Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Frage, ob § 52 Abs. 6 Satz 1 und Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der bis einschließlich 1998 gültigen Fassung des Steuerreformgesetzes 1990 vom 25. Juli 1988 (BGBl I S. 1093) insofern gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes verstieß, als die darin getroffene Regelung für die Veranlagungszeiträume 1988 bis 1992 die Bildung von Rückstellungen für die Verpflichtung zu einer Zuwendung anlässlich eines Dienstjubiläums (Jubiläumsrückstellungen) im Sinne des § 5 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes untersagte und für schon gebildete Rückstellungen dieser Art die gewinnerhöhende Auflösung anordnete
Leitsatz (amtlich)
Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an gesetzliche Begrenzungen der Maßgeblichkeit der handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung für die steuerrechtliche Gewinnermittlung.
Leitsatz (redaktionell)
Eine steuergesetzliche Abweichung von der Maßgeblichkeit des handelsrechtlichen Vorsichtsprinzips auch für die steuerrechtliche Gewinnermittlung verletzt nur dann das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Gebot folgerichtiger Ausgestaltung steuergesetzlicher Belastungsentscheidungen, wenn die einfachgesetzliche „Ausnahmevorschrift” als willkürlich zu bewerten ist. Dies folgt jedenfalls bei Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten aus der grundsätzlichen steuergesetzlichen Disponibilität des einfachgesetzlichen Maßgeblichkeitsgrundsatzes und insbesondere aus der speziell handelsrechtlichen Zielsetzung des Vorsichtsprinzips. Dessen steuergesetzliche Geltungsbeschränkung lässt das Gebot, die Einkommensteuer an der finanziellen Leistungsfähigkeit auszurichten, unberührt und widerspricht auch nicht den Anforderungen an eine folgerichtige Ausgestaltung des Maßstabs der einkommensteuerrechtlichen Nettobesteuerung.
Normenkette
EStG § 5 Abs. 4, § 52 Abs. 6 Sätze 1-2; EStG 1990 §§ 2, 5 Abs. 1 S. 1; StRG 1990; HGB § 249 Abs. 1 S. 1; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
§ 52 Absatz 6 Satz 1 und Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der bis einschließlich 1998 gültigen Fassung des Steuerreformgesetzes 1990 vom 25. Juli 1988 (Bundesgesetzblatt I Seite 1093) war mit dem Grundgesetz vereinbar.
Tatbestand
A.
Die Vorlage betrifft die Frage, ob § 52 Abs. 6 Satz 1 und Satz 2 EStG in der bis einschließlich 1998 gültigen Fassung des Steuerreformgesetzes 1990 (StRG 1990) vom 25. Juli 1988 (BGBl I S. 1093) – im Folgenden auch: EStG a.F. – insofern gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstieß, als die darin getroffene Regelung für die Veranlagungszeiträume 1988 bis 1992 die Bildung von Rückstellungen für die Verpflichtung zu einer Zuwendung anlässlich eines Dienstjubiläums (Jubiläumsrückstellungen) untersagte und für schon gebildete Rückstellungen dieser Art die gewinnerhöhende Auflösung anordnete.
I.
1. a) Bis zum Inkrafttreten des Steuerreformgesetzes vom 25. Juli 1988 (BGBl I S. 1093) beurteilte sich die Frage, ob und in welcher Weise der Arbeitgeber Zuwendungen für Dienstjubiläen seiner Arbeitnehmer und vergleichbare Gratifikationen in der Form von bilanziellen Rückstellungen bereits vor ihrer Auszahlung gewinnmindernd berücksichtigen kann, nach den allgemein für Rückstellungen geltenden Regeln.
Rückstellungen haben die Aufgabe, künftige Aufwendungen, die am Bilanzstichtag dem Grunde oder der Höhe nach noch nicht „sicher” festzustellen sind, sondern erst in einer späteren Periode zu einer nach Bestand, Höhe und Fälligkeit feststehenden Ausgabe führen, der Periode ihrer wirtschaftlichen Verursachung zuzurechnen. Die Bildung von Rückstellungen in der Handelsbilanz war bis zum Jahr 1985 in § 152 Abs. 7 AktG (1965) und ist seit 1986 in § 249 HGB (eingefügt durch das Bilanzrichtlinien-Gesetz vom 19. Dezember 1985, BGBl I S. 2355) geregelt. Die Regelungen zur Bildung von Rückstellungen insbesondere wegen „ungewisser Verbindlichkeiten” (§ 249 Abs. 1 Satz 1 HGB) gehören zu den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung, die nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG grundsätzlich auch für die steuerrechtliche Gewinnermittlung maßgeblich sind (Lambrecht, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, Bd. 6, § 5 Rn. D 23 ≪Mai 1993≫; Weber-Grellet, in: Schmidt, Einkommensteuergesetz, 28. Aufl. 2009, § 5 Rn. 351 ff.).
