Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG
Leitsatz (amtlich)
§ 1 Absatz 3 Nummer 1 des Grunderwerbsteuergesetzes vom 29. März 1940 (Reichsgesetzblatt I S. 585) ist nichtig, soweit er der Vereinigung aller Anteile der Gesellschaft in der Hand des Erwerbers allein die Vereinigung „in der Hand des Erwerbers und seines Ehegatten oder seiner Kinder” gleichstellt.
Normenkette
GG Art. 2-3, 6; GrEStG § 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Umsatz von Grundstücken unterliegt der Grunderwerbsteuer nach dem – als Landesrecht weitergeltenden – Reichsgesetz vom 29. März 1940 – RGBl I S. 585 – (GrEStG). Besteuert wird grundsätzlich der Wechsel des (rechtlichen) Eigentums an einem Grundstück. Der Steuer unterliegen jedoch auch gewisse Konzentrationsvorgänge bei Gesellschaften mit Grundstücksbesitz; die Vereinigung der Gesellschaftsanteile in einer Hand wird steuerlich behandelt, wie wenn das der Gesellschaft gehörende Grundstück selbst in das Eigentum des nunmehrigen Alleingesellschafters übergegangen wäre. Als Anteilsvereinigung in einer Hand gilt es aber auch, wenn sämtliche Gesellschaftanteile in die Hand des Erwerbers und seines Ehegatten oder seiner Kinder gelangt sind; diese werden insoweit mit ihm zusammen als eine Person angesehen.
§ 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG lautet (soweit hier einschlägig): „Gehört zum Vermögen einer Gesellschaft (Beispiele: … Gesellschaft mit beschränkter Haftung …) ein inländisches Grundstück, so unterliegen der Steuer außerdem:
1. ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung eines oder mehrerer Anteile der Gesellschaft begründet, wenn durch die Übertragung alle Anteile der Gesellschaft in der Hand des Erwerbers allein oder in der Hand des Erwerbers und seines Ehegatten oder seiner Kinder … vereinigt werden würden;”
Entscheidungsgründe
II.
1. An einer im Jahre 1953 gegründeten Wohnbau-GmbH mit einem Stammkapital von 20000 DM waren von Anfang an beteiligt:
der Vater des Beschwerdeführers mit 14000 DM,
seine Ehefrau, die Mutter des Beschwerdeführers, mit 5000 DM,
ihre Mutter, die Großmutter des Beschwerdeführers, mit 1000 DM.
Die Gesellschaft erwarb 1954 ein Grundstück und errichtete darauf ein Gebäude. Im Jahre 1956 trat die Großmutter dem damals bereits volljährigen Beschwerdeführer ihren Anteil für 250 DM ab; gleichzeitig überließ ihm auch die Mutter einen Teil ihres Anteils in Höhe von 2000 DM. Somit waren nunmehr beteiligt:
der Vater des Beschwerdeführers mit 14000 DM,
die Mutter des Beschwerdeführers mit 3000 DM,
der Beschwerdeführer mit 3000 DM.
Das Finanzamt sah durch die Abtretung des Anteils der Großmutter an den Beschwerdeführer den Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG als erfüllt an und zog den Beschwerdeführer (als einen von mehreren Gesamtschuldnern) zur Steuer heran.
Einspruch, Berufung und Rechtsbeschwerde des Beschwerdeführers waren erfolglos
2. Die Verfassungsbeschwerde rügt Verletzung der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG durch die angegriffenen Entscheidungen.
Sie will zunächst nachweisen, daß der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG nicht erfüllt sei: „Erwerber” sei bei dem steuerauslösenden Rechtsgeschäft der Beschwerdeführer, der weder Ehegatten noch Kinder besitze. Sein Vater sei an dem Rechtsgeschäft nicht beteiligt gewesen, könne also auch nicht „Erwerber” sein. Auslegung gegen den klaren Gesetzeswortlaut sei Willkür.
