Entscheidungsstichwort (Thema)
Deliktische Haftung des faktischen GmbH-Geschäftsführers. Haftungsvoraussetzungen im Bereich der Untreue
Leitsatz (amtlich)
Für die deliktische Haftung (hier: § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB) einer Person als faktischer Geschäftsführer einer GmbH ist es erforderlich, dass der Betreffende nach dem Gesamterscheinungsbild seines Auftretens die Geschicke der Gesellschaft - über die interne Einwirkung auf die satzungsmäßige Geschäftsführung hinaus - durch eigenes Handeln im Außenverhältnis, das die Tätigkeit des rechtlichen Geschäftsführungsorgans nachhaltig prägt, maßgeblich in die Hand genommen hat (i. Anschl. an BGH, Urt. v. 25.2.2002 - II ZR 196/00, BGHZ 150, 61).
Normenkette
GmbHG § 43 Abs. 1; BGB § 823 Abs. 2; StGB § 266
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 06.03.2003; Aktenzeichen 3 U 57/97) |
LG Frankfurt am Main |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten zu 1) wird das Urteil des 3. Zivilsenats des OLG Frankfurt v. 6.3.2003 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als dieser verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger führt im Auftrag der I. in Deutschland den sog. Banksettlement Plan (BSP) durch; im Rahmen dieses vereinheitlichten Systems zur Vereinfachung von Verkauf, Abrechnung und Verwaltung von Flugpassagen zwischen den der I. angehörenden Luftverkehrsgesellschaften und den Verkaufsagenturen oblag dem Kläger u.a. der turnusmäßig einmal im Monat stattfindende Einzug der von den Agenturen aus den Ticketverkäufen vereinnahmten Gelder. Nach den Agenturverträgen waren sämtliche derartigen Einnahmen "Eigentum und Besitz der Fluggesellschaft" und "dem Agenten für oder im Namen der Fluggesellschaft solange zur Verwahrung anvertraut, bis über sie eine zufrieden stellende Rechenschaft abgelegt worden ist und eine Abrechnung stattgefunden hat". Die I. hatte einen solchen Agenturvertrag über den Verkauf von Flugtickets auch mit der B. GmbH (nachfolgend: B. GmbH) abgeschlossen. Deren Geschäftsführer und zugleich Minderheitsgesellschafter mit einer Beteiligung von 24,5 % war der Beklagte zu 2); ihre Mehrheitsgesellschafterin mit einem Geschäftsanteil von 51 % war die F. GmbH (nachfolgend: F. GmbH), deren Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter der Beklagte zu 1) war.
Im Herbst 1993 geriet die B. GmbH in finanzielle Schwierigkeiten, die dazu führten, dass sie abredewidrig die für die I. und deren Mitglieder vereinnahmten Gelder aus Ticketverkäufen zur Deckung ihrer laufenden - die Einnahmen übersteigenden - Ausgaben verwendete; dies verdeckte sie dadurch, dass sie jeweils im Abrechnungszeitpunkt am 15. des Monats anstelle der verbrauchten Einnahmen der abzurechnenden Periode auf ihrem Konto bereits vereinnahmte Gelder des folgenden Abrechnungszeitraums für die turnusmäßige Abbuchung des Klägers bereitstellte. Nach einem Krisengespräch v. 14.10.1993 zwischen den beiden Beklagten und weiteren Hinweisen des Steuerberaters über die immer prekärer werdende finanzielle Lage der B. GmbH erklärte der Beklagte zu 2) zwar zunächst dem Beklagten zu 1) ggü. die Niederlegung seines Amtes, wurde jedoch in der Folgezeit weiterhin als Geschäftsführer für die B. GmbH tätig. Trotz einer vom Beklagten zu 1) Ende Dezember 1993 zum Zwecke der Abwendung der Überschuldung abgegebenen Rangrücktrittserklärung für Forderungen gegen die B. GmbH sah sich der Beklagte zu 2) am 21.1.1994 gezwungen, für die Gesellschaft Konkursantrag zu stellen. Daraufhin stellte die I. unter dem 24.1.1994 bei der B. GmbH ihre Tickets sicher und entzog ihr die I.