b) Der Bundesfinanzhof hat die Zulässigkeit von Rückstellungen für Jubiläumszuwendungen im Laufe der Zeit unterschiedlich beurteilt:
In seinem Urteil vom 19. Juli 1960 – I 160/59 U – (BStBl III 1960 S. 347 = BFHE 71, 264) hat er die Anerkennung derartiger Rückstellungen mit der Begründung versagt, die Verpflichtung, bei Arbeitnehmer-Jubiläen Zuwendungen zu gewähren, rechtfertige keine Ausnahme von der Regel, Rechte und Pflichten aus schwebenden Verträgen bilanzmäßig nicht auszuweisen. Derartige Zuwendungen seien Teil der künftigen Lohnzahlungen und daher als Aufwand des Jahres zu behandeln, in dem sie getätigt würden. Später, in seinem Urteil vom 18. März 1965 – IV 116/64 U – (BStBl III 1965 S. 289 = BFHE 82, 119), stellte der Bundesfinanzhof darauf ab, ob die Zusage in erster Linie dazu diene, den Arbeitnehmer an den Betrieb zu binden. In diesem Fall werde durch jede einzelne Zusage ein aktivierungspflichtiges Wirtschaftsgut geschaffen, das mit dem für den Zeitpunkt der Zusage sich ergebenden Wert der zu passivierenden Verbindlichkeiten anzusetzen und in den Jahren von der Zusage bis zur vereinbarten Fälligkeit der Verbindlichkeit abzuschreiben sei. In seinem Urteil vom 7. Juli 1983 – IV R 47/80 – (BStBl II 1983 S. 753 = BFHE 139, 154) nahm der Bundesfinanzhof aus Anlass einer besonders gelagerten Sachverhaltskonstellation neu differenzierend zur bilanziellen Behandlung zugesagter Gratifikationen Stellung: Dort hatte die Arbeitgeberin ihren Arbeitnehmern zu Weihnachten 1974 durch schriftlich erteilte Einzelzusagen eine einmalige Tantieme in Gestalt der Verteilung eines Betrages von insgesamt 100.000 DM versprochen, wobei sich die Höhe der Tantieme im individuellen Einzelfall nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit und der Höhe des durchschnittlichen Monatsverdienstes im Streitjahr 1974 richten sollte. Ausgezahlt werden sollte die Tantieme jedoch grundsätzlich – mit Ausnahmeregeln für Fälle des Todes und der Invalidität – erst am 31. Dezember 1981 an die dann dem Betrieb angehörenden Arbeitnehmer. Mit Blick darauf, dass in diesem Fall die zugesagte Gratifikation neben der weiteren Betriebstreue wesentlich auch nach in der Vergangenheit schon verwirklichten Kriterien (erreichte Lohnhöhe und Dauer der Betriebszugehörigkeit) bestimmt wurde, bejahte der Bundesfinanzhof eine Pflicht zum Ansatz einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten unter Berücksichtigung eines Abschlags vom zugesagten Nennbetrag für Personalfluktuation und für Zinsen.
In Fortentwicklung dieser Rechtsprechung hielt der Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 5. Februar 1987 – IV R 81/84 – (BStBl II 1987 S. 845 = BFHE 149, 55) die Bildung einer Rückstellung für eine ungewisse Verbindlichkeit allgemeiner auch dann für erforderlich, wenn die Sonderzahlung des Arbeitgebers im Hinblick auf künftige während einer bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit zu erbringende Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers versprochen wurde und der Arbeitnehmer solche Leistungen teilweise schon vor dem Bilanzstichtag erbracht hatte, da für den Arbeitgeber ein Erfüllungsrückstand bestehe, dem durch die Bilanzierung einer Rückstellung Rechnung getragen werden müsse.
c) Mit Erlass vom 28. Dezember 1987 (IV B 2 – S 2137 – 50/87 –, BStBl I 1987, S. 770) ordnete das Bundesministerium der Finanzen an, dass es im Hinblick auf eine mögliche Gesetzesänderung nicht zu beanstanden sei, wenn – entgegen der Rechtslage nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 5. Februar 1987 (BStBl II 1987 S. 845 = BFHE 149, 55) – in der Steuerbilanz eine Jubiläumsrückstellung nicht oder nicht in voller Höhe ausgewiesen werde, es sei denn, dass die Zusage rechtsverbindlich in schriftlicher Form erteilt sei und dem Berechtigten für jeden Fall der vorzeitigen Beendigung des Dienstverhältnisses mindestens ein entsprechender Teil der Zuwendung zustehe.
2. Der Gesetzgeber fügte mit dem Steuerreformgesetz 1990 vom 25. Juli 1988 (BGBl I S. 1093) zwei Normen in das Einkommensteuergesetz ein, die die Bildung von Jubiläumsrückstellungen in sachlicher und zeitlicher Hinsicht begrenzten:
§ 5 Abs. 4 EStG
Rückstellungen für die Verpflichtung zu einer Zuwendung anlässlich eines Dienstjubiläums dürfen nur gebildet werden, wenn das Dienstverhältnis mindestens zehn Jahre bestanden hat, das Dienstjubiläum das Bestehen eines Dienstverhältnisses von mindestens 15 Jahren voraussetzt und die Zusage schriftlich erteilt ist.
§ 52 Abs. 6 EStG
Rückstellungen für die Verpflichtung zu einer Zuwendung anlässlich eines Dienstjubiläums dürfen nur gebildet werden, soweit der Zuwendungsberechtigte seine Anwartschaft nach dem 31. Dezember 1992 erwirbt. Bereits gebildete Rückstellungen sind in den Bilanzen des nach dem 30. Dezember 1988 endenden Wirtschaftsjahrs und der beiden folgenden Wirtschaftsjahre mit mindestens je einem Drittel gewinnerhöhend aufzulösen.
Wesentlicher Hintergrund für diese dem Bundesverfassungsgericht vorgelegte Regelung des § 52 Abs. 6 EStG a.F. war die Befürchtung, es werde ohne die Neuregelung infolge der Möglichkeit, Rückstellungen für in der Vergangenheit erteilte Zusagen im Anschluss an die neue Rechtsprechung nachzuholen (vgl. BFH BStBl II 1987, 845 = BFHE 149, 55; BStBl II 1998, 443 = BFHE 185, 492; Loose, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, Bd. 4, § 5 Rn. 1832), zu erheblichen Steuerausfällen, möglicherweise bis zu 5 Milliarden DM, kommen (so Anders, INF 1987, S. 463 ≪464≫, zu entsprechenden Schätzungen des BMF; vgl. auch Mathiak, StuW 1987, S. 253 ≪256≫). Zwar hatte bereits die Entscheidung des Bundesfinanzhofs aus dem Jahr 1983 (BStBl II 1983 S. 753 = BFHE 139, 154) offenbar dazu geführt, dass insbesondere etliche Großunternehmen vermehrt steuerbilanzielle Rückstellungen für Jubiläumszuwendungen bildeten (vgl. Dunker, Arbeitnehmerjubiläumsrückstellungen als Sozialaufwand in Handels- und Steuerbilanz, 1991, S. 200, 202 ff.). In der Praxis der Finanzverwaltung blieb es jedoch bei deren grundsätzlicher Nichtanerkennung. Allerdings wurde angenommen, dass es durch die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung zu Auswirkungen auf die Gewinnbesteuerung kam, über deren Ausmaß keine genaueren Informationen vorlagen (vgl. zum Ganzen: Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Häfele vom 16. Juni 1987, BTDrucks 11/503, S. 6; Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP vom 19. April 1988 – Entwurf eines Steuerreformgesetzes 1990, BTDrucks 11/2157, S. 126; Protokoll der 25. Sitzung des Rechtsausschusses vom 8. Juni 1988, S. 25/15 ff.).