Unterstelle man aber, daß die Auslegung der Finanzbehörden und -gerichte zutreffend, die Steuerpflicht also gegeben sei, so seien die Beteiligten wegen des zwischen ihnen bestehenden Verwandtschaftsverhältnisses benachteiligt; die Steuerpflicht entstünde nicht, wenn sie nicht verwandt wären. Darin liege eine Verletzung der Art. 3 Abs. 1 und 6 Abs. 1 GG.
Ein Mißbrauch des Verwandtschaftsverhältnisses zum Zwecke der Steuerumgehung habe nicht vorgelegen; die Wohnbau-GmbH sei von Anfang an eine reine Familiengesellschaft gewesen und habe das Grundstück erst nach ihrer Errichtung erworben.
3. Der Bundesminister der Finanzen hat mitgeteilt, daß die Bundesregierung von einer Äußerung absehe. Auf mündliche Verhandlung ist verzichtet.
III.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet.
1. Wäre die Bestimmung des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG so auszulegen, wie der Beschwerdeführer will, so träfe sie den vorliegenden Fall überhaupt nicht. Die behauptete Grundrechtsverletzung könnte dann jedenfalls nicht im Gesetz liegen (vgl. BVerfGE 9, 124 [126 f], 7, 45 [50]).
Die Erwägungen, mit denen der Bundesfinanzhof die Auslegung des Finanzamts und des Finanzgerichts gebilligt hat, erscheinen jedoch zutreffend: Das Gesetz will offensichtlich die Steuerpflicht an die Anteilsvereinigung in einer Hand knüpfen. Der letzte Erwerbsvorgang, durch den die Vereinigung vollendet wird, löst zwar die Steuerpflicht aus; es kann aber nicht darauf ankommen, wer gerade bei diesem Akt als Erwerber auftritt, sondern nur darauf, daß durch ihn die Anteilsvereinigung vollzogen ist. Die einzelnen Erwerbsvorgänge hinsichtlich der Gesellschaftsanteile werden steuerrechtlich als eine Einheit betrachtet, bei der der Ehemann (Vater) als „Erwerber” erscheint. Steuerschuldner sind demgemäß auch alle (an der Anteilsvereinigung, nicht bloß am letzten Anteilserwerb) Beteiligten: § 15 Nr. 5 GrEStG.
Auch sonst sind gegen die steuerrechtliche Auslegung der Bestimmung durch den Bundesfinanzhof keine Bedenken zu erheben; auf das Alter der „Kinder”, auf den Güterstand der Ehegatten, auf das Vorliegen einer Umgehungsabsicht kommt es nicht an.
2. Die Besteuerung der Anteilsvereinigung ist als solche verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Wer, statt ein Grundstück zu erwerben, alle Anteile der Gesellschaft erwirbt, der das Grundstück gehört, wird wirtschaftlich Eigentümer des Grundstücks. Es ist gerecht, ihn wie einen Grundstückserwerber zur Grunderwerbsteuer heranzuziehen. Erwirbt er die Anteile nacheinander, so wird beim Erwerb des letzten Anteils die Steuerpflicht für die übrigen Erwerbsvorgänge „nachgeholt”.
3. Das Gesetz läßt aber die Steuerpflicht bereits eintreten, wenn die Anteile sämtlich in die Hand des Erwerbers und seines Ehegatten oder seiner Kinder gelangt sind. Während also nach der Regel des Gesetzes keine Steuerpflicht entsteht, solange nur noch wenigstens zwei Personen Gesellschafter sind, tritt die Steuerpflicht ein, wenn die beiden alleinigen Anteilseigner miteinander verheiratet sind oder wenn nur noch Eltern und Kinder (gleichviel in welcher Zahl) beteiligt sind. Das enge Familienband wirkt mithin als solches steuerbegründend; es kommt nicht darauf an, ob die Familienmitglieder in wirtschaftlicher Gemeinschaft leben oder voneinander in irgendeinem Sinn abhängig sind. Auch wenn erwachsene Kinder, die längst wirtschaftlich selbständig sind, mit ihren Eltern zusammen alle Anteile erwerben, entsteht die Steuerpflicht.
