Rn 29
Mit dem MoMiG wurde das verstreut geregelte Kapitalersatzrecht abgeschafft und jegliche Gesellschafterdarlehen i.w.S. unabhängig von dem Kriterium einer wirtschaftlichen Krise der Gesellschaft in den Nachrang gestellt. Seitdem ist in der Literatur streitig, welche dogmatische Grundlage diese Nachrangregelung und die korrespondierende Anfechtungsregel des § 135 Abs. 1 hat, die keine qualifizierenden Voraussetzungen mehr erfordern. Nach dem klaren Willen des Gesetzgebers sollte sich jedoch die materielle Begründung nicht verändern. Die durch die neue pauschale Regelung aufgeworfenen Schwierigkeiten sind durch ergänzende Auslegung zu lösen.
Rn 30
Bis zur Neuregelung waren lediglich kapitalersetzende Gesellschafterleistungen nachrangig. Ein Darlehen i.w.S. war kapitalersetzend, wenn ein Gesellschafter der Gesellschaft das Darlehen zu einem Zeitpunkt gewährt, in dem die Gesellschafter als ordentliche Kaufleute (anstelle eines Darlehens) Eigenkapital zugeführt hätten (Krise der Gesellschaft). Begründet wurde diese Nachrangregelung mit der Finanzierungsfolgenverantwortung des Gesellschafters. Wenn der Gesellschafter in der Krise statt Eigenkapital zuzuführen lediglich ein Darlehen gewährte, hatte er das Darlehen stehen zu lassen und durfte sich nicht vorrangig befriedigen. Die Finanzierung des Gesellschafters in der Krise durfte also konsequenterweise nicht vorrangig wieder abgezogen werden; der Gesellschafter trug die sogenannte "Finanzierungsfolgenverantwortung", die im Insolvenzverfahren den Nachrang der Rückzahlungsforderungen und vor Beginn des Insolvenzverfahrens ein Verbot der Rückzahlungen begründete.
Rn 31
Die Neuregelung des Rechts der Gesellschafterfinanzierung weicht von der bisherigen Rechtspraxis deutlich ab, indem sie pauschal alle Gesellschafterdarlehen i.w.S. dem Nachrang unterstellt und vollständig auf das früher für die Differenzierung wesentliche Kriterium des Eigenkapitalersatzcharakters verzichtet (doppelte Pauschalierung). Die Neuregelung hat im Wesentlichen zwei Regelungskomplexe.
Rn 32
1. Rückzahlungen auf Gesellschafterdarlehen sind innerhalb eines Jahres vor dem Insolvenzantrag ohne weitere Differenzierung anfechtbar nach § 135. Es kommt insbesondere nicht mehr darauf an, ob die Gesellschaft sich zum Zeitpunkt der Rückzahlung bereits in einer Krise befand, was bisher die dogmatische Grundlage für die Inkriminierung dieser Zahlungen war. Gerade hier stellt sich in den Details wie beispielsweise der Besicherung von Gesellschafterdarlehen die bis heute im Wesentlichen ungeklärte Frage nach der normativen Begründung dieser Veränderung.
Rn 33
2. Im Insolvenzverfahren werden Darlehen i.w.S. eines Gesellschafters – ebenfalls ohne weitere Differenzierung – als nachrangig zurückgestuft (subordiniert). Der Gesetzgeber begründet diese pauschale Rückstufung damit, dass der pauschale Nachrang international verbreiteten Regelungsmustern entspreche und der Rechtspraxis die Anwendung erheblich erleichtere. Eine materielle Begründung fehlt. Nach Auffassung des Gesetzgebers war eine neue Begründung auch entbehrlich; die neue Regelung sollte keine inhaltlichen Abweichungen von der bisherigen Praxis bringen. Der darlehensgewährende Gesellschafter werde "nicht schlechter gestellt, denn auch bisher waren stehen gelassene Altdarlehen in aller Regel ab Eintritt der Krise – also schon im Vorfeld der Insolvenz – als kapitalersetzend umqualifiziert". An anderer Stelle in der Begründung zum Regierungsentwurf heißt es lapidar "in der Insolvenz ist das Darlehen sowieso nachrangig gestellt". Die Änderung sollte also ausweislich des Gesetzeszweckes die Anwendung vereinfachen und im Übrigen das Schutzniveau und die Begründung des bisherigen Rechts beibehalten.
Rn 34
Tatsächlich aber geht der unbedingte Nachrang über das vorher bestehende Schutzniveau hinaus. Nach früherem Recht waren nicht alle Gesellschafterdarlehen i.w.S. im Insolvenzverfahren nachrangig. Gesellschafterleistungen waren insbesondere nicht eigenkapitalersetzend, wenn ein Darlehen vor der Krise gewährt worden und der Gesellschafter vertraglich verpflichtet war, das Darlehen bis zum Ablauf einer Frist über den Beginn der Krise hinaus stehen zu lassen. Dann beruhte sein "Stehenlassen" nicht auf einer eigenen Finanzierungsentscheidung des Gesellschafters; es ergäbe insofern keinen Unterschied, ob das Darlehen von einem Gesellschafter oder einem gesellschaftsfremden Dritten gewährt worden wäre. Auch wenn selbst ein fremder Dritter ein Darlehen nicht zurückgefordert hätte – beispielsweise bei einer vollwertigen Besicherung – war eine Gesellschafterleistung nicht kapitalersetzend. Mit diesen (im Einzelnen streitigen) Differenzierungen hat der Gesetzgeber offensichtlich übersehen, dass die Neuregelung nicht nur die Anwendung erleichtert, sondern zu materiellen Unterschieden im Ergebnis führt. Das gilt um so mehr bei der undifferenzierten Anfechtungsmöglichkeit in § 135 Abs. 1.