II.
1. Im Ausgangsverfahren begehren die Kläger, zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute, die Anerkennung einer den Gewinn aus Gewerbebetrieb mindernden Rückstellung für eine Jubiläumszusage für das Streitjahr 1988. Der Kläger hatte den Arbeitnehmern seines Dienstleistungsunternehmens eine solche Zusage im Jahr 1981 durch Aushang am Schwarzen Brett bekanntgemacht. Das Finanzamt ließ im Einkommensteuerbescheid 1988 auf der Grundlage des § 52 Abs. 6 EStG in der Fassung des Steuerreformgesetzes 1990 eine Zuführung zur Rückstellung per 31. Dezember 1988 nicht zu und löste die bereits in den Vorjahren gebildete Rückstellung in Höhe eines Drittels auf. Die dagegen gerichtete Sprungklage wies das Finanzgericht (Urteil vom 3. Februar 1995 – 3 K 304/89 E – EFG 1995, 724) als unbegründet ab.
2. Im Revisionsverfahren legte der X. Senat des Bundesfinanzhofs dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Prüfung vor, ob § 52 Abs. 6 Satz 1 und Satz 2 EStG in der Fassung des Steuerreformgesetzes 1990 mit dem Rückstellungsverbot für die Jahre 1988 bis 1992 und dem Auflösungsgebot für vorangehend gebildete Jubiläumsrückstellungen gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstieß.
a) Nach Überzeugung des vorlegenden X. Senats verstieß die Regelung insofern gegen Art. 3 Abs. 1 GG, als sie eine Gruppe von Normadressaten, nämlich diejenigen, die, wie der Kläger des Ausgangsverfahrens, für die Zeit zwischen 1988 und 1992 Jubiläumsrückstellungen gebildet hätten, im Vergleich zu anderen Normadressaten benachteilige. Sowohl gegenüber Steuerpflichtigen, die derartige Rückstellungen außerhalb dieses Zeitraums bildeten, als auch gegenüber Normadressaten, die innerhalb dieses Zeitraums wirtschaftlich vergleichbare Rückstellungen nach allgemeinen Grundsätzen bilden konnten, fehle es an Unterschieden von solcher Art und solchem Gewicht, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten. Der Unterschied zu den Normadressaten der ersten Fallgruppe sei rein zeitlicher Art und sachlich nicht begründet; auch gegenüber der zweiten Fallgruppe (etwa Steuerschuldner, die Rückstellungen für Verpflichtungen aus Treueprämien gebildet hätten, die nicht an ein Dienstjubiläum gebunden seien) fehle ein sachlich relevanter Unterschied, weil Jubiläumsrückstellungen sämtliche Voraussetzungen erfüllten, die gemäß § 5 Abs. 1 EStG in Verbindung mit § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB zur Bildung solcher Passivposten berechtigten und verpflichteten. Demgemäß habe der Bundesfinanzhof mit seinem Urteil vom 5. Februar 1987 – IV R 81/84 – (BStBl II 1987 S. 845 = BFHE 149, 55) nicht etwa eine völlig neue Rechtslage geschaffen, sondern in einem letzten Schritt die höchstrichterliche Rechtsprechung der überwiegenden Meinung im Schrifttum angepasst.
Der Gesetzgeber habe einen die Ungleichbehandlung rechtfertigenden Grund nicht erkennen lassen. Im Gegenteil bestätigten die uneingeschränkte Duldung von Jubiläumsrückstellungen bis 1987 einschließlich und ihre ausdrückliche, in § 5 Abs. 4 EStG a.F. nur an bestimmte zusätzliche Voraussetzungen geknüpfte Billigung ab 1993, dass auch der gesetzlichen Regelung die prinzipielle Gleichwertigkeit von Jubiläumsrückstellungen und sonstigen Rückstellungen wegen ungewisser Verbindlichkeiten zu Grunde liege. Ein rechtfertigender Differenzierungsgrund sei nicht ersichtlich. Insbesondere haushaltsrechtliche Erwägungen seien für sich allein nicht geeignet, die gleichheitswidrige Differenzierung zu rechtfertigen.
b) Die gesetzliche Vorschrift verstoße darüber hinaus gegen das Gebot der steuerrechtlichen Belastungsgleichheit als spezielle Ausformung des Art. 3 Abs. 1 GG im Steuerrecht. Für die verfassungsrechtliche Prüfung sei von der gesetzgeberischen Grundentscheidung in § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB in Verbindung mit § 5 Abs. 1 EStG auszugehen, wonach alle Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten, die handelsrechtlichen Anforderungen entsprächen, steuerrechtlich zu berücksichtigen seien. Die zwischenzeitliche völlige Nichtberücksichtigung stelle ebenso einen Systembruch dar wie das Gebot, Rückstellungen dieser Art aufzulösen. Dies sei zugleich ein Verstoß gegen das einkommensteuerrechtliche Nettoprinzip, nach dem nur das Nettoeinkommen (Erwerbseinnahmen abzüglich der Erwerbsaufwendungen und der existenzsichernden Aufwendungen) besteuert werde, und damit auch ein Verstoß gegen das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.
III.
Zu der Vorlage haben sich das Bundesministerium der Finanzen für die Bundesregierung, der I. Senat des Bundesfinanzhofs sowie die Kläger des Ausgangsverfahrens geäußert.
1. Das Bundesministerium der Finanzen hält die im Vorlagebeschluss vertretene Auffassung für unbegründet, weil dieser auf einem unzutreffenden Verständnis des verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstabs beruhe. Mit der gesetzlichen Regelung des § 52 Abs. 6 EStG a.F. sei der Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit nicht verletzt worden. Der Gesetzgeber sei – ungeachtet der von ihm selbst angenommenen Passivierungspflicht – berechtigt gewesen, aus finanzpolitischen Erwägungen heraus ein befristetes Passivierungsverbot zu statuieren.