-Verkaufslizenz. Auf Betreiben des Beklagten zu 1) wurde auf einer Gesellschafterversammlung der B. GmbH am 26.1.1994 die - später von der Mitgesellschafterin Y. mit Erfolg angefochtene - Abberufung des Beklagten zu 2) als Geschäftsführer und die Bestellung des Beklagten zu 1) zum neuen Geschäftsführer beschlossen. Nachdem der Beklagte zu 1) Ende Januar 1994 die Schließung des Büros der B. GmbH veranlasst hatte, nahm er am 1.2.1994 den Konkursantrag zurück. Am 14.2.1994 buchte der Kläger die Forderung aus den Ticketverkäufen für den letzten Abrechnungszeitraum (Januar 1994) i.H.v. 330.295,92 DM vom Konto der B. GmbH ab, jedoch erfolgte bereits eine Woche später die Rückbuchung mangels Deckung des Kontos. Am 21.2.1994 wurde schließlich der Beklagte zu 2) wirksam als Geschäftsführer der B. GmbH abberufen und der Beklagte zu 1) zu ihrem neuen Geschäftsführer bestellt.
Der Kläger nimmt wegen der - bislang unbeglichen gebliebenen - Forderung für Januar 1994 beide Beklagten als Gesamtschuldner aus dem Gesichtspunkt einer - angeblich nebentäterschaftlich begangenen - Untreue gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 Abs. 1 StGB auf Schadensersatz in Anspruch; dabei macht er in Bezug auf den Beklagten zu 1) geltend, dieser sei als faktischer Geschäftsführer der B. GmbH - neben dem Beklagten zu 2) als ihrem satzungsmäßigen Vertreter - für die Veruntreuung der vereinnahmten Treuhandgelder verantwortlich. Das LG hat der Klage gegen den Beklagten zu 2) stattgegeben, sie jedoch hinsichtlich des Beklagten zu 1) abgewiesen, weil die Voraussetzungen einer faktischen Geschäftsführung nicht vorgelegen hätten. Das OLG hat die Berufung des Beklagten zu 2) zurückgewiesen, hingegen auf die Berufung des Klägers auch den Beklagten zu 1) antragsgemäß verurteilt und im Übrigen die Revision insgesamt nicht zugelassen. Ein dagegen gerichtetes Prozesskostenhilfegesuch des Beklagten zu 2) hat der Senat - bestandskräftig - zurückgewiesen, während er auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten zu 1) dessen Revision zugelassen hat.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten zu 1) ist begründet und führt - soweit dieser verurteilt worden ist - zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hat in Bezug auf die Verurteilung des Beklagten zu 1) ausgeführt:
Der Beklagte zu 1) hafte dem Kläger gesamtschuldnerisch mit dem Beklagten zu 2) auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung, weil er spätestens seit Oktober 1993 bis zu seiner Bestellung am 21.2.1994 als faktischer Geschäftsführer der B. GmbH anzusehen sei und daher als Nebentäter i.S.d. § 266 StGB für die Veruntreuung der der Gesellschaft treuhänderisch anvertrauten Einnahmen aus dem Verkauf der I.-Tickets verantwortlich sei. Seine Stellung als faktischer Geschäftsführer ergebe sich daraus, dass er als Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter der F. GmbH, die als Mehrheitsgesellschafterin die B. GmbH beherrscht habe, selbst dominierenden Einfluss auf die Geschäftsführung der B. GmbH ausgeübt habe; denn er habe "letztlich das Sagen" im Gesamtkonzern gehabt. Faktisch habe er als Geschäftsführer der Mehrheitsgesellschafterin den Beklagten zu 2) als den satzungsmäßig bestellten Vertreter der B. GmbH entmachtet, weil dieser ihn nach dem Krisengespräch v. 14.10.1993 bei allen wesentlichen Geschäftsmaßnahmen, insb. Geldbewegungen über 5.000 DM, habe informieren müssen; darüber hinaus habe der Beklagte zu 1) später sogar eine andere Person als kommissarischen Geschäftsführer in der B. GmbH eingesetzt. Im Übrigen habe sich die B.er Gesellschaft bei den zentralen wirtschaftlichen Entscheidungen wie Preiskalkulation, Werbung und Abrechnung nach den Vorgaben der vom Beklagten zu 1) beherrschten F.er Muttergesellschaft richten müssen, die auch Abbuchungsvollmachten für die Konten der B. GmbH gehabt habe und daher ihre Forderungen intern leicht habe durchsetzen können.
II. Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil die vom Berufungsgericht aufgeführten Einzelheiten bezüglich des Verhaltens und der Stellung des Beklagten zu 1) nicht die Voraussetzungen erfüllen, unter denen von einem "faktischen Organ" gesprochen werden kann.
1. Nach der ständigen Senatsrechtsprechung kommt es für die Beurteilung der Frage, ob jemand faktisch wie ein Organmitglied gehandelt und als Konsequenz seines Verhaltens sich wie ein nach dem Gesetz bestelltes Organmitglied zu verantworten hat, auf das Gesamterscheinungsbild seines Auftretens an. Danach ist es allerdings nicht erforderlich, dass der Handelnde die gesetzliche Geschäftsführung völlig verdrängt. Entscheidend ist vielmehr, dass der Betreffende die Geschicke der Gesellschaft - über die interne Einwirkung auf die satzungsmäßige Geschäftsführung hinaus - durch eigenes Handeln im Außenverhältnis, das die Tätigkeit des rechtlichen Geschäftsführungsorgans nachhaltig prägt, maßgeblich in die Hand genommen hat (BGH, Urt. v. 25.2.2002 - II ZR 196/00, BGHZ 150, 61 [69 f.]; v. 21.3.1988 - II ZR 194/87, BGHZ 104, 44 [48] = GmbHR 1988, 299 = MDR 1988, 752).
Das hat das Berufungsgericht verkannt. Denn seinen Feststellungen lassen sich lediglich (interne) Einwirkungen und Weisungen des Beklagten zu 1) als Konzernherr "auf" die Geschäftsführung der - von der F. GmbH beherrschten - B. GmbH, nicht hingegen ein - darüber hinaus erforderliches - maßgebliches eigenes Handeln des Beklagten zu 1) mit Außenwirkung für die B. GmbH entnehmen.
So stellen die vom Berufungsgericht besonders hervorgehobenen Maßnahmen, wie die dem Beklagten zu 2) auferlegte Pflicht zur Berichterstattung bei wesentlichen Geschäftsmaßnahmen und Geldbewegungen, die angebliche spätere Entmachtung des Beklagten zu 2) als Geschäftsführer der B. GmbH, ferner die zentrale Steuerung der Werbung, der Preiskalkulation und -festsetzung sowie des Abrechnungssystems der B. GmbH und der weiteren abhängigen Gesellschaften durch die F. GmbH, lediglich gesellschafts- oder konzerninterne Einwirkungen des als Geschäftsführer der Konzernspitze handelnden Beklagten zu 1) dar, die nicht zugleich auch dessen Stellung als faktischer Geschäftsführer bei der Tochtergesellschaft begründen; das gilt selbst dann, wenn durch die Intensität der Einwirkungen der Beklagte zu 2) als deren satzungsmäßiger Geschäftsleiter zu einem "reinen" Befehlsempfänger "degradiert" worden sein sollte (BGH, Urt. v. 25.2.2002 - II ZR 196/00, BGHZ 150, 61 [69]).
