-charge-Verfahren; Vertragsauslegung hat Vorrang vor den Grundsätzen über die Störung der Geschäftsgrundlage
Leitsatz (amtlich)
Sind ein Bauunternehmer und ein Bauträger bei einem zwischen ihnen vor Erlass des Urteils des BFH vom 22.8.2013 (V R 37/10, BFHE 243, 20) abgeschlossenen und durchgeführten Bauvertrag übereinstimmend von der Steuerschuldnerschaft des Bauträgers gem. § 13b Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 UStG 2011 ausgegangen und hat der Bauträger die auf die erbrachten Leistungen des Bauunternehmers entfallende Umsatzsteuer an das Finanzamt abgeführt, steht dem Bauunternehmer aufgrund einer ergänzenden Vertragsauslegung ein Anspruch auf Zahlung des Umsatzsteuerbetrags zu, wenn der Bauträger Erstattung der Steuer verlangt und deshalb für den Bauunternehmer die Gefahr entsteht, wegen der Heranziehung als Steuerschuldner gem. § 27 Abs. 19 UStG die Umsatzsteuer abführen zu müssen.
Die Verjährung dieses Anspruchs beginnt in einem solchen Fall gem. § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Erstattungsantrag gestellt ist und der Bauunternehmer davon Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste.
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Bauträger hat (im Streitfall) kein berechtigtes Interesse, dass der Bauunternehmer von der Abtretungsmöglichkeit des § 27 Abs. 19 UStG Gebrauch macht. Für den Bauträger ist es unerheblich, ob ihm als Anspruchsteller der Bauunternehmer oder das Finanzamt gegenübertritt.
2. Die ergänzende Vertragsauslegung hat Vorrang vor den Grundsätzen über die Störung der Geschäftsgrundlage, so dass es keines Rückgriffs auf § 313 Abs. 1 BGB mehr bedarf. Soweit der Bundesfinanzhof (Urteil vom 23.02.2017 V R 16, 24/16, BFH/NV 2017, 872, BFHE 257, 177) in einem ähnlich gelagerten Fall eine Anpassung über § 313 BGB vorgenommen hat, ist eine Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes gemäß Art. 95 Abs. 3 GG i. V. mit § 2 Abs. 1 RsprEinhG nicht erforderlich. Einer Vorlage bedarf es nur, wenn die Beantwortung der Rechtsfrage entscheidungserheblich ist. Das ist hier nicht der Fall, da der Senat nicht im Ergebnis von der Entscheidung des Bundesfinanzhofs abweicht.
Normenkette
BGB §§ 157, 199; UStG § 27 Abs. 19; UStG 2011 § 13b Abs. 2 Nr. 4 S. 1, Abs. 5 S. 2 Hs. 1; BGB § 313 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Münster (Urteil vom 13.07.2017; Aktenzeichen 24 S 2/16) |
AG Tecklenburg (Urteil vom 07.12.2016; Aktenzeichen 5 C 52/16) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird unter Zurückweisung der Revision im Übrigen das Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des LG Münster vom 13.7.2017 aufgehoben, soweit die Berufung des Klägers hinsichtlich der Klage auf Zahlung von 1.785,57 EUR nebst Zinsen i.H.v. acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.3.2016 zurückgewiesen worden ist.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des AG Tecklenburg vom 7.12.2016 unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird unter Klageabweisung im Übrigen verurteilt, an den Kläger 1.785,57 EUR nebst Zinsen i.H.v. acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.3.2016 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem am 1.5.2015 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der K. E. GmbH (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin). Er verlangt als Restwerklohn die Zahlung eines Umsatzsteuerbetrags i.H.v. 1.785,57 EUR.
Rz. 2
Die spätere Insolvenzschuldnerin erbrachte für die Beklagte, ein Bauträger, im Jahr 2011 Elektroinstallationsarbeiten im Rahmen der Errichtung des Neubaus eines Geschäftshauses. Sie rechnete ihre Leistungen mit der Schlussrechnung vom 31.12.2011 vereinbarungsgemäß i.H.v. 9.397,76 EUR netto ab, wobei sie in der Rechnung ausführte:
"Die Umsatzsteuer für diese umsatzsteuerpflichtige Leistung schuldet der Leistungsempfänger gem. § 13b UStG."