2. Der I. Senat des Bundesfinanzhofs teilt nicht die verfassungsrechtlichen Bedenken des X. Senats gegenüber der Regelung des § 52 Abs. 6 EStG a.F. Bereits der Hinweis des Gesetzgebers auf die hinsichtlich der Rechtsprechungsänderung des Bundesfinanzhofs befürchteten Steuerausfälle lasse diese Regelung nicht willkürlich erscheinen. Mit der Entscheidung, Rückstellungen für bestimmte Jahre nicht und danach – eingeschränkt – wieder zuzulassen, habe der Gesetzgeber sein Ermessen nicht überschritten, denn für unterschiedliche Haushaltsjahre dürften aus haushalts- und konjunkturpolitischen Gründen unterschiedliche Regelungen getroffen werden. Stets sei zu beachten, dass bei tatsächlicher Zahlung der Jubiläumszuwendung der Betriebsausgabenabzug möglich sei.
3. Die Kläger des Ausgangsverfahrens schließen sich den Ausführungen des vorlegenden X. Senats des Bundesfinanzhofs an. Der Gesetzgeber habe sich für den Betriebsvermögensvergleich mit der Wirkung entschieden, dass Schulden bereits im Zeitpunkt ihrer wirtschaftlichen Verursachung und nicht erst im Zeitpunkt ihrer Bezahlung steuerlich erfasst würden. Hierdurch werde die tatsächliche wirtschaftliche Belastung der Steuerpflichtigen zutreffend abgebildet, was dem verfassungsrechtlichen Gebot einer realitätsgerechten Erfassung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entspreche. Der Ausweis von Rückstellungen habe erhebliche Auswirkungen auf die Zins- und Liquiditätssituation eines Unternehmens. Dem Gesetzgeber sei es zwar unbenommen, die Einkommensbesteuerung insgesamt auf eine Zufluss-Abfluss-Rechnung umzustellen, doch könne er im Einzelfall zwischen beiden Systemen nicht beliebig hin- und herwechseln. Die entscheidende Frage, ob die Haushaltslage einen Rechtfertigungsgrund abgebe, sei im Vorlagebeschluss zutreffend verneint worden.
Entscheidungsgründe
B.
§ 52 Abs. 6 Satz 1 und Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der bis einschließlich 1998 gültigen Fassung des Steuerreformgesetzes 1990 vom 25. Juli 1988 (BGBl I S. 1093) war mit dem Grundgesetz vereinbar.
I.
§ 52 Abs. 6 Satz 1 und Satz 2 EStG a.F. verstieß nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
1. a) Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 116, 164 ≪180≫; stRspr). Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen (BVerfGE 110, 412 ≪431≫; 116, 164 ≪180≫). Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (stRspr; vgl. BVerfGE 110, 274 ≪291≫; 112, 164 ≪174≫; 116, 164 ≪180≫). Für die Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen kommt es wesentlich darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann (stRspr; vgl. BVerfGE 112, 164 ≪174≫). Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen (stRspr; vgl. BVerfGE 105, 73 ≪111≫; 107, 27 ≪45 f.≫; 112, 268 ≪279≫).
b) Im Bereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum (vgl. BVerfGE 93, 121 ≪136≫; 107, 27 ≪47≫; 117, 1 ≪30≫). Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert, wird hier, insbesondere im Bereich des Einkommensteuerrechts, vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit (vgl. BVerfGE 105, 73 ≪125≫; 107, 27 ≪46 f.≫; 116, 164 ≪180≫; 117, 1 ≪30≫). Danach muss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit (vgl. BVerfGE 84, 239 ≪268 ff.≫) darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedrigerer Einkommen angemessen sein muss (vgl. BVerfGE 82, 60 ≪89≫; 99, 246 ≪260≫; 107, 27 ≪46 f.≫; 116, 164 ≪180≫). Bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands muss die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt werden. Ausnahmen von einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes (vgl. BVerfGE 99, 88 ≪95≫; 99, 280 ≪290≫; 105, 73 ≪126≫; 107, 27 ≪47≫; 116, 164 ≪180 f.≫; 117, 1 ≪31≫).
c) Die für die Lastengleichheit im Einkommensteuerrecht maßgebliche finanzielle Leistungsfähigkeit bemisst der einfache Gesetzgeber nach dem objektiven und dem subjektiven Nettoprinzip. Danach unterliegt der Einkommensteuer grundsätzlich nur das Nettoeinkommen, nämlich der Saldo aus den Erwerbseinnahmen einerseits und den (betrieblichen/beruflichen) Erwerbsaufwendungen sowie den (privaten) existenzsichernden Aufwendungen andererseits.
Das Bundesverfassungsgericht hat bisher offen gelassen, ob das objektive Nettoprinzip, wie es in § 2 Abs. 2 EStG zum Ausdruck kommt, Verfassungsrang hat (zuletzt BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 9. Dezember 2008 – 2 BvL 1/07 u.a. –, NJW 2009, 48 ≪51≫); jedenfalls aber kann der Gesetzgeber dieses Prinzip beim Vorliegen gewichtiger Gründe durchbrechen und sich dabei generalisierender, typisierender und pauschalierender Regelungen bedienen (vgl. BVerfGE 81, 228 ≪237≫; 107, 27 ≪48≫ m.w.N.). Hiernach entfaltet schon das einfachrechtliche objektive Nettoprinzip Bedeutung vor allem im Zusammenhang mit den Anforderungen an hinreichende Folgerichtigkeit bei der näheren Ausgestaltung der gesetzgeberischen Grundentscheidungen. Die Beschränkung des steuerlichen Zugriffs nach Maßgabe des objektiven Nettoprinzips als Ausgangstatbestand der Einkommensteuer gehört zu diesen Grundentscheidungen, so dass Ausnahmen von der folgerichtigen Umsetzung der mit dem objektiven Nettoprinzip getroffenen Belastungsentscheidung eines besonderen, sachlich rechtfertigenden Grundes bedürfen (vgl. BVerfGE 99, 280 ≪290≫; 107, 27 ≪48≫).
