Rn 99
Dem Gericht steht im Zusammenhang mit der Anordnung vorläufiger Maßnahmen nach Abs. 3 ebenso wie im Rahmen des § 20 die Befugnis zu, den Schuldner zwangsweise vorführen und in Haft nehmen zu lassen. Der Unterschied beider Regelungen liegt in der Zielrichtung. Während die Zwangsmaßnahmen in § 20 Satz 2 die Erfüllung der Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldners durchsetzen sollen, dienen die Zwangsmaßnahmen in § 21 Abs. 3 dem Schutz der späteren Insolvenzmasse vor gläubigerschädigenden Einwirkungen. Die erforderliche Kooperation des Schuldners bzw. seiner organschaftlichen Vertreter mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter wird wiederum durch die in § 22 Abs. 3 enthaltenen gesetzlichen Regelungen sichergestellt. Auf diese Unterscheidung ist insbesondere bei der Begründung eines Anordnungsbeschlusses zu achten. Weiterhin wird durch die gesetzliche Regelung ausdrücklich klargestellt, dass vor einer Haftanordnung der Schuldner anzuhören ist. Dies stößt zwar auf praktische Bedenken, da die massesichernden Zwecke einer Haftanordnung regelmäßig am besten durch ihren Überraschungseffekt ohne vorherige Information des Schuldners erreicht werden können, jedoch bedarf die zwangsweise Vorführung nach der gesetzlichen Regelung keines vorherigen rechtlichen Gehörs. Es besteht also die praktisch vorzugswürdige Möglichkeit, den Schuldner vorführen zu lassen und ihn nach Vorführung sogleich, ggf. im Hinblick auf eine beabsichtigte Haftanordnung, anzuhören. Soweit nach dieser Anordnung die Haft noch erforderlich und verhältnismäßig erscheint, kann diese sogleich verhängt werden. Daher ist eine Haftanordnung ohne vorherige Anhörung auch in Eilfällen nicht erforderlich und mithin unzulässig.
Rn 100
Verfahrensrechtlich ist für die Haftanordnung in Abs. 3 auf die Vorschrift des § 98 Abs. 3 verwiesen worden. Dort wiederum wird die Anwendbarkeit der §§ 802g Abs. 2, 802h und 802j ZPO geregelt. Weiterhin gilt über die Verweisungsregelung auch im Eröffnungsverfahren der Grundsatz, dass der Haftbefehl von Amts wegen aufzuheben ist, sobald die Voraussetzungen für die Haftanordnung nicht mehr vorliegen oder die Hafthöchstdauer von sechs Monaten (§ 802j Abs. 1 Satz 1 ZPO) abgelaufen ist. Dies bedingt auch im Antragsstadium eine regelmäßige von Amts wegen vorzunehmende Überprüfung der Haftvoraussetzungen durch das Insolvenzgericht. Gegen die Haftanordnung im Eröffnungsverfahren steht dem Schuldner ebenso wie im später eröffneten Verfahren das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zur Verfügung. Gleiches gilt für die Ablehnung eines Antrags auf Aufhebung des verhängten Haftbefehls wegen Wegfalls seiner Voraussetzungen. Wegen weiterer Einzelheiten vgl. die Kommentierung zu § 98 Abs. 3.
Rn 101
Im Gegensatz zu § 98 Abs. 2, in dem die Haftvoraussetzungen im eröffneten Verfahren im Einzelnen geregelt sind, spricht § 21 Abs. 3 für das Antragsverfahren nur von dem Erfordernis, dass andere Sicherungsmaßnahmen zur Verwirklichung der Zwecke des Insolvenzverfahrens nicht ausreichen. Damit ist zum Ausdruck gebracht worden, dass – wie generell bei persönlichkeits- und freiheitsrechtseinschränkenden Maßnahmen – schon unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren ist und die Maßnahme die ultima ratio darstellt. Das Insolvenzgericht muss also sorgfältig prüfen und abwägen, ob der angestrebte Erfolg nicht auch mit anderen, weniger einschneidenden Mitteln in dem erforderlichen Umfang erreicht werden kann. Als milderes Mittel kommt insbesondere eine Aufenthaltsbeschränkung in Betracht (s.o. Rdn. 22). Die Haftanordnung ist schon wegen ihrer Beschwerdefähigkeit mit nachprüfbaren Gründen zu versehen. Aus diesen sollte hervorgehen, dass dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen und die dazu erforderliche Abwägung durch das Insolvenzgericht vorgenommen wurde.
Rn 102
Schließlich enthält Abs. 3 die schon bislang selbstverständliche Klarstellung, dass bei juristischen Personen bzw. insolvenzfähigen Personenmehrheiten gem. § 11 die betreffenden Zwangsmittel gegenüber den organschaftlichen Vertretern verhängt werden können. Problematisch ist allerdings die Einbeziehung des sog. faktischen Geschäftsführers. Der Erlass einer Zwangsmaßnahme des Abs. 3 gegen ihn ist zwar grundsätzlich möglich, setzt aber die belastbare Kenntnis von Tatsachen voraus, die die Zuschreibung tragen. Im frühen Stadium eines Eröffnungsverfahrens dürfte es hieran häufig fehlen. Im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs in Freiheitsrechte durch Haftanordnung ist nicht zuletzt auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten erforderlich, dass dem Insolvenzgericht nachweisbare Tatsachen bekannt sind, welche die Stellung des Betroffenen als eines faktischen Geschäftsführers hochgradig wahrscheinlich oder gewiss erscheinen lassen. Die Anordnung von Zwangsmitteln gegen einen angeblichen faktischen Geschäftsführer dürfte also zumindest im Eröffnungsverfahren regelmäßig unzulässig sein, soweit dieser seine Stellung nicht ...