Rz. 3
Die Beklagte zahlte den Rechnungsbetrag und führte die Umsatzsteuer i.H.v. 1.785,57 EUR an das Finanzamt ab. Dies entsprach der Anwendung von § 13b UStG in der damaligen bundesweiten Praxis der Finanzämter.
Rz. 4
Mit Urteil vom 22.8.2013 (V R 37/10, BFHE 243, 20) entschied der BFH, dass § 13b Abs. 2 Satz 2 UStG 2005 [= § 13b Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 UStG 2011] entgegen der einschlägigen Umsatzsteuer-Richtlinie (Abschn. 182a Abs. 11 UStR 2005) einschränkend dahin auszulegen sei, dass es für den Übergang der Steuerschuldnerschaft darauf ankomme, ob der Leistungsempfänger die an ihn erbrachte bauwerksbezogene Werklieferung oder sonstige Leistung selbst zur Erbringung einer derartigen Leistung verwendet. Dies treffe auf Bauträger nicht zu, die die erbrachten Leistungen für die Bebauung eigener, zur Veräußerung vorgesehener Grundstücke verwenden (BFHE 243, 20 Rz. 50 ff.).
Rz. 5
Die Beklagte beantragte daraufhin beim Finanzamt die Erstattung der von ihr entrichteten Umsatzsteuer. Über diesen Antrag ist noch nicht entschieden.
Rz. 6
Mit Schreiben vom 9.2.2016 teilte das Finanzamt dem Kläger mit, dass die Beklagte die Erstattung der Umsatzsteuer beantragt habe. Es wies darauf hin, die Insolvenzschuldnerin sei als Bauleisterin verpflichtet, eine die Umsatzsteuer ausweisende Rechnung auszustellen und die Umsatzsteuer anzumelden. Unter Umständen bestehe zivilrechtlich die Möglichkeit, die geschuldete Umsatzsteuer nachträglich von dem Bauträger zu fordern. § 27 Abs. 19 Satz 3 UStG eröffne die Möglichkeit, einen entsprechenden Zahlungsanspruch mit Wirkung an Zahlungs Statt an das Finanzamt abzutreten.
Rz. 7
Der Kläger stornierte daraufhin die Schlussrechnung der Insolvenzschuldnerin und übermittelte der Beklagten eine den Umsatzsteuerbetrag i.H.v. 1.785,57 EUR ausweisende, korrigierte Rechnung. Mit gesondertem Schreiben forderte er die Beklagte zur Zahlung des Umsatzsteuerbetrags unter Fristsetzung bis zum 9.3.2016 auf. Eine Abtretung an das Finanzamt erfolgte nicht. Das Finanzamt erließ gegenüber der Insolvenzschuldnerin einen Umsatzsteuerbescheid über den oben genannten Betrag, gegen den der Kläger Einspruch eingelegt hat. Eine Entscheidung über den Einspruch steht aus.
Rz. 8
Der Kläger hat im Jahr 2016 Klage erhoben. Die Beklagte, die der Auffassung ist, der Anspruch bestehe nicht, hat vorsorglich die Einrede der Verjährung erhoben.
Rz. 9
Das AG hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen.
Rz. 10
Der Kläger verfolgt mit der Revision seinen Zahlungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 11
Die Revision des Klägers führt - von der Höhe des Zinsausspruchs abgesehen - zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur antragsgemäßen Verurteilung der Beklagten.
I.
Rz. 12
Das Berufungsgericht hat - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Rz. 13
Eine vertragliche Regelung, aus welcher sich unmittelbar eine entsprechende Zahlungsverpflichtung der Beklagten ergeben könne, bestehe nicht.