2. Von diesen Maßstäben ausgehend ist ein Verstoß der Regelung des § 52 Abs. 6 Satz 1 und Satz 2 EStG a.F. gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht festzustellen. Zwar weicht die Regelung von dem allgemeinen Grundsatz ab, dass für die steuerliche Gewinnermittlung das handelsrechtliche Vorsichtsprinzip maßgeblich ist (a), jedoch unterliegt diese Abweichung jedenfalls bei Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten lediglich den verfassungsgerichtlich zurückhaltend zu kontrollierenden Anforderungen des Willkürverbots (b). In sachlicher Hinsicht bewegt sich die Regelung willkürfrei innerhalb eines weiten gesetzlichen Gestaltungsspielraums, auch in zeitlicher Hinsicht fehlen Anhaltspunkte für verfassungswidrige Ungleichbehandlungen (c).
a) Mit dem Rückstellungsverbot und dem Auflösungsgebot des § 52 Abs. 6 Satz 1 und Satz 2 EStG a.F. hat der Gesetzgeber die in § 5 Abs. 1 EStG angeordnete Maßgeblichkeit handelsrechtlicher Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung für die steuerliche Gewinnermittlung (Maßgeblichkeitsgrundsatz) eingeschränkt, denn nach diesen Grundsätzen waren, wie der Bundesfinanzhof mit seinem Urteil vom 5. Februar 1987 – IV R 81/84 – (BStBl II 1987 S. 845 = BFHE 149, 55) entschieden hat, für zugesagte Zuwendungen aus Anlass eines Dienstjubiläums in der Zeit zwischen Zusage und Auszahlung der Zuwendung in der Bilanz anteilige Beträge als Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten (§ 249 Abs. 1 Satz 1 HGB) anzusetzen. Da die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung zu den Rückstellungen eine spezifische Ausprägung des handelsrechtlichen Vorsichtsprinzips sind, bedeutet diese Einschränkung des Grundsatzes der Maßgeblichkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG inhaltlich eine Abweichung von diesem handelsrechtlichen Prinzip.
b) Eine steuergesetzliche Abweichung der vorliegenden Art von der Maßgeblichkeit des handelsrechtlichen Vorsichtsprinzips auch für die steuerrechtliche Gewinnermittlung verletzt nur dann das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Gebot folgerichtiger Ausgestaltung steuergesetzlicher Belastungsentscheidungen, wenn sich kein sachlicher Grund für diese Abweichung finden lässt, die einfachgesetzliche „Ausnahmevorschrift” also als willkürlich zu bewerten ist. Dies folgt jedenfalls bei Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten aus der grundsätzlichen steuergesetzlichen Disponibilität des einfachgesetzlichen Maßgeblichkeitsgrundsatzes und insbesondere aus der speziell handelsrechtlichen Zielsetzung des Vorsichtsprinzips. Dessen steuergesetzliche Geltungsbeschränkung lässt das Gebot, die Einkommensteuer an der finanziellen Leistungsfähigkeit auszurichten, unberührt und widerspricht auch nicht den Anforderungen an eine folgerichtige Ausgestaltung des Maßstabs der einkommensteuerrechtlichen Nettobesteuerung.
aa) Das gleichheitsrechtliche Gebot der Folgerichtigkeit begrenzt die Befugnis des (Steuer-)Gesetzgebers, die zentralen Fragen gerechter Belastungsverteilung weitgehend ungebunden zu entscheiden. Das Verfassungsrecht, namentlich die Grundrechte der Steuerpflichtigen, bilden hier lediglich einen allgemeinen Rahmen für die weitgehende Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Bei der Ausgestaltung seiner Verteilungsentscheidungen binden jedoch die verfassungsrechtlichen Anforderungen an Folgerichtigkeit und Verhältnismäßigkeit die Ausübung der gesetzgeberischen Freiheit an ein hinreichendes Maß an Rationalität und Abgewogenheit. Soweit darüber hinaus „überzeugende” dogmatische Strukturen durch eine systematisch konsequente und praktikable Tatbestandsausgestaltung entwickelt werden müssen, bleibt dies der Gesetzgebung und der Fachgerichtsbarkeit überlassen. Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, die „Richtigkeit” von Lösungen komplexer dogmatischer Streitfragen, wie sie für manche Bereiche des Steuerbilanzrechts und jedenfalls für den Bereich der Rückstellungen typisch sind, zu kontrollieren und zu gewährleisten.
bb) Zu den nicht ohne weiteres verfassungsrechtlich erheblichen Einzelregelungen bei der Ausgestaltung von Steuertatbeständen gehören Entscheidungen des Steuergesetzgebers zur Begrenzung des Grundsatzes der Maßgeblichkeit und zur Bildung von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten nach dem handelsrechtlichen Vorsichtsprinzip.
Der Grundsatz des § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG, wonach bei der steuerbilanziellen Gewinnermittlung „das Betriebsvermögen anzusetzen” ist, „das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist”, verdankt seine Existenz seit jeher nicht primär Überlegungen zur gerechten Verteilung von Steuerlasten, sondern beruht in erster Linie – als Instrument zur Vermeidung einer sonst notwendigen zweifachen Rechnungslegung – auf Gründen der Praktikabilität der unternehmerischen Gewinnermittlung (Schneider, DB 1970, S. 1697; Stobbe, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, Bd. 4, § 5 Rn. 71 ≪August 2003≫; Mathiak, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, Bd. 5, § 5 Rn. A 117 ≪Oktober 1991≫; Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 19. Aufl. 2008, § 17 Rn. 43, S. 712). Als Konsequenz der nur beschränkten Übereinstimmungen zwischen den Zielhorizonten von Handels- und Steuerbilanz, wurde und wird der allgemeine gesetzliche Maßgeblichkeitsgrundsatz – seit der im Kern dem aktuellen Recht entsprechenden Regelung des § 5 Abs. 1 EStG 1934 (RGBl I S. 1005) – durch einen weitgehenden allgemeinen Vorbehalt begleitet (§ 5 Abs. 6 EStG): „Die Vorschriften über die Entnahmen und die Einlagen, über die Zulässigkeit der Bilanzänderung, über die Betriebsausgaben, über die Bewertung und über die Absetzung für Abnutzung oder Substanzverringerung sind zu befolgen.” Diese Regelung wird – neben der Sonderregelung von Jubiläumsrückstellungen in § 5 Abs. 4 EStG – ergänzt durch weitere spezielle Einschränkungen des Maßgeblichkeitsgrundsatzes insbesondere in § 5 Abs. 2 und Abs. 3 EStG (näher etwa Mathiak, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, Bd. 5, § 5 Rn. A 132 ff. und A 160 ≪Oktober 1991≫). Im historischen Rückblick wie auch gegenwärtig erweist sich die Maßgeblichkeit der handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung nicht etwa als eine strikte, einmal getroffene Belastungsgrundentscheidung des Gesetzgebers, sondern als eine entwicklungsoffene Leitlinie.
