Dr. Jürgen Blersch, Prof. Dr. Eberhard von Olshausen
Rn 5
Die persönliche Gesellschafterhaftung für die genannten Verbindlichkeiten kann während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden (sog. integriertes gemeinschaftliches Inkassoverfahren). Zu diesem Zweck verlieren einerseits die Insolvenzgläubiger in der Gesellschaftsinsolvenz die Befugnis, gegenüber den Gesellschaftern die persönliche Haftung geltend zu machen (Sperrwirkung), bleiben aber ebenso wie bei § 92 materiell Anspruchsinhaber. Andererseits entsteht die Einziehungsbefugnis beim Insolvenzverwalter, der die Ansprüche treuhänderisch für die Gläubiger geltend macht (Ermächtigungswirkung). Obwohl § 93 der Verhinderung eines Gläubigerwettlaufs dient, treten die Sperrwirkung und die Ermächtigungswirkung auch dann ein, wenn nur ein einziger Gläubiger "vorhanden" ist bzw. am Insolvenzverfahren teilnimmt, dem Ansprüche gegen einen Gesellschafter zustehen. Denn es lässt sich praktisch nie mit völliger Sicherheit ausschließen, dass sich doch noch ein zweiter Gläubiger meldet, und zum anderen wäre es misslich, wenn die Klage des Verwalters mangels Prozessführungsbefugnis als unzulässig abgewiesen werden müsste, weil die eingeklagten Haftungsforderungen sich bis auf eine als unbegründet erweisen.
Wie bei § 92 tritt die Sperrwirkung, nicht aber die Ermächtigungswirkung auch gegenüber einem Gläubiger ein, der sich nicht am Insolvenzverfahren gegen die Gesellschaft beteiligt.
Die Sperrwirkung äußert sich in einer Klage- und Vollstreckungssperre für die Insolvenzgläubiger hinsichtlich ihrer Haftungsansprüche gegen die Gesellschafter. Eine gleichwohl erhobene Klage ist wegen fehlender Prozessführungsbefugnis als unzulässig abzuweisen. Bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits rechtshängige Verfahren werden unterbrochen. Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, z.B. aus einem vom Insolvenzgläubiger bereits vor Verfahrenseröffnung erwirkten Titel, kann sowohl der Insolvenzverwalter als auch der betroffene Gesellschafter mittels Vollstreckungserinnerung (§ 766 ZPO) begegnen. Eine vom Insolvenzgläubiger veranlasste Pfändung begründet nach der herrschenden (gemischt) privatrechtlich-öffentlich-rechtlichen Pfändungspfandrechtstheorie wegen des gravierenden Vollstreckungshindernisses des § 93 kein Pfändungspfandrecht. Die Ermächtigungswirkung zugunsten des Insolvenzverwalters umfasst selbstverständlich auch die Befugnis, die Haftungsansprüche gegen einen Gesellschafter klageweise geltend zu machen, aus einem so oder auf andere Weise erlangten Titel zu vollstrecken und die Haftungsansprüche in einem etwaigen parallelen Insolvenzverfahren gegen einen Gesellschafter anzumelden und zu verfolgen. Etwaige von Gesellschaftsgläubigern vor Eröffnung der Gesellschaftsinsolvenz gegen haftende Gesellschafter erlangte Titel kann der Verwalter analog § 727 ZPO auf sich umschreiben lassen.
Rn 6
Obwohl die Gesellschaftsgläubiger materiell-rechtlich Inhaber der von § 93 betroffenen Forderungen bleiben, also keine cessio legis zugunsten der "Masse" oder des Insolvenzverwalters stattfindet, ist der Verwalter zu einem Vergleich über die ihm zur Einziehung zugewiesenen Forderungen und in dessen Rahmen zu einem (Teil-)Erlass dieser Forderungen berechtigt. Dies ist die Konsequenz einer sinnvoll verstandenen Befugnis zur (auch gerichtlichen) "Geltendmachung"; die materiell-rechtlich beim einzelnen Gesellschaftsgläubiger verbleibende Verfügungsbefugnis steht dem nicht entgegen. Für hinreichenden Schutz der Gesellschaftsgläubiger sorgen der Grundsatz der Unwirksamkeit insolvenzzweckwidriger Rechtshandlungen und eine drohende Schadensersatzpflicht des Verwalters nach § 60. Die Einziehungs- und Prozessführungsbefugnis des Verwalters sowie seine daraus folgende Befugnis zum Abschluss eines Vergleichs- oder Erlassvertrags schließen aber nicht das Recht des Gesellschaftsgläubigers zu einem Erlass der ihm materiell-rechtlich noch zustehenden Haftungsforderung aus. Ein solcher Erlass vermindert zwar den in die Masse der Gesellschaft fließenden Betrag, verringert aber nicht die Insolvenzquote der übrigen Gesellschaftsgläubiger, dies – entgegen Brandes – auch dann nicht, wenn auch über das Vermögen des Gesellschafters das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Die Verringerung der Masse wird dadurch wettgemacht, dass der verzichtende Gläubiger bei der Verteilung des Betrages nicht berücksichtigt wird, den der Insolvenzverwalter aufgrund der Haftungsansprüche anderer Gesellschaftsgläubiger von dem durch den Erlass begünstigten Gesellschaftsgläubiger erlangt. Von dem Verlust, den der auf seinen Haftungsanspruch verzichtende Gesellschaftsgläubiger auf diese Weise erleidet, profitieren wegen der Verringerung der in der Gesellschafterinsolvenz zu berücksichtigenden Schuldenmasse sowohl die Privatgläubiger des Gesellschafters als auch die übrigen Gesellschaftsgläubiger, und zwar beide Gläubigergruppen proportional zur Höhe der für sie zu berücksichtigenden Forderungsb...