Rz. 14
Dem Kläger stehe auch nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung kein Anspruch auf Zahlung der Umsatzsteuer zu. Zwar sei davon auszugehen, dass der durch den Bauträger beauftragte Unternehmer vertragsgemäß letztlich nicht mit der Umsatzsteuer belastet sein solle. Dies führe aber nicht zur Bejahung des geltend gemachten Zahlungsanspruchs. Es sei nämlich die Regelung in § 27 Abs. 19 UStG zu berücksichtigen, nach der sich der Unternehmer durch Abtretung des Erstattungsanspruchs von der Umsatzsteuerschuld befreien könne. Unter Berücksichtigung kaufmännischer Gesichtspunkte hätten sich die Vertragsparteien auf eine möglichst komplikationslose Regelung mit der Zielsetzung eingelassen, es bei der bereits durchgeführten Abwicklung des steuerrechtlichen Vorgangs zu belassen.
Rz. 15
Der Kläger könne eine Zahlung auch nicht im Rahmen einer Vertragsanpassung gem. § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage) beanspruchen. Es fehle an dem Merkmal der Unzumutbarkeit, weil der Kläger eine Belastung mit der Umsatzsteuer durch eine Abtretung vermeiden könne.
II.
Rz. 16
Das hält der rechtlichen Überprüfung - mit Ausnahme der Bestätigung der teilweisen Abweisung des Zinsanspruchs - nicht stand.
Rz. 17
Die Erwägung des Berufungsgerichts, eine ergänzende Vertragsauslegung ergebe nicht, dass der Kläger als Restwerklohn Zahlung eines Umsatzsteuerbetrags i.H.v. 1.785,57 EUR verlangen könne, ist von Rechtsfehlern beeinflusst.
Rz. 18
1. Der Senat kann die von dem Berufungsgericht vorgenommene ergänzende Vertragsauslegung uneingeschränkt überprüfen.
Rz. 19
a) Die Auslegung von Willenserklärungen ist zwar grundsätzlich Angelegenheit des Tatrichters. Eine revisionsrechtliche Überprüfung findet nur dahin statt, ob Verstöße gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, sonstige Erfahrungssätze oder Denkgesetze vorliegen oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht (vgl. BGH, Urt. v. 31.8.2017 - VII ZR 5/17, BauR 2018, 99 Rz. 24 = NZBau 2017, 718 m.w.N.). Auch die ergänzende Vertragsauslegung gehört zu dem Bereich tatrichterlicher Feststellung, die grundsätzlich nur eingeschränkt von dem Revisionsgericht überprüft werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 15.10.2014 - XII ZR 111/12, NZM 2015, 211 Rz. 65; Urt. v. 17.4.2002 - VIII ZR 297/01, NJW 2002, 2310, juris Rz. 18 m.w.N.).
Rz. 20
b) aa) Etwas anderes gilt jedoch bei der (ergänzenden) Auslegung von typischen Vertragsgestaltungen, die über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus regelmäßig mit gleichförmigem Inhalt im geschäftlichen Verkehr verwendet werden. Solche Verträge unterliegen im Interesse einer einheitlichen Handhabung einer vollen inhaltlichen Überprüfung durch das Revisionsgericht (vgl. BGH, Urt. v. 7.11.2012 - XII ZR 41/11, NZM 2013, 148 Rz. 16; Urt. v. 24.1.2008 - III ZR 79/07, NJW-RR 2008, 562 Rz. 11; Urt. v. 11.10.2005 - XI ZR 395/04, BGHZ 164, 286, 292, juris Rz. 25; vgl. auch Busche in MünchKomm/BGB, 7. Aufl., § 133 Rz. 70).