Noch weniger lässt sich speziell die Maßgeblichkeit des handelsrechtlichen Vorsichtsprinzips für die Bildung von Rückstellungen in der Steuerbilanz als eine grundlegende Entscheidung des Gesetzgebers über eine steuergerechte Lastenverteilung deuten. Das Prinzip des „vorsichtigen” Gewinnausweises, nach dem Erträge – erst – im Zeitpunkt der Realisation, Verluste dagegen – schon – zum Zeitpunkt ihrer wirtschaftlichen Verursachung anzusetzen sind, dient in erster Linie dem Schutz außenstehender Gläubiger, und gerade im Hinblick auf die Antizipation nur wahrscheinlicher zukünftiger Vermögensminderungen durch die Bildung gewinnmindernder Rückstellungen gibt es gute Gründe zu bezweifeln, dass die aktuelle bilanzielle Gewinnminderung mit einer Minderung auch der aktuellen finanziellen Leistungsfähigkeit einhergeht (dazu Schulze-Osterloh, DStJG 23 ≪2000≫, S. 67 ≪72 ff.≫ m.w.N. zum Streitstand in der steuerrechtlichen Literatur). Jedenfalls betreffen Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer Rückstellung ausschließlich den maßgeblichen Zeitpunkt der einkommensteuerrechtlichen Berücksichtigung eines gewinnmindernden Aufwands, also das Wann, nicht das Ob der Besteuerung. Der maßgebliche Zeitpunkt lässt sich aber nicht mit Hilfe des Maßstabs wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit oder des objektiven Nettoprinzips bestimmen. Das wird durch den Vergleich mit der für die Überschusseinkünfte geltenden Regelung bestätigt. Dort, wie auch für die Gewinnermittlung durch Überschussrechnung gemäß § 4 Abs. 3 EStG, kommt es nach § 11 EStG, im Gegensatz zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1, § 5 EStG, grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Zu- und Abflusses von Einnahmen und Ausgaben an.
Freilich kann sich der Unterschied zwischen den maßgeblichen Zeitpunkten der steuerlichen Berücksichtigung des Aufwands durch die Jährlichkeit der progressiven Einkommensbesteuerung unterschiedlich auf die steuerliche Belastung auswirken – positiv oder negativ, je nach unterschiedlichen Schwankungen der Höhe von Überschuss oder Gewinn und insbesondere je nach der Entwicklung des Steuersatzes. Zudem können sich durch den Ansatz von Rückstellungen auch erhebliche Zins- und Liquiditätsvorteile gleichsam als Steuerstundungseffekt ergeben. Solche Wirkungen entsprechen jedoch nicht dem Zweck steuerrechtlicher Anerkennung von Rückstellungen. Es handelt sich um Nebeneffekte, die unter dem Gesichtspunkt gleicher Steuerbelastung nach finanzieller Leistungsfähigkeit gerade mit Blick auch auf die Überschusseinkünfte ihrerseits einer Rechtfertigung bedürfen. Diese ist vor allem in Zielen der Praktikabilität der Besteuerung zu suchen.
Hiernach bewirkt das Rückstellungsverbot weder eine relevante Abweichung von einer verfassungsrechtlich gebotenen Besteuerung nach finanzieller Leistungsfähigkeit noch eine Durchbrechung des (einfachgesetzlichen) objektiven Nettoprinzips, das grundsätzlich für Gewinn- und Überschusseinkunftsarten gleichermaßen gilt. Diese belastungsrelevanten Grundentscheidungen verhalten sich vielmehr gegenüber dem untergeordneten allgemeinem Grundsatz der Maßgeblichkeit der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung und dem speziellen der Maßgeblichkeit des handelsrechtlichen Vorsichtsprinzips regelmäßig neutral.
c) Die zeitlich begrenzte Aufrechterhaltung der bis zur Fortentwicklung der Rechtsprechung durch das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 5. Februar 1987 – IV R 81/84 – (BStBl II 1987 S. 845 = BFHE 149, 55) geübten langjährigen höchstrichterlich angeleiteten Gesetzesanwendungspraxis war weder in sachlicher noch in zeitlicher Hinsicht willkürlich.
aa) Es kann offen bleiben, ob die vom Gesetzgeber verfolgten fiskalischen Gründe angesichts der seinerzeit zu befürchtenden erheblichen Einnahmenausfälle und der zeitlich befristeten Geltung des Rückstellungsverbots für sich genommen bereits als hinreichend sachlich oder sonstwie einleuchtend im Sinne der Willkürformel zu werten sind. Jedenfalls objektiv werden die ausdrücklichen gesetzgeberischen Gründe für die Rückstellungsregeln durch weitere sachliche Gründe ergänzt. Nur soweit es um die Berücksichtigung spezifischer „außerfiskalischer” Lenkungs- und Förderungszwecke von Steuergesetzen geht, kommt es für die verfassungsrechtliche Würdigung darauf an, ob und wieweit solche Zwecke von erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidungen getragen werden (stRspr; vgl. m.w.N. zuletzt BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 9. Dezember 2008 – 2 BvL 1/07 u.a. –, NJW 2009, S. 48 ≪50≫).
Der Gesetzgeber hat mit dem Verbot, Rückstellungen für Jubiläumszuwendungen in den Jahren 1988 bis 1992 zu bilden, und dem Gebot, bereits gebildete Rückstellungen zeitlich über drei Jahre gestreckt von 1988 bis 1990 aufzulösen, die jahrzehntelange, auf der älteren höchstrichterlichen Finanzrechtsprechung beruhende Verwaltungspraxis für weitere fünf Jahre fortgeführt. Unabhängig davon, ob die neuere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs vor allem mit dem Urteil im Jahr 1987 als ein deutlicher Gewinn an systematischer Klarheit und Konsistenz zu begrüßen ist, verbietet sich die Annahme, die Gründe jener älteren Rechtsprechung für die Unzulässigkeit von Jubiläumsrückstellungen seien willkürlich im verfassungsrechtlichen Sinn.
