Verfahrensgang
LG Bad Kreuznach (Urteil vom 09.03.2005) |
Tenor
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bad Kreuznach vom 9. März 2005 aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Strafbarkeit des Angeklagten … S. wegen der Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber der Gebäudeversicherung unterblieben ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Anstiftung zu einer besonders schweren Brandstiftung freigesprochen. Mit ihrer auf die Verletzung des § 264 StPO gestützten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft nicht gegen den von ihr selbst in der Hauptverhandlung beantragten Freispruch wegen der Brandstiftungsdelikte, sondern beanstandet, dass die angeklagte Tat nicht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des versuchten Betruges zum Nachteil der Gebäudeversicherung gemäß §§ 263 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 Nr. 5, 22 StGB geprüft worden ist. Das wirksam beschränkte Rechtsmittel hat sowohl mit der Rüge der Verletzung des § 264 StPO als auch mit der Sachrüge Erfolg.
1. Die unverändert zugelassene Anklage vom 10. August 2004 legt dem Angeklagten zur Last, wegen anhaltender Geldnot einen Dritten dazu bestimmt zu haben, sein weit überversicherters Anwesen abzubrennen, um so unberechtigt die Versicherungssumme zu kassieren.
2. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen war der Angeklagte zusammen mit seiner Ehefrau Eigentümer eines Anwesens in B. …, in dem sein Sohn und seine Schwiegertochter im Erdgeschoss eine Gaststätte betrieben und im Obergeschoss wohnten. Anfang des Jahres 2003 entschloss sich der Angeklagte auf Grund seiner angespannten finanziellen Situation, das Gebäude entweder selbst abzubrennen oder durch einen Dritten abbrennen zu lassen, um anschließend von der Gebäudeversicherung unter Vortäuschung eines Schadensfalles die Brandversicherungssumme ausbezahlt zu erhalten. Vor der Brandlegung erhöhte er die Versicherungssumme von 320.000 EUR auf 600.000 EUR, fragte bei der Versicherungsvertreterin nach, welche Prämienzahlungen noch ausstanden und entrichtete diese in bar. In der Nacht vom 9. auf den 10. April 2003 brannte das Anwesen völlig aus. Die Strafkammer konnte nicht ausschließen, dass sowohl die Bewohner des Hauses als auch die Ehefrau als Miteigentümerin des Gebäudes in die Pläne des Angeklagten eingeweiht und mit der Brandlegung einverstanden waren.
3. Ausgehend von einer Entwidmung des Gebäudes zu Wohnzwecken durch die Bewohner und einem den Tatbestand des § 306 Abs. 1 StGB ausschließenden Einverständnis der Miteigentümerin in die Brandlegung hat das Landgericht den Angeklagten freigesprochen. An einer Verurteilung wegen versuchten Betruges zum Nachteil der Gebäudeversicherung gemäß § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 StGB sah sich die Strafkammer gehindert, weil dieser Lebenssachverhalt nicht Gegenstand der zugelassenen Anklage sei (UA S. 5).
4. Die Revision rügt zu Recht einen Verstoß gegen § 264 StPO, indem das Landgericht davon abgesehen hat, die Inanspruchnahme der Gebäudeversicherung durch den Angeklagten rechtlich zu würdigen:
Die Verfahrensvoraussetzung einer zugelassenen Anklage liegt – entgegen der Auffassung des Landgerichts – auch hinsichtlich etwaiger Straftaten zum Nachteil der Versicherung vor. Die Brandstiftung und die im unmittelbaren Anschluss erfolgte Inanspruchnahme der Gebäudeversicherung sind eine prozessuelle Tat im Sinne des § 264 StPO (vgl. BGHSt 45, 211; BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 35). Zwar enthält die unverändert zugelassene Anklage vom 10. August 2004 keine Angaben zu einer versuchten Täuschung der Versicherung. Die fehlende Angabe dazu hat aber gleichwohl nicht zur Folge, dass die Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber der Versicherung nicht Gegenstand der Anklage wäre und die Untersuchung sich nicht auf sie hätte erstrecken dürfen; denn sie bildete mit der in der Anklage beschriebenen, nach Ort und Zeit konkretisierten Brandlegung, die der Angeklagte zum Zwecke der anschließenden Täuschung der Versicherung selbst vorgenommen oder zumindest initiiert hatte, eine Tat im prozessualen Sinne.
Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. nur BGHSt 45, 211; BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 35) ist die Tat als Prozessgegenstand nicht nur der in der Anklage umschriebene und dem Angeklagten dort zur Last gelegte Geschehensablauf; vielmehr gehört zu ihr das gesamte Verhalten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet. Auch sachlich-rechtlich selbständige Taten können prozessual eine Tat im Sinne von § 264 StPO sein. Dabei kommt es im Einzelfall darauf an, ob die einzelnen Handlungen nicht nur äußerlich ineinander übergehen, sondern auch innerlich derart unmittelbar miteinander verknüpft sind, dass der Unrechts- und Schuldgehalt der einen Handlung nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Handlung geführt haben, richtig gewürdigt werden kann und ihre getrennte Würdigung und Aburteilung in verschiedenen Verfahren einen einheitlichen Lebensvorgang unnatürlich aufspalten würde.
Die erforderliche Verknüpfung des tatbestandsmäßigen Verhaltens des Angeklagten liegt hier vor. Der Versicherungsfall war gemäß § 92 VVG umgehend anzuzeigen. Eine Verurteilung wegen Betruges würde voraussetzen, dass der Versicherer gemäß § 61 VVG wegen schuldhafter Herbeiführung des Versicherungsfalls von seiner Leistungspflicht frei geworden ist. Eine solche Feststellung kann in der Regel nicht ohne Untersuchung der Umstände getroffen werden, die zum Brand geführt haben. Darüber hinaus bestimmen Art und Ausmaß der Brandstiftung die Schwere eines etwaigen Betrugsvorwurfs. Schließlich kommt die enge innere Verknüpfung der Handlungen des Täters auch in § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 StGB zum Ausdruck, indem die Vorschrift für das Vortäuschen eines Versicherungsfalls als Regelbeispiel eines besonders schweren Falles des Betruges einen erhöhten Strafrahmen vorsieht.
Gegenstand der Urteilsfindung muss daher das in engem sachlichen Zusammenhang mit der Brandlegung stehende, das Vermögen der Gebäudeversicherung gefährdende und einen bestimmten historisch abgrenzbaren Lebensvorgang bildende Verhalten des Angeklagten sein.
5. Das Landgericht war deshalb gemäß § 264 StPO nach einem entsprechenden rechtlichen Hinweis von Amts wegen, also ohne einen entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft und ohne Bindung an die Einschätzung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft, verpflichtet, den Unrechtsgehalt der prozessualen Tat auszuschöpfen. Der Verstoß gegen die Kognitionspflicht stellt nicht nur eine Verletzung der Verfahrensvorschrift des § 264 StPO dar, sondern hier auch einen sachlich-rechtlichen Mangel (BGH StV 1981, 127 f. sowie NStZ 1983, 174 f.); denn die Strafkammer hat sich ausweislich der Urteilsgründe gehindert gesehen, die Inanspruchnahme der Gebäudeversicherung durch den Angeklagten in ihre Entscheidungsfindung einzubeziehen.
6. Der festgestellte Rechtsfehler führt daher auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des Urteils, soweit eine Entscheidung über die Strafbarkeit des Angeklagten … S. wegen der Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber der Gebäudeversicherung unterblieben ist. Die im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Brandstiftung rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen bleiben bestehen. Hinsichtlich der Inanspruchnahme der Gebäudeversicherung wird das Landgericht ergänzende Feststellungen zu treffen und zu bewerten haben.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Bode, Rothfuß, Fischer, Appl
Fundstellen
Haufe-Index 2554855 |
NStZ 2006, 350 |
NStZ 2008, 208 |
StV 2007, 286 |