Rz. 21
bb) So liegt der Fall hier. Bis zum Erlass des Urteils des BFH vom 22.8.2013 (V R 37/10, BFHE 243, 20) entsprach es auf Grundlage der einschlägigen Umsatzsteuer-Richtlinie der bundesweiten Praxis der Finanzverwaltung, bei Bauträgern wie im Streitfall deren Steuerschuldnerschaft gem. § 13b UStG a.F. anzunehmen. Daran haben sich die Vertragsparteien bei derartigen Verträgen mit Bauträgern vielfach orientiert. Die vorliegende Auslegungsproblematik ist dementsprechend Gegenstand einer Vielzahl instanzgerichtlicher Entscheidungen (vgl. OLG Braunschweig, Urt. v. 8.3.2018 - 8 U 80/17; OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.11.2017 - 23 U 23/16; OLG Frankfurt, Urt. v. 16.10.2017 - 29 U 182/16; OLG Köln, NZBau 2017, 44; LG Heilbronn, Urt. v. 18.12.2017 - 6 O 344/17; LG Düsseldorf, Urt. v. 22.12.2016 - 16 O 325/15; LG Bonn, Urt. v. 20.7.2016 - 1 O 12/16; LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 28.10.2015 - 1 O 1399/15). Im Interesse der Rechtssicherheit und der einheitlichen Handhabung der auf diese Praxis der Finanzverwaltung ausgerichteten Verträge ist eine allgemein verbindliche Auslegung sachlich geboten (vgl. BGH, Urt. v. 24.1.2008 - III ZR 79/07, NJW-RR 2008, 562 Rz. 11).
Rz. 22
2. Die Vereinbarung der Parteien weist eine Regelungslücke auf.
Rz. 23
a) Voraussetzung für eine ergänzende Vertragsauslegung ist, dass die Vereinbarung der Parteien eine Regelungslücke, d.h. eine planwidrige Unvollständigkeit, aufweist. Das ist dann der Fall, wenn die Parteien einen Punkt übersehen oder ihn bewusst offengelassen haben, weil sie ihn im Zeitpunkt des Vertragsschlusses für nicht regelungsbedürftig gehalten haben, und sich diese Annahme nachträglich als unzutreffend herausstellt. Dabei kann von einer planwidrigen Regelungslücke nur gesprochen werden, wenn der Vertrag eine Bestimmung vermissen lässt, die erforderlich ist, um den ihm zugrunde liegenden Regelungsplan der Parteien zu verwirklichen, mithin ohne Vervollständigung des Vertrags eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht zu erzielen ist (st.Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 20.4.2017 - VII ZR 194/13, BauR 2017, 1361 Rz. 25 = NZBau 2017, 596; Urt. v. 15.10.2014 - XII ZR 111/12, NZM 2015, 211 Rz. 70; Urt. v. 12.10.2012 - V ZR 222/11, NJW-RR 2013, 494 Rz. 9).
Rz. 24
b) Eine solche Regelungslücke ist gegeben. Die Parteien haben keine Regelung für den Fall getroffen, dass für die Insolvenzschuldnerin die Gefahr besteht, wegen der Heranziehung als Steuerschuldnerin die Umsatzsteuer abführen zu müssen. Diese Gefahr beruht auf dem Urteil des BFH vom 22.8.2013 (V R 37/10, BFHE 243, 20) und der Reaktion der Beklagten hierauf. Der von ihr gestellte Erstattungsantrag begründet gem. § 27 Abs. 19 UStG die Befugnis des Finanzamts, die gegen die Insolvenzschuldnerin wirkende Steuerfestsetzung zu ändern. Diese Gefahr besteht unbeschadet des Streits, ob dieser Vorschrift eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung zukommt (verneinend BFHE 257, 177 Rz. 62 mit Nachweisen zum Streitstand).
Rz. 25
aa) Die Vertragsparteien gingen bei Vertragsschluss übereinstimmend von einer Steuerschuldnerschaft der Beklagten aus. Dies zeigt sich an der von der Insolvenzschuldnerin zunächst erteilten Rechnung, mit der sie nur über ein Entgelt ohne Steuerbetrag abrechnete und dabei ausdrücklich auf die Steuerschuldnerschaft der Beklagten hinwies. Das entsprach dem Verständnis der Beklagten als Bauträger, da sie die auf die Leistung der Insolvenzschuldnerin entfallende Umsatzsteuer an das Finanzamt abführte. Die Vereinbarung der Vertragsparteien orientierte sich an der damaligen Praxis der Finanzverwaltung.