Weder ist das allgemeine Verbot der Bilanzierung schwebender Geschäfte, auf das der Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 19. Juli 1960 – I 160/59 U – (BStBl III 1960 S. 347 ≪348≫ = BFHE 71, 264 ≪265 f.≫) abgestellt hat, als überhaupt nicht „einleuchtender”, nicht „sachlicher” Grund für das Verbot einer Jubiläumsrückstellung zu werten, noch kann umgekehrt die Heranziehung der Denkfigur eines „Erfüllungsrückstands” in dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 5. Februar 1987 – IV R 81/84 – (BStBl II 1987 S. 845 ≪847≫ = BFHE 149, 55 ≪59≫) zur Begründung zeitlich anteiliger Passivierung der Verpflichtung aus einer Jubiläumszusage als verfassungsrechtlich zwingend angesehen werden. Für das Willkürverbot kommt es nicht auf einen Mangel an dogmatisch „überzeugenden” oder systematisch „richtigen” Gründen an, sondern auf den offenkundigen Mangel an jeglicher Sachlichkeit des Grundes (stRspr; vgl. BVerfGE 99, 367 ≪389≫).
Angesichts einer höchstrichterlich begründeten, willkürfreien langjährigen Praxis der Gesetzesanwendung bewegte sich die Reaktion des Gesetzgebers auf die Hinwendung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur grundsätzlichen Anerkennung von Jubiläumsrückstellungen im Jahr 1987, als deren Folge erhebliche Einnahmenausfälle zu erwarten waren, innerhalb seines weiten Gestaltungsspielraums. Er durfte nicht zuletzt auch zum Schutz fiskalischer Interessen die alte Rechtspraxis durch ein befristetes Rückstellungsverbot und ein begleitendes Auflösungsgebot zunächst – bis zum Geltungsbeginn einer grundsätzlichen gesetzlichen Neugestaltung der Rechtslage – aufrechterhalten. Entgegen den Ausführungen des vorlegenden Gerichts lässt auch die Abfolge von zeitlich befristetem Rückstellungsverbot von 1988 bis 1992, Auflösungsgebot in den Jahren 1988 bis 1990 und Zulassung beschränkter Rückstellungsbildung ab dem Jahr 1993 eine willkürliche Widersprüchlichkeit der rechtlichen Qualifikation der betroffenen Rückstellungen nicht erkennen. Der Gesetzgeber hat sich vielmehr vor dem Hintergrund einer wenig übersichtlichen tatsächlichen Rückstellungspraxis in den vorangegangenen Jahren der Phase des Abwartens auf den Ausgang von Musterprozessen (oben A. I. 2.) für eine strenge sachliche Gleichbehandlung aller noch nicht erfüllten Jubiläumszusagen als Ausgangspunkt für die Anwendung einer grundsätzlichen Neuregelung entschieden und durch die zeitliche Erstreckung der angeordneten Auflösung auf drei Jahre die Belastungswirkungen für die Betroffenen gedämpft. Anhaltspunkte dafür, dass hierdurch die Grenzen seines weiten Gestaltungsspielraums überschritten wären, sind nicht ersichtlich.
bb) Auch in zeitlicher Hinsicht führt die gestufte gesetzgeberische Reaktion auf die Änderung der höchstrichterlichen Finanzrechtsprechung nicht zu einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Dieselben Gründe, die es ausschließen, eine willkürliche inhaltliche Widersprüchlichkeit aus der zeitlichen Abfolge der gestuften gesetzgeberischen Reaktion auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs abzuleiten, schließen auch die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG in zeitlicher Hinsicht aus.
Grundsätzlich folgt aus Art. 3 Abs. 1 GG kein Anspruch auf eine zukünftig gleichbleibende Rechtslage. Die Änderungsbefugnis des Gesetzgebers wird zwar durch rechtsstaatlich und grundrechtlich begründete Rückwirkungsverbote und Gebote abgewogenen Vertrauensschutzes begrenzt. Der allgemeine Gleichheitssatz schränkt jedoch diese Befugnis des Gesetzgebers über ein dem Willkürverbot entsprechendes allgemeines Sachlichkeitsgebot hinaus nicht ein. Dies hat die Rechtsprechung insbesondere zu sogenannten Stichtagsregelungen herausgestellt, die trotz gewisser Härten grundsätzlich zulässig sind. Deren Einführung und die Wahl des Zeitpunkts müssen sich am gegebenen Sachverhalt orientieren und damit sachlich vertretbar sein (vgl. BVerfGE 101, 239 ≪270≫; 117, 272 ≪301 f.≫).
Danach bestehen auch in zeitlicher Hinsicht keine gleichheitsrechtlichen Bedenken gegen die vorgelegten Regelungen: Der Beginn des Rückstellungsverbots und des Auflösungsgebots im Jahr 1988 war die unmittelbare Reaktion auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs im Jahr 1987, und das Ende des Verbots zum Zeitpunkt des Anwendungsbeginns der Neuregelung ab dem Jahr 1993 entsprach den Interessen an einer haushaltsschonenden Bewältigung der Rechtslage. Dieses fiskalische Interesse an der befristeten Aufrechterhaltung einer willkürfreien „alten” Rechtslage verbunden mit dem Ziel, eine einheitliche, gleichheitsstiftende Ausgangslage für die Neuregelung zu schaffen, liefert hinreichende sachliche Gründe für die damit verbundenen Ungleichbehandlungen in der Zeit.
II.
Die zur Überprüfung gestellte Regelung des § 52 Abs. 6 Satz 1 und Satz 2 EStG a.F. enthielt keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung, die das Prinzip des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt. Dabei kann eine genauere Zuordnung zu der herkömmlichen Rechtsprechung zur sogenannten echten und unechten Rückwirkung (vgl. BVerfGE 97, 67 ≪78 f.≫; 101, 239 ≪263 f.≫; 109, 133 ≪181 f.≫) vorliegend offen bleiben. Es fehlt an einem in jedem Fall erforderlichen schutzwürdigen betätigten Vertrauen, das durch die Neuregelung hätte enttäuscht werden können.
