Rn 52
Der vorläufige Verwalter ohne Verfügungsbefugnis begründet grundsätzlich keine Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 2, eine (systemwidrige) Ausnahme bilden Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis i. S. v. § 55 Abs. 4 (vgl. die Kommentierung zu § 21 Rdn. 55). Die Kompetenz zur Begründung von Masseverbindlichkeiten steht nicht zur Disposition des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters. Selbst wenn er eine ausdrückliche Zahlungszusage gibt, begründet dies keine Masseverbindlichkeit. Auch eine entsprechende Anwendung von § 55 Abs. 2 kommt nicht in Betracht. Es besteht jedoch ein praktisches Bedürfnis auch die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter ohne Verfügungsbefugnis begründeten Verbindlichkeiten abzusichern, da diese ansonsten einfache Insolvenzforderungen i. S. v. § 38 darstellen. Ein Vertragspartner wird sich kaum mit der Aussicht auf den Erwerb einer Insolvenzforderung zur Mitarbeit bewegen lassen.
Rn 53
So ist regelmäßig zur Absicherung eines Massekredits im Eröffnungsverfahren die Begründung einer Masseverbindlichkeit unumgänglich. Auch kann zur Fortführung des Geschäftsbetriebes ein Investitionsbedarf bestehen oder die Vertragspartner zwingen den vorläufigen Insolvenzverwalter, die Bezahlung der im Eröffnungsverfahren in Anspruch genommenen Leistungen auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens sicherzustellen. Zwar könnte grundsätzlich auch eine unmittelbare Bezahlung von Lieferanten im Wege eines Bargeschäfts i. S. v. § 142 erfolgen, diese setzt aber eine ausreichende Liquidität voraus an der es häufig mangelt.
Zur Lösung der Problematik kann der vorläufige Verwalter eine gerichtliche Einzelermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten anregen (s. u. Rdn. 54 ff.) oder auf das sog. Treuhandkontenmodell zurückgreifen (s. u. Rdn. 62). Daneben wird vom vorläufigen Verwalter gegenüber Lieferanten häufig die Zusage abgegeben, dass die Kosten "aus der Insolvenzmasse übernommen" würden oder "durch das Insolvenzanderkonto sichergestellt" seien. Dies führt regelmäßig zur persönlichen Haftung des Verwalters, entweder aus Verschulden bei Vertragsschluss oder aus einer Garantieerklärung.
3.3.1 Einzelermächtigungen
Rn 54
Durch eine sog. Einzelermächtigung räumt das Gericht in einem Beschluss dem schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter die Möglichkeit ein, Masseverbindlichkeiten zu begründen. Die Notwendigkeit hierzu besteht insbesondere in Fällen, in denen vorübergehend keine ausreichende Liquidität zur unmittelbaren Befriedigung zur Verfügung steht. Die Qualifizierung als Masseverbindlichkeit führt zu einer sehr weitgehenden Absicherung. Die Forderung ist im eröffneten Verfahren vorrangig zu berichtigen (§ 53) und für den Fall, dass die Forderung nicht voll aus der Masse erfüllt werden kann, gewährt § 61 einen Ausgleichsanspruch gegen den vorläufigen Insolvenzverwalter. Tritt jedoch während des Eröffnungsverfahrens Masseunzulänglichkeit ein, gilt die Rangfolge des § 209 Abs. 1 mit der Folge, dass sämtliche Verfahrenskosten und Masseverbindlichkeiten, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, vorrangig zu befriedigen sind.
Rn 55
Die Einzelermächtigung findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 21 Abs. 1, 22 Abs. 2 und ist durch die Rechtsprechung des BGH ausgeformt worden. Demnach kann eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 2 nur von dem vorläufigen Verwalter, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergegangen ist, begründet werden. Das Insolvenzgericht kann aber den vorläufigen Insolvenzverwalter auch ohne begleitendes allgemeines Verfügungsverbot dazu ermächtigen, einzelne, im Voraus genau festgelegte Verpflichtungen zu Lasten der späteren Insolvenzmasse einzugehen, soweit dies für eine erfolgreiche Verwaltung nötig ist. Für eine solche Einzelermächtigung müssen zunächst die allgemeinen Anordnungsvoraussetzungen für vorläufige Maßnahmen nach § 21 Abs. 1 vorliegen, mithin insbesondere: zulässiger Insolvenzantrag, Gefährdung des Schuldnervermögens und Verhältnismäßigkeit (vgl. die Kommentierung bei § 21 Rdn. 5 ff.). Hinzu kommen die besonderen Anordnungsvoraussetzungen, die sich aus der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und im Hinblick auf die Notwendigkeit einer klaren Abgrenzung von Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten ergeben:
- hinreichende Bestimmtheit der einzugehenden Verpflichtungen im Voraus,
- Notwendigkeit zur Begründung der Masseverbindlichkeit für eine erfolgreiche Verwaltung,
- Praktikabilität,
- Erfüllbarkeit nach Verfahrenseröffnung.
Bei der Erteilung der Einzelermächtigungen muss das Gericht sicherstellen, dass zum einen die Steuerung des Ablaufs des Eröffnungsverfahrens nicht auf den Verwalter übertragen wird und zum anderen die Vertragspartner hinreichend geschützt sind. Unter Umstän...