4. Die Bestimmung ist insoweit mit Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar. Sie benachteiligt Ehegatten gegenüber Unverheirateten, die Familie (Eltern und Kinder) gegenüber Nichtverwandten, indem sie eine Steuerpflicht statuiert, die ohne das Familienband nicht einträte. Die Benachteiligung knüpft an die Ehe und an das Eltern-Kind-Verhältnis an. Damit ist jedenfalls der spezielle Schutzgedanke des Art. 6 Abs. 1 GG verletzt; einer Heranziehung des Art. 3 Abs. 1 GG bedarf es nicht mehr (vgl. dazu BVerfGE 6, 55 [71, 82] und Beschluß vom 20. März 1963 – 1 BvL 20/61 – unter C 1).
5. Ein sachgerechter Grund für diese Benachteiligung der Familie ist nicht erkennbar. Er müßte in dem Nachweis bestehen, daß es berechtigt sei, d.h. der in der Regel gegebenen wirtschaftlichen Lage entspreche, Ehegatten sowie Eltern und Kinder als Personeneinheit anzusehen die die Gesellschaftsanteile und damit die Grundstücke der Gesellschaft gewissermaßen gesamthänderisch zu Eigentum habe. Dieser Beweis ist nicht zu führen.
Als gesetzgeberisches Motiv für die Besteuerung wird stets nur das zwischen diesen Personen regelmäßig bestehende „nahe persönliche Verhältnis” und die damit gegebene (erhöhte) Gefahr von Steuerumgehungen angegeben (vgl. etwa RFH 41, 295 f). Das ist aber kein zureichender sachlicher Grund:
a) Das „nahe persönliche Verhältnis” könnte allenfalls zur Rechtfertigung herangezogen werden, wenn es notwendig oder doch typischerweise eine Wirtschaftsgemeinschaft oder eine wirtschaftliche Abhängigkeit mit sich führte, wodurch die Familienangehörigen mit einer gewissen Zwangsläufigkeit in die Rolle unselbständiger „Strohmänner” des Ehemanns oder Vaters gedrängt würden. Das entspricht aber weder der Gestaltung der Rechtsbeziehungen nach bürgerlichem Recht noch läßt sich sagen, daß mit einer solchen Behauptung die heute in den meisten Fällen tatsächlich bestehende Lage richtig gekennzeichnet wäre. In der Ehe bleiben die Vermögen der Ehegatten getrennt; das gesetzliche Güterrecht begründet keine Gemeinschaft des Eigentums; hinsichtlich der Substanz der Vermögensmassen sind Eheleute zu behandeln, wie wenn sie unverheiratet wären (BVerfGE 13, 290 und [308] und Beschluß vom 20. März 1963 unter C 2). Erst recht gilt dies alles im Verhältnis von Eltern und volljährigen Kindern. Sie sind wie der Ehegatte rechtlich unbeschränkt Herren ihrer Anteile; daß sie ihre Interessen grundsätzlich denen des Ehemanns und Vaters unterordneten, läßt sich aus der Erfahrung nicht belegen. Im übrigen stellt, wie bemerkt, das Grunderwerbsteuergesetz selbst nicht darauf ab, ob die Ehegatten oder die Eltern mit den Kindern zusammenleben oder -wirtschaften.