Rz. 26
bb) Diese Verwaltungspraxis hat der BFH (Urt. v. 22.8.2013 - V R 37/10, BFHE 243, 20 Rz. 50) verworfen und § 13b Abs. 2 Satz 2 UStG 2005 [= § 13b Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 UStG 2011] einschränkend dahin ausgelegt, dass es für den Übergang der Steuerschuldnerschaft darauf ankomme, dass der Leistungsempfänger die an ihn erbrachte bauwerksbezogene Werklieferung oder sonstige Leistung selbst zur Erbringung einer derartigen Leistung verwende. Dies treffe auf Bauträger nicht zu, welche die erbrachten Bauleistungen für die Bebauung eigener, zur Veräußerung vorgesehener Grundstücke verwenden. Danach war die Beklagte nicht Steuerschuldnerin.
Rz. 27
Soweit das Bundesministerium der Finanzen mit Schreiben vom 5.2.2014 (BStBl. I 2014, 233) und vom 8.5.2014 (BStBl. I 2014, 823) als Reaktion auf das genannte Urteil des BFH eine Vereinfachungs-/Nichtbeanstandungsregelung vorgesehen hat, nach der die Beteiligten es einvernehmlich bei der ursprünglichen steuerlichen Beurteilung belassen können, hat die Beklagte hiervon, indem sie einen Erstattungsantrag gestellt hat, keinen Gebrauch gemacht. Aufgrund dieses Erstattungsantrags hat das Finanzamt gegen die Insolvenzschuldnerin einen Umsatzsteuerbescheid erlassen.
Rz. 28
3. Die deshalb in dem Vertrag bestehende Lücke ist im Rahmen der ergänzenden Auslegung dahin zu schließen, dass der Vergütungsanspruch um den Umsatzsteuerbetrag von 1.785,57 EUR zu erhöhen ist.
Rz. 29
a) Liegt eine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke vor, ist zu ermitteln, was die Parteien vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten. Der Senat kann die erforderliche ergänzende Vertragsauslegung selbst vornehmen, da weitere tatsächliche Feststellungen nicht zu erwarten sind (vgl. BGH, Urt. v. 18.2.2000 - V ZR 334/98, NJW-RR 2000, 894, 895, juris Rz. 13; Urt. v. 12.12.1997 - V ZR 250/96, NJW 1998, 1219 f., juris Rz. 10).
Rz. 30
aa) Bei der ergänzenden Vertragsauslegung ist der hypothetische Parteiwille Grundlage für die Ergänzung des Vertragsinhalts, so dass darauf abzustellen ist, was die Vertragsparteien bei angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten (vgl. BGH, Urt. v. 12.10.2012 - V ZR 222/11, NJW-RR 2013, 494 Rz. 12; Urt. v. 18.11.2011 - V ZR 31/11, BGHZ 191, 336 Rz. 16; Urt. v. 31.10.2008 - V ZR 71/08, NJW 2009, 679 Rz. 7, jeweils m.w.N.).
Rz. 31
bb) Nach diesen Maßstäben hätten die Vertragsparteien, wenn sie vorhergesehen hätten, dass die Steuerschuldnerschaft bezüglich der Umsatzsteuer nicht bei der Beklagten, sondern bei der (späteren) Insolvenzschuldnerin liegt und dass für diese aufgrund des von der Beklagten gestellten Erstattungsantrags die Gefahr bestehen würde, wegen der Heranziehung als Steuerschuldnerin die Umsatzsteuer abführen zu müssen, eine um den Umsatzsteuerbetrag von 1.785,57 EUR erhöhte Vergütung vereinbart.
Rz. 32
(1) Übereinstimmendes Verständnis der Vertragsparteien war, dass die auf die Werkleistung entfallende Umsatzsteuer von der Beklagten zu tragen sein sollte; sie sollte also als Leistungsempfängerin insgesamt den Bruttobetrag zahlen. Dementsprechend ist es gerechtfertigt, dass der Kläger von der Beklagten die um den Umsatzsteuerbetrag von 1.785,57 EUR erhöhte Vergütung verlangen kann, weil das Finanzamt gegen die Insolvenzschuldnerin einen Umsatzsteuerbescheid in entsprechender Höhe erlassen hat.