Der Gesetzgeber hat durch das am 3. August 1988 in Kraft getretene Steuerreformgesetz 1990 die Rechtslage mit Wirkungen auch für die Vergangenheit so geregelt, wie sie bis zur Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Jubiläumsrückstellungen durch das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 5. Februar 1987 – IV R 81/84 – (BStBl II 1987 S. 845 = BFHE 149, 55) nach der Rechtsanwendungspraxis maßgeblich war; ein berechtigtes Vertrauen auf eine hiervon abweichende Rechtslage konnten die Steuerpflichtigen nicht bilden; ein solches Vertrauen hatte angesichts der weit gefassten gesetzlichen Grundlagen und der langjährigen Rechtsprechung und Verwaltungspraxis weder vor noch nach der Fortentwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Jahr 1987 eine Grundlage.
Der Bundesfinanzhof verneinte im Jahr 1960 die Zulässigkeit der Bildung von Rückstellungen für Jubiläumszusagen eindeutig (BStBl III 1960 S. 347 = BFHE 71, 264). Die Entscheidung im Jahr 1983, in der die Bildung von Rückstellungen für die Zusage einer Gratifikation dem Grunde nach bestätigt wurde, betraf einen außergewöhnlichen Spezialfall (BStBl II 1983 S. 753 = BFHE 139, 154; dazu oben, A. I. 1. b≫). Erst die Entscheidung vom 5. Februar 1987 – IV R 81/84 – (BStBl II 1987 S. 845 = BFHE 149, 55) vollzog den entscheidenden Schritt zur grundsätzlichen Zulässigkeit und Pflicht zur Bildung von Rückstellungen für Jubiläumszusagen im Hinblick auf künftige während einer bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit zu erbringende Arbeitsleistungen. In diesem Zeitraum konnte sich ein schutzwürdiges Vertrauen nicht bilden.
Vertrauensschutz konnte auch nicht entstehen, weil eine Rechtsprechungsänderung aufgrund erheblicher Änderungen der tatsächlichen oder rechtlichen Rahmenbedingungen offensichtlich geboten und erwartbar gewesen wäre (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 15. Oktober 2008 – 1 BvR 1138/06 –, HFR 2009, S. 187 ff.). Die Fortentwicklung der Rechtsprechung im Urteil des Bundesfinanzhofs vom 5. Februar 1987 – IV R 81/84 – (BStBl II 1987 S. 845 = BFHE 149, 55) war lediglich Ausdruck einer veränderten rechtlichen Einschätzung, die zwar in der Literatur weithin begrüßt, aber auch kritisch diskutiert wurde (vgl. Mathiak, StuW 1987, S. 253 ≪256 f.≫; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 5. Aufl. 1987, § 249 HGB Rn. 97; Müller-Gatermann, FR 1987, S. 228 f.; Kupsch, DB 1989, S. 53 ff.).
Vertrauensschutz konnte auch nicht in dem Zeitraum zwischen der Veröffentlichung des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 5. Februar 1987 und dem am 25. Juli 1988 verabschiedeten und am 3. August 1988 in Kraft getretenen Steuerreformgesetz 1990 entstehen, da bei objektiver Betrachtung nicht mit dem Fortbestand der nunmehr vom Bundesfinanzhof klargestellten Rechtslage gerechnet werden konnte. Zwar erlaubte das Bundesministerium der Finanzen die allgemeine Anwendung des Urteils und die Bildung von Jubiläumsrückstellungen, hielt es jedoch im Hinblick auf die geplante Gesetzesänderung, auf die es bereits in seinem Schreiben vom 28. Dezember 1987 ausdrücklich hinwies, nicht für beanstandungswürdig, wenn – entgegen der vom Bundesfinanzhof festgestellten Passivierungspflicht – Jubiläumsrückstellungen in der Steuerbilanz nicht ausgewiesen würden (vgl. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 28. Dezember 1987 – IV B 2 – S 2137 – 50/87 –, BStBl I S. 770).
III.
Die Regelung des § 52 Abs. 6 Satz 1 und Satz 2 EStG a.F. führte auch unter dem Aspekt der Übermaßbesteuerung nicht zu einer Grundrechtsverletzung. Dabei kann die Frage, ob die durch diese Regelung hervorgerufene Steuerbelastung in den Schutzbereich des Art. 14 GG (vgl. BVerfGE 115, 97 ≪110 ff.≫) oder des subsidiär anwendbaren Art. 2 Abs. 1 GG fällt, offen bleiben, denn es ist nicht erkennbar, dass durch die Regelung, die lediglich zu einer zeitlich begrenzten Verschiebung des Betriebsausgabenabzugs auf den Zeitpunkt der Jubiläumszuwendung führte und die zudem in ihren Wirkungen durch die zeitliche Streckung des Gebots der Auflösung bestehender Rückstellungen abgefedert wurde, eine verfassungsrechtliche Obergrenze zumutbarer Belastung erreicht worden wäre (vgl. BVerfGE 115, 97 ≪113 ff.≫).
IV.
Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen.
Unterschriften
Voßkuhle, Broß, Osterloh, Di Fabio, Mellinghoff, Lübbe-Wolff, Gerhardt, Landau
Fundstellen
Haufe-Index 2175861 |
BFH/NV 2009, 1382 |
BFH/PR 2009, 401 |
BStBl II 2009, 685 |
BVerfGE 2010, 111 |
BB 2009, 1341 |
BB 2009, 1408 |
DB 2009, 1326 |
DStRE 2009, 922 |
HFR 2009, 825 |
WPg 2009, 711 |
FR 2009, 873 |
NJW 2009, 3151 |
NWB 2009, 1890 |
NZG 2009, 836 |
JZ 2010, 88 |
KÖSDI 2009, 16546 |
DVBl. 2009, 928 |
GuT 2009, 271 |
NWB direkt 2009, 656 |
KoR 2009, 479 |
SJ 2009, 25 |
SJ 2009, 30 |
Ubg 2009, 651 |