Umgekehrt kann wirtschaftliche Gemeinschaft und Abhängigkeit bestehen, ohne daß die Steuerpflicht eintritt, so vor allem, wenn Familienangehörige zusammenleben, die nicht in dem vom Gesetz bezeichneten Verwandtschaftsverhältnis stehen; das zeigt gerade der vorliegende Fall: die Großmutter des Beschwerdeführers, die weder Vermögen noch nennenswertes Einkommen besaß, war von dem Hauptgesellschafter, ihrem Schwiegersohn, wirtschaftlich abhängiger als der Beschwerdeführer. Trotzdem hätte eine Anteilsvereinigung bei Vater, Mutter und Großmutter des Beschwerdeführers keine Steuerpflicht entstehen lassen. Die Einführung einer „teilweisen steuerlichen Gütergemeinschaft” gerade zwischen Ehegatten oder zwischen Eltern und Kindern steht also im Widerspruch mit der allgemeinen Rechtsordnung und läßt sich auch nicht mit zwingenden wirtschaftlichen Erwägungen begründen.
b) Die Gefahr der Steuerumgehung mag naheliegen, wenn die an einem wirtschaftlichen Erfolg Interessierten miteinander verwandt sind. Sie ist aber kaum geringer, wenn die Anteilseigner in anderen als gerade den im Gesetz genannten Verwandtschafts- öder in bloßen Freundschaftsverhältnissen stehen oder sonst aus irgendeinem Grund gemeinsame wirtschaftliche Interessen verfolgen. Auch der Bundesfinanzhof räumt ein, daß das Gesetz nicht alle Umgehungsmöglichkeiten erfasse. Es ist Sache der Verwaltung zu beweisen, daß im Einzelfall eine Steuerumgehung durch Mißbrauch rechtlicher Formen und Gestaltungsmöglichkeiten (§ 6 Steueranpassungsgesetz) vorgelegen habe. In § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG wird, um der Verwaltung diesen Beweis zu ersparen, die Umgehungsabsicht unwiderleglich vermutet, obwohl sie in zahlreichen Fällen sicherlich nicht vorliegt; auch im vorliegenden Fall bestand sie nicht, wie der Beschwerdeführer unwidersprochen dargelegt hat. Darin, daß diese Vermutung gerade und ausschließlich an bestimmte enge familienrechtliche Beziehungen anknüpft, liegt die mit Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbare Diskriminierung der Familie. Sie mit unabdingbaren Notwendigkeiten einer geordneten Steuerverwaltung zu rechtfertigen, ist nicht möglich. Die Vorschrift dient lediglich der Vereinfachung und Erleichterung der Veranlagung; die gesetzlichen Möglichkeiten zur Bekämpfung von Steuerumgehungen müssen aber als ausreichend angesehen werden, um die wirklich besteuerungswürdigen Fälle zu erfassen (vgl. auch BVerfGE 13, 290 [315 f.]).
c) Mit der Erwägung des Bundesfinanzhofs, es handele sich nicht um eine Zusammenveranlagung wie bei der Einkommensteuer, sondern um eine Verkehrsteuervorschrift zur Verhinderung von Steuerumgehungen, läßt sich die Bestimmung nicht halten. Es kommt nur auf die Tatsache der Diskriminierung an; auf welche Weise sie zustande kommt, ist gleichgültig (Beschluß vom 20. März 1963 unter C 1).
6. Nach dem Gesagten enthält § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG, soweit er hier zur Prüfung steht, eine diskriminierende Ausnahmebestimmung zuungunsten von Ehegatten und von Eltern und Kindern; da ein sachgerechter Grund dafür fehlt, kann sie vor der Verfassung keinen Bestand haben.
Der Beschwerdeführer ist als „Kind des Erwerbers” im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG zur Steuer herangezogen worden. Das Finanzamt konnte aber eine steuerauslösende Anteilsvereinigung nur deshalb annehmen, weil es auch die Eltern des Beschwerdeführers in ihrer Eigenschaft als Ehegatten bereits als eine Person ansah. Die Bestimmung muß also, auch soweit sie sich auf Ehegatten bezieht, für nichtig erklärt werden. Damit ist die Rechtsgrundlage der angegriffenen Entscheidungen entfallen.
Fundstellen
BStBl I 1963, 620 |
BVerfGE, 203 |
NJW 1963, 1598 |