Rz. 33
(2) Dem stehen schutzwürdige Interessen der Beklagten nicht entgegen, da sie durch ihren Erstattungsantrag erst das Umsatzsteuerverfahren gegen die Insolvenzschuldnerin ausgelöst hat. Damit hat sie zugleich die Gefahr einer doppelten Belastung mit dem Umsatzsteuerbetrag begründet.
Rz. 34
b) Die Erforderlichkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung kann entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht im Hinblick auf § 27 Abs. 19 UStG verneint werden. Die in § 27 Abs. 19 UStG erwähnte Abtretungsmöglichkeit betrifft nicht die Frage, ob sich ein Zahlungsanspruch des leistenden Unternehmers aus einer ergänzenden Vertragsauslegung ergibt. Dadurch wird ein gegen den Bauträger gerichteter Anspruch weder begründet noch ausgeschlossen.
Rz. 35
Die Beklagte hat kein berechtigtes Interesse, dass der Kläger von der Abtretungsmöglichkeit Gebrauch macht. Für sie ist es unerheblich, ob ihr als Anspruchsteller der Kläger oder das Finanzamt gegenübertritt.
Rz. 36
4. Die ergänzende Vertragsauslegung hat Vorrang vor den Grundsätzen über die Störung der Geschäftsgrundlage (vgl. BGH, Urt. v. 3.2.2012 - V ZR 23/11 Rz. 14; Urt. v. 18.11.2011 - V ZR 31/11, BGHZ 191, 336 Rz. 19; Urt. v. 14.1.2000 - V ZR 416/97, NJW-RR 2000, 1652, 1653, juris Rz. 8), so dass es keines Rückgriffs auf § 313 Abs. 1 BGB mehr bedarf. Soweit der BFH (BFHE 257, 177 Rz. 49 ff.) in einem ähnlich gelagerten Fall eine Anpassung über § 313 BGB vorgenommen hat, ist eine Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes gem. Art. 95 Abs. 3 GG i.V.m. § 2 Abs. 1 RsprEinhG nicht erforderlich. Einer Vorlage bedarf es nur, wenn die Beantwortung der Rechtsfrage entscheidungserheblich ist (BGH, Beschl. v. 8.11.2017 - VII ZB 9/15 Rz. 22, MDR 2018, 553). Das ist hier nicht der Fall, da der Senat nicht im Ergebnis von der Entscheidung des BFH abweicht.
Rz. 37
5. Der geltend gemachte Anspruch ist nicht verjährt.
Rz. 38
Der Lauf der hier maßgeblichen regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB) beginnt gem. § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Der Anspruch des Klägers ist erst mit Eintritt der Gefahr entstanden, wegen der Heranziehung als Steuerschuldner die Umsatzsteuer abführen zu müssen. Im Streitfall ist diese Gefahr erst mit dem nach Erlass des Urteils des BFH vom 22.8.2013 (V R 37/10, BFHE 243, 20) gestellten Erstattungsantrag der Beklagten eingetreten. Die Verjährungsfrist war mithin bei Erhebung der Klage im Jahr 2016 noch nicht abgelaufen.
Rz. 39
6. Der ausgeurteilte Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB a.F. i.V.m. Art. 229 § 34 Satz 1 EGBGB. Ein weitergehender Zinsanspruch ist nicht begründet.
III.
Rz. 40
Das Berufungsurteil und das Urteil des AG können danach überwiegend keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, da nach den festgestellten Tatsachen die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).
IV.
Rz. 41
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 11772137 |
BFH/NV 2018, 1071 |
DB 2018, 1462 |
DB 2018, 6 |
DStR 2018, 1575 |
DStR 2018, 9 |
HFR 2018, 661 |
UR 2018, 674 |