Nichts anderes gilt für die Feststellung des Berufungsgerichts, die F. GmbH habe für die Konten der B. GmbH Abbuchungsvollmachten gehabt und habe daher ihre Forderungen intern leicht durchsetzen können. Auch eine solche Abrechnungsmöglichkeit verdeutlicht schon nach der eigenen Wertung des Berufungsgerichts allenfalls, "dass es sich bei der B. GmbH um eine von der F. GmbH und damit - mittelbar - vom Beklagten zu 1) abhängige Tochterfiliale gehandelt hat". Zwar mag es sein, dass - wie die Revisionserwiderung geltend macht - das Gebrauchmachen von solchen Abbuchungsvollmachten auch bestimmte Außenwirkungen im Verhältnis zur kontoführenden Bank zeitigt; indessen hat das Berufungsgericht nach dem Ergebnis der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme keine sicheren Feststellungen dazu treffen können, ob und ggf. in welchem Umfang die F. GmbH (ungerechtfertigt) zu Lasten der B. GmbH Abbuchungen von deren Konten vorgenommen hat. Dass etwa gerade der Beklagte zu 1) persönlich derartige Abbuchungen "per Hand" - noch dazu in einem die Tätigkeit des rechtlichen Geschäftsführungsorgans der B.er GmbH nachhaltig prägenden Maße - getätigt hat, steht ebenso wenig fest.
2. Da mithin ein täterschaftliches Verhalten des Beklagten zu 1) i.S.d. § 266 StGB bereits deshalb ausscheidet, weil er auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen kein faktischer Geschäftsführer der B. GmbH war, kommt es für den Erfolg der Revision nicht mehr darauf an, ob zudem - wie der Kläger rügt - eine selbstständige Tathandlung oder Unterlassung des Beklagten zu 1) i.S.d. Untreuetatbestandes sowie der für § 266 StGB mindestens erforderliche bedingte Vorsatz nicht hinreichend festgestellt worden sind.
III. Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht im Endergebnis aus anderen Gründen als richtig dar (vgl. § 561 ZPO).
Zwar ist nach dem Zusammenhang der bisherigen Feststellungen anstelle einer selbstständigen nebentäterschaftlichen Untreuehandlung des Beklagten zu 1) dessen Teilnahme als Anstifter oder Gehilfe an der vom Beklagten zu 2) als satzungsmäßigem Geschäftsführer der B. GmbH täterschaftlich begangenen Untreue und damit seine gesamtschuldnerische Verantwortlichkeit für den daraus resultierenden Schaden gem. § 830 BGB ernsthaft zu erwägen. Jedoch fehlen derzeit ausreichende Feststellungen, um die Verurteilung des Beklagten zu 1) aus diesem - offensichtlich weder von den Parteien noch vom Tatrichter in Betracht gezogenen - anderen rechtlichen Gesichtspunkt aufrechterhalten zu können.
IV. Die Sache ist daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es unter dem Aspekt einer etwaigen Teilnahme des Beklagten zu 1) an der vom Beklagten zu 2) täterschaftlich begangenen unerlaubten Handlung (§ 830 BGB i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB, § 266 StGB) - ggf. nach ergänzendem Sachvortrag der Parteien - die erforderlichen, evtl. auch die den Einwänden der Revision nachgehenden, weiteren Feststellungen treffen kann.
Fundstellen
Haufe-Index 1397859 |
BB 2005, 1867 |
DB 2005, 1787 |
DStR 2005, 1455 |
DStZ 2005, 652 |
WPg 2005, 1047 |
Inf 2005, 653 |
BGHR 2005, 1458 |
GmbH-StB 2005, 263 |
StuB 2005, 950 |
WM 2005, 1606 |
WuB 2005, 765 |
WuB 2005, 817 |
ZIP 2005, 1414 |
DZWir 2005, 518 |
BKR 2005, 417 |
GmbHR 2005, 1126 |
NJW-Spezial 2005, 412 |
